Dran glauben müssen

Dran glauben müssen

"Wir wollen überleben!" und weitere emotionalste Momente vom Zeitungsverleger-Kongress. Exklusive Traumkleid-Fotos! Kontroverse Meinungen zum Odenwaldschulen-Spielfilm der ARD. Außerdem: Willkommen, Christian Krug! Eine neue alte Hitlerserien-News.

"Die emotionalsten Momente" der aufsehenerregenden Hochzeit des bekannten Darstellers George Clooney mit Amal Alamuddin gibt's morgen "auf 25 Extraseiten" in der Bunten - endlich mal wieder ein spektakulärer journalistischer Erfolg für Hubert Burdas renommierten Verlag! Konnten sie sich beim Rivalen Gruner + Jahr nicht einigen, ob die Gala oder der Stern im Rennen um die exklusiven Fotos mitbieten soll? Schließlich tritt als dessen neuer Chefredakteur just am heutigen 1. Oktober der vormalige Gala-Chef Christian Krug in die Fußstapfen von, nur zum Beispiel: Henri Nannen, Peter Scholl-Latour, Michael Jürgs, Herbert Riehl-Heyse, Andreas Petzold sowie, last but not least, Dominik Wichmann. Oder hätte G+J, weil es ja "verstärkt auf Kosten" achtet, ohnehin nicht mitgeboten?

Eine detaillierte Analyse des integralen Clooney'schen Hochzeitsgeschäftsmodells ("... Seine Hochzeitsgäste wurden verpflichtet, speziell präparierte Mobiltelefone mit entsprechenden Geheimnummern zu nutzen, die anschließend weggeworfen wurden. In Hollywood- Kreisen spricht man vom 'burner phones'") liefert Handelsblatt-"Medienkommissar" Hans-Peter Siebenhaar, nicht ohne auf den insgesamt guten Zweck (Clooney will das Bildrechtehonorar "einer Nicht-Regierungsorganisation seiner Wahl spenden") hinzuweisen, zu dem nun auch Burda beiträgt.

Wer nicht übermäßig große Blicke auf Alamuddins "Traumkleid von Oscar de la Renta" werfen möchte, wird dennoch wie immer überall natürlich auch bei stern.de fündig. Doch bevor wir weiteren Spott mit dem traditionsreichen Magazin treiben: Ins Auge springt heute auf der FAZ-Medienseite eine viertelseitige Anzeige des Stern mit dem - trotzigen? - Claim "Solange Deutschland liest, werden wir schreiben." Huch?!?

[+++] Die emotionalsten Momente vom Fortgang des BDZV-Zeitungskongresses in Berlin (Altpapier gestern) gibt's jetzt hier. Beziehungsweise, mit der Fülle an Bildmaterial, die der Zeitungsverlegerverband zurzeit auf seiner Webseite bdzv.de aufbietet, können wir natürlich nicht mithalten.

"'Wir möchten überleben!', rief Alfred Neven DuMont, Vorsitzender des Aufsichtsrates der Mediengruppe M. DuMont Schauberg, auf dem zweiten Tag des Zeitungskongresses in Berlin der Branche zu",

so begann der gestrige Newsletter von text intern, einem der unscheinbareren Newsletter-Versender. Online findet sich bei textintern.de dieser Text derzeit nicht. Wer aber einen ausgiebigen Widerschein von Neven DuMonts Rede gibt, sind natürlich seine Zeitungen KSTA, BLZ und (weniger ausgiebig, weil Boulevard) Express. Joachim Frank berichtet mit jeder Menge dem DuMont-Chefkorrespondenten wohl gebotenem Respekt:

"... und am Ende applaudieren ihm Verleger, Geschäftsführer und Chefredakteure stehend. Denn Neven DuMont hat nicht nur einen erfahrungsgesättigten, launigen Streifzug in die Vergangenheit unternommen, sondern der Zunft auch ein leidenschaftliches Bekenntnis zur Zukunft der Zeitung mit auf den Weg gegeben: 'Wir müssen dran glauben, nicht halbherzig, sondern ganz!' Und: 'Wir wollen überleben!'"

Dran glauben, müssen dran glauben ... - das ist, wie zumindest Fernsehkrimizuischauer wissen, ja ein Teekesselchen, das auch das Gegenteil von überleben bedeuten kann. Um den Kern der Ansprache zu identifizieren, hilft eher ein Klick zu horizont.net:

"Zwar hielten Politiker gerne Sonntagsreden über die wichtige Rolle der Zeitungen für die Demokratie, sagte Neven DuMont. Doch die Realität sehe anders aus. 'Wir dürfen uns nicht einbilden, dass wir beliebt sind.'"

Im Gegenteil sind die Zeitungsverleger längst mit voller Wucht dabei, sich selbst zu Inbegriffen analoger Gestrigkeit zu stilisieren, die immerzu gleichermaßen lamentieren und auf ihre Reichweite verweisen und sich nicht nur Digitalaficionados, sondern jüngeren Mediennutzern überhaupt als Spottfiguren aufdrängen. Das könnte inzwischen auch den Verlegern selbst gedämmert und Neven DuMont gemeint haben, wie Christian Meier bei meedia.de in einer ausführlichen Analyse des letzten Kongresstags ("Die selbstverschuldete Sehnsucht der Verleger nach Technik-Kompetenz") schreibt.

Daran dürfte der Kongress selbst allerdings vorläufig noch nicht viel geändert haben, wie Frédéric Schwilden in einer fulminanten Reportage von derselben Veranstaltung berichtet:

"Die einzigen Menschen ohne grauen Haarkranz, ohne diese randlosen, sich in der Unscheinbarkeit auflösenden Brillen, das sind Kellnerinnen und Kellner, die in der Kaffeepause die Gläser abräumen und unter strengem Blick des indischen Oberkellners die Stuhlreihen wieder gerade rücken",

heißt's im Text für Springers Welt und Funkes Hamburger Abendblatt. Anfangs klingt es beinahe (Angela Merkel "sagt Sätze wie: 'Stärken Sie Ihre Kernkompetenz.' In ihren Augen ist die Kernkompetenz der Verleger der Qualitätsjournalismus"), als halte der Autor selbst Qualitätsjournalismus nicht gerade für eine Verleger-Kernkompetenz. Am Ende erweist er zumindest dem Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner Respekt. Was immer sich Döpfner schließlich vorwerfen lässt: dass seine Haare nicht schön seien, ja wirklich nicht. Schwilden bleibt dem Tonfall aber treu:

"Während vorne also tatsächlich über die Zukunft gesprochen wird, während im Gespräch zwischen John Harris und Mathias Döpfner mögliche Lösungsansätze für die Zukunft besprochen werden (keine garantierten Lösungen, aber Ideen, die wichtig und richtig sind), schlafen einige der grauen Männer in den Reihen und träumen vom Qualitätsjournalismus und werden erst wieder wach, als es den letzten Kaffee gibt."

Wer hätte solch emotionale Reportagen von diesem Kongress erwartet? Döpfner sprach übrigens u.a. mal wieder über "biegsame und hauchdünne", "zigmal wiederverwertbare" Bildschirme als neues Trägermedium (kress.de). Und wer sich dafür interessiert, sollte auch den newsroom.de-Text des verdienten Zeitungsforschers Günther Rager ("Ob auf Papier, Polymer-Folie oder auf dem Screen - Qualitätsjournalismus hat in jedem Fall eine Zukunft ...") sowie das Autorenfoto beachten.

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[+++] Wer also früher alles besser, als Deutschland noch las und seine Verleger noch beliebt waren? Nein!

Dazu schalten wir rasch in die 1960er Jahre: Die Süddeutsche geht in loser Folge der Nazizeit-Vergangenheit ihrer früheren Starjournalisten nach und beschäftigt sich heute mit ihrem Chefredakteur von 1960 bis 1970, Hermann Proebst. Dessen Fall

"steht ... exemplarisch für das Ausmaß von Schuld und Verdrängung in der Nachkriegszeit. Da waren die Medien der jungen Demokratie oft nicht besser als die Gesellschaft, auch wenn sie das gern behaupteten, und der Fall des Stern-Gründers und früheren NS-Propagandisten Henri Nannen bildete keine Ausnahme",

schreibt Joachim Käppner. Und auch um den früheren Innenpolitik-Ressortleiter Hans Schuster geht es. Frei online ist eine Zusammenfassung des Feuilleton-Aufmachers zu lesen.

[+++] Und als begonnen wurde, diesen Muff hinwegzufegen, war dennoch ebenfalls nicht alles gut.

"Aus den Internatszimmern dröhnt der Sound der Sechziger und Siebziger, 'Feelin’ alright' und 'Gimme some lovin’'. Die junge Bio-Lehrerin ist kurz irritiert, aber doch angetan von der liberalen Atmosphäre. Ihre alte Schule musste sie verlassen, weil sie beim Kiffen erwischt wurde. Ihr neuer Chef scheint damit kein Problem zu haben. Er ist ein angenehmer Mann, tolerant, jovial und angeblich ein richtiger Superpädagoge. Aber irgendwas scheint mit ihm und dem Internat nicht zu stimmen."

Wer in den letzten Tagen Medienmedien verfolgt hat, weiß, dass hiermit der Plot des ARD-Spielfilms "Die Auserwählten" über die Missbrauchsskandale an der Odenwaldschule zu beschreiben begonnen wird (Zitat ebenfalls aus der SZ). Was dann folgt, ist eine "Reise in das verlogene Reich der entfesselten 68er-Selbsttäuschungen" (Spiegel-Veteran Nikolaus von Festenberg im Tagesspiegel).

Darauf, ob der Film trotz dagegen gerichteten Anstrengungen des bekannten Mediananwalts Christian Schertz heute abend ausgestrahlt wird, braucht man wohl nicht gespannt sein. Die zuständige ARD-Anstalt WDR will "wie geplant ... senden" (newsroom.de/ DPA). Auf den Film darf man gespannt sein. Die Kritiken sind überwiegend positiv mit nur leichten Einschränkungen. "Der Film ist beklemmend - auch weil er konkret wird, wo andere Produktionen sich mit dräuender Musik begnügt hätten" (Nina Apin in der TAZ). Auch hier nebenan ist er Tipp des Tages.

Die FAZ widmet gar ihre ganze Medienseite (außer der viertelseitigen Stern-Anzeige) dem Werk: "Mindestens 132 Schüler sind in den siebziger und achtziger Jahren an der Odenwaldschule Opfer sexueller Gewalt geworden. Ist es zulässig, dazu einen Spielfilm zu machen?", fragt sehr rhetorisch Hans-Hinrich Koch, der als TV-Produzent den Spielfilm dazu gemacht hat. "Was sagen Betroffene zu 'Die Auserwählten'?", heißt der zweite Beitrag. Da hat Michael Hanfeld Betroffene, also Ex-Schüler der Odenwaldschule befragt, und es fällt doch auf, dass die, die betroffen gegen den Film klagen, nicht zu Wort kommen. Dass im dritten Beitrag Melanie Mühl dann eher eine zahme Inhalts-Zusammenfassung als eine Filmkritik liefert, erstaunt dann nicht mehr.

Sind alle vom Odenwaldschulen-Spielfilm angetan? Nein! Die Frankfurter Rundschau, die schließlich, woran u.a. von Festenberg erinnert, die Sache 1999 aufdeckte, ist's nicht.

"Aufgedeckt hat die Verbrechen  übrigens der Kollege Jörg Schindler ... , und dass in diesem Film ein Journalist sich eben nicht traut, einen Artikel über die pädophile Praxis an der Schule zu schreiben, ist zwar Geschichtsklitterung, aber nicht der schlimmste Vorwurf,  den man den Autoren Benedikt Röskau und Sylvia Leuker und Regisseur Christoph Röth machen muss",

schreibt Daland Segler, sondern dies sei es:

"Hier wird ein Stoff von elementarer Dimension, ein an das Innerste rührendes Thema, auf 90 Minuten zugeschnitten und weichgespült."

Und dass "ein bereits eingeladener Vertreter" des "Runden Tischs Odenwaldschule" aus der in der ARD gleich im Anschluss an den Film schon um 21,45 Uhr folgenden Anne-Will-Show "aus 'tagesaktuellen Gründen' leider wieder ausgeladen" worden sei, will die FR ebenfalls wissen. Aber Alice Schwarzer sei dabei.
 


Altpapierkorb

+++ Die neue News über eine neue Hitler-Fernsehserie (meedia.de u.a.) ist eigentlich eine deutlich ältere News über eine neue Hitler-Fernsehserie. Neu ist nur, dass RTL die in Vorbereitung befindliche Produktion seiner Tochterfirma Ufa ausstrahlen möchte. Aber Hitler geht eben nicht nur auf Spiegel-Covern, sondern in anderen Zusammenhängen auch fast immer (und bei exklusiven Pressedinnern News unter Newsletterversendern so zu streuen als seien sie neu, ist ja eine Kernkompetenz der Ex-Teamworx-Produktion). +++

+++ Emotionale Momente in Hülle und Fülle drohen winken auch wieder morgen und übermorgen, wenn der Deutsche Fernsehpreis verliehen bzw. die Verleihung in der ARD übertragen werden wird. Was die Emotionen noch steigert: Es ist die vorläufig letzte Verleihung dieses Preises. "Gut möglich, dass der Deutsche Fernsehpreis nach der 16. Verleihung mausetot ist und bleibt", meint heute Hans Hoff auf der SZ-Medienseite. Eigentlich berichtet er von der "Verleihung der Auszeichnung der Deutschen Akademie für Fernsehen" - deren komplexen Bezug zum Fernsehpreis selbst sich niemand mehr einprägen muss. Hoffs Fazit jedenfalls: "Ansonsten wurde, wie bei solchen Anlässen üblich, viel geklagt, über zu wenig Zeit, zu wenig Geld. Zwischendrin sagte dann immer wieder mal jemand, dass er ja eigentlich gar kein Fernsehen anschaue ..." +++

+++ "... Der Bedarf an Filterung steigt jedenfalls. Für das Fernsehen gilt, dass es die Klugen (eher) klüger und die Dummen (eher) dümmer macht. Stimmt das  auch für 'das Internet', verstanden als Gesamtheit der digitalen Infrastruktur? Es ist vermutlich doch mehr als ein bloßes Medium - keine  beruhigende Nachricht." So lauten die letzten Sätze von Edo Reents' Leitartikel vorn auf der FAZ unter der Überschrift "Die Verbindlichkeit des Geschriebenen". +++

+++ "Die Primetime-Sendeplätze der ARD weisen in den Jahren 2010 bis 2013 nur in 7,5 Prozent Frauen in der Position 'Regie' aus heißt's im Aufruf von mehr als 170 Regisseurinnen, die eine Frauenquote für Kino- und Fernsehfilme fordern (TAZ-Meinungsseite). +++

+++ Gemma Pörzgen hat für epd medien die neue Handelsblatt-Beilage "Russia Beyond the Headlines" (hier als PDF) angeschaut: "Auffallend ist, das im Vergleich zu 'Russland Heute' nur noch russische Autoren" für die aus Russland finanzierte Publikation, die früher der SZ beilag, "schreiben - und keine aus  Deutschland stammenden freien Journalisten", so wie Moritz Gathmann (siehe Altpapier aus dem März). Pörzgens Fazit: "Formal gesehen ist also alles in Ordnung. Dennoch bleibt das PR-Produkt für die 'Handelsblatt'-Leser eine fragwürdige Alternative zu einer  kontinuierlichen und unabhängigen Berichterstattung aus Moskau. 2013 hatte die Zeitung aus Kostengründen nach 20 Jahren ihr Moskau-Büro geschlossen und sich von ihrem damaligen Korrespondenten Oliver Bilger getrennt. Diese Lücke füllt die Kreml-Postille sicher nicht." +++

+++ "Sowohl Landgericht als auch Kammergericht Berlin verurteilten den Springer-Verlag auf Unterlassung der Berichterstattung. Springer legte Beschwerde beim BGH ein" (Tagesspiegel), und kann sich nun mal wieder als einer, der geholfen hat, die Pressefreiheit zu stärken, zeigen. Wobei das auch mit dem gegnerischen "Unglücksvogel" (Kanzlei Kompa), dem brandenburgischen Ex-Finanzminister zu tun hat. +++

+++ Nachhall und Metaebene zur Jauchshow vom Sonntag gibt's bei Altpapier-Autor Frank Lübberdings wiesaussieht.de. +++

+++ "Youporn und Priol sind Geschwister im Geiste als Produzenten von Überdeutlichkeit": Nachhall zur gestrigen Kabarettshow-Premiere im ZDF, formuliert von Gerhard Matzig für sueddeutsche.de. Siehe auch tagesspiegel.de, fr-online.de (wiederum Segler). +++

+++ Und wo ist Sonneborn? In Europa inzwischen. Seinen ersten Auftritt bzw. vor allem den designierten Digitalkommissars Günther Oettinger hat netzpolitik.org nicht nur live gebloggt, sondern anschließend auch ausgeruht bewertet: "In weiten Teilen schlägt sich Oettinger besser und blamiert sich weniger, als viele erwartet haben. Das liegt leider nicht an einer bisher verborgen gebliebenen Kompetenz, sondern primär daran, dass er um vage um Angelegenheiten herumredet. Wenn er das nicht tut, spontan wird und  Beispiele nennt, wird es kritisch ..." +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.