Die Vermessung von Bertelsmann

Die Vermessung von Bertelsmann

Bertelsmann wird Gruner + Jahr möglichst schnell weiterverkaufen – oder auch nicht. Mehr Einigkeit gibt es darüber, ob es um den Ausstieg der Familie Jahr schade ist. Außerdem geht es um Zensur in China, Buzzfeed in Katzencafés, Namensfindung bei Start-ups, und es gibt Neues aus der „Anstalt“.

Was wir wissen: Bertelsmann hat den Teil von Gruner + Jahr gekauft, der dem Unternehmen noch nicht gehörte. Dabei handelt es sich um 25,1 Prozent der Anteile; die Übergabe erfolgt zum 1. November. Zu den Kosten möchte man nichts sagen; es sollen etwa 200 Millionen Euro sein, die in bar (bitte sagt, dass es in nicht durchgehend nummerierten Scheinen vor Sonnenaufgang von Männern in grauen Anzügen auf einer Brücke übergeben wird!) zu zahlen sind, und vielleicht auch in Immobilien – nach den ganzen Entlassungen aka „laufende strategische Neuausrichtung mit Kosten- und Effizienzmaßnahmen“ muss man wohl eh nachhaltig transformativ downsizen, für Nicht-BWLer: umziehen.

Was wir nicht wissen: Was das bedeutet.

„Ist der Kauf durch Bertelsmann strategisch sinnvoll? Nein. Denn Gruner+Jahr schrumpft rapide. Der Kauf ergibt nur dann einen Sinn, wenn Bertelsmann das ,Haus der Inhalte’ verkaufen oder zerlegen will - mögliche Kandidaten stehen mit Hachette und der Bauer Media Group bereit.“ (Bülend Ürük, Newsroom)

„Den Verlag erst ganz übernehmen, um ihn dann gleich loszuschlagen oder auseinanderzunehmen, dass wäre ein Manöver nach Heuschreckenart und würde Bertelsmann außer schlechter Presse nichts bringen. Viel Geld ließe sich kaum erlösen, und preiswerter als jetzt konnte der Gütersloher Konzern den Verlag aus Hamburg gar nicht bekommen.“ (Michael Hanfeld, FAZ-Medienseite)

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„Ob diese Zukunft tatsächlich Bertelsmann heißt, wird jedoch von einigen Beobachtern bezweifelt. Dass es jetzt nicht zum Verkauf von Gruner + Jahr gekommen sei, heiße nicht, dass der Plan grundsätzlich aufgegeben worden sei. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, nach Umsetzung der Sparmaßnahmen sei die Braut erheblich attraktiver, wenn nicht Anfang 2015, dann später.“ (Kurt Sagatz, Tagesspiegel)

„Bertelsmann hat augenscheinlich auch nicht vor, G+J nach erfolgter Sanierung zu verkaufen. Auch die Spiegel-Beteiligung wird nicht verkauft.“ (Stefan Winterbauer, Meedia)

„Auch wenn es in jüngsten Äußerungen ganz anders klingt und Bertelsmann den Anschein erweckt, langfristig mit G+J zu planen - ein Verkauf in branchenfremde Hände ist kein Tabu. Vor ziemlich genau einem Jahr etwa wurde Amazon-Gründer Jeff Bezos zum Eigner der US-Traditionszeitung Washington Post. Auch dort konnte sich die Beschäftigten kaum vorstellen, dass ein Internet-Unternehmer um die Ecke kommen und der Graham-Familie das Blatt nach acht Jahrzehnten aus den Händen nehmen würde.“ (Jens Twiehaus, taz)

Man könnte ewig so weitermachen.

Bei Bertelsmann selbst meint man, ein klares Bekenntnis zum Journalismus abgegeben zu haben, indem man Chef Thomas Rabe in der Pressemitteilung sagen lässt:

„Bertelsmann ist das Unternehmen mit dem weltweit vielfältigsten Angebot an solchen [journalistischen] Inhalten. Gruner + Jahr wird dabei eine noch wichtigere Rolle spielen.“

Nicht geklärt wird allerdings, was Rabe unter Journalismus versteht.

Auf Nachfrage habe er sich auf die 500 „Medienaktivitäten“ von Gruner + Jahr berufen, schreibt Ulrike Simon in der Berliner Zeitung (die zudem festhält, wie die Mitarbeiter vom Verkauf erfahren haben: „G+J-Vorstandschefin Julia Jäkel blieb einzig, Rabes Bitte zu folgen, seinen ,Chairman’s Letter’ an alle Mitarbeiter weiterzuleiten. Das tat sie, kommentarlos, um 9.14 Uhr.“)

Doch nun zur Journalismus-Definition bei Bertelsmann/G+J:

„Als solche bezeichnet G+J inzwischen den Stern ebenso wie die kürzlich gekaufte Empfehlungs-Technologie Veeseo oder das Babymode-Einkaufsportal tausendkind. Journalismus, sagte Rabe, bedeute, dass sich Produkte gedruckt und digital an unterschiedliche Zielgruppen richten: ,All diese Produkte sind journalistische Produkte, die einen Nutzen für Leser haben, und für die Leser und Anzeigenkunden zahlen.’“

Dass der Weg in den Journalismus frei ist, wussten wir schon. Dass darüber nun auch Babymodeeinkaufsportale einfallen, ist neu. Ob man bei Bertelsmann, wenn man vom Bekenntnis zum Journalismus spricht, nun eher diese, den Stern oder etwa die aktuellen Angebote bei Aldi meint, die sich ja auch gedruckt und digital an unterschiedliche Zielgruppen richten, wird heute morgen nicht mehr zu klären sein.

Als kleines Zwischenfazit kann man folgende Einigkeit, die bei FAZ und SZ herrscht, vermelden:

„Aber gute Inhalte sind auch in den Zeiten des Internets entscheidend. Bertelsmann-Chef Thomas Rabe hat versichert, dass bei Gruner + Jahr dafür investiert werden soll. Daran muss er sich messen lassen.“ (Caspar Busse, SZ S. 4)

„Hier gilt es nun zu investieren, um das Versäumte nachzuholen und den seit Jahren schrumpfenden Verlag wieder auf Wachstumskurs zu führen. Daran muss sich Rabe fortan mehr denn je messen lassen.“ (Johannes Ritter, FAZ S. 22)

Darüber hinaus ist der Tenor in Sachen Familie Jahr – früher mal als Garant für die Pflege des Journalismus-Journalismus im 75-Prozent-Bertelsmann-Verlag gehandelt – recht eindeutig:

„Anders als Mitgründer John Jahr senior, der den Verlag mit dem früh ausgeschiedenen Drucker Richard Gruner und Zeit-Chef Gerd Bucerius startete, fehlt der heute einflussreichen Generation [hier steht eine Doppelung, die man bei Meedia noch einmal gegenlesen sollte] das verlegerische Gen und auch die Leidenschaft, die es braucht, um solche Geschäfte in der Zeit eines tief greifenden Umbruchs erfolgreich zu betreiben. Mit Immobilien, Spielkasinos oder der Beteiligung an einem prosperierenden Tech-Dax-Konzern lässt sich das Auskommen für sich und die nachwachsenden Generationen offenbar leichter sichern.“ (Georg Altrogge, Meedia)

„Fest steht, dass die Erben von Firmengründer John Jahr jetzt ihre 25-Prozent-Beteiligung an den Bertelsmann-Konzern verkaufen. Nach bald fünfzig Jahren wollen sie nicht mehr und nehmen lieber das Bargeld aus Gütersloh, als sich weiter im schwierigen Zeitschriftengeschäft mit sinkenden Umsätzen und zurückgehenden Gewinnen zu mühen. Das Signal ist so eindeutig wie fatal: Das Mediengeschäft hat keine Zukunft mehr, wir investieren lieber woanders.“ (Caspar Busse, SZ S. 4)

Bleibt noch ein Blick zu Bertelsmann und den vielen Synergieeffekten, die es nach dem Kauf nun dringend zu nutzen gilt, wie Roland Pimpl bei Horizont schreibt.

„Zum einen kann der Konzern das G+J-Geschäft nun besser mit seinen übrigen Sparten (RTL-Gruppe, Penguin Random House, BMG, Arvato) vernetzen – ohne umständliche Abstimmungs- und Bewertungsprozesse mit der Jahr-Holding und ihrer Sperrminorität. So kündigte Rabe jetzt weitere Projekte à la ,Stern TV’ und ,Geo TV’ an. Insofern ist der Deal auch für die G+J-Geschäfte auf ihrem Inhalteverwertungs- und Digitalisierungskurs eine gute Nachricht. Neben diesen Verbundeffekten kann Bertelsmann zudem auf Kostenersparnisse und -synergien hoffen, durch einfachere Prozesse, aber auch durch weitere Zentralisierungen vor allem in den Bereichen Einkauf, IT sowie Finanz- und Personalwesen.“

Für das Schlusswort übergeben wir dann zum ehemaligen Altpapier-Kollegen Klaus Raab, der es bei Zeit Online wie folgt formuliert:

„Man kann also ganz nüchtern bleiben und sagen: Es war nur eine Frage der Zeit, dass es so kommt. Auch für Betriebswirte ohne emotionale Bindung an die Medienbranche ist die Nachricht so groß nicht: Ein Konzern übernimmt ein Unternehmen, an dem er schon mehrheitlich beteiligt ist, komplett. Womöglich, um es weiterzuverkaufen. Im Grunde ist das Wirtschaftsalltag.“


Altpapierkorb

+++ Einen Etappensieg im Kampf Josef Joffe/Jochen Bittner versus „Die Anstalt“ hat gestern Letztere errungen: Das Hamburger Landgericht hat die einstweilige Verfügung gegen die ZDF-Sendung wieder aufgehoben (epd/Hamburger Abendblatt). Wir erinnern uns: Joffe hatte geklagt, weil er mit nicht ganz so vielen transatlantischen Lobbyverbänden verbandelt ist, wie in der Sendung dargestellt (u.a. dieses Altpapier). Das Urteil im Hauptverfahren folgt im November. In der Mediathek fehlt der Beitrag weiterhin. +++

+++ Wie ausgeklügelt die chinesische Zensur im Netz funktioniert, erklärt Mike S. Schäfer von der Uni Zürich heute in der NZZ am Beispiel des Twitter-Pendants Weibo. „So kann über Themen, die von der chinesischen Regierung als Probleme anerkannt sind, vergleichsweise offen debattiert werden (...) – mit Wirkung: Als der chinesische Immobilienmagnat Pan Shiyi auf Weibo die Ungenauigkeit der offiziellen Messungen der Luftverschmutzung kritisierte, wurden seine Beiträge nicht etwa zensiert, sondern bessere Messungen veröffentlicht. (...) Denn mittels ,opinion mining’ – umfangreicher, computergestützter Analysen der Kommunikation auf Weibo und in anderen sozialen Netzwerken – kann sich die Zentralregierung so für Probleme in entfernten Provinzen sensibilisieren, die ihr andernfalls entgehen würden.“ +++

+++ Erinnert sich noch jemand an das deutsche Buzzfeed, das in diesem Herbst starten soll und bislang nur häppchenweise in Erscheinung trat? Seit gestern gibt es, ganz netflixesk, eine Presseeinladung für die kommende Woche, natürlich nicht zur Feier des Launchs, das ist so 2012, sondern zum Treffen des Teams. Standesgemäß in einem Katzencafé. +++

+++ „An die Stimme werden wir uns immer erinnern. Bei jedem Film von Robin Williams, den er seit "Good Morning, Vietnam" synchronisierte. Das ist viel. Andere Schauspieler seiner Kategorie gehen völlig unter. Nicht wegen mangelnden Talents, sondern wegen mangelnder Gelegenheiten. Das Film- und Fernsehgeschäft ist eben nicht nur unerbittlich, es ist kann auch sehr ungerecht sein.“  Schreibt Barbara Möller im Hamburger Abendblatt über den am Freitag verstorbenen Peer Augustinski, den man, wenn nicht als Synchronstimme von Robin Williams, aus „Klimbim“ kennt. Auch FAZ, SZ und taz erinnern auf ihren Medienseiten an ihn. +++

+++ Namefy. So könnte das Start-up heißen, dessen Geschäftsmodell die Erstellung eines dieser Fantasienamen für ein neues Start-up wäre, ohne den man sich heute in der Branche nicht mehr sehen zu lassen braucht. Der Tagesspiegel hat eine lange Liste der Namen zusammengetragen, die aktuell im Umlauf sind: Avandeo, Mineko, Valoony – ja, das gibt es alles wirklich. Nur Namefy ist eine spontane Altpapier-Erfindung. Im realen Leben übernehmen die Namensfindung wohl noch gute, alte Werbeagenturen. +++

+++ Was Netflix kann, kann Amazon schon lange. Daher gibt es nun die Serie „Transparent“, in der es Patriarch Mort nicht gelingt, seiner Familie zu erzählen, dass er mittlerweile als Frau lebt, weil seine Kinder einfach zu ich-fixiert sind, um ihm bei seinem Geständnis zuzuhören. Jürgen Schmieder zeigt sich auf der Medienseite der SZ sehr angetan. „Serien über dysfunktionale Familien sind nun wahrlich nicht neu. Es ist der sensible und dennoch unsentimentale Umgang mit Gendergrenzen und Sexualität, der Transparent zu einer besonderen Serie macht“. +++

+++ Es ist nicht so, als ob man nicht das Gefühl hätte, Eckart von Hirschhausen sei schon überall. Fernseher an: Eckart von Hirschhausen. Buchladen betreten: Eckart von Hirschhausen. Kurz vor die Tür gegangen: Plakate für den nächsten Auftritt von Eckart von Hirschhausen. Und jetzt ist es auch noch da, wenn man die Medienseite der FAZ aufschlägt. Michael Hanfeld hat ihn befragt und als Antwort Kalendersprüche von Kierkegaard und eine frohe Botschaft erhalten (falls es auch für andere eine frohe Botschaft sein sollte, dass das „Quiz des Menschen“ mindestens zwei weitere Jahre läuft). +++

Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder.