Feuerwerke der Kreativität

Feuerwerke der Kreativität

Berliner Medienpartys mit insgesamt über 1200 hochrangig-namhaften Gästen. Ein Montagsmagazin will sein Medienressort abschaffen, und bald gibt es auch gar keine Montagsmagazine mehr. Außerdem: eine fiese Frauenquote, Deutschlands neuer Super-Netzpolitiker.

"Die #BParty14 wird auch ein Twitter-Feuerwerk",

machte Bertelsmann-Sprecher Stephan Knüttel auf Twitter vorab gespannt. Er hat Recht behalten, wie der bunte Mix der Fotos zeigt, die mit dem offiziellen Hashtag der Bertelsmann-Party gestern abend getwittert wurden. In traditioneller Stern-Optik gestaltete Protestplakate gegen "Gruner + Spar", die im Zeitschriftengeschäft tätige Konzerntochter, stehen neben Fotos von einigen der "10.000 Swarovski Steine", die "für die #BParty14 verarbeitet" wurden, wie zumindest der "Dümmste Corporate Tweet 2014" (Thomas Knüwer, auch bei Twitter) informierte. Sowie von grinsenden Fernsehköchen auf dem Roten Teppich vor Berlins renommiertest klingender Adresse Unter den Linden 1.

Wer gerade anderthalb Stündchen zur freien Verfügung hat, kann sich auf bertelsmann.de gratis eine Party-Reportage anschauen:

"Moderiert wird sie von den Promi-Experten Jennifer Knäble und Kena Amoa ('RTL Exclusiv'). Die beiden werden im Anschluss mit der Kamera auch einen Blick auf das Party-Geschehen und die fantasievolle Dekoration auf allen Etagen werfen. Das Motto der diesjährigen Party lautet - 'Kreativität bei Bertelsmann'."

Wer die Geduld doch nicht aufbringt, kann auf einer anderen Bertelsmann-Webseite auch in einer üppigen Bildergalerie betrachten, wie kreativ Dekorateure Schilder mit gedruckten Autorennamen wie "Charlotte Link" und "Barack Obama" im Treppenhaus senkrecht an die Decke gehängt haben, oder wie der Bertelsmann-Vorstandsvorsitzende Thomas Rabe lässig Verona Pooth und Liz Mohn umarmt. Rabe: "Unsere Angebote - seien es Bücher, Zeitschriften, Musik oder Fernsehprogramme - leben von schöpferischer Begabung und Freude am Ausprobieren. Ganz bewusst zählt Kreativität daher zu den zentralen Elementen unserer Unternehmenskultur ..."

Nicht unbedingt für sich allein, aber komplementär mit der "Kreativen Kaffeepause" der Gruner + Jahr-Mitarbeiter in Hamburg (gestorify-t von meedia.de, gefilmt von NDR-Zapp), die im Berufsleben des Zeitschriftenverlags ihre Kreativität ja nicht vollkommen ausleben können, ergibt das ein aufschlussreiches Sittengemälde. Die härteste neue News von G+J betrifft eine fiese Frauenquote und lautet:

"26 Kollegen werden beim #stern gekündigt, 22 davon (!!) Frauen, 4 in Elternzeit, hochgradig unfair!" (Pro Quote, wiederum bei Twitter).

Frische Zusammenfassungen der G+J-Krisenlage haben Tagesspiegel, TAZ, Hamburger Abendblatt.

[+++] Gibt's Neues vom geographisch wie betriebswirtschaftlich bloß einen Katzensprung entfernten Hochruckreiniger der Demokratie, dem Spiegel? Jawohl, wie meistens bei Ulrike Simon (Berliner Zeitung):

Des amtierenden Chefredakteur Wolfgang Büchners "Hauptaugenmerk liegt auf der Verzahnung. Dazu gehört ein neuer Ressortzuschnitt. Abschaffen will er das Medienressort, das es nur im Blatt gibt: 'Die Medienberichterstattung ist künftig Teil der sonstigen Wirtschaftsberichterstattung'. Für Ressorts wie Netzwelt, Bildung und Zeitgeschichte, die es nur bei Spiegel Online gibt, will er im Magazin Pendants gründen."

Der Halbsatz "das es nur im Blatt gibt" bedeutet, dass es bei Spiegel Online, mit dem die Verzahnung stattfinden soll, ohnehin kein Medienressort gibt (und deswegen auch allenfalls zufällig relevante Medienberichterstattung). Aber vielleicht fällt den Kreativen vom Spiegel noch ein glamouröseres Adjektiv für "sonstig" ein.

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Außerdem hat, während Christopher Lesko bei meedia.de "zwischen den Zeilen" des Ressortleiter-/ Vollressortleiter-Brandbriefs (Altpapier gestern) Leadership-akademisch ("Die Wahl eines Briefes als Instrument der Kommunikation folgt in der Regel dem Ziel,  einen intendierten Effekt zu erzeugen, ohne sich in die Gefahr begeben zu müssen, sich im direkten Kontakt auseinandersetzen oder gar überzeugen zu lassen") auch noch den letzten Sinn heraus gelesen hat, Büchner einen Antwortbrief geschrieben und ebenfalls gestreut. "Es wirkt fast, als habe Wolfgang Büchner den ersten Brief der Ressortleiter nicht gelesen", analysiert meedia.des Stefan Winterbauer. "Büchner versucht derweil, den Ball flach zu halten", würde Michael Hanfeld sagen, der heute auf der FAZ-Medienseite einen Überblick über die Spiegel-Briefwechsel gibt.

Da zumindest hat Büchner Recht: Ausführliche Analysen Offener Briefwechsel zwischen zerstrittenen Verlagshaus-Fraktionen sind ein gutes Argument, so etwas ins verzichtbare Sonstige zu rubrifizieren.

Die meist prallvolle FAZ-Medienseite hat natürlich auch heut wieder eine harte Hammer-News aus demselben Branchensegment: So wie der Spiegel, so wird auch der Mitbewerber Focus "ab nächstem Jahr ... am Wochenende in den Kiosken liegen", also ebenfalls samstags statt montags erscheinen.

[+++]  Zurück zum Roten Teppich Unter den Linden. Wen Rabe und Mohn dort nicht begrüßen konnten: die Bundeskanzlerin. Angela Merkel kann sich ja nicht an zwei Abenden nacheinander auf flippigen Berliner Mediensausen herumtreiben und hatte sich schon am Vorabend eine unter "rund 650 hochrangigen Gästen" (bei Bertelsmann: nur "mehr als 600 namhafte Gäste"!) gegönnt. Es war das Sommerfest der Privatsender-Lobby VPRT, mit dabei waren: singend Merkels "Lieblingssänger" Roger Cicero, berichterstattend Joachim Huber vom Tagesspiegel (der das mit dem Lieblingssänger weiß) und Stefan Niggemeier, der in einem kurzen FAZ-Artikel heute diesen "schön falsch zu verstehenden" Merkel-Satz zitiert:

"Nach der Wende, Anfang der neunziger Jahre, kam mir das Programm der privaten Sender sehr vielfältig vor. Mittlerweile komme ich damit klar."

"Wir haben in Deutschland eine der vielfältigsten Rundfunklandschaften der Welt und darauf können wir alle gemeinsam stolz sein", hat sie aber auch gesagt, wie nicht der VPRT, aber der Tsp. zitiert. Und falls Sie den ungeheuer süffigen NDR-Satire-Stil schätzen: Zapps Boris Rosenkranz hat sich auch unter die Party People gemischt.

[+++] Womit wir fast unmerklich in der Sphäre der hohen Politik angelangt sind. Die Bild-Zeitung titelt nicht "Wir sind Digital-Kommissar", da geht's um Schweini und Schumi, aber die TAZ immerhin "Oettinger wird Bildschirmschoner"!

Rasch noch ein paar Stimmen zum neuen deutschen Super-Netzpolitiker, der wohl selbst auch nicht damit gerechnet hatte, dass er das würde. Die klassische Metapher, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker habe Böcke zu Gärtnern gemacht, taucht in Titelseiten-Kommentaren sowohl der TAZ ("Junckers Team ist eine Enttäuschung") als auch der FAZ auf, die gärtnernden Böcken jedoch offener gegenübersteht (Juncker "hat überraschend viele wichtige Posten nach der Theorie vergeben, dass nur jemand zum Gärtner werden könne, der vorher als Bock bekannt war"). Der Posten sei durchaus bedeutsam, argumentiert Nikolas Busse weiter: "In den kommenden Jahrzehnten wird es keinen Lebens- und Arbeitsbereich geben, der nicht vom digitalen Wandel erfasst wird". Frank Schirrmacher hätte da ein anderes Tempus und wahrscheinlich das vorige Jahrzehnt gewählt ...

Ebenfalls auf der FAZ-Titelseite wird Oettinger mit der durchdachteren Aussage "Ich bin glücklich, das zu machen, und ich bin vor allem auch motiviert und neugierig" zitiert, weiter hinten im Blatt aber auch mit der spontaneren "Ich bin nicht happy, aber glücklich" (zuerst wohl bei handelsblatt.com).

"Ich bin kein Digital Native, die Zeitung lese ich immer noch auf Papier", zitiert wiederum die TAZ. "Aber ich traue mir zu, der Europäisierung der digitalen Welt einen gewaltigen Schub zu verleihen", ergänzt Springers Welt.

"Fast alle Digitalthemen von der Forschung über die Infrastruktur bis zur Regulierung sollen in Oettingers neuer Abteilung von 1300 EU-Beamten bearbeitet werden", beziffert die Süddeutsche (S. 8).  Die "Zuständigkeit für das Copyright" gehört zu seinem Aufgabenfeld, "er wird sich also etwa mit der heftig umkämpften weiteren Urheberrechtsreform beschäftigen müssen. Ferner soll Oettinger über das Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (Gerek) wachen" (heise.de).

"Wir sind gespannt, wie Günther Oettinger sich machen wird und welche Akzente er wie setzt. Bisher ist das für uns eine Blackbox", schreibt netzpolitik.org, und Falk Steiner sieht im Deutschlandfunk sogar etwas Positives an Oettinger:

"Der gilt gemeinhin als detailverliebter Aktenfresser, der selten unvorbereitet in Treffen geht und der durchaus in der Lage ist, sich in Themen in  einer Tiefe einzuarbeiten, die den drei deutschen Internetministern nur zu oft gefehlt hat."


Altpapierkorb

+++ "Die Rettung des angeblich kaputten Online-Journalismus" beginnt nun erst im Oktober, hat Tatjana Kerschbaumer vom Tagesspiegel bei den ambitiösen Krautreportern erfahren, und findet den von diesen schon mal ersonnenen Titel eines "Redaktionskoordinators" cool. +++

+++ Das Bezahlmodell namens LaterPay, mit dem Krautreporter Richard Gutjahr seine Reise nach St. Cupertino finanzieren wollte (Altpapier gestern), stellt Dirk von Gehlen auf der SZ-Medienseite vor: Erfinder Cosmin-Gabriel Ene "rät allen, die mit Inhalten im Netz Geld verdienen wollen: 'Gib deinen Kunden erstmal die Möglichkeit, das Produkt kennen zu lernen. Wenn sie merken, dass es zu teuer ist, einzeln zu zahlen, steigen sie gerne auf ein Abomodell um', nach einer kurzen Gedankenpause ergänzt er: 'Aber nicht  weil der Anbieter es sagt, sondern weil sie es selber wollen.'" Drei Verträge mit deutschen Verlagen habe Ene schon unterschrieben, aber "umgesetzt wurde trotzdem keiner. Immer kam irgendwas dazwischen". +++

+++ Apple-Nachhall: "Ein Teleschirmchen, das jeden Aspekt des Lebens kontrolliert? Ein Auftritt von U2? Das eine stammt wohl doch aus Orwells '1984', die anderen kommen aus den Hitparaden jenes Jahres" (Andrian Kreye, SZ-S. 4). +++ "Das neue Gerät heißt 'Apple Watch', nicht 'iWatch', vielleicht wollte man die phonetische Nähe zu Orwell-Zitaten ('iWatch is watching you')  vermeiden, die allerdings trotzdem naheliegen" (Niklas Maak im FAZ-Feuilleton). "Man muss kein verbohrter Nostalgiker sein, um sich vorzustellen, wie entnervend ein Abendessen sein wird, wenn die Hand, die die Gabel hält, unter  dem Ansturm von Nachrichten zittert, als hätte man eine Art Info-Parkinson." +++ "Über Datenlecks und Nacktbilder von Prominenten, die vor ein paar Tagen aus Apples iCloud gefallen sind, verlor er", Apples Tim Cook, "kein Wort" (Randnotiz der FAZ-Medienseite). Die allermeisten, ähm Berichterstatter taten's ja auch nicht (Altpapier gestern). +++ Mathias Müller von Blumencron tut's am Rande, doch: "Weit mehr als ihre Nachbarn in Ost und West neigen deutsche Verbraucher dazu, ein neues Produkt mit Skepsis zu betrachten: 'Das braucht doch kein Mensch', ist eine beliebte Ausflucht. Doch bisher hat nahezu jede amerikanische oder japanische Produktinnovation auch die Deutschen berührt, mit entsprechender Verspätung. Was sie in den Augen der innovationsverliebteren Amerikaner und Asiaten zuweilen schrullig erscheinen lässt. Und dazu beigetragen hat, dass es keinen einzigen deutschen Konzern gibt, der in der digitalen Produktindustrie eine Rolle spielt" (faz.net). +++ Klassische Presseschau im Tagesspiegel. +++ Und Stefan Niggemeier reichte via Twitter "ein praktisches Symbolfoto für 'Stern-Journalisten bei der Recherche'" herum. Die Diskussion unten drunter ist auch interessant. +++

+++ Ein anderer, kleinerer Hamburger Journalismus-Krisenherd: die Morgenpost (Ex-G+J, jetzt DuMont Schauberg, vgl. Altpapier). Das Abendblatt fasst aktuell zusammen. +++

+++ "Immer wieder stößt man in Kochzeitschriften auf konkrete Produktnamen, etwa bei Frischkäse, oder es wird über 'Produktneuheiten' berichtet. Das ist kein Zufall, sondern das Ergebnis von PR-Arbeit. Da werden Texte mit der Kopiertaste übernommen. Man hört oft: Hallo, gerne würden wir in der  aktuellen Ausgabe wieder eine Anzeige schalten, ist denn auch ein redaktioneller Artikel möglich? Klar, Rezepte lässt man sich gerne von Firmen stellen, das muss aber transparent sein ..." (Joachim Hiller, Verleger u.a. des Vegan-Magazins Kochen ohne Knochen, im TAZ-Interview). +++

+++ Die SZ zum gestern angekündigten Springer/ Politico-Joint Venture: "In der US-Hauptstadt gibt es für Politiker, Lobbyisten und Journalisten heute kein wichtigeres Medium als Politico", für Springer "ist Politico  vor allem auch wichtig fürs Prestige - dass Konzernchef Mathias Döpfner den Journalismus ausverkaufe, hatte dieser immer von sich gewiesen. Da  macht sich Politico natürlich gut. Wie genau das Angebot in Europa aussehen wird, ist noch unklar ... In  Europas Redaktionen aber wird Politico vermutlich bald auf Einkaufstour gehen." +++ FAZ dazu: "Erst vor wenigen Tagen hat der Redaktionsleiter von 'Politico',  Richard Berke, seinen Hut genommen. Da konnte noch keiner genau sagen, was der Mann, den das Magazin erst im Oktober von der 'New York Times' abgeworben hatte, mit der neuen Strategie meinen könnte, die er nicht unterstützen wolle. Jetzt ist sie klar." +++

+++ Streitigkeit des Tages bei newsroom.de: Mely Kiyak versus Cicero. +++

+++ Googles "Lösch-Beirat" tagte erstmals, in Mailand (netzpolitik.org). +++

+++ "Professor beim Liebesspiel in seinem Auto" wird "mit zwei Kopfschüssen ermordet, und seine Begleitung" ist verschwunden, so geht der Plot des neuen fränkischen "Tatorts", und der Leiter der Spurensicherung spricht Dialekt: Das hat die SZ vom Pressetermin des Bayerischen Rundfunks mitgebracht. +++ Und der nächste neue "Tatort"-Kommissar? (DPA/ BLZ). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.