Alkoholismus in Essen

Alkoholismus in Essen

Auch Laura Poitras äußert sich jetzt zur „Altlast“ des Nannen-Preises. Edward Snowden wirkt in einem TV-Interview gelöst und selbstsicher. Volker Kauder will nicht mehr in Talkshows gehen, in denen auch AfD-Leute hocken. Außerdem: Mathias Döpfner als Heuchler in Sachen Privatsphäre, Wirtschaftskonzerne als mächtige Produzenten „journalistischer“ Inhalte.

War schon eine dramaturgisch ungewöhnliche Sendung, die die Kollegen von „Zapp“ da am Mittwochabend gebastelt haben. Der erste Beitrag über ein unseriöses, seine Anzeigenkunden hinters Licht führendes Architekturmagazin war einer der ödesten in der Geschichte des Magazins, weshalb der eine oder andere Zuschauer möglicherweise in den verdienten Schlaf gesendet wurde, ohne dass er etwas mitbekam von dem kleinen Scoop, auf den die Macher bereits am frühen Abend neugierig gemacht hatten:

Nach Jacob Appelbaum (siehe Altpapier) fühlt sich mit Laura Poitras nun eine weitere Henri-Nannen-Preisträgerin unwohl mit ihrer Auszeichnung und solidarisiert sich mit Appelbaum, der die „Altlasten“ des Nannen-Preises (im Original: „the lagay of“ - RM) benannt habe. Poitras „denkt darüber nach“, ebenfalls das Preisgeld zu spenden und die Nannen-Büste einzuschmelzen, heißt es in der vom NDR dokumentierten Erklärung.

„Ich denke, dass viele, die jetzt den Zeitpunkt von Jacobs Statement hinterfragen, nicht den ganzen Text gelesen haben, sondern auf andere Veröffentlichungen reagieren“, 

schreibt sie. Ob jene, die nun über Poitras‘ Statement schreiben, dieses komplett gelesen haben, ist auch nicht ganz klar. Ihr entscheidender Satz lautet nämlich:

„Ich bin (...) über einen Journalistenpreis beunruhigt (im Original: „troubled by“ - RM), der nach einem Mann benannt ist, der den Faschismus unterstützte.“

Lena Bopp (FAZ) - die im Übrigen findet: „Für jemanden, der gerade mit einem Preis für investigative Recherche ausgezeichnet wurde, äußert Poitras ihre Zweifel erstaunlich spät“ - gibt den Satz in der „In medias res“-Rubrik auf der Medienseite ihrer Zeitung zwar in indirekter Rede wieder. In vielen anderen Texten fehlt er aber, zum Beispiel bei meedia.de (Headline: „Die große Henri-Schmelze: ein Preis zum Entlieben?“), im stern.de-Remix eines dpa-Textes („Im Netz reagiert man auf die angestrebten Einschmelzungen mit Unverständnis“, wobei lustigerweise der Text von meedia.de als Beleg erwähnt wird) und im Tagesspiegel. Bei letzterem Artikel fällt auf, dass zwar „von Joachim Huber“ oben drüber steht, der Beitrag von einer agenturartigen Zusammenfassung aber nicht leicht zu unterscheiden ist. Wie Huber zu der Sache steht, ist dem Text jedenfalls nicht zu entnehmen.

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Meinungsfreudiger ist da schon meedia.de-Mann Georg Altrogge, der erst einmal die Stimmungslage bei Gruner + Jahr sondiert:

„Sollte die internationale Preisträgerin Laura Poitras tatsächlich dem Beispiel von Jacob Appelbaum folgen, heißt es im Umfeld des Verlags, werde man überlegen müssen, ob eine solche aufwändige Preisverleihung künftig überhaupt noch vertretbar sei.“

Altrogges daran anschließender Satz lautet:

„Der Schaden für den Qualitätsjournalismus wäre immens.“

Man könnte natürlich auch die These vertreten, dass es für den „Qualitätsjournalismus“ keinerlei Folgen hätte, wenn die Preisverleihung weniger aufwändig ausfiele oder gar nicht stattfände und die edlen Federn der Republik die Henri-Büsten künftig per Paketboten zugeschickt bekämen.

Die Position Appelbaums und Poitras‘ lautet ja: Ein „Schaden für den Qualitätsjournalismus“ ist längst entstanden, weil der wichtigste deutsche Journalistenpreis nach einem einstigen „Hitler-Besinger“ (Willi Winkler) benannt ist. Die Debatte, die sie anzustoßen versuchen - und es ist schon bezeichnend, dass es dafür zwei nicht-betriebsblinde US-Journalisten braucht -, läuft auf die Frage hinaus: Taugt jemand, der in der NS-Zeit als Journalist das System gestützt hat, als Namenspate für einen Journalistenpreis in einem demokratischen Land? Auch wer die Frage mit Nein beantwortet, kann natürlich jederzeit den Stern der Nannen-Ära preisen.

Noch eine weitere Differenzierung ist an dieser Stelle vielleicht nicht verkehrt. Nannen ist ein kleineres Kaliber als die früheren SS-Offiziere Horst Mahnke und Georg Wolff. Ersterer machte beim Spiegel und bei Springer Karriere, und Wolff wäre beim Spiegel „1959/60 beinahe Chefredakteur geworden. Außerdem hat er rund 80 Titelgeschichten geschrieben, er war einer der profiliertesten Autoren in der Geschichte des Spiegels überhaupt – und bis in die frühen 1960er Jahre neben Augstein auch der Denker und Stratege des Blatts“ (Lutz Hachmeister).

Und um die Frage, die Appelbaum und vor allem Poitras („Ich bin über einen Journalistenpreis beunruhigt, der nach einem Mann benannt ist, der den Faschismus unterstützte“) in den Raum stellen, mal weiterzudrehen: Wie soll denn der Preis, der derzeit Henri-Nannen-Preis heißt, künftig heißen? Vorschläge gern via Twitter an @altpapier.

[+++] Ohne Laura Poitras - das kann man an dieser Stelle noch mal erwähnen, zumal es in der oben verlinkten Begründung der Nannen-Juroren anklingt - wären die Enthüllungen Edward Snowdens möglicherweise nie an die Öffentlichkeit gelangt. Snowden selbst macht gerade aufgrund eines großen Interviews mit dem US-Sender NBC von sich reden. Patrick Bahners hat es für die FAZ analysiert:

„In seinem Gesicht findet man keine Spuren einer Lebenserfahrung, die mit etwas anderem als der Sache zu tun hätte, die ihn prominent gemacht hat. Man sieht solche jungen Leute mit der unheimlichen Fähigkeit, sich die Welt vom Leib zu halten, von Zeit zu Zeit im Fernsehen; meistens handelt es sich um Spitzensportler, manchmal um Virtuosen der klassischen Musik.“

Sebastian Fischer (Spiegel Online) meint:

„Snowden erscheint im Gespräch mit seinem Heimatmedium gelöster als in ähnlichen Interviewsituationen zuvor. Ist diese Selbstsicherheit echt? Oder nur gespielt?“

Die wichtigsten Aussagen des Interviews präsentieren unter anderem Buzzfeed („7 things we learned“) und der Rolling Stone („six memorable quotes“).

[+++] Zur unstoppable Döpfner-vs.-Google-Story (siehe zuletzt Altpapier vom Dienstag) steuert Peter Kusenberg (konkret) eine Einschätzung bei, die nicht fern liegt, aber m.W. noch nicht allzu oft formuliert wurde:

„Döpfner inszeniert sich als Bewahrer bürgerlicher Privatsphäre, während seine Schmierblätter die Verhöhnung jener Rechte monetarisieren.“

Und um einen maßgeblichen Unterschied zwischen Springer und Google geht es auch:

„Die Axel Springer AG (...) investiert nicht in Biometrie, Digitalkleidung und künstliche Organe aus dem 3D-Drucker. Die Springers finanzieren ihre Villen vorrangig mit dem Vertrieb von Nachrichtenrotz und Meinungsquark und ‚journalistischen Aktivitäten in den Unterhosen von Dieter Bohlen‘ (Gerhard Henschel), höchst entbehrliche Waren, die in zunehmendem Maße auf Googles Algorithmen und auf weitere Dienste, etwa Onlinebewegungstracker und E-Commerce-Anbieter, angewiesen sind.“

Man könnte den ersten Satz noch um eine aktuelle Information ergänzen: Die Axel Springer AG investiert auch nicht in selbstfahrende Autos (siehe dpa/Tagesspiegel).

Die Aufmerksamkeit auf den nicht-medialen Bereich lenkt auch Legal Tribune Online:

„Das Gefährdungspotenzial der ökonomischen Marktmacht Googles reicht über den freien Wettbewerb weit hinaus. Nicht zuletzt die allumfassende Datensammlung durch die zahlreichen weiteren Dienste und zugekauften Unternehmen, welche unter anderem Drohnen, Rauchmelder, Thermostate und sogar künstliche Intelligenz zur optimierten Datenauswertung entwickeln wollen, werfen ausgreifende ethische, soziale und (rechts-)politische Fragen auf.“

Die FAZ und Zeit Online weisen derweil auf ein gerade von Google publiziertes Formular hin, das löschungswilligen EU-Bürgern möglicherweise die Umsetzung des EuGH-Urteils (Altpapier) erleichtert.

[+++] Um zwei Zeitungen, die Google-Gegner Döpfner bis vor kurzem noch in  seinem Hause hatte, geht es in einer umfänglichen Zustandsbeschreibung der Funke-Mediengruppe, die Bernd Dörries für die SZ (Seite 39) abliefert: Der Kauf der Springer-Titel Hamburger Abendblatt und Berliner Morgenpost habe zunächst „wie das Bekenntnis zum Printjournalismus“ gewirkt - aber:

„In der Essener Redaktion haben manche mittlerweile ein anderes Bild vor Augen: Das eines Alkoholikers, der ziemlich am Ende ist, aber noch ein paar Schlücke aus der Flasche nimmt. Der verschuldete Konzern verschuldet sich noch mehr, um mit den Zukäufen die alten Schulden zu bedienen, Aber er zahlt die neuen Kredite? Es klingt wie ein Schneeballsystem.“

Es folgt eine Passage, die, wenn man die Zeitungsnamen austauschte, wohl auch für andere Häuser zuträfe:

„Bei WAZ, Morgenpost und Abendblatt fragen sich die Redakteure, wie denn die journalistische Zukunft aussehen könnte. Aber darum geht es den Eigentümern womöglich gar nicht. Es muss Geld verdient werden, um jeden Preis.“

Eingearbeitet in den großen Text ist ein frei online zu habender Beitrag, dem zu entnehmen ist, dass der bereits als neuer Verlagsgeschäftsführer präsentierte Rolf Bollmann nun doch nicht aus den Schweiz ins Ruhrgebiet umzieht. Die Gesellschafter in Essen hätten „seine Kündigung vor Dienstantritt“ beschlossen, schreibt Dörries. Spät fiel Funkes Top-Leuten ein, dass Bollmann aus politischen Gründen möglicherweise nicht der richtige Mann ist für den Laden:

„Bei der Basler Zeitung sanierte Bollmann im Auftrag von Christoph Blocher, dem Eigentümer des Medienhauses, der in Deutschland vor allem als Rechtspopulist und Ausländerfeind bekannt ist (...) Unter Bollmann und Blocher wurde die Basler Zeitung zum Sprachrohr der Rechtspopulisten."

newsroom.de, das Fachmedium für Funke-Interna, berichtet ebenfalls.

[+++] Von Medienwandel und neuen mächtigen Mitspielern ist ja beinahe täglich viel die Rede, es gibt aber - worauf nun der Ruhrnalist hinweist - auch neue „Medienimperien“, die bisher weitgehend unbeachtet geblieben sind, nämlich die großen Wirtschaftskonzerne:

„Siemens – zum Beispiel – hat (...) ein gewaltiges Content-Marketing Desk aufgebaut. Das ist ein Newsroom, wie wir ihn bislang nur von den großen Zeitungshäusern kannten. Dort ist Platz für bis zu 50 Mitarbeiter. Im Zentrum steht ein großer Newsdesk mit Monitorwand in der Größe 2×4 Meter, an dem sich abteilungsübergreifend die Mitarbeiter treffen, die gemeinsam an Themen und Inhalten arbeiten (...) Wer einmal die Presse-Kontaktseite von Daimler durchgearbeitet hat, findet dort mehr Mitarbeiter als in manch einer Regionalzeitung Redakteure arbeiten. Und VW erstellt nicht nur ein Multiplattform Online-Hochglanz-Automagazin, regionalisiert in 13 Weltausgaben, sondern darüber hinaus noch zahlreiche Spezialtitel, bis hin zur Beilage im Journalist-Magazin.“


Altpapierkorb

+++ Ulrike Simon war für die Berliner Zeitung bei einem Symposium der Historischen Kommission der ARD in Hamburg, wo der „derzeit aktivste Medienpolitiker, der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz“ unter anderem forderte, „dass ARD und ZDF ihre Sendungen unmittelbar nach ihrer Ausstrahlung und dauerhaft in ihre Mediatheken einstellen. Das kartellrechtliche Verbot einer gemeinsam geplanten Online-Videothek Germany’s Gold, bezeichnete er als ‚groben Unfug‘. Quatsch sei zudem, ARD und ZDF zu verpflichten, Sendungen selbst dann nach sieben Tagen aus dem Netz zu entfernen, wenn sie (wie bei Sport- und Auftragsproduktionen) Rechte Dritter nicht berühren.“

+++ Ebenfalls beim Symposium dabei war Robert von Lucius (FAZ), der ein anderes Diskussionsthema der Veranstaltung herausstellt - nämlich die Folgen, die das Karlsruher ZDF-Urteil für die Zusammensetzung der Aufsichtsgremien der ARD mit sich bringt: „Der Direktor des Mainzer Medieninstituts, Dieter Dörr, mahnte an, dass von Änderungsplänen in den Sendern bisher wenig zu spüren sei. Die Vorsitzende des MDR-Rundfunkrats, Gabriele Schade, versprach dagegen, dass ihr Sender schon Ende Juni in einer Klausurtagung über die Folgen des Urteils beraten werde.“

+++ Der Unions-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder „möchte nicht in Talkshows sitzen“, in denen AfD-Politiker hocken, sagt er im Welt-Interview. „Ich war Generalsekretär der CDU in Baden-Württemberg, als Mitte der Neunzigerjahre die Republikaner in den Landtag eingezogen sind. Ich habe damals großen Wert darauf gelegt, sie in keiner Weise aufzuwerten.“ Da wird sich Kauder möglicherweise noch einen Rüffel einhandeln von Stefan Winterbauer, der Politologen-Ikone unter den Mediendienst-Chefredakteuren. 

+++ Die gestrige Illner-Talkshow mit dem Titel „Helden, Hoeneß, Hass und Häme – kennen wir keine Gnade mehr?" hat Daland Segler (FR) gesehen - und sich gewundert, was Olaf Thon dort zu suchen hatte.

+++ Spiegel Online schreibt über die Pläne des Tagesspiegel-Mitinhabers Sebastian Turner, kostenpflichtige Fachdienste zu schaffen, deren Inhalte bei der, falls wir jetzt mal ausnahmsweise gemein werden dürfen, Vergoldung von Rechercheabfall entstehen sollen: „Jeder Fachredakteur bringt weit mehr Informationen von einer Recherche mit, als er für einen Tagesspiegel-Artikel verwenden kann", sagt Turner laut Autor Martin U. Müller. Der fügt an: „Diese zusätzlichen, meist eher speziellen Erkenntnisse, will (Turner) künftig extra - und zwar digital - verkaufen.“ 

+++ Wer sich beeilt, kann noch verhindern, dass am kommenden Freitag eine kostenlose Ausgabe der Bild-Zeitung in seinem Briefkasten steckt. Näheres im Bildblog. Es geht um eine Ausgabe zur WM.

+++ Apropos WM: Dass die Fußballreporter Ulli Potofski und Wolff-Christoph Fuss, dieser „gräßliche, sich an sich selbst hemmungslos berauschende Kreischsägenschreihals“, nicht aus Brasilien berichten werden, mag ein Segen sein für die Menschheit im deutschsprachigen Raum. Dieser Vorteil wird aber dadurch leicht geschmälert, dass zwei sog. Bücher der beiden Herren erschienen sind. Jürgen Roth (konkret, Seite 61) - von dem auch das schon genannte Zitat stammt, schreibt über Potofskis Werk „Entscheidend ist auf‘m Platz „Die verrückte Welt des Fußballs und seiner Kommentatoren“: „Eine Recherche hat nicht stattgefunden, Halbwahrheiten und Banalitäten aus Wikipedia werden hilflos miteinander verschraubt“. Potofski habe einen „Tonfall auf Grundschulniveau“, wiederhole „bis zum Vomieren eine anekdotische Lappalie nach der anderen“ und traktiere „die Sprache, sein Handwerkszeug, wie ein Holzfäller den Wald".

+++ Übergangsmoderator beim „Literaturclub“ des Schweizer Fernsehens und damit Nachfolger des unter schwer nachvollziehbaren Umständen ausgeschiedenen Stefan Zweifel (siehe vorletztes Altpapierkorbstückchen am vergangenen Freitag) wird Rainer Moritz, Chef des Hamburger Literaturhauses (NZZ).

+++ Und epd medien dokumentiert in der aktuellen Ausgabe Vorträge der „Paarungen 2.0 - Jugendschutz, Medienpädagogik und Ethik im Zeitalter der sexualisierten Medien“. Abschlussdiskussionsbericht siehe hier.

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.