Am Ende bleibt keiner unbeschadet

Am Ende bleibt keiner unbeschadet

Kann man dem noch trauen, was schwarz auf weiß auf Youtube steht? Wut wegen Facebook-Einschätzungen. Ein Vorwurf, der sich Thilo Sarrazin eher nicht machen lässt. Bonusmaterial zum Wulff-Filmfilm. Und großes Drama in der faszinierenden Welt der Fernsehprogrammzeitschriften!

"Hier kommt immer mehr die Absurdität einer Welt zum Vorschein, in der jeder jeden bespitzelt und in der man die Integrität von Quellen langsam überhaupt nicht mehr nachvollziehen kann. Am Ende bleibt keiner unbeschadet. Und keiner kann glaubhaft behaupten, er gehöre noch zu 'den Guten'. Das Muster der Überwachung wiederholt sich auf allen Ebenen und jeder empört sich, dass der jeweils andere seine technischen Möglichkeiten und Kapazitäten nutzt – egal auf welcher Seite er steht."

Diese Sätze stehen ziemlich weit unten in der netzpolitik.org-Aufbereitung der Meldung aus der Türkei, die heute auch auf den mittleren Seiten aller Zeitungen auftaucht, der Meldung von womöglich echten Enthüllungen über den Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan bzw. dessen "Telefon-Gate". So nennt es die TAZ unter der allerdings nicht gerade präzisen Unterüberschrift "Ein absurdes YouTube-Video geht um die Welt". Schließlich ist es eigentlich ein Audio, was bei Youtube raufgeladen wurde. Illiustriert ist es zwar auch, aber mit türkischem Text in Schriftform, der jenseits der türkischsprachigen Welt wenig hermacht. Inhaltlich bilanziert TAZ-Korrespondent Jürgen Gottschlich:

"Viele Türken wissen längst nicht mehr, was sie noch glauben sollen. In den Cafés am Bosporus wurde am Dienstag zwar über nichts anderes geredet, doch die Meinungsfindung ist uneindeutig."

Im Netz bzw. den sog. sozialen Netzwerken findet man Meinungen natürlich leichter, wie in der TAZ Deniz Yücels So-lacht-das-Netz-Artikel zurselben Sache belegt. Solchen Meinungen gilt wiederum der Punkt des hier eingangs zitierten Artikels: Da fasst netzpolitik.org die Türkei-News mit einer der jüngeren News aus dem angloamerikanischen News-Komplex der Snowden-Enthüllungen zusammen, der nun von Glenn Greenwald publizierten, insgesamt 50-foligen Präsentation "The Art of Deception: Training for a New Generation of Online Covert Operations". Der entsprechende Greenwald-Artikel dazu auf The Intercept, der vom Ebay-Milliardär Pierre Omidyar finanzierten Plattform (Altpapier), wird in einigen Übertragungen auf deutsch präsentiert, angesichts der "Abstumpfung gegen illegales Ausspähen" (Sascha Lobo, SPON) ebenfalls weiter hinten bzw. unten.

"So werden Menschen vernichtet", lautet die Überschrift auf der FAZ-Medienseite. An Stefan Schulz' Artikel mag befremden, dass er auch in der Onlineversion gar keinen Link zu Greenwalds Veröffentlichungen setzt; besser aufbereitet ist die Sache etwa bei heise.de. Am Kern ändert das natürlich nichts: Der britische Geheimdienst betreibt offenkundig gezielt "die Sabotage der öffentlichen Meinung und die Zerstörung der Reputation Einzelner" (FAZ), also "Rufmord an Personen, die niemals ungesetzlich gehandelt haben, sondern schlichtweg politisch unerwünscht sind" (netzpolitik.org). Was eben dazu führt, dass niemand mehr einschätzen kann, ob solche Audio-Produktionen wie die türkische echt sind oder überhaupt nicht.

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[+++] Umso hübscher, dass Teilnehmer deutscher Streitigkeiten Tugendterror und so etwas nicht etwa mit Mitschnitten von Telefonaten ihrer Gegenspieler belegen wollen, sondern meist auffindbare Medienäußerungen in ihre Meinungsäußerungen hineinsamplen, die oft auch im injustziablen Bereich bleiben und bloß mit Leidenschaft, Wut oder entsprechendem Anschein verbreitet werden.

Wer gerade mit sehr viel Wut in die Tasten haute, oder auf ein Touchscreen-Display, und ein Echtzeit-Feuerwerk der Wirkungstreffer-Redundanz erzeugte ("Noch immer weiß ich nicht, ob Weichert einfach lügt oder nur fürchterlich inkompetent ist. Das heißt: Jetzt weiß ich es"), das in den nächsten GCHQ-Präsentationen auch geehrt zu werden verdiente, falls den Briten Deutschland nicht zu egal ist: Tommy Knüwer. Knüwerkenner wissen, dass mit Weichert natürlich nicht der Hamburger Professor Stephan gemeint ist, sondern Thilo, "der Chef des angeblich unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz in Schleswig-Holstein". Knüwer gefällt Facebook, Thilo nicht.

Neu in der Sarrazin-Debatte: Marvin Oppong hat das neue Buch "mit dem kostenlosen Textmining-Programm AntConc 3.2.4w analysiert" (get.torial.com), also die am häufigsten darin vorkommenden Begriffe gezählt. Die Ergebnisse sind ungefähr so überraschend wie es ein Bayern-München-Sieg am nächsten Spieltag wäre. Dass Sarrazin sich begrifflich außerhalb seiner Filterbubble und der seiner Fankurve bewegte, zählt nicht zu den wichtigeren Vorwürfen, die sich ihm machen ließen.

Und die Matussek-/Niggemeier-Debatten fasst mit der bewährt spitzen Feder TAZ-Kriegsreporterin Silke Burmester zusammen. Außerdem geht's in ihrer heutigen Kolumne aber auch um Interessantes, z.B. "das neue Kinderkulturmagazin 'Aspekte'" sowie die Würde Harald Schmidts, die "mit dem Alter nicht ... kommt, sondern geht", so ihre These.

Stefan Niggemeier muss man also, wie auch Burmester schreibt, dankbar sein, dass er auf die jüngste Verästelung oder -stumpfung der Auseinandersetzung mit Matthias Matussek trotz eines The European-Angebots nicht einstieg. Gebloggt hat Niggemeier, der womoglich gerade sogar überdurchschnittlich friedfertig rüberkommt, darüber, wie die Bild-Zeitung die zeitgeschichtlich berühmte Mailbox-Nachricht des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff an ihren Chefredakteur Kai Diekmann nun "mit einem Mal vollständig veröffentlicht hat". Zuvor hatte sie das ja nur indirekt, über liebe Kollegen von etwas seriöseren Zeitungen getan. Anlass jeweils: der gestern abend ausgestrahlte Sat.1-Film. Wie waren die Quoten? " Für einen solchen Film, über den im Vorfeld so viel berichtet wurde, eine Enttäuschung" (meedia.de). "1,33 Mio 14- bis 49-Jährige" "müssen ... als Erfolg gelten" (kress.de)

[+++] Aber Herzblut, Leidenschaft!? Kein Drama?

Okay, das Bundeskartellamt generiert so etwas bei allen, die sich für die jeweiligen Märkte interessieren. Es ist ja eine Behörde mit recht großen Einflussmöglichkeiten auch auf Medienmärkte und mit zweifellos großer Expertise beim Analysieren der zurückliegender Zeitabschnitt. Dieses Kartellamt hat nun also eine weitere Tranche des großen Springer/ Funke-Geschäfts aus dem letzten Jahr fertig geprüft. Es geht um die Fernsehprogrammzeitschriften. "Jetzt müssen die Verlage weiter nachbessern", meldet der Tagesspiegel nachrichtlich. Noch nüchterner betriebswirtschaftlich beleuchtet die SZ die Lage.

Aber Michael Hanfeld auf der FAZ-Medienseite hat wieder den Furor. Und recht, wenn er schreibt:

"Dabei ist die Betrachtung des Kartellamts nicht falsch - bei den Programmzeitschriften in Deutschland gibt es ein Oligopol mit wenigen Anbietern. Das allerdings wird bald schon keine Rolle mehr spielen oder spielt jetzt schon keine mehr angesichts der Saugkraft der Online-Multis."

Wie die letzten Worte andeuten und arg vereinfachen (schließlich spielen Fernsehzeitschriften auch ohne Online-Multis schon keine großen Rollen mehr), geht es ihm eigentlich um ältere Fehlentscheidungen desselben Amtes in anderer Sache. Am Rande wundert Hanfeld beim insgesamt nicht ganz milliardenschweren Springer-Funke-Geschäft noch "etwas ganz anderes: dass Funke glaubt, dass sich das für den Konzern rechne."

Und da bringt Bülend Ürük das versprochene Drama in die Sache. "Essen in Gefahr" lauten die letzten Worte des vorletzten Satzes in seinem Artikel. Das heißt natürlich nicht, dass Hunger droht, sondern gilt metonym der in der gleichnamigen Stadt ansässige Funke-Mediengruppe. Manfred Braun, einer der kürzlich nicht gegangenen Geschäftsführer, habe sich "massiv verpokert", ja "verzockt". "Ein Trauerspiel". "Niedere Motive" kommen in diesem Drama auch vor, die oben versprochenen "Leidenschaft und Herzblut" immerhin indirekt, d.h., Ürük vermisst sie beim Strohmann bzw. -Verlag, der überdies auftritt.

Am Ende bleibt keiner unbeschadet. Lesen Sie das große inländische Drama dieses Medien-Mittwochs bei newsroom.de!


Altpapierkorb

+++ Deutsche Beobachter mochten Piers Morgan, den nun bei CNN gefeuerten Talker, auch nicht. "Er lud Gäste mit der entgegengesetzten politischen Meinung ein und benutzte sie als reine Pappkameraden. Immer wieder unterbrach er sie, um seine eigenen Ansichten zu verbreiten und sie zum Teil sogar als 'Idioten' zu beschimpfen" (Sebastian Moll, BLZ). "Je aufgeregter Morgan die Waffenlobby angriff, desto mehr fiel auf, dass er ansonsten nie wegen Haltung oder Weltsicht aufgefallen war. Seine Sendung gab keine Orientierung. Wie Morgans Boulevardblätter setzte sie darauf, dass Quote kommt, wenn Promis Geheimnisse verraten", schreibt Nicolas Richter auf der SZ-Medienseite unter der Überschrift "Größer als seine Niederlage ist nur sein Mundwerk" +++

+++ "Hitlers Madonna und die Retter der Raubkunst" heißt die Arte-Doku (um 21.35 Uhr heute) zum Kinofilm "Monuments Men". Sie zeigt, "dass George Clooneys Film ... wenig mit den Tatsachen gemein hat" (Jenni Zylka, TAZ) und "dass die beherzten Aufklärer nur in Hollywood zu finden sind, in der Geschichte aber nur zahllose kleine Rädchen im Getriebe der Enteignung und Zerstörung" (Swantje Karich, FAZ-Medienseite). +++

+++ Lena Bopp hat sich für die FAZ-Medienseite die Lean In-Collection der Fotoagentur Getty Images angesehen: Fotos, "die Frauen bei Aktivitäten zeigen, die ihnen selbst überhaupt nicht ungewöhnlich vorkommen mögen, die aber trotzdem eine selten abgebildete Realität bleiben: Frauen bei der Jagd, Mädchen auf Skateboards, Frauen, die an Laptops sitzen und dabei Kinder auf dem Schoß balancieren, Frauen in Uniformen und bei der Arbeit in leuchtender Schutzbekleidung." Und sie ist nicht so begeistert: Es "fällt doch auf, dass gerade diese Frauen immer sehr sportlich, also fabelhaft aussehen und nie so, wie man sich eine Frau vorstellt, die sich zwischen Job und Familie mühevoll noch eine Stunde Zeit freigeschaufelt hat, um, sagen wir, eine kleine Runde joggen zu gehen. Gerade dies aber wäre, da die Initiatoren schon von Stereotypen sprechen, das Abzubildende, was wir tatsächlich noch nicht oft gesehen haben." +++

+++ Youtube und die GEMA: "Der durchschnittliche Nutzer verstehe die Hinweise so, dass die Gema für die gesperrten Videos zwar Rechte einräumen könnte, dies aber nicht tue. 'Diese Aussage ist aber in dieser Nüchternheit objektiv falsch", urteilten die Richter (Tagesspiegel). +++ Dem Thema galt auch der oben verlinkte Niggemeier-Tweet. +++

+++ BuzzFeed, dieser ohnehin schon oft von Deutschland aus angeklickte "wilde Mix aus bunten Inhalten, Werbung und ernsten Nachrichten" kommt nun also auch mit hierher (SPON). +++

+++ Dem Karikaturisten Burkhard Mohr tut seine oft als antisemitisch empfundene Mark-Zuckerberg-Karikatur leid, er habe bloß die "Krake aus dem Film 'Fluch der Karibik'" im Kopf gehabt (Tagesspiegel). +++

+++ Man "möchte fast meinen, es gibt mehr Narren als Menschen auf der Welt" (Markus Ehrenberg im Tagesspiegel über das ARD-ZDF-Karnevals-Programm). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.