Wenn der Staat Sibylle Berg bezahlt

Wenn der Staat Sibylle Berg bezahlt

Das Problem des "Staatsfeuilletons". Der internationale Trend zum Rauswurf erster Chefredakteurinnen renommierter Zeitungen. Einer ermordeten Fotoreporterin auf Twitter folgen. Suchmaschinen dürfen nicht versiegen. Der deutsche Drang, sofort ausführlich Kritik zu üben.

Die Debatten der vergangenen Tage - was es bedeuten würde, wenn das neue Crowdfunding-Vorhaben der Krautreporter gelingt oder nicht, was das EuGH-Urteil zu Google bedeuten dürfte - laufen natürlich weiter, verzwickt-komplex oder geschickt komplexitätsreduziert. Aber sie sind halt nicht mehr ganz neu, deshalb starten wir mit einer frischen: Gibt es zu viel "Staatsfeuilleton"?

Der Credit des Initiators dieser Debatte gebührt Johan Schloemann von der Süddeutschen (wo er auch bereits im Bewegtbild performt), also einem echten Feuilletonisten, der daher auch weiß, das schon der Begriff "Feuilleton" allein zu polarisieren vermag:

"Was einmal mit diesem 'Blättchen' gemeint war, das 'unter dem Strich' gedruckt wurde - nämlich kulturelles Interesse, wache Zeitgenossenschaft, literarisch inspiriertes Schreiben mit Leichtigkeit und Schärfe zugleich -, das ist vielerorts fast schon zum Schimpfwort geworden. Unter manchen ausgebufften Nachrichtenprofis reicht es jedenfalls schon für einen ironischen Schenkelklopfer, nur 'das Feuilleton!' zu sagen",

leitet er seinen Aufmacher auf der SZ-Medienseite ein, um anschließend zu beklagen, dass die unter ausgebufften Newsrecken leidenden Feingeister nun auch noch ihre Position als Torwächter des Feuilletons verlieren könnten. Denn "öffentlich finanzierter Kulturjournalismus" "verdirbt ... die Preise", die aus "den schrumpfenden Honorartöpfen vieler Zeitungen" gezahlt werden können, weil "die staatlichen Organe ... auch oft stattliche Honorare" bieten:

"Nehmen wir an, eine große Oper plant eine Inszenierung des 'Don Giovanni' von Mozart. Die hauseigenen Redakteure sagen dann: In unserem Magazin bringen wir nicht (nur) eine Werkeinführung oder ein Sängerporträt. Nein, viel besser: Wir bestellen bei der Schriftstellerin Sibylle Berg einen saftigen Essay über 'Verführung heute'. Das Stadttheater bringt eine antike Tragödie? Ein gut bezahltes Interview über den Opfertod gestern und heute mit Peter Sloterdijk im Programmheft geht immer. Ein Museum oder eine öffentliche Stiftung überlegt sich einen Schwerpunkt zum Ersten Weltkrieg? Neue Essays über Krieg und Gewalt von Herfried Münkler, A. L. Kennedy oder Carolin Emcke haben natürlich ihren Preis, sollten aber möglichst nicht fehlen. Das alles, versteht sich, in exquisit zeitgemäßem Layout und in aparter Typografie."

Konkrete Beispiele solcher zahlungskräftigen Organe nennt er viele, die den Artikel auch schön illustrieren. Und überdies online zu haben sind: etwa Max Joseph, das "kulturell wie ästhetisch anspruchsvolle Magazin der Bayerischen Staatsoper" ("Feingeist mit Tiefgang oder rebellischer Provokateur? Max Joseph ist beides!", würde Hoffmann und Campe Corporate Publishing sogar sagen), das online allerdings  lediglich eine Leseprobe bietet. Oder das DT Magazin des Deutschen Theaters Berlin. Oder Ruperto Carola, das "Forschungsmagazin" der Universität Heidelberg; beide letzteren sind als PDF komplett zu haben. Oder das Magazin der Kulturstiftung des Bundes, das sich sogar gedruckt kostenfrei abonnieren lässt.

"Manches am Staatsfeuilleton ist Volksbildung, anderes aber ist eher 'Corporate Publishing', nur dass die Firma hier der Staat ist und der Kunde sein Steuerzahler", lautet Schloemans Schluss-Satz.

Ins Allgemeinere heruntergebrochen: Das Problem, dass es, elektronisch und gedruckt, zuviel kostenlosen und preiswerten Lesestoff gibt, um viele Kaufanreize für noch mehr Lesestoff setzen zu können, gibt es wie in allen Ressorts im Feuilleton auch.

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[+++] Auch kein schöner Trend, aber ein tagesaktuell international bzw. im sog. Westen massiver: der Rücktritt bzw. unfreiwillige Abschied der allerersten Chefredakteurinnen renommierter Tageszeitungen. So geschah es in Frankreich, wo sich Natalie Nougayrède bei Le Monde verabschiedete (z.B. FAZ, SPON/ AFP). So geschah es in den USA, wo die New York Times "völlig überraschend" Jill Abramson, "die erste Frau, die das hochgelobte Traditionsblatt führte", durch Dean Baquet ersetzte: "Der langjährige 'Times'-Mitarbeiter wird der erste Schwarze an der Spitze der 1851 gegründeten Zeitung" (newsroom.de/ DPA).

Außerdem berichten z.B. der Tagesspiegel, ebenfalls SPON und faz.net, das Gründe für die Personalie in einem Tweet entdeckte (der in den faz.net-Artikel auch eingebunden ist):

"Der Wechsel habe mit dem Management des Newsrooms zu tun, soll Herausgeber Arthur Sulzberger Jr. bei einem internen Meeting gesagt haben, wie New-York-Times-Reporter Ravi Somaiya bei Twitter mitteilte."

Inzwischen bietet Somaiya als Co-Autor in der NY Times selbst einen ausführlichen Artikel zu Hintergründen des "abrupt change of leadership":

"People in the company briefed on the situation described serious tension in her relationship with Mr. Sulzberger, who was concerned about complaints from employees that she was polarizing and mercurial. She had also had clashes with Mr. Baquet. In recent weeks, these people said, Mr. Baquet had become angered over a decision by Ms. Abramson to make a job offer to a senior editor from The Guardian, Janine Gibson, and install her alongside him in a co-managing editor position without consulting him."

Ja, der NYT-Artikel enthält so viele große Gefühle, als handele es sich um ein Exposé für einen Hollywoodfilm:

"Mr. Baquet thanked Ms. Abramson, who was not present at the announcement, for teaching him 'the value of great ambition' and then added that John Carroll, whom he worked for at The Los Angeles Times, 'told me that great editors can also be humane editors.'"

Wir werden sehen. [Inzwischen bietet ein SPON-Korrespondentenbericht weitere Hintergründe des Dramas auch auf deutsch: "Nicht mal eine Stunde nach Verkündung war Ihr Name aus dem Impressum getilgt"].

[+++] Viel schlimmer als wenn Chefredakteurinnen entlassen werden: wenn Reporterinnen ermordet werden.

"Sie stand jeden Tag um fünf Uhr auf. Da graute gerade der Morgen, Dunst lag noch über der Stadt. Ohne zu frühstücken, schnappte sie sich ihre beiden schweren Kameras und schwang sich ins Auto. Jeden Morgen. Sie fotografierte die frischen Leichen, die auf der Straße lagen, bevor das Rote Kreuz sie einsammelte. Tag für Tag, Klick für Klick zählte sie die Toten - in einem Konflikt, in welchem nicht einmal mehr die UNO Schätzungen anstellt, wie viele Menschen bislang starben. Von allen Journalisten, Menschenrechtlern und UN-Mitarbeitern war niemand so nah dran an der brutalen Wirklichkeit dieses Krieges wie Camille",

ruft TAZ-Afrikakorrespondentin Simone Schlindwein Camille Lepage nach, die in der Zentralafrikanischen Republik mit 26 Jahren getötet worden ist.

"Das Auffälligste an Camille Lepage waren die feuerrot lackierten Fingernägel. Ich konnte einfach nicht die Augen abwenden. In all den Jahren in afrikanischen Kriegsgebieten waren mir zwar die schrägsten Vögel begegnet, aber eine blutjunge Fotografin mit roten Fingernägeln, das war für mich neu",

schreibt FAZ-Korrespondent Thomas Scheen auf der Medienseite, wo er auch den Konflikt schildert, in dem die Französin starb:

"Die Anti-Balaka verstehen sich als Reaktion auf die Massenmorde der überwiegend muslimischen Séléka-Rebellen, die das Land im vergangenen Jahr für kurze Zeit unter ihre Kontrolle bringen konnten. Zusammen sind sie wie Pest und Cholera. Camille Lepage war mit den Anti-Balaka unterwegs gewesen nach Amada-Gaza, einer Region im Grenzgebiet zu Kamerun, wo die Séléka vor knapp zwei Wochen angeblich 150 Christen massakriert hatte ..."

Nach deutschen Berichten über diesen Konflikt jenseits des Lepage-Todes müsste man lange googeln ...  Anders als der Spiegel, der zuletzt Fotos Lepages brachte, hat die TAZ eine Strecke von ihren Fotos online. Mehr gibt's auf camille-lepage.photoshelter.com. Schlindwein erwähnte ihren Facebookauftritt, Scheen ihren Twitter-Account. Beide sind weiter online. Man kann also noch Follower oder Liker werden, bloß Freund nicht mehr. Das bedürfte ja einer Bestätigung.
 


Altpapierkorb

+++ Ebenfalls in Frankreich könnte Axel Springer, dieser umtriebige deutsche Konzern, nun gar ein Manifest gegen Google bzw. dessen Marktmissbrauch seiner Monopolstellung unterzeichnen, oder zumindest als einer von "etwa 400 deutschen und französischen Internet-Akteuren" eine Klage vorbereiten, und zwar auf einer Konferenz namens Open Internet Project (sueddeutsche.de). +++

+++ Frische Stimmen zum Google-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (Altpapier gestern) enthalten mehr Kritik. Z.B. bündelt golem.de sie unter der Überschrift "Ein Urteil zum Vergessen". Dort steht Michael Konken vom DJV ("Suchmaschinen sind wichtige Rechercheinstrumente für Journalisten, die nach dem Urteil nicht als Quelle versiegen dürfen") zwischen einem ungenannten Googlesprecher und dem deutschen Branchenverband Bitkom, der bekanntlich daran krankt, dass zu seinen Mitgliedern auch die deutschen Tochterunternehmen amerikanischer Konzerne und NSA-Kollaborateure zählen. +++ "Einschränkung der Informationsfreiheit", findet auch Oliver Voß (wiwo.de). +++ Sascha Lobo zeiht nicht nur die Süddeutsche Zeitung einer "katastrophal missglückten Einschätzung" des Urteils, sondern findet irgendwie auch, der EuGH hätte besser der NSA die Speicherung von Metadaten verbieten sollen (SPON). +++ Eine pragmatische Einschätzung der Folgen des Urteils für die deutsche Neuland-Politik schrieb Stefan Schulz fürs FAZ-Feuilleton: "Die Bundesregierung verweigert seit zwei Jahren im Ministerrat der europäischen Innen- und Justizminister die Zustimmung für die Vorschläge von Europäischem Parlament und Kommission, weil sie das hohe deutsche Datenschutz-Niveau in Gefahr sieht, 'nach unten nivelliert' (Sigmar Gabriel, SPD) zu werden. Europas höchste Richter haben nun gezeigt, dass das deutsche Datenschutzrecht schon heute gegen in Deutschland tätige Unternehmen durchgesetzt werden kann." +++

+++ "Spannend ist Krautreporter damit in jedem Fall, egal ob diese faszinierende Idee die Finanzierungsrunde überlebt oder nicht" (dwdl.de). +++  Weiteren Überblick über Krautreporter-Debatten geben die Krautreporter selber, die ja was tun müssen für ihre Abonnenten und die, die es noch werden sollen. +++ Nur ein bedenkenswertiger Beitrag von netzwertig.coms Martin Weigert noch: "Eine um das Journalismus-Projekt Krautreporter entbrannte Diskussion zeigt, wieso es in Deutschland so schwierig ist, ehrgeizige Digital-Vorhaben erfolgreich umzusetzen: Der Drang, sofort möglichst ausführlich, detailgenau und ohne Versuche der Abmilderung Kritik zu üben, verhindert eine positive Sogwirkung". +++

+++ Die bayerische Radio-Frage (vgl. z.B. dieses Altpapier), also ob BR-Klassik seine UKW-Frequenz an den Jugendsender "Puls" abgeben muss, ist "aufgeschoben" (FAZ-Medienseite) bis zur nächsten Rundfunkrats-Sitzung im Juli (siehe auch sueddeutsche.de). Außerdem habe Bayerns Wirtschafts- und Medienministerin Ilse Aigner (CSU) gesagt: "Wir müssen auch die Sorgen privater Rundfunkbetreiber ernst nehmen", so doe FAZ. Diese sorgen sich, reichweitenstarke Konkurrenz für ihre Jugendwellen zu bekommen. +++ Dass Berichterstattung in eigener Sache, anders als Einfluss der CSU, nicht zu den Stärken des Bayerischen Rundfunks zählt,  berichtet der Blog der NMZ/ Neue Musikzeitung. +++

+++ Von einer britischen Falschmeldung, auf die "ein gewichtiger Teil der deutschsprachigen Medien ... hereingefallen" ist, weiß der Blog burgerbe.de. +++

+++ "Gerade jüngere Zuschauer gucken Late-Night-Shows nicht mehr live im Fernsehen, sondern in DVR-Aufzeichnungen am Frühstückstisch oder nur Ausschnitte davon am Computer. Die neuen Show-Master müssten Sketche produzieren, die für ein zweites Leben auf Youtube taugen", berichtet Dorothea Hahn aus den USA in der TAZ. +++ Für den Tagesspiegel war Katrin Hillgruber am tschechischen Drehort der  "Nackt unter Wölfen"-Neuverfilmung. +++

+++ Eindrucksvoll auf der re:publica fand vocer.org den "berühmten digitalen Gap ... zwischen den Generationen 'man müsste' und 'einfach mal machen'". +++

+++ "Es gibt im Reporterberuf einen Fieberzustand, der sich einstellt, wenn aus einem Hinweis, einer Idee, einem Bauchgefühl eine Spur wird ... " (Andrian Kreye in der SZ über Glenn Greenwalds Buch "Die globale Überwachung").  +++

+++ In der zweiten Staffel "Real Humans", heute ab 21.45 Uhr auf Arte, wird, "wie es sich gehört für eine Zukunfts-Dystopie,  ... noch mal alles eine Spur finsterer" (SZ). +++ "Die zweite Staffel wechselt unter der Regie von Harald Hamrell abermals gekonnt zwischen Zombie-Anmutung, Science-fiction-Style und der Optik des alltäglichen Lebens (Kamera: Trolle Davidson)" (FAZ). +++

+++ Der neue Funke- Zeitungs-Verlagsgeschäftsführer in Nordrhein-Westfalen, Rolf Bollmann  (Hintergründe: Altpapier), "ist ehemaliger Fußballprofi, der auch ein Spiel für die Schweizer Nationalmannschaft absolvierte" (meedia.de). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.