Ein Grund, General-Interest-Portale zu hassen

Ein Grund, General-Interest-Portale zu hassen

Eine schlimme Nachricht, übel aufbereitet. So empört waren Springer-Medien selten. "Sklaverei in der digitalen Wirtschaft", ja: im Silicon Valley. Außerdem: alles zur Digitalen Agenda.

Was immer man deutschen Medien vorwerfen kann: zu wenig aus den USA zu berichten, sicher nicht. Amerikanische Naturkatastrophen, amerikanische Pop- und Filmstars, US-Forscher, die Phänomenen wie dem Einfluss von Fast Food auf unser Liebesleben nachgehen, bilden wichtige Bausteine des täglichen Mediencontent-Stroms. Wenn Gerüchte kursieren, dass ein weiter verbessertes Smartphone-Modell präsentiert werden könnte, scheuen auch sparsame deutsche News-Portale keinerlei Aufwand. Und Nachrichtensendungen, in denen Präsident Obama nicht performt, sind ebenfalls eher die Ausnahme.

So aber -

"Plötzlich rasen zwei gepanzerte Polizeitrucks in unsere Richtung, schießen mit Blendgranaten und Tränengaspatronen (sehen aus wie Eishockey-Pucks). Wir rennen hustend in die Seitenstraßen, Augen rot vom Gas, verstecken uns in einem Vorgarten, 15 Minuten."

- oder so wurde selten aus den und über die USA berichtet, zumal in Springer-Medien:

"Ich ... war in Bürgerkriegsregionen in Georgien, im Gazastreifen, illegal im Kaliningrader Gebiet, als die damalige Sowjetunion westlichen Reisenden den Zugang noch streng verwehrte, ich war in Afghanistan, im Irak, in Vietnam und in China, ich habe heimlich Dissidenten auf Kuba getroffen. Aber um mich von Polizisten fesseln und rüde anschnauzen zu lassen und ein Gefängnis von innen zu sehen, musste ich nach Ferguson und St. Louis in Missouri in den Vereinigten Staaten von Amerika reisen. Es sind jetzt drei Stunden seit der Festnahme vergangen. Nach Wasser haben wir mehrfach vergeblich gefragt, und die Bitte, telefonieren zu dürfen, wurde ebenfalls mit einem 'später' abgetan. Gut, dass niemand von uns ein dringendes Bedürfnis hatte."

Ansgar Graw, bei Twitter @potomaker, ist's, der so für Springers Welt von seiner Festnahme in Ferguson, bei der er in der Nacht zum Dienstag in Handschellen abgeführt worden war, berichtet. Zwei weitere deutsche Journalisten waren ebenfalls zeitweise festgenommen worden (Zusammenfassung in der TAZ) und berichteten anschließend ebenfalls: der freie Journalist Frank Herrmann, der für Regionalzeitungen wie die Hessisch-Niedersächsische Allgemeine und die Schwäbische Zeitung schreibt, und Lukas Hermsmeier von der ebenfalls Springer'schen Bild-Zeitung (die hier auch noch die Reporter-Verletzungen auf großen Fotos dokumentiert). Aus Hermsmeiers Artikel stammt das Zitat oben.

Dass Hermsmeier auf dem großen Bild-Bild fast aussieht wie auf einem kürzlich herumgereichten Foto fast desselben Mediums Ursula von der Leyen, ist sicherlich Zufall. Ob bild.de-Chefredakteur Julian Reichelt sich wirklich in diese Pose werfen musste, die auf wesentlich schlimmere Fälle in wesentlich schlimmeren Ländern auch passen würde, lässt sich aber fragen.

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[+++] Was wesentlich Schlimmeres betrifft, eine Warnung: Wenn Sie zu welt.de klicken, erwartet Sie am Mittwochmorgen dort ganz oben die Meldung "IS-Miliz enthauptet US-Journalisten James Foley". Das ist eine entsetzliche Tatsache, offenbar, aber auch widerwärtig aufbereitet. "Unterstützer [Foleys; AP] riefen dazu auf, das Video nicht anzuschauen oder zu teilen, um den Terroristen keine Genugtuung zu verschaffen", lautet der letzte Satz des Artikels, in dem das von islamistischen Terroristen verbreitete Video nicht nur ausführlich beschrieben wird, sondern zwei Screenshots überdies Henker und Opfer zeigen. Bei welt.de ist am Mittwochmorgen nicht einmal, wie sogar bei bild.de, das Gesicht des Opfers verpixelt. Zur Genugtuung der Mörder dürfte das mehr als ausreichen. Wenn dann noch kontextsensitive Teaser im Das-könnte-Sie-auch-interessieren-Modus die aktuell beliebten Meldungen "Für Cindy aus Marzahn hagelt es Kopfnüsse" und "Horrorspiel: 'The Evil Within' bringt Action in den Albtraum" empfehlen, lernt man, solche General-Interest-/ Universal-Portale zu hassen.

Die im Kern noch erheblicher schlimmere Meldung zum 2012 entführten Fotoreporter sowie seinem noch lebenden Kollegen Steven Sotloff gibt's in seriös etwa bei tagesspiegel.de.  

[+++] Zurück zu den zeitweise verhafteten Journalisten: Die Empörung bei Springer ist natürlich deshalb so groß, weil USA-Kritik dort weit überdurchschnittlich selten vorkommt (Reichelt noch mal, im Zeitungskommentar: "Amerika ist das Land, das anprangert, wenn Diktaturen Journalisten festnehmen"). Sie geht, mit Recht, über den Konzern hinaus. Die Reporter ohne Grenzen sind "schockiert über die willkürlichen Festnahmen und die Arbeitsbehinderung von Journalisten" in Ferguson, Michael Konken vom Journalistenverband DJV zeigt sich welt.de gegenüber "alarmiert" und "entsetzt".

Hier nennt pressfreedomfoundation.org dreizehn zeitweise verhaftete Reporter. Und dass in Ferguson ein weiterer Mensch getötet wurde, haben Sie in den Universal-Portalen sicher entnommen.

"Ferguson ist nur ein Abbild des amerikanischen Mittelstands von morgen, unter dem Brennglas von heute. Die große Rezession, das finale Geschenk der Ära der Anbeter der Politik der unregulierten Märkte des Milton Friedman, hat in erster Linie gut bezahlte Jobs und Mittelklasse-Arbeitsplätze ausradiert. Wiedergeboren wurden sie als Teilzeitjobs in Schnellrestaurants ...",

heißt es im Artikel "Ferguson ist bald überall" bei handelsblatt.com [für das ich auch schreibe]. Dieser Bericht ist hier deshalb interessant, weil kurz darauf ein Link zu Google hergestellt wird, exakt: zu "Demonstrationen gegen Google-Luxusbusse als Synonym für explodierende Mieten und Einkommensungleichheit" Anfang diesen Jahres. Zugleich geht es um einen im selben Zusammenhang in den USA verwendeten, extrem kruden Holocaust-Vergleich (demzufolge die Demonstranten die Nazis seien; wenn Sie das interessiert: San Jose Mercury News). Um soziale Ungleichheit insbesondere im Silicon Valley, von dem zu schwärmen in Deutschland breiter Konsens ist, berichtete der österreichische Standard am Wochenende unter der Überschrift "Sklaverei in der digitalen Wirtschaft":

"Während die Diversity-Berichte von Apple, Facebook und Google alle zum Resultat kommen, dass weiße Männer die Gehaltsstruktur der IT-Konzerne dominieren, arbeiten daneben Minderheiten, die kaum von ihrem Gehalt leben können",

schreibt Fabian Schmid.

Die deutsche Digitale Agenda kommt in den Altpapierkorb.


Altpapierkorb

+++ Die deutsche Digitale Agenda war wegen Innenminister Thomas de Maizières IT-Gesetzgebungs-Plänen schon gestern hier Thema. Im Tagesverlauf wurden dann weitere Details der von insgesamt drei Bundesministern betreuten Agenda verlautbart. Am ausführlichsten informiert natürlich netzpolitik.org, das u.a. eine Tabelle "Vergleich Koalitionsvertrag vs Digitale Agenda" bereit hält. Ein Unterschied: Der Koalitionsvertrag enthielt noch "wesentlich prägnantere Überschriften", in der Agenda "wird dagegen mit eher umständlichen Titeln hantiert". +++ In die Details: "Bundeskanzlerin Merkel hält die Vollüberwachung der digitalen Welt für kein Thema, das man in einem Masterplan zum Thema Netzpolitik erwähnen oder gar behandeln müsste" (noch mal netzpolitik.org). +++ Das vielleicht Wichtigste: "dass für die Digitale Agenda keine zusätzlichen Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden" (heise.de). Allerdings könnte "aus dem Erlös der Vergabe oder Versteigerung freiwerdender  Frequenzen durch die Bundesnetzagentur ... in den kommenden Jahren" etwas Geld reinkommen, die sog. digitale Dividende. Außerdem darf man bei der heutigen Veranstaltung zur eigentlichen Agenda-Vorstellung gespannt bleiben, meint Falk Steiner: auf "'Last Minute'-Änderungen ... : Nachdem  in dieser Woche die drei Minister das Vorhaben bei Kanzlerin Angela Merkel vorgestellt haben, soll diese selbst an einigen Stellen noch kleinere Nachbesserungen eingefordert haben, heißt es in Regierungskreisen", und Merkel ist ja eine mit Einfluss. +++ "Um den Netzausbau günstiger zu machen, schlagen die Minister vor, Tiefbauarbeiten besser zu koordinieren. Wer ein Abflussrohr verlegt, soll also gleich ein Glasfaserkabel dazu packen" (zeit.de, wo Johannes Wendt auch daran erinnert, dass anno 2010 Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle das Papier "Deutschland Digital 2015" vorgelegt hatte). Und "beim Thema Medienkompetenz will die Bundesregierung zusammen mit den Ländern eine Strategie entwickeln". Könnte nicht einfach das Grimme-Institut damit beauftragt werden? +++ Der kurioseste Kommentar steht vorn oben auf der FAZ-Titelseite: "Der Zeitpunkt ist günstig gewählt: Was vor Jahren noch als unerlaubter Eingriff in ein angeblich unberührtes Neuland verdammt worden wäre, wird unter dem Eindruck ernüchternder Erfahrungen mit digitalen 'Göttern' wie Google und Amazon oder den Horden von Hackern geradezu herbeigesehnt", schreibt Jasper von Altenbockum und analysiert: "Das Interesse an Sicherheit ist kurioserweise im Zuge der NSA-Affäre nicht gesunken, sondern in dem Maße gestiegen, wie es das Bedürfnis nach Freiheit im Netz bedient. Das Sicherheitsgesetz geht deshalb in die richtige Richtung, und das mit forscher Gangart. Endlich." Irre, dass das Interesse an Sicherheit trotz all der Berichte noch immer nicht erloschen ist. +++

+++ Hannah Lühmanns gestern hier empfohlener FAZ-Artikel darüber, wie bei Vice-Produkten und in daran orientierten deutschen Blogs "eruptive Betroffenheit und Indifferenz in eins" gehen, steht inzwischen frei online. +++

+++ Brisante Personalie heut auf der FAZ-Medienseite: "Wie diese Zeitung aus zuverlässiger Quelle erfuhr", meldet Andreas Rossmann, "soll Verleger Lambert Lensing-Wolff dritter Geschäftsführer bei Funke und damit Nachfolger von Christian Nienhaus werden, der im Februar ausgeschieden ist und für die Tageszeitungen zuständig war". Lensing-Wolff käme, wie sein Name verrät, vom Verlagshaus Lensing-Wolff, dessen, nett formuliert: Kooperation mit den Funkes das Bundeskartellamt kürzlich unterband (newsroom.de im Juli). +++

+++ These der TAZ-Kriegsreporterin, warum beim Stern Dominik Wichmann "ausgerechnet ... durch Christian Krug ersetzt wird, den Mann, der mit Hajo Schumacher mit dem Versuch, aus der Zeitschrift Max eine ernst zu nehmende Konkurrenz für den Stern zu machen, kolossal gescheitert ist": um "Personalabbaupläne umzusetzen, damit der Stern wie eine gut geschmückte Braut dasteht, wenn es um den möglichen Verkauf von Gruner & Jahr ... geht". +++

+++ Megathema Journalismus-Finanzierung: Sowohl der schon aufgetretene DJV-Chef Michael Konken als auch Medienexperten der durchaus noch existierenden Partei FDP sprachen sich handelsblatt.com gegenüber für "eine Steuerbegünstigung freier Journalisten und Rechercheure" aus. +++ An einem ganz anderen Ende der Wertschöpfungskette beginnt Tumblr damit, "alle geposteten Fotos darauf hin [zu] analysieren, ob sie Hinweise auf Marken beinhalten". Das Ziel der Aktion sei unklar, übersetzt Spiegel Online aus dem Amerikanischen, "im Moment haben wir nicht vor, etwas zu machen, was mit Werbung zu tun hat", sagte ein Mitarbeiter. Bekanntlich wurde Tumblr 2013 für fast eine Milliarde Dollar von Yahoo gekauft. +++ Der "intimste aller Orte im Netz"? Die persönliche Timeline, meint Dirk von Gehlen (Süddeutsche). Und an der soll nun auch Twitter, auf Facebooks Spuren, herumbasteln. +++ Ungefähr in ähnlichen Wertschöpfungsketten-Positionen könnten sich die Gebrüder Samwer befinden, deren "Leistungsbereitschaft" ihr Biograf Joel Kaczmarek im meedia.de-Interview lobt. +++ "Deutscher Medienkonzern Burda steigt ins Glücksspielgeschäft ein": Dem Standard zufolge half dabei eine Genehmigung des Wirtschaftsministeriums des bekanntlich rot-grün regierten Bundeslandes Niedersachsen. +++

+++ "Die Musikindustrie hat ein paar wirklich düstere Jahre hinter sich, wähnt sich inzwischen aber wieder auf halbwegs festem Boden. Der deutsche Musikjournalismus hingegen hat sich bis heute nicht vom Schock der digitalen Revolution erholt. Gegen sinkende Auflagen und Anzeigenerlöse wird vor allem eine Strategie des unbeirrten Weitermachens gefahren..." Doch "bisher ist es weder Spex noch einem der Mitbewerber gelungen, sich erfolgreich im Internet aufzustellen", legt Daniel Gerhardt ebd., also bei spex.de offen. Sein "Lösungsvorschlag: hart bleiben, ehrlich und radikal sein, viel trinken, den Karren zur Not mit Schmackes vor die Wand fahren". +++

+++ "Das gesellschaftliche Klima, in dem junge Menschen mit wenig Publikum, aber viel Ahnung versuchen, eine neue Grundlage für eine  differenzierte Diskussion über den Stand der digitalen Dinge zu beginnen", ist nicht vorteilhaft für Vorhaben wie "Quelltextlesungen" wie diese (Youtube), die Stefan Schulz im längsten Artikel der FAZ-Mediensseite beschreibt. +++

+++ Heute im RBB-Fernsehen zur Third Prime Time um 23.00 Uhr, wie die Fachleute sagen: "11Freunde TV".  +++ "Das Ganze vorgetragen in recht schnellem Tempo, leicht verschachtelt, flott kommentiert von Ex-Nationalspieler Arne Friedrich und St.-Pauli-Fan und Musiker Thees Uhlmann. Ästhetik, Salonatmosphäre, das Antippen von entlegenen Themen ist für die 30-minütige Sendung wichtiger als Tiefenauslotung, ... gibt Philipp Köster zu. Immerhin, der wegen seines faden Programms oft gescholtene Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) wagt etwas Neues", zeigt sich Markus Ehrenberg vom Tagesspiegel begeistert. +++ Comoderatorin "Jessy Wellmer, die ab Ende August den 'Sportplatz' im RBB und ab September die 'Sportschau' in der ARD moderieren wird, sagt mit feinem Spott im Subtext: 'Ein Stück ganz neues Fernsehen'", hat Paul Linke (Berliner Zeitung) herausgehört. +++ "... kein Gespräch, sondern ein ermüdendes Dauerfeuer an Talkschnipseln", bei dem sich "angesichts lauter Talking Heads und ausgiebiger Schwenks durchs menschenleere Stadion ... der Mehrwert gegenüber einer  Magazinreportage nicht so recht" erschließt, meint David Denk in der Süddeutschen. +++

+++ Ebd.: großes Jörg-Pilawa-Porträt von Ralf Wiegand, dessen Einstieg "Quizfrage: Welche dieser Sendungen hat Jörg Pilawa nicht moderiert? A. 'Quizduell' B. 'Das Quiz' C.'Quizshow' D. 'Quizonkel.TV'" nur bis morgen noch funktioniert, wenn Pilawa auch die letzte der genannte Shows moderiert haben wird. +++

+++ Da wir eben beim RBB vorbeisurften, noch ein heißer Tipp für alle Votingshow-Fans (und Rechercheure): Das "Voting für Deutschlands größten Publikumspreis", natürlich die bekannte Goldene Henne, läuft nur noch heute! +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.