Den wichtigen Leuten folgen

Den wichtigen Leuten folgen

Neue Print vs. Online-Medienfront eröffnet! Beihilfe zur Frühverrentung: Daniela Katzenberger in einer SWR-Produktion. Walter Benjamin aber auch. Was Googles Eric Schmidt für guten deutschen Journalismus hält.

Eine nicht unspektakuläre Chefredaktions-Personalie gelangte gestern abend via newsroom.de in die Medienöffentlichkeit: Eine offenbar fast 100-köpfige Redaktionsversammlung der TAZ hat gegen die vor rund einer Woche von Vorstand, Redaktionsrat und der auch noch recht neu zweiköpfigen Chefredaktion beschlossene Aufnahme von Online-Chefredakteurin Frauke Böger in ebendiese gestimmt. Diese Versammlung fand nur deshalb statt, weil Böger "sich ... die Unterstützung der gesamten Redaktion holen" wollte (newsroom.de damals), und war protokollarisch gar nicht notwendig gewesen. Inzwischen ist der neue newsroom.de-Text mit eingebetteten Tweets frisch ediert, einem sportlichen von Böger selbst und einem kämpferischen von Deniz Yücel:

"taz-Redaktion stimmt gegen Frauke Böger als stell. Chefredakteurin. Nicht nur dick & gemütlich, auch dumm & bräsig. Und Angst vorm Internet"

Auch wenn die Stil-Connaisseure von turi2.de schon vor einer Woche erkannt hatten, dass das Accessoire auf Bögers sympathischem Porträtfoto keine Hoodie-Kapuze ist, sondern "eher" ein Hermès-Halstuch, die in den vergangenen Wochen unter der Überschrift "Hoodiejournalismus" insgesamt bis weit über die Grenzen der Überflüssigkeit hinaus geführte Print-vs.-Online-Debatte scheint also weiterzugehen.

Vielleicht gibt ein zweieinhalb Wochen alter, instruktiver Böger-Beitrag dazu etwas Aufschluss. Das TAZ-Hausblog gibt aktuell am Donnerstagmorgen dazu noch keinen. Wie sie bei der TAZ so ticken, zeigt womöglich die neuerdings "Rüttenauer" genannte, gelegentlich lustige Titelseiten-Kolumne an. Heute geht's zumindest auch um taz.de.

[+++] Damit zur ARD, die und deren Anstalten das grundsätzliche Problem der privatwirtschaftlichen Print- und Onlinemedien (wie das Geld reinkommen soll, von dem Redakteure usw. leben) bekanntlich nicht haben. So können diese Anstalten geradezu gleichzeitig neue Prestige-Produktionen rund um Walter Benjamin, eine sehr wichtige Persönlichkeit des deutschen Geisteslebens im 20. Jahrhundert, und um Daniela Katzenberger, eigentlich eine wichtige Celebrity des mittelgroßen Privatsenders Vox, starten.

Wer auf "das neue intermediale Projekt 'Eingedenken' des Düsseldorfer Medienkünstlers Christoph Korn", "von der Hörspielabteilung des Kulturradios SWR 2" produziert, aufmerksam macht, in einer Sprache, die an strengstem Benjamin geschult zu sein scheint ("Dem Konformismus der kapitalistschen Verwertungslogik kann sich Korn jedoch nicht gänzlich entziehen. Nicht nur weil zeitsouveräner Medienkonsum oft nur der Reproduktion von Arbeitskraft dienen soll. Eigenartig ist, dass das frei verfügbare technisch reproduzierbare Werk 'Eingedenken' heute außerdem auch in einer limitierten Spezialedition beim Onomato-Verlag erscheint ..."), ist die TAZ. "Nichtsdestotrotz ist das Stück überaus empfehlenswert", findet Rafik Will jedenfalls.

Einschaltquoten-Analytikern und -Analysten schwant aber schon, dass Katzenberger mehr Breitenwirkung erzielen dürfte. Schließlich suchen die Massen weiterhin Zerstreuung. Wer die nicht sucht, muss zur Hauptsendezeit einen Bogen ums sog. Erste machen. Aufschlussreich ist, wie eine der fiesesten Erscheinungsformen dieses Ersten, die Trailer-Redaktion, für den auch vom SWR produzierten, in der Pfalz angesiedelten, heute um 20.15 Uhr ausgestrahlten Fernsehfilm "Frauchen und die Deiwelsmilch" wirbt (Video):

"Der Rundfunkbeitrag sinkt. Das haben Sie jetzt davon: die Katzenberger im Ersten",

moduliert der Trailersprecher mit süffiger Selbstironie zu gewohnt üppiger Untermalungsmusik.

Die Fernsehkritiker lassen sich, wie schon Hans Hoff am Wochenende (dwdl.de), die Steilvorlage nicht entgehen: Der Film (Foto oben) sei "ein echtes Ärgernis", meint das das fast immer freundliche, pfalznahe kress.de. Und "so gemächlich erzählt ..., dass man nach den 88 Minuten das Gefühl hat, der Verrentung einen sehr großen Schritt näher gekommen zu sein" (Peer Schader in seinem Fernsehblog). Er verstehe "jeden der drei Ansprüche nur kümmerlich zu tragen ... Es fehlt am Krimi, es fehlt an der Komödie und was die Regionalisierung angeht, verliert sich der Versuch von Thomas Bohn (Regie) und Holger Badura (Drehbuch) zu sehr im Rainer-Brüderle-haften, er gleicht einem etwas zu langen Besuch beim Weinfest", meint Cornelius Pollmer auf der Süddeutsche-Medienseite, baut aber schon die Brücke ("Katzenberger erträgt diese Erwartbarkeit, sie wirkt nur halb so neondusselig wie sonst, ja, irgendwie wirkt sie sogar: sympathisch") zur FAZ-Medienseite. Dort bezieht Melanie Mühl die freie erwartbar freie Position. Sie findet alles gar nicht so schlimm:

"Daniela Katzenberger hat Charme, das muss man zugeben. Sie ist auch kein ginalisahaftes Blondchen, das nicht bis drei zählen kann und in der Erbärmlichkeit versinkt. Sie hat etwas geschafft, was nur den wenigsten gelingt: Daniela Katzenberger ist eine Marke geworden."

"Man wurde jedenfalls schon weitaus schlechter unterhalten", lautet der letzte Satz dieser Besprechung. Wer genau mitspielt, ist zweifellos keines der größten Probleme öffentlich-rechtlicher Fernsehunterhaltung.

####LINKS####

[+++] Durchaus vorstellbar, dass die ARD den Sendetermin dieser ostentativ kontrovers gemeinten Produktion auf den Termin ihrer Intendantenversammlung abgestimmt hat, die dieses Mal in München stattfand und in deren Folge wieder ein Füllhorn an Power-Meldungen ausgeschüttet wurde.

Die ARD bekommt nächstes Jahr, endlich, wieder eine neue hauptamtliche Generalsekretärin. Als bisherige Geschäftsführerin der Gremienvorsitzendenkonferenz ist Susanne Pfab zweifellos exzellent für den verantwortungsvollen Posten vorbereitet. Die ARD bekommt einen Fernsehfilm-Koordinator, schon zum 1. Mai. Wenn nicht der Analysefuchs Jörg Schönenborn, wer dann könnte die Quten stabil halten? Und ab Juni 2015 bekommt die ARD eine neue Hauptstadtstudioleiterin.

Tina Hassel erhält schon eine Menge Aufmerksamkeit. Im kraftvollen SPON-Interview (SPON: " ... Haifischbecken ..." - Hassel: "... Raubtierdompteur ...") zeigt sie, dass sie sich zu verkaufen versteht ("frischer Wind", "Riesenplus", "tolle Schule", "tolles Team" ...). Zur am Ende gestellten Frage "Was sagen Ihre Kinder zu dem Umzug nach Berlin?" kann Anne Burgmer in der Berliner Zeitung eine noch weitergehende Antwort zitieren: "Die gebürtige Kölnerin" Hassel hat einen "gemeinsamen Besuch des Kölner Karnevals ... schon fest versprochen". Die Berliner werden sich freuen das zu lesen.

Der erwähnte Hans Hoff hat sich für seine knappe Meldung auf der SZ-Medienseite Hassel zu ihrem Twitter-Account befragt:

"1248 Tweets stehen in ihrer Bilanz. In den USA hat sie gelernt, dass man als Journalist ohne den Kurznachrichtendienst ziemlich aufgeschmissen ist. Sie selbst folgt allerdings nur 131 anderen Twitterern. 'Den wichtigen Leuten zu folgen, ist essenziell. Ich folge wenigen, die ich mir genau ausgesucht habe, um nicht in Tweets zu ertrinken', erklärt sie die Selbstbeschränkung."

Toll auch das. Nicht auszuschließen aber, dass die Maxime "'Den wichtigen Leuten zu folgen, ist essenziell" als Erfolgsrezept im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Hassel in hiesigen Haifischbecken noch eine Zeitlang verfolgt.

[+++] Überhaupt hat sich Hoff auf Twitter umgeguckt. Zum Marl-Alarm, den die FAZ gestern sozusagen (Altpapier) ausrief, schreibt er unter der Überschrift "Grimme in Gefahr" in der SZ: "Bewährte Jury-Mitglieder haben bereits den Hashtag Grimmeboykott in die Twitter-Welt gesetzt und erklärt, dass man nicht länger zur Verfügung stehe, wenn die Unabhängigkeit der Gremien künftig derart in Mitleidenschaft gezogen werde". Welche Jurymitglieder?

Original-Alarmierer Michael Hanfeld lässt in der FAZ heute den Düsseldorfer Medienwächter Jürgen Brautmeier zu Wort kommen ("Wir haben keinen Anschlag auf die Unabhängigkeit des Grimme-Instituts vor", "wir verfolgen mit Blick auf den Grimme-Preis keine Eigeninteressen") und den noch bis Monatsende amtierenden Grimmeinstituts-Chef Uwe Kammann ("Das vorgesehene Vorschlagsrecht der Landesmedienanstalt ist eine sehr offene Formel", es sei "kein institutionelles Benennungs- oder Besetzungsrecht") zu Wort kommen. Ähnliches sagte Kammann auch anderen, etwa dem Deutschlandradio. Marls Bürgermeister versprach derwesten.de (WAZ) gar, "er wolle als Aufsichtsratsmitglied darauf aufpassen, dass der Grimme-Preis unabhängig bleibt."

Hoff schließt dennoch:

"Unklar ist indes, ob Ende April auch der Volkshochschulverband als Hauptträger des Grimme-Instituts sein Plazet gibt. Tut er das, muss Gerlach gleich nach ihrem Amtsantritt am 1. Mai einen Vertrag unterschreiben, der die Glaubwürdigkeit ihres Instituts auf Jahre beschädigen würde."

Schau'n wir mal.

Das sieben DIN A4-Seiten lange epd medien-Interview mit Kammann von vor der Jubiläumsgala am letzten Freitag ("Was war Ihrer Meinung nach die interessanteste Entwicklung im deutschen Fernsehen in den vergangenen zehn Jahren?" - "Da müsste ich lange nachdenken. Ich sehe im Fernsehen sehr viel Kontinuität") steht inzwischen übrigens frei online.


Altpapierkorb

+++ Prominenter Digitaldebatten-Gastautor im FAZ-Feuilleton heute: Googles Eric Schmidt. "Warum hacken eigentlich alle auf unserem Konzern herum?  ... Wieso sieht man die Chancen nicht? Google nützt der Kultur, den Verlagen und dem Journalismus", heißt es im Vorspann zur "längst fälligen Antwort auf alle Kritiker". Schmidt argumentiert darin u.a.: "Genauso wie in Deutschland mit Axel Springer arbeiten wir rund um die Uhr gemeinsam mit unseren Partnern in den Verlagen daran, dass sie mit gutem Journalismus auch gutes Geld verdienen". Irgendwie scheinen ihn seine lokalen Redenschreiber und Interessenvertreter nicht gebrieft zu haben, dass Axel Springer nicht in allen deutschen Milieus als herausragendes Beispiel für "guten Journalismus" gilt und auch gar nicht mehr soo viel Journalismus betreibt. +++

+++ Die Katze der öffentlich-rechtlichen Nischenprogramme bleibt Sarah Kuttner. So liebenswert, wenn man sie liebt, dass das Drumherum egal ist. In einer lesenswerten Besprechung ihrer neuen ZDF-Neo-Sendung lobt Anna Klöpper (TAZ) Kuttner für ihren herzhaften Biss in ein Leberwurstbrot im Vorspann: Der "ist so unverkrampft, wie man sich das wohl von Kuttners Talk wünscht: die perfekte Illustration für eine Art von routinierter Lässigkeit, die zu inszenieren man beim Mainzer Digitalkanal perfektioniert hat. Leider ist diese Routine auch das Problem ..." +++ Was geht in der ersten Ausgabe dieser Sendung, die heute abend ausgestrahlt werden wird? Kuttner im Tagesspiegel-Interview: " ... Hannelore Elsner und Axel Bosse hatten einen Moment der Anspannung, da musste ich kurz die Luft anhalten. Sie warf ihm vor, dass er fast in jedem Lied davon singt, wie furchtbar das Leben ist. Das fand sie total doof. Da war er natürlich ein bisschen geknickt." Hach! +++ Wie Hannelore Elsner sich ein Würstchen schmecken lässt, zeigt mit einem Szenenfoto der KSTA (in dem Martin Weber Kuttners Sendungen irgendwie "schnuckelig" findet). +++ Wegen der kurzfristigen, unbestimmten Verschiebung der Sendung "Vegetarier gegen Fleischesser - Das Duell" protestieren Veganer gegen das ZDF (Berliner Zeitung). +++

+++ Wer sich noch Illusionen bewahrt hat: Christoph Hickmann. Zum "Zeugen des Jahrhunderts"-Comeback gestern abend mit Gerhard Schröder und Thomas Bellut schreibt er auf der SZ-Medienseite: "Und weil im Verhältnis zwischen Politik und Journalismus rein protokollarisch kaum eine höhere Ebene möglich ist als die Ebene Altkanzler - Intendant, konnte man von diesem ... Interview einiges erwarten." Doch "so richtig spannend wurde es ... nicht. ... Stattdessen gab Bellut Stichworte, zu denen Schröder so routiniert wie unterhaltsam die gewünschte Erzählung lieferte." +++

+++ Außerdem geht's in der SZ um Matthew Weiner, den Autor und "wahren Star" der US-Serie "Mad Men".  +++ Am Samstag ab 6.00 Uhr läuft bei Arte und im Bayerischen Fernsehen "24 Stunden Jerusalem". Wie das deutsche, "24 Stunden Berlin"-geschulte Filmteam neben deutschen und israelischen Regisseuren auch palästinensische gewann, schildert Hans-Christian Rössler auf der FAZ-Medienseite ("Um ihre politische Unabhängigkeit zu beweisen, zahlte die Produktionsgesellschaft auch die finanzielle Unterstützung zurück, die die israelische Stadtverwaltung ihr gewährt hatte. Zum Schluss signalisierte sogar die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO, dass sie keine Einwände gegen den Film habe. Doch drei Tage bevor die Dreharbeiten beginnen sollten, brach ein neuer Sturm los...").  +++

+++ Die Konferenz namens Net Mundial in der Osterwoche in São Paulo "könnte eine der bedeutendsten netzpolitischen Tagungen werden", denn "Delegierte aus zwölf Ländern, zu denen Deutschland zählt, sowie Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft werden Antworten auf eine alte Frage mit neuer Dringlichkeit suchen: Wie soll das Internet regiert werden?", heißt es ebd. ferner. +++ "Fast drei von vier 'online-aktiven Christen'" seien "der Ansicht, dass sich die Kirche insgesamt modernisieren muss, wenn sie die Menschen glaubwürdig übers Internet erreichen möchte", fasst evangelisch.de die gestern auf der SZ-Medienseite vorabvermeldete Studie über kirchliche Onlineaktivitäten zusammen. +++

+++ "'Natürlich gefallen uns Frauen auch politische Sendungen, das ist nicht die Frage', sagt Jana Ina Zarrella. Wenn die Kinder abends schlafen, dann würde man sich als Frau aber doch lieber vom Fernseher berieseln und inspirieren lassen. Für die Küche und den Kleiderschrank", schildert der Tagesspiegel das Konzept der "Schwester" des Männersenders Dmax, des in Deutschland neuen Frauensenders TLC. +++

+++ Das papierene "Internet Magazin", dessen "Editor at Large" Thomas Knüwer war, wird eingestellt (kress.de). +++ "Dem Vernehmen nach gab es auch verärgerte Leser, die mit der Umpositionierung zu einem Magazin für die digitale Wirtschaft nicht einverstanden waren (meedia.de). +++

+++ Der neue Chefredakteur der Westdeutschen Zeitung, Ulli Tückmantel, ist "bekennender Katzenfreund" (newsroom.de). +++

+++ "... ... Die Welt: 'Und, bekommen wir Sie bald im 'Playboy' zu sehen?' - Katzenberger: 'Nein!' - 'Warum nicht? Angebote gab es doch bestimmt schon mehrere, oder?' - 'Ja, die haben schon öfter angefragt. Aber vergeblich. Das ist für mich eine Sache des Stolzes: Damals wollten sie mich nicht. Und jetzt kriegen sie mich nicht mehr!'" +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.