Gesprächsfäden

Gesprächsfäden

Die SZ-Medienseite überrascht mit einem plumpen Anti-3sat-Stückchen. Die Handball-WM überrascht, nachdem schon die deutsche Teilnahme überrascht hatte, damit, dass sie wohl nicht ins deutsche Fernsehen kommt. Außerdem: ein spektakulärer neuer Trendbegriff aus der TV-Serien-Produktion.

Sie wissen es: 3sat begeht dieser Tage sein 30-Jähriges.

Daniel Bouhs' Formulierung in der TAZ, den Kultursender "öffentlich-rechtliche Bad Bank" zu nennen, verdient zu bleiben. Hier bündelt das flotte 3sat.de die Grußworte der amtierenden Honoratioren der beteiligten Anstalten (ohne ein "Prof. Dr. h.c." eines ihrer Vorgänger zu vergessen). Die unterhaltsamere dwdl.de-Würdigung der Feierlichkeiten kam gestern hier im Korb schon vor. Vielleicht verdienen die Zeilen der kulturstaatsministerin.de bzw. Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters, es sei

"ein mediales Mekka
für Fernseh-Feinschmecker,
die sich mit Freude am Schöngeistigen und am Querdenkerischen
ihre tägliche Kulturzeit gönnen",

noch mal hervorgehoben zu werden.

Uraufgeführt wurde diese Dichtung am Montagabend in der schweizerischen Botschaft zu Berlin, beim offiziellsten Jubiläumsakt. Darüber berichten heute die Süddeutsche und die FAZ. Thorsten Schmitz hat für die SZ beobachtet, wie "in wirklich letzter Minute" der rote Teppich verlegt wurde, über den die Würdenträger dann laufen sollten - und versucht daraus, dem "Drei-Länder-Dinosaurier" 3sat irgendwie einen Strick zu drehen.

Selbstverständlich muss niemand die offizielle Formulierung "Mit einem Marktanteil von 1,1 Prozent ist 3sat heute so erfolgreich wie nie zuvor ..." übernehmen, man kann wie Schmitz auch einfach schreiben: "Der Marktanteil liegt bei nur 1,1 Prozent." Aber gleich in der SZ-Unterzeile heißt es:

"Die beteiligten Sender gönnen sich den Kulturkanal als Luxus - wie lange noch?"

Anlässe für diese Frage sind ein Userkommentar, den Schmitz unter einem tagesschau.de-Video entdeckt hat und vor allem folgende Lese- (oder Google-)frucht:

"Die Österreicher, meldete der Tagesspiegel kürzlich, haben ihr 3sat-Budget für die Programmgestaltung im vergangenen Jahr um 40 Prozent gekürzt. Der ORF spart, wegen deutlich zurückgegangener Gebühreneinnahmen. Die ARD dachte 2004 gar über einen kompletten Ausstieg nach."

Tatsächlich schrieb Joachim Huber am Ende einer eher kritischen 3sat-Analyse im Samstags-Tagesspiegel fast wortgleich:

"Die Österreicher kürzten das Geld für die Programmgestaltung im vergangenen Jahr um 40 Prozent. Die ARD dachte 2004 gar über einen kompletten Ausstieg nach."

Bloß: Den Eindruck, das sei eine Meldung, erweckte er nun wirklich nicht. Gemeldet (z.B. im österreichischen Standard oder im deutschen dwdl.de) wurden die ORF-Budgetpläne vor über einem Jahr.

####LINKS####Kurzfristig geschieht bei 3sat überhaupt nichts. Gegen den so gern so hehre Ansprüche formulierenden Sender ließe sich vieles vorbringen, nur zum Beispiel, dass auch er faktisch ein öffentlich-rechtlicher Alles-mögliche-Sender ist, der, Kultur hin, Kultur her, in seinem Programm oftmals abnudeln muss, was aus dem Fundus der angeschlossenen Anstalten gerade frei ist (an diesem Mittwochvormittag ab 10.15 Uhr etwa eine "Markus Lanz"-Wiederholung). Aber etwas auskennen sollte man sich schon, wenn man es tut. 

 

Gut also, dass es Michael Hanfeld bei der FAZ gibt, der in der Botschaft auch mit dabei war und heute in einer Randspaltenglosse die Münchener Kollegen, was die (nicht nur 2004, sondern auch später) gern mal strategisch in Frage gestellte ARD-Beteiligung angeht, auf den Stand bringt:

"Warum wollte die ARD das von allen geliebte Gemeinschaftsprojekt denn im vergangenen Jahr verlassen?, will der geschätzte Kollege von der dpa wissen. Man sei übereingekommen, 'dass die ARD dabeibleiben muss', sagt der ZDF-Intendant Bellut stellvertretend für die ARD. Gründe, den Kultursender zu verlassen, hätte es gegeben, fügen wir an dieser Stelle an: Das ZDF trägt den 3sat-Etat von 53 Millionen Euro pro Jahr finanziell ganz allein. 3sat sitzt nicht nur auf dem Mainzer Lerchenberg, es wird vom Zweiten mitverwaltet, die Mitarbeiter haben ZDF-Verträge ... Für die ARD war die Option eines 3sat-Ausstiegs - was hieße, dass 32,5 Prozent des zugelieferten Programms fehlten - aber ein probates Drohmittel ..."

Da ging's, schreibt Hanfeld, um den gemeinsamen Jugendkanal, zu dem die ARD das ZDF sozusagen überreden musste. Gegen 3sat mag er übrigens nicht polemisieren, sondern er mag es ("beweist ... allen, die denken, Fernsehen sei doof, niveaulos und langweilig, es laufe ja gar nichts Vernünftiges, das Gegenteil").

Nur mittwochvormittags beweist es es kurz mal nicht.

[+++] Das deutsche Fernsehen ist in den aktuellen Jahrzehnten vielleicht nicht das beste der Welt. Aber deutsche Fernsehsport-Zuschauer dürften zu den glücklichsten der Welt zählen. Wo gibt es so viele Fußballspiele im Free-TV, dieser Jahre oft mit nationalen Mannschaften, die gewinnen? Und ist's bei Autorennen nicht genau so?

Tagesaktuell trübt die Stimmung der Fernsehsport-Freunde jedoch eine Meldung vom Handball: Wenn die Weltmeisterschaft in dieser Sportart in Katar steigt, "werden die deutschen Zuschauer ... im Januar wohl in die Röhre gucken" (Tagesspiegel).

Die offizielle ARD-Mitteilung von gescheiterten Verhandlungen mit dem Rechteinhaber wird breit weitergemeldet, etwa mit dem Hinweis, dass es sich bei diesen um eine Al Dschasira-Tochter handelt. Die komplizierte Zusammenstellung des Teilnehmerfeldes für dieses Turnier (vgl. kicker.de, spiegel.de), für das die deutsche Nationalmannschaft sich eigentlich gar nicht qualifiziert hatte, aber nachträglich doch noch qualifiziert wurde, da Deutschland als so handballbegeistert gilt (was angesichts der Fußball-, Formel 1- und sogar Biathlon-Begeistertheit ja auch relativ ist ...), macht die Sache noch komplizierter. 

Den Kern der Fernseh-Frage nannte zuerst Spiegel Online: Es waren

"nicht die Kosten für die Übertragung. Vielmehr scheiterte der Deal an der Frage, ob die Satelliten, die ARD und ZDF nutzen, unverschlüsselt senden dürfen oder nicht. BeIn Sports wollte die Bilder verschlüsseln lassen. Die SportA" - der ARD/ ZDF-Sportrechtehändler - "hatte angeboten, einen der zwei genutzten Satelliten verschlüsseln zu lassen."

Die Süddeutsche präzisiert heute im Sportressort mit unstreitiger Kompetenz:

"ARD und ZDF wollten die Handball-WM genau wie ihr restliches Programm über die deutschen Grenzen hinaus senden, zum Beispiel in Ferienhotels rund ums Mittelmeer. Das wiederum wollte beIN Sports nicht zulassen mit dem Argument, dadurch würden Exklusivrechte anderer Länder verletzt, was geringere Einnahmen zur Folge habe. Mittlerweile hat beIN Sports jedoch die TV-Rechte an alle europäischen Interessenten verkauft, das hätte die Gespräche mit den Deutschen erleichtern können. Kenner der Szenerie vermuten indes, dass die Katarer bei den letzten Verhandlungen nicht nachgeben wollten, um das Gesicht nicht zu verlieren."

SZ-Autor Joachim Mölter sieht darin ein "besorgniserregendes Signal", das auch die Leichtathletik-WM 2019 und die Fußball-WM 2022, die ebenfalls in Katar stattfinden werden, betreffen könnte. Andererseits, fürs nächste Jahr glaubt er, dass der Privatsender Sport1 bereit stünde, die WM zu übertragen. Der Tagesspiegel glaubt es eher nicht, hat aber seinen Artikel noch mit dem Appell des Berliner CDU-Politikers und Sportsfreunds Frank Steffel im Frank-Walter-Steinmeier-Sound ergänzt, den "Gesprächsfaden" mit den Rechteinhabern nicht abreißen zu lassen.

Vielleicht kann sich die Kanzlerin einschalten (ob die Fernsehrechte mit anderen Geschäften verrechnet werden können?..). Aufmerksamkeit für diese Handball-WM ist jetzt jedenfalls geschaffen
 


Altpapierkorb

+++ Auch ein guter Text steht auf der SZ-Medienseite: Hans Hoff war am Drehort von "Weinberg", der zweiten deutschen Serie, die der Pay-TV-Sender TNT produziert und hat von TNTs Senior Executive Producer Anke Greifeneder einen Fachbegriff gehört, den sich alle merken müssen: "Für Producerin Greifeneder ist die Abgrenzung zum Serieneinerlei, bei dem auch der Dümmste immer alles sofort verstehen muss, Programm. 'Es muss einen Twist haben, einen Brain-Fuck mit sich bringen', sagt sie." +++

+++ Sensationell: eine "endgültige juristische Niederlage" und zwar "im ewig währenden Streit um die Drittsendezeiten bei Sat.1". Erlitten habe sie der Fernsehproduzent Josef Buchheit, dessen Beschwerde gegen eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Koblenz das Bundesverfassungsgericht nicht annahm. Nun werde "die Firma News and Pictures ... zum Jahresende voraussichtlich eingestellt", meldet die FAZ-Medienseite. +++

+++ Die TAZ nimmt die gestrige FAZ-Titelseiten-Topmeldung "Nur Amerika ist bei Einwanderern noch beliebter als Deutschland" auseinander. Aus dem 430-seitigen, überwiegend englischsprachigen OECD-Einwanderungsbericht sei sie "verwurstet" worden. Am Ende stellt Saskia Hödl "die Frage, ob deutsche Medien denn überhaupt noch empfänglich sind für die differenzierte Betrachtung von Migrationsthemen. Für den Leser ist es oft nur noch schwer zu beurteilen, ob das 'Boot' tatsächlich voll ist oder ob es voll geschrieben wird." +++

+++ "Bei Bertelsmann stirbt eben jeder für sich allein" (Gütersloh-Kenner Hans-Peter Siebenhaar kürzlich im Handelsblatt). +++ Aber "eine immense Ehre" erfuhr Bertelsmann gerade: "Liz Mohn, ... Christoph Mohn und der Vorstandsvorsitzende Thomas Rabe begrüßten S.M. Felipe de Borbón y Grecia am Mittag im Corporate Center des Konzerns in Gütersloh. Hier informierte sich der hochrangige Gast über das Unternehmen und seine vielfältigen Geschäftsaktivitäten insbesondere in Spanien" (bertelsmann.de). Dazu eine coole Fotogalerie. +++

+++ Indes Isny die Ehre gab Günther Oettinger, der EU-Digitalwirtschaftskommissar, und zwar gemeinsam mit "Infrastrukturminister" Alexander Dobrindt. Den Artikel der Stuttgarter Zeitung darüber kommentiert netzpolitik.org ("Ich weiß ja nicht, ob Zalando deshalb doppelt soviel wert ist weil die Zugriff auf Kundendaten haben. Die hat doch die Lufthansa auch…"). +++

+++ In der TAZ lobt Meike Laaff nicht nur das US-amerikanische Podcast "Serial", sondern schildert auch die laufende Entwicklung: "Manchmal wirkt es, als habe der Erfolg ... die Macher etwas überrumpelt. Zumindest die Spekulationswelle in sozialen Netzwerken scheint sie unvorbereitet getroffen zu haben. In vielen US-Medien werden derzeit die ethischen Implikationen der Show diskutiert: Ist es in Ordnung, einen Mordfall mit echten Protagonisten mit den Mitteln des Storytellings zu erzählen?" +++

+++ Einen "ostdeutschen Wintermärchenfilm zum Wohlfühlen. Mit viel Exotik, Romantik und einem unerschütterlichen Helden" nennt die SZ "Sushi in Suhl" heute abend um 20.15 Uhr in der ARD. +++ Die FAZ sieht's ähnlich. Doch vor allem lobt Jochen Hieber da schon mal RTLs "Götz von Berlichingen" (morgen abend zurselben Zeit). "Abenteuerlich und abstrus, sehr unterhaltsam und ziemlich ungeschlacht, herrlich erfindungsreich und hemmungslos geschichtsklitternd" sei der Film. Und "um die historische Faktizität" habe sich Goethe seinerzeit ja auch "keinen Deut geschert". +++ Tilmann P. Gangloff empfiehlt hier nebenan erst mal die Sushi. +++ Wer lesen will, wie derselbe sich "wie die Hauptfigur in einem Roman von Franz Kafka" vorkam, und zwar des Kundenservice der Deutschen Telekom wegen, klicke zu epd medien. +++

+++ Im FAZ-Feuilleton macht dann noch die Überschrift "Hannelore Kraft im Entspannungsbad bei 'Brigitte'" gespannt. Da wird von einer dieser öffentlichen Brigitte-Veranstaltungen berichtet, bei denen Brigitte-Chefredakteurin Brigitte Huber Prominente befragt. Aber weder FAZ-Autor/in Rh. noch Kraft scheinen von den Problemen der Brigitte gehört zu haben. "Heute Abend, so die Botschaft, sind wir Frauen nett zueinander und sonst gar nix".  +++

+++ Und zum heutigen "Welttag der Menschen mit Behinderungen" gibt im Tagesspiegel Kurt Sagatz einen Überblick über Untertitelungen und weitere Inklusions-Angebote im deutschen Fernsehen. "Vorbildlich in diesem Bereich sei die BBC. 'Die bieten 100 Prozent Untertitel, alles in Gebärdensprache sowie Audiodeskription an. Aber auch die Niederlande und Österreich sind uns deutlich voraus'", sagt Powertwitterin Julia Probst. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.