Was Zeitungen können

Was Zeitungen können

Olaf Scholz möchte neue Regeln für die Öffentlichkeit, Norbert Lammert möchte weniger Unterhaltung, und das Institut für Demoskopie möchte staatliche Unterstützung für Print. Das sind die deutschen Antworten auf die Medienkrise. Bei der New York Times setzt man derweil auf ein Audience Development Team und Reisetipps.

Es tut uns wirklich leid, aber wir müssen schon wieder über die Zukunft des Journalismus sprechen. Gerne würden wir hier mal über Hamster, lustige Apps oder die Krawatten von Jens Riewa schreiben. Aber was sollen wir machen? So lange das mit diesem Erlösmodell nicht geklärt ist, müssen wir alle da durch.

Womit beginnen? Vielleicht einmal wieder mit Norbert Lammert, im Hauptberuf Bundestagspräsident, im Nebenberuf Medien-Kritiker (fragen Sie mal Oliver Welke, der weiß, worum es geht) und als solcher auch am Dienstag wieder aktiv, als BDZV und Bundeszentrale für politische Bildung geladen hatten, um 65 Jahre Pressefreiheit zu feiern.

„Schnelligkeit gehe in der Presse mittlerweile oft vor Gründlichkeit, Unterhaltung vor Informationen, Personalisierung vor Sachverhalten, Schlagzeilen vor Analysen. Dabei benötige gerade eine demokratische Gesellschaft die Auswahl relevanter Meldungen aus dieser Informationsflut durch Redaktionen: ,Das Internet kann vieles nicht, was Zeitungen können’“,

zitiert die FAZ Lammert heute auf ihrer Medienseite.

Fast hätten wir dem Mann ein Abo bei den Krautreportern empfohlen, doch die wollen ihren – laut Eigenwerbung – entschleunigten, fundierten Journalismus ja bei diesem Nichtskönner, dem Internet anbieten. Das sich was genau bei den Zeitungen abschauen könnte, lieber Herr Lammert? Ein nordisches Format vielleicht, Schnittwunden bei unsachgemäßer Handhabung oder schmierige Druckerschwärze-Finger? Oder wurden Sie bei dieser Einschätzung etwa leicht vom BDZV als Einladendem geleitet?

Zum Glück müssen sich Journalisten von Politikern ja nichts sagen lassen. Obwohl: Stand da nicht noch mehr in dem FAZ-Artikel?

„60 Prozent der Journalisten aus Lokal-, Politik- und Wirtschaftsredaktionen haben schon Eingriffe von außen in ihre Berichterstattung erlebt – zwei Drittel davon sogar mehr als einmal. (...) Beeinflussungsversuche gingen vor allem von Unternehmen, Lokalpolitikern, aber auch Bürgerinitiativen aus.“

Eine Befragung des Instituts für Demoskopie Allensbach hat das zu Tage gefördert. Besonders Lokaljournalisten seien betroffen.

Darüber hinaus nerven Journalisten derzeit am meisten die wirtschaftliche Lage ihrer Branche und die fehlende Zeit für Recherche bei stetigem Personalabbau, hat das Institut ebenfalls herausgefunden. Und dafür gleich eine schöne Lösung präsentiert:

„Die Meinungsforscherin forderte den Staat dazu auf, nicht nur Funk und Fernsehen durch Zwangsgebühren zu ,alimentieren’, sondern auch Printmedien zu stärken.“

Ganz recht, auch für Allensbach ist offenbar nur Print Wahres. Sonst noch was? Möchte vielleicht noch jemand auf Google schimpfen, da wir gerade bei Verlegern und Internet sind?

„Natürlich darf es nicht so weit kommen, dass einzelne Konzerne allein die Spielregeln digitaler Öffentlichkeiten dominieren. Und erst recht kann es nicht sein, dass einzelne Konzerne nicht nur die Infrastruktur beherrschen, sondern auch noch eigene Inhalte privilegiert über sie zur Verfügung stellen.“

Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz hat das gestern gesagt, allerdings auf einer anderen Veranstaltung als die bisher hier Zitierten, nämlich bei der Eröffnung des Mediendialogs in Hamburg, wie Joachmim Mischke im Hamburger Abendblatt schreibt.

Was man Scholz’ Meinung nach gegen das mit den einzelnen Konzernen und den Spielregeln machen sollte?

„Eine moderne Medienpolitik müsse Regeln für Inhalte-Plattformen entwickeln, nicht zuletzt auch deswegen, weil digitale Dienstleistungen immer seltener monetär und immer häufiger mit Daten bezahlt würden. ,Das Problem sind nicht die Suchmaschinen im Allgemeinen oder gar Google im Speziellen. Das Problem ist, dass wir uns darüber verständigen müssen, was wir wollen und nach welchen Regeln unsere Öffentlichkeit gestaltet werden soll.’“

Regeln? Öffentlichkeit? Gab es dazu nicht auch was bei der Tagung von BDZV und bpb? Genau, bei Jost Müller-Neuhof im Tagesspiegel:

„Es geht um Qualität und Vielfalt, für die es, so Hans-Jürgen Papier, Ex-Präsident des Bundesverfassungsgerichts, keine Bestandsgarantie gäbe. ,Geeignete Kartellgesetzgebung’ forderte der Jurist als Antwort auf Konzentrationsprozesse.“

Halten wir fest: Dem Journalismus in Deutschland geht es mies, weil zu wenige Redakteure zu wenig Qualität liefern, und Schuld daran ist das Internet. Jetzt können nur noch staatliche Subventionen und das Kartellrecht helfen.    

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Klingt nach einem guten Zeitpunkt, um ins Ausland zu schalten und zu schauen, ob denen nicht ein bisschen mehr einfällt. Welch ein Glück, dass ausgerechnet heute die SZ auf ihrer Medienseite den Innovations-Report der New York Times vorstellt, der schon seit drei Wochen in diesem Internet steht (nämlich bei Buzzfeed) – vielleicht erinnert sich der ein oder andere, dass war damals, als alle über die Entlassung der Times-Chefredakteurin Jill Abramson diskutierten (Altpapier).

„Kern der Empfehlungen: Der Journalismus, den die Times produziert, soll so weit wie möglich personalisiert werden. Das ist nicht nur das neue Leitmotiv für die Times, es beschäftigt die gesamte Branche.“

Wie das mit der Personalisierung laufen könnte, erklärt Autor Nikolaus Piper am Beispiel des Kaufhauses Macy’s, das Kunden mit Forthquare-App beim Betreten des Ladens individualisierte Angebote aufs Handy schickt. Sowas könne Amazon nicht (außer natürlich: doch. Denn was bitte sonst ist das berühmte „Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch...“ sonst als Personalisierung? Aber wer will schon so kleinlich sein). Eine Zeitung könne Ähnliches machen, wenn sie etwa Reisetipps aufs Handy schicke.

Nach journalistischem Kerngeschäft klingt das zwar nicht. Aber die New York Times hat laut Piper ja auch noch andere Verbesserungsvorschläge auf Lager. Zum Beispiel die Erkenntnis, dass die Leser nicht mehr gezielt über die Homepage, sondern über Social-Media-Kanäle kommen. Man könnte das als ungesunde Abhängigkeit von externen Anbietern wie Facebook deuten und sich um mehr Eigenständigkeit bemühen. Oder man könnte sich Mitarbeiter zulegen, die diese Abhängigkeit pflegen und verstärken. Die NYT empfiehlt Letzteres und gibt dem Ganzen zumindest einen fancy Namen: „Audience Development Team“.

Und wie kommt man auf so etwas?

„Ein wichtiges und oft unterschätztes Vorbild für die Times und für andere amerikanische Medien ist der britische Guardian. (...) Der Innovationsbericht der Times zitiert Janine Gibson, die frühere Nordamerika-Chefin des Guardian, mit dem Satz: ,Die Erkenntnis, dass du deine Leserschaft erst einmal finden musst, dass die Leser nicht einfach kommen und lesen, war transformativ.’ Das heißt: Diese Erkenntnis war der Anfang der großen Veränderung beim Guardian.“

[+++] Bei Fernsehsendern läuft das zwar noch ein wenig anders. Da kommt durchaus mal der ein oder andere Zuschauer vorbei, einfach, weil gerade 20.15 Uhr und das Sofa so bequem ist. Dennoch kann es nicht schaden, wenn vorher noch ein paar Zeitungen darauf hingewiesen haben, was für ein Programm man anbietet. Zum Beispiel einen Film über die türkischstämmige Ilayda, die an ihrer Wiener Schule nicht am Schwimmunterricht teilnimmt, da sie ein Kopftuch trägt. Dabei ist ihre Familie nicht religiös und Schwimmen ihre Leidenschaft. Zum Glück gibt es eine engagierte Lehrerin, die der Sache auf den Grund geht. Womit Sie jetzt die Handlung von „Die Freischwimmerin“ kennen, die heute Abend im Ersten zu sehen ist.

Katharina Riehl nennt den Film in der SZ „eine irre Klischeesause“ und „kreuzbrave Tolenranzgeschichte“.

Heike Hupertz zählt auf der Medienseite der FAZ auf, worum es in dem Film nicht geht:

„Mit Absicht völlig ausgeklammert aber wird der religiöse und ideologische Sprengstoff, der sich zum Thema Kopftuch leicht assoziieren lässt. (...) Mit Religion hat die ganze Familie, darunter der Barbetreiber und ältere Bruder Abbas (Aaron Karl), nichts am Hut. Um Multikulti geht es eigentlich auch nicht. Hier sind alle Wiener, und die türkischstämmigen dazu noch tolerant genug, Vorurteile zu ignorieren.“

Und Markus Ehrenberg fasst beides im Tagesspiegel zu folgendem Bandwurmsatz zusammen:

„Bei dem Versuch, westliche Klischeevorstellungen gegenüber muslimischer Glaubenspraxis zu decouvrieren (die bildungsferne, türkischstämmige Familie, die ihre Töchter eher widerwillig in die deutschsprachigen Schulen schickt), um die Problematik des freien Willens zu kreisen und nebenbei eine Großer-Bruder-kleine-Schwester-Geschichte zu erzählen, greifen die Autoren Susanne Beck und Thomas Eifler sowie Regisseur Holger Barthel (,Die Mutprobe’) gelegentlich daneben. Andererseits kann man es durchaus mal so auf den Punkt bringen wie Ilayda bei der Lehrerin: ,So ist es mit dem Kopftuch: Jeder denkt sofort, er kennt sich aus. Ich frage Sie ja auch nicht, warum Sie Stiefeletten tragen.’“


Altpapierkorb

+++ Für „El Bernameg“, nennen wir es mal die ägyptische Version der „Daily Show“, die sich trotz zunehmender Bedrohung an den Machthabern des Landes abarbeitete, ist Schluss. „Das derzeitige Klima in Ägypten passt nicht zu einem politischen Satireprogramm“, sagte [der Kopf der Show Bassem, Anm. AP] Youssef (...). Eine Niederlage sei der Sendeschluss aber nicht: ,Das Programm zu beenden ist eine viel stärkere Botschaft, als weiterzumachen’“, schreibt die FAZ. „Auch Mursi hatte Jussef gehasst, weil dieser die Frömmelei der Religiösen entlarvte und das schlechte Englisch des Präsidenten. Mursi verklagte ihn, verbieten konnte er ihn nicht. Unter Sisi aber schließen sich die Fenster der Freiheit. Jussef, laut Time einer der einflussreichsten Menschen der Welt und von Beruf Herzchirurg, spottete über ein vermeintliches Wundergerät der Armee, das Hepatitis, Aids und Krebs heilen soll. Er ließ sich Muffins mit Sisi-Bild servieren. Nun servierte er sich selber ab. Ehe andere es tun“, meint die SZ. +++

+++ Die BBC muss sparen und 600 Mitarbeiter entlassen, vor allem im Nachrichtenbereich, schreibt der Guardian. +++

+++ Von Willi Winkler lernen heißt, Henri Nannen nicht länger als jemanden zu bezeichnen, der seine Nazi-Aktivitäten glaubhaft bereut habe, berichtet Silke Burmester von der Medienfront. „Man hat jetzt eher einen weiteren Mann auf der Liste, der trotz erschreckender Denke, mangelnder Distanzierung und Patronage von Nazis nach 1945 zum Vorbild wurde.“ (Mehr dazu zum Beispiel in diesem und diesem Altpapier.) Außerdem auf der Liste haben sollte man, dass die Bild-Zeitung ihre Leser für gehirnamputiert hält und Blitzgescheitheit nicht automatisch zu einem Faible für Prada führt. +++

+++ Michael Hanfeld hatte offenbar A) große Freude an B) kein Verständnis für C) echt keinen Bock auf oder D) die Schnauze voll von der Aufregung um den vergeblichen Versuch von Wolfgang Bosbach, am Montagabend bei „Wer wird Millionär“ Angela Merkel als Telefonjoker zu befragen. „A) Angela Merkel hatte Besseres zu tun, als auf einen Anruf aus einer Unterhaltungsshow zu warten, B) Sie verspürte keine Lust auf den Eiertanz, C) Ihr Mann kümmert sich um die Wäsche, D) Sie hat ein neues Handy“, lauten Hanfelds Antwort-Vorschläge auf die einer Antwort harrenden Frage bezüglich einer DDR-Waschmaschine heute auf der Medienseite der FAZ, die er – weil tatsächlich Antwort D die richtige zu sein schien – noch weiter steigert: „A) Barack Obama kommt bei Merkel nicht mehr durch, B) Die Amerikaner müssen sich eine neue Nummer zum Anzapfen suchen, C) Die SMS von AM (Angela Merkel) kommen von jemand anderem und nicht von der Bundeskanzlerin, D) Die Bundesregierung hat endlich kapiert, was die Abhöraffäre bedeutet. Die richtige Antwort erfahren Sie über die Nummer, die Wolfgang Bosbach nicht im Kopf hatte.“ +++

+++ Ebenfalls in der FAZ berichtet Markus Bickel von der syrischen Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Razan Zeitouneh, die im Dezember von Islamisten enführt wurde. Einen Aufruf zu ihrer Freilassung haben 45 Menschenrechtsorganisationen unterschrieben, derzeit läuft unter #Douma4 eine Twitter-Kampagne. Nur im Westen interessiert sich niemand für das Thema. „Aus diesem Desinteresse speist sich die Rückkehr von Kidnappen als Kriegstaktik. Allen voran ausländische Berichterstatter sind zum Ziel bewaffneter islamistischer Gruppen geworden, die seit vergangenem Jahr vermehrt dazu aufrufen, ,vom Westen besoldeten Spione’ gefangenen zu nehmen. Reporter ohne Grenzen stuft Syrien inzwischen als gefährlichstes Land der Welt für Journalisten ein.“ +++

+++ Die Sender der RTL-Gruppe kann man doch noch ein wenig länger auch über DVB-T empfangen, schreibt der Tagesspiegel. Eigentlich sollte der Vertrag mit Media Broadcast Ende 2014 auslaufen. Nun wurde er doch um zwei Jahre verlängert. Hintergrund ist die Aussicht auf die Einführung von DVB-T2, die ab 2016 angestrebt ist“, berichtet DWDL. „Über diese Plattform sollen dann die Free-TV-Sender der Mediengruppe RTL Deutschland in HD-Qualität und verschlüsselt angeboten werden. Ob es wirklich dazu kommt, hänge aber davon ab, ob die Politik weitere Rahmenbedingungen schaffe.“ +++

+++ Da vergisst die Tagesschau einmal, das Wetter zu zeigen (Altpapier von Montag), da hat sie schon Joachim Huber vom Tagesspiegel auf dem Hals, der offenbar nur darauf gewartet hat, sich an dem ganzen Technikfirlefanz im Fernsehen abzuarbeiten. Zwar ist nicht ganz klar, wie er von der Wetterpanne zum Twitter-Vorlesen an Wahlabenden kommt (vermutlich ist eine Lösung in dem Wort „Verschwörungstheoretiker“ aus dem ersten Satz zu finden). Letzteres findet Huber auf jeden Fall hochgradig albern. „Die Sender müssten erkennen, dass das Fernsehen durch die fortschreitende ,Onlinenisierung’ von Formaten nur wenig gewinnt. Aus der Studio-, aus der Filmsituation herauszutreten, minimiert die Qualität, die Aura dieser Situationen“, meint er. Und ja, es kommt noch besser: „Die Auflösung von Ort, Zeit und Handlung geht einher mit der Ablösung des Momentes, den nur Fernsehen herstellen kann.“ Amen. +++

Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.