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Historische Nachrichten von Gruner + Jahr können zurzeit natürlich keine guten sein. Wer jetzt im Zeitschriften-Geschäft die Benchmarks setzt. Außerdem: die Psychologie der Quote.

An den letzten Vormittagen hatte sich die allgemein Printkrise eher in prominenten, aber einzelnen Chefredakteurs-Personalien geäußert. Ja, gestern konnten sich Beobachter, die nichts grundsätzlich gegen gedruckte Periodika haben, beinahe schon zurücklehnen. Zumindest meedia.de kündete von einem beim Spiegel zwischen dem immer noch amtierenden Chefredakteur und seinen Gegnern ausgerufenen "Burgfrieden" (und man muss mit Burgfrieden ja nicht unbedingt historisch assoziieren, dass alle ihn nutzen, um erst so richtig in die Grabenkämpfe und Stellungskriege durchzustarten ...).

Aber ebenfalls gestern vormittags, ein paar 100 Meter weiter in Hamburg, trat das bereits eingespielte Team des Gruner + Jahr-Vorstands ("Oliver Radtke gab den harten Hund, Julia Jäkel als Vorsitzende zeigte sich emotional und verständnisvoll, Stephan Schäfer hielt sich zurück", weiß Ulrike Simon/ BLZ) vor seine noch recht zahlreichen Mitarbeiter, laut FAZ 700 bis 800 (und "alle übrigen konnten die Ansprache ihrer Chefin 'live' im Intranet mitverfolgen"), und verkündete "ein historisches Spar-Programm" (wiederum meedia.de).

"Einer von sechs muss gehen" lautet die Überschrift der Berliner Zeitung. "Bis zu 400 Mitarbeiter ... Das sind 17 Prozent der 2400 Beschäftigten in Deutschland" müssen, schrieb Johannes Ritter, der Hamburger Wirtschaftskorrespondent der FAZ, dem in diesem Fall mal wieder der Creedit gebührt, als erster online gewesen zu sein. Im gedruckten Blatt berichtet er heute unter der Überschrift "Großer Knall am Hamburger Baumwall". "Mehr Apps, weniger Leute", lautet die der SZ-Medienseite, wo Claudia Tieschky die "jüngste brachiale Nachricht" so beziffert:

"400 Stellen - das ist mehr Personal-Abbau als vor zwei Jahren bei der Einstellung von FTD und der Trennung von Impulse und Börse Online."

Eine verdammt hohe Zahl, einerseits. Bei einem deutschen Verlag hat es das in der Größenordnung wohl noch nicht gegeben, bloß an anderen Positionen der schrumpfenden Wertschöpfungskette (etwa bei der Schließung der einst auch für Stern und Spiegel zuständigen Itzehoe Druckerei mit einst rund 1.000 Beschäftigten, vgl . Altpapier).

Andererseits, um jüngeren Mitmenschen zu erklären, was G+J genau ist, was könnte man außer "der Verlag von Stern, Brigitte und Geo", das ja ein monatlicher Titel ist, noch sagen? Beef und Business Punk zu nennen, könnte im Kontext polemisch erscheinen ... Ach so, Gala! Neon natürlich, das kennen die jungen Leute! Die Verlags-Seite guj.de zeigt zurzeit Cover prominenter G+J-Titel - bezeichnenderweise alle schwarzweiß, bis der Cursor eines berührt. Als ob's um einen Nachruf ginge.

Hier geht's zu den Pressemitteilungen ebd., deren jüngste, "ungewöhnlich lange", TAZs Jürn Kruse beim Zusammenfassen ärgerte, weil wieder darin erst mal wieder so viel "gefaselt" wird.

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Bei uns natürlich nur harte Fakten im straffen Ticker-Stil: Julia Jäkel nimmt, immerhin, kräftig Geld in die Hand: 40 Millionen Euro. Darauf belaufen sich zuminest laut FAZ-Ritter interne Schätzungen des "Sonderaufwands für Abfindungen". +++ Die FAZ macht außerdem gespannt auf die morgige Halbjahreszahlen-Verkündung des G+J-Mehrheitseigentümers Bertelsmann ("Dem Vernehmen nach ist der Umsatz" - von G+J - "im ersten Halbjahr 2014 um rund 100 Millionen Euro auf etwa 900 Millionen Euro gesunken..."). +++ Horizont.net hat in Teilbereichen leicht abweichende Infos gesteckt bekommen. +++ Die Minderheitseigentümer, die Familie Jahr, betrachte "die Beteiligung ohnehin nur noch unter finanziellen Gesichtspunkten". "Sollte Bertelsmann den nächsten Versuch unternehmen, die Jahrs herauszukaufen, um möglicherweise G+J eines Tages zu zerschlagen, wären die Erfolgsaussichten wohl hoch" (BLZ wiederum).+++ Spiegel Online zitiert aus einem "internen 'FAQ 'Transformation'", an das es gelangt sein könnte, weil der Spiegel-Verlag ja selber minderheitlich zu G+J gehört (und das Logo seiner renommierten Print-Mutter ja auch G+J-Plastiktüten ziert, wie die TAZ-Kriegsreporterin neulich prophetisch berichtete). +++ "Neben der Nicht-Nachbesetzung offener Stellen und Regelungen zur Altersteilzeit", obwohl viele G+J-Mitarbeiter nicht mehr jung sind, "könnten auch betriebsbedingte Kündigungen nicht ausgeschlossen werden" (Funkes Hamburger Abendblatt). +++ "'Diese Effizienzmaßnahmen beziehen sich ausschließlich auf die Aktivitäten von G+J Deutschland. Die G+J-Mehrheitsbeteiligungen Motor Presse Stuttgart sowie das Dresdner Druck- und Verlagshaus sind hierin nicht mit einbezogen', so das Medienunternehmen" (u.a. kress.de). Das könnte freilich damit zusammenhängen, dass die bei G+J traditionell hoch angesehene Marktforschung festgestellt hat, dass dreistellige Zahlen mit einer vier als erster Ziffer in solchen Kontexten besser ankommen als solche, die mit einer fünf beginnen. +++ Tatsächlich, in den genannten Divisionen "werden separate Sparprogramme aufgelegt", schließt Ritters FAZ-Text.

Jetzt noch das Härteste für stolze hanseatische Verlagsmitarbeiter. Meedia.des Absatzwirtschaftler Georg Altrogge verabreicht es tückisch:

"Bei einer maßvollen Kostenstruktur kann das dem Haus durchaus langfristig Profitabilität sichern. Am Baumwall orientiert man sich dabei - auch das ist neu - an der Bauer Media Group, die in Sachen Effizienz Benchmarks gesetzt hat."

Jetzt muss meedia.des Grafik unbedingt eine Fotomontage mit der strahlenden Julia Jäkel neben Yvonne Bauer herstellen! Altrogge, der ja selber eine kleine Führungsposition bei G+J bekleidet hatte, hat übrigens auch die konkretesten Zahlen für Stellenstreichungen bei den relativen G+J-"Flaggschiffen" Stern (60), Brigitte (30), Geo (15).

Bauer selbst indes muss den Benchmarks natürlich auch hinterherhecheln, wie Tatjana Kerschbaumer tagesaktuell im Tagesspiegel anhand der prominentensten Galionsfigur des relativen Bauer-Flaggschiffs Bravo, der Sex-Beratung, exemplifiziert: Eine "Neuausrichtung der Dr. Sommer-Beratung" werde in Kürze vorgestellt.

[+++] Andererseits:

"Der Blick in einen überfüllten Bahnhofskiosk lässt einen immer wieder staunen, wie viele Zeitschriftenkäufer es bei all den Berichten zum Schwinden der Mediengattung Print dann doch noch geben muss."

Wer da einen Schritt zurück tritt, noch ohne den Gruner-, bloß mit Stern-, Focus-Chefredakteurs-Ablösungs-Anlass, weil bereits am Dienstag abend veröffentlicht, ist der langjährige und verdiente Altpapier-Autor Klaus Raab. Er arbeitet inzwischen als Redakteur im Reise-Ressort bei zeit.de, also dem beliebten Universalportal, das sich für Medienthemen eigentlich nicht interessiert, außer wenn gerade ganz viele andere Medien auch darüber berichten, und schildert seine Erfahrungen:

"Ich arbeite seit fünf Monaten für ZEIT ONLINE, ein Onlinemedium also, und Onlinemedien ist die Reichweitenorientierung auch nicht ganz fremd. Ich habe seitdem erstens gelernt, was es bedeutet, dass der Erfolg jedes einzelnen Beitrags gemessen werden kann; dass man genau weiß, wie viele Menschen auf einen Text klicken. Es gibt eine Psychologie der Quote. Man gerät leicht in Versuchung, die Überschrift etwas stärker zuzuspitzen als nötig, das bringt Klicks, die man leicht als Qualität verkaufen kann.

Aber, zweitens: Man kann sich doch ziemlich darauf verlassen, dass ein Beitrag, den man selbst wirklich absolut gelungen findet, den man selbst weiterempfiehlt, den man Freunden schickt mit dem Hinweis, die Lektüre lohne sich - dass ein solcher Beitrag überdurchschnittlich viele Leser findet. Immer. Die scheinen es dann doch zu merken, wenn sie gute Texte lesen."

Also: Teilen Sie die guten Texte! Dann setzt sich das schöne gute Wahre auch weiterhin durch.

Und "Psychologie der Quote", das wär vielleicht ein feiner Special-Interest-Titel für das neue, schlanke Gruner + Jahr.


Altpapierkorb

+++ Digitale Schweigespiralen? "Anders als die Prediger aus dem Silicon Valley gerne behaupten, verleiten soziale Netzwerke im Internet weder zu Engagement, noch sorgen sie für eine besondere Meinungsvielfalt. Sie fördern stattdessen Verzagtheit und Selbstzensur. Nirgendwo werde so wenig kontrovers diskutiert wie bei  Facebook und Twitter. Und nirgendwo prägten vermeintliche Mehrheitsmeinungen die Debatten so stark wie in den sozialen Netzen": Da fasst Stefan Schulz für die FAZ-Medienseite Ergebnisse einer "Telefonumfrage mit 1801 Teilnehmern" des amerikanischen Pew Research Centers zusammen (die faz.net kürzlich schon mal ähnlich zusammenfasste). +++ Allerdings, "ob die Schweigespirale in dieser Vor-Internet-Zeit tatsächlich vorherrschte, ist überhaupt nicht belegt" (TAZs Kruse wiederum). +++

+++ Auseinandersetzungen in sog. sozialen Medien vor fürchterlichem Hintergrund: zwischen dem deutschen Journalisten Martin Lejeune, der sich u.a. im geradezu kontemplativen Tilo Jung-Interview auf Youtube beklagt, trotz seiner Präsenz im Gaza-Streifen keine Aufträge deutscher Medien zu bekommen, und Pascal Beucker, der auf Facebook mit allem Recht der Welt beklagt, auf welche Weise Lejeune Hinrichtungen angeblicher Kollaborateure schildert. Und am Rande irgendwie auch, dann auf Twitter, zwischen den Ruhrbaronen und der TAZ. Jetzt hat sich Jung von Lejeune distanziert (anlasslos.de).+++

+++ "Eine New York Times, die allein auf digitale Erlöse angewiesen wäre, könnte nur ein Viertel ihres heutigen Personals halten - 200 Journalisten" (noch mal TAZ, wiederum mit US-Quelle: recode.net). +++ Noch mehr, zumindest den Lobbyverband Bitkom "alarmierende Zahlen" ebd.: "Beinahe ein Drittel aller deutschen Internetnutzer verzichtet auf Onlinebanking, fast die Hälfte verschickt vertrauliche Dokumente nicht mehr per Mail, ein Viertel meidet soziale Netzwerke und Online-Shopping". Angst vor Ausspähung sei der Grund. +++

+++ Zum Fernsehen: RTL heute mit "komplett neuen Programmschema" ohne Autobahnaction. Für die SZ-Medienseite hat Cornelius Pollmer sich die neue Comedysendung "Was wäre wenn?" angesehen, für die sich u.a. "Jan Böhmermann fragt ... , was wäre, wenn er mit eher 'traditioneller Gesichtsbehaarung' durch die Straßen zöge. Er landet schließlich in einem Küchenfachgeschäft, er erkundigt sich nach einem 'Endsieb' und löchert die Verkäuferin auch mit Fragen zu dessen Qualität: 'Sieb kaputt oder  Sieb heil?'". Die Gesichtsbehaarung ist ein Hitlerbärtchen. SZ: "Wie zuletzt bei dem von ihm mitentwickelten WDR-Format 'Die unwahrscheinlichen Ereignisse im Leben von...', scheint Jan Böhmermann auch hier eine Konzessionsentscheidung getroffen zu haben: Der Nachteil, nicht frei und radikal walten zu können wie sonst, steht auf der einen Seite dieser  Rechnung, die hohe Aufmerksamkeit, die RTL verspricht, auf der anderen." +++ "RTL ... zeigte am Dienstag die letzte Folge von 'The Glades'. Die war dramatisch, weil der Held ... auf dem Weg zur Hochzeit ... in den Rücken geschossen wird. Da liegt er, schwer verletzt, und wir wissen nicht, wie es ausgeht. Wir werden es auch nie erfahren, weil die Serie gekippt wurde und die Produzenten keine Zeit hatten, sich etwas auszudenken. Was passiert bei RTL? Dort ist Jim Longworth fünf Minuten später wieder auf den Beinen - in einer früheren Folge.... Am Sonntag geht es munter weiter, so, als habe eine Serie keinen Anfang und kein Ende: Zombiefernsehen nennen wir das": Den Begriff schöpft Michael Hanfeld in einer FAZ-Glosse. +++

+++ Bei ZDF-Neo ist wieder "TV Lab", das Sender stellt drei Serien zur Wahl. Die, die die Zuschauerwahl gewinnt, wird fortgesetzt (falls der Sieger nicht redaktionell bestimmt wird). Ursula Scheer votet in der FAZ für  "Jetzt ist Sense": "Der Sensemann als lästiger unsichtbarer Kumpel, das ist 'Pumuckl' mit Galgenhumor." +++ Es "fehlt ... allen Produktionen an Schwung, Inszenierungsideen und treffsicheren Dialogen", findet Jens Mayer in der TAZ. +++

+++ Schwierige medienjuristische Dialektik: Corinna Schumachers Besuch in der Klinik bei ihrem Mann "sei zwar an sich noch kein Ereignis der Zeitgeschichte mit einem überragenden Berichterstattungsinteresse. Der nicht nachlassende Medienrummel - auch nach Corinna Schumachers Appell, sie in Ruhe zu lassen - sei jedoch durchaus ein Ereignis von zeitgeschichtlicher Bedeutung": So urteilte ein Kölner Gericht in Sachen Schumacher versus TAZ und ZDF für die Berichterstatter (siehe u.a. Tsp./ DPA). +++

+++ Die Neue Zürcher Zeitung will "digital nach Österreich expandieren" und ein bzeahlpflichtiges Angebot namens nzz.at starten (SZ-Meldung). +++

+++ Zurück nach Hamburg: Das Abendblatt ist unter den Funkes aus dem Zeitungsverlegerverband ausgeschieden (newsroom.de). Das daraus entstehende Problem ist ein vergleichsweise kleineres: Die aktuellen Angestellten könnten nicht voll an künftigen Gehaltssteigerungen partizipieren. +++

+++ ... und zum Spiegel: Steffen Grimberg weist im Zapp-Blog darauf hin, dass der größte Gesellschafter des Verlags zwar "Mitarbeiter KG" heißt, aber längst nicht alle Mitarbeiter umfasst, sondern nur bestimmte mit bestimmten Interessen, wie in vielen Berichten nicht drin steht. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.