Der Epigone des Generellen

Der Epigone des Generellen

Bei einem Treffen an einem unbekannten Ort in Hamburg kommt heute vielleicht was heraus, vielleicht aber auch nicht. Was hat es mit der Ankündigung des neuen Focus-Chefredakteurs auf sich, aus dem Blatt solle das „einzig nicht-linke Magazin werden“? Welches Werk wird Reinhold Beckmann hinterlassen? Außerdem: „die Achse der Börsen“ und ein Nachruf auf einen Digital-Pionier.

Wollten Sie schon immer alles wissen über die Frau Huffington ihre Landstraße zum Erfolg? Dann sind Sie richtig beim Tagesspiegel, der sein Medienressort online derzeit aufmacht mit einem Artikel, der so überschrieben ist:

„Arianna Huffington erklärt ihren Highway zum Erfolg.“

Beruhigend aber, dass der Tagesspiegel auch noch Old-School-Überschriften parat hat, zum Beispiel:

„Entscheidung beim Spiegel?“

Das kann man natürlich fragen, denn heute findet „an einem unbekannten Ort in Hamburg“ ein Meeting der Spiegel-Gesellschafter statt. Das Fragezeichen in der Headline des Tagesspiegel-Textes sollte man sich aber groß vorstellen - zumindest, wenn man berücksichtigt, was Ulrike Simon in der Berliner Zeitung schreibt:

„Noch immer ist unklar, ob und wann Chefredakteur Wolfgang Büchner abgesetzt wird, und wer ihm folgt. Hochkonjunktur haben jene, die angeblich erfolgte Entscheidungen aus teils persönlichem, teils politischem Interesse verbreiten (...) Auch zweit- und drittklassige Namen werden gehandelt. Das zeigt, wie schwierig die Suche nach einem Spiegel-Chefredakteur ist – und wie weit der Weg zu einer Lösung. Auch von dem für diesen Freitag anberaumten, formlosen Treffen der Gesellschafter ist nicht zwingend ein Ergebnis zu erwarten.“

Das Spiegel-Theater wird also möglicherweise noch länger Parallelen aufweisen zu den Erzählungen von Querelen rund um Trainer, Manager, Vorstände und Aufsichtsräte von Profifußballklubs. Der hier neulich von Christian Bartels gemachte Vorschlag, in Sachen Spiegel nicht im Spekulationsgeschäft mitzumischen, sondern sich lieber mal mit den Inhalten zu befassen, die Spiegel und Spiegel Online produzieren - dieser Vorschlag, den man auf die Forderung „Medienkritik statt Klatsch!“ zuspitzen könnte, bleibt aktuell.

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[+++] Was gibt es Neues vom anderen Montagsmagazin? Bernd Dörries stellt auf der SZ-Medienseite Ulrich Reitz vor, der von kommender Woche an den Chefredakteursposten bei Focus bekleiden wird:

„Reitz will das Magazin nun zu einer konservativen Stimme machen, hört man. ‚Wir werden das einzige nicht-linke Magazin‘, sagte er in der Redaktion.“

Das wirft Fragen auf, die man bisher nicht zu stellen wagte: Ist Focus derzeit eine anti-konservative Stimme? Wenn Reitz davon redet, dass Focus ein „nicht-linkes“ Magazin „werden“ soll, heißt das denn, dass Focus derzeit ein nicht nicht-linkes Magazin ist?

[+++] Da lenken wir uns doch lieber mit Feingeistigem ab, mit einer Rede Norbert Schneiders, die die Funkkorrespondenz abgedruckt hat. Auf neun Seiten geht es um den sog. Qualitätsjournalismus. Schneider, der in den 1970er Jahren so eine Art Oberboss des Altpapiers gewesen wäre, wenn es das denn damals schon gegeben hätte (mit anderen Worten: Er war u.v.a. auch Direktor des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik), sagt unter anderem:

„Vertrauen und ein Mindestmaß an Sicherheit und Verlässlichkeit in der Kommunikation der Menschen (sind) eine Voraussetzung dafür (...), dass soziale Systeme überleben. Das entsteht nicht von selbst. Qualitätsmedien sind dazu eine unter vielen Voraussetzungen. ‚Die Zauberer der Netzwerke‘, so sagte es der Verfassungsrechtler Udo Di Fabio kürzlich, ‚glauben an die Fähigkeit der Gesellschaft, sich selbst zu organisieren.‘ Ich ergänze: die Dinge sich selbst zu überlassen.“

Di Fabio halte das „für einen kapitalen Irrtum“, so Schneider, der das selbst auch so sieht. Am Ende kommt dann noch die „Achse der Börsen“ ins Spiel:

„Qualitätsjournalismus ist kein Luxus, den man sich nur leisten kann, wenn er sich rentiert, und auf den man verzichten muss, wenn es eng wird. Wäre Relevanzermittlung mit einer Rendite verbunden, wäre sie abhängig von der Achse der Börsen, dann hinge damit auch das Leitbild einer informierten Gesellschaft in der Luft. Dann bliebe allenfalls noch die Frage, was der Aktienbesitzer eigentlich macht, nachdem er sein Geld gezählt hat. Es vergraben, weil er keinem mehr traut? Türen und Läden schließen, weil er nicht weiß, was los ist auf dieser Welt und wer dieser Schatten in seinem Vorgarten ist? Dann vielleicht doch lieber eine Publizistik, die uns lieb bleibt, auch wenn sie teuer ist und vermutlich noch teurer werden wird.“

Man kann das vielleicht auch als implizite Forderung an den Medienjournalismus lesen: Kümmert euch mal ein bisschen mehr um die Aktionäre!

[+++] Kein Tag ohne Reinhold Beckmann! Zumindest kommt er heute schon zum dritten Mal in Folge im Altpapier vor. Bei Zeit Online fragt sich Altpapier-Standby-Autor Matthias Dell anlässlich Beckmanns letzter Talksendung: „Welches Werk wird er hinterlassen?“. Dell meint:

„Reinhold Beckmann ist (...) durch das geschriebene Wort nicht abbildbar. Es gibt keine Floskeln oder Formulierungen, die als für ihn typisch Karriere gemacht hätten (...) Beckmann geht auf in seiner Rolle als Epigone des Generellen. Er sagt das, was alle sagen, versucht aber ein wenig so zu tun, als sei es persönliches Interesse oder ihm gerade eingefallen. Gerade vor den elder statesmen der deutschen Politik, den Weizsäckers und Schmidts, die sich Beckmann in seiner späten Phase gern einlud (...), reduzierten sich Fragen zwangsläufig auf Stichworte.“

Gesehen hat Beckmanns letzte Sendung, die den Titel „Menschen auf der Flucht – letzte Rettung Europa?“ trug, Altpapier-Autor Frank Lübberding (faz.net):

„(Es) stand die Perspektive der Menschen im Vordergrund, die ansonsten nur als anonyme Masse in Erscheinung treten (...) Man konnte bei ihm etwas von den Menschen erfahren, die hinter dem abstrakten Begriff des Flüchtlings zu finden sind. Der Zuschauer konnte sich ein eigenes Bild von dem machen, was politisch gerade diskutiert wird. Es war zum Abschied eine gute Sendung von Reinhold Beckmann.“

[+++] Die taz widmet ihre komplette Medienseite heute der Situation der israelischen Tageszeitung Haaretz - und dem Ärger, den sie mit Kritikern hat, die gerade ihr Abo gekündigt habe, weil ihnen die Kommentare des Autors Gideon Levy zum Gazakrieg missfielen:

„Es ist nicht das erste Mal, dass LeserInnen in Zeiten kriegerischer Auseinandersetzungen Haaretz den Rücken kehren. ‚Das war schon während des ersten Libanonkrieges 1982 so wie auch während der ersten und zweiten Intifada. In der Regel sind jedoch mindestens die Hälfte der Abonnenten zurückgekommen‘, sagt (Herausgeber Amos) Schocken. Diesmal geht es den meisten Kritikern jedoch nicht um die inhaltliche Ausrichtung der Zeitung, sondern um eine Person. ‚Einige sagten, wenn Levy entlassen werde, kämen sie zurück, denn er bewege sich außerhalb des zionistischen Konsenses und schade der öffentlichen Sicherheit‘, sagt Schocken.“

Levy selbst sagt:

„Wegen eines Kommentars kündigt man doch kein Abo bei einer Zeitung wie Haaretz. Sie ist die einzige Zeitung im Land, die diese Bezeichnung auch verdient."


Altpapierkorb

+++ Manche kannten ihn nur als einen von einer Zigarettenfirma berufenen „Minister“ (Ressort: „for tomorrow“), aber Ossi Urchs auf dieses Wirken als Werbefigur zu reduzieren, wäre ungerecht. Am Donnerstag ist er im Alter von 60 Jahren gestorben. Frank Patalong zeichnet in einem persönlichen Nachruf bei Spiegel Online das Bild eines Digitalpioniers, der zum Beispiel bereits „in den Achtzigern (...) ein Interesse an digitaler Bildbearbeitung (entwickelte)“.

+++ Die Organisation Reporter ohne Grenzen kritisiert die Zusammenarbeit der Deutschen Welle mit dem chinesischen Staatssender CCTV (siehe Altpapier). Eine entsprechende Pressemitteilung veröffentlicht ROG wohl auch deshalb jetzt, weil DW-Intendant Peter Limbourg im hier gestern schon erwähnten Zeit-Interview, das im Wirtschaftsressort der Wochenzeitung erschienen ist, die Kooperation noch einmal gerechtfertigt hat.

+++ „Managing a nightmare: The CIA reveals how it watched over the destruction of Gary Webb“ lautet die Überschrift zu einem Artikel bei The Intercept. Der Investigativjournalist Webb hatte 1997 eine Kooperation zwischen der CIA und Drogendealern enthüllt („One of the most explosive and controversial exposés in American journalism“, so The Intercept). Mehr zu Webb hier und hier.

+++ Medienjournalistisches Popcorn-Kino gefällig? „Bei Gabor Steingart, dem Herausgeber des Handelsblatts, fragt man sich, aus welcher Quelle er seinen Zynismus zapft. Es muss ein ganz tiefer Brunnenschacht sein. Jeden Tag, den das ‚Handelsblatt Morning Briefing‘ seine Leser erreicht, gibt es eine neue Portion Selbstbeweihräucherung und – Verachtung.“ Das schreibt Michael Hanfeld heute auf der FAZ-Medienseite in der „In medias res“-Rubrik.

+++ Außerdem geht es in der FAZ um das Vorhaben von Unternehmen, ihre Nutzerdaten nicht mehr an Facebook weiterzugeben: „Einige große Online-Auftritte (haben) ihre Seiten so umprogrammiert, dass eine bestimmte Art Datenfluss Richtung Facebook nur noch eingeschränkt möglich ist.“ Der Artikel bezieht sich auf einen Beitrag im Wall Street Journal („Some Businesses Block Sharing of Data, Fearing Social Network's Increased Clout“).

+++ arte macht ein superduper Programm und hat viele, viele Fans bei Facebook - das ist die Kernbotschaft einer Art Sender-Homestory im Zeit-Feuilleton (Seite 56). Man merkt dem Artikel deutlich an, dass bei dem Wochenblatt schon lange keine kontinuierliche Programmbeobachtung mehr stattfindet. 

+++ Brigitte Knott-Wolf blickt für die Funkkorrespondenz zurück auf das „Europäische Symposium über Dokumentarfilme für Kinder und Jugendliche“, das vom 11. bis 13. September in Köln stattfand. Um in diesem Zusammenhang noch einmal auf arte zurückzukommen: „3sat und Arte haben zwar als Kulturprogramme eine große Affinität zum Dokumentarfilm, Kinder und Jugendliche gehören jedoch nicht zu den bevorzugten Zielgruppen der beiden Kulturfernsehkanäle. Das ist ein Dilemma, denn Kultur ist eigentlich mit dem öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag sehr eng verknüpft.Knott-Wolf geht auch auf die ambitionierte 3sat-Dokumentarfilmreihe „Ab 18“ ein, die sich, wie der Titel schon sagt, eigentlich nicht an Jugendliche richtet - aber dafür gibt es einen aktuellen Anlass, sie zu erwähnen, denn am 5. Oktober startet die neue Staffel.

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.