Was man darüber lesen und hören kann, ist ja

Was man darüber lesen und hören kann, ist ja

Die "Brennpunkt"-Frage im Brennpunkt. Die nach einem öffentlich-rechtlichen Nachrichtenkanal eher nicht. Eine Top-Journalistin verlegt ihren Arbeitsmittelpunkt. Eine Top-Politikerin hat abgenommen.

Heute vorn auf der TAZ im beliebten Ticker-Stil mit drei Plus-Zeichen zwischen den Sinnabschnitten:

"Kiew: Sicherheitsdienste beginnen landesweiten 'Anti-Terror-Einsatz' +++ Sotschi: Ukrainische Sportler dürfen nicht Trauerflor tragen +++ Moskau: Putin macht 'Extremisten' für Eskalation verantwortlich +++ Brüssel: EU beruft Sondergipfel ein +++ Gysi: Schröder soll vermitteln +++ Mainz: Deutsches TV sendet Karneval"

Dass am Dienstagabend, als die Lage in Kiew weiter eskalierte und viele Tote zu beklagen waren, das deutsche Fernsehen keine "Brennpunkt"- oder "Spezial"-Sendungen angesetzt hatte, zog "in einigen sozialen Netzwerken" (DPA) schon gewohnten Ärger nach sich. Schließlich hat jeder gelegentliche Zuschauer des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, an dem sich ja ohnehin viel Kritik üben lässt (nicht nur, wenn im Rheinland die Narren toben), Beispiele für als besonders überflüssig empfundene ARD-"Brennpunkte" im Kopf. Es gab also eher putzige Tweet-Wechsel wie diesen des Piraten Daniel Schwerd, aber auch sehr ernste wie die der ukrainischstämmigen Piratin Marina Weisband, die auch die Frage beantworteten, ob es denn hülfe, wenn das ARD-Arztserien- oder ZDF-Karnevals-Publikum mit Sondersendungen überrascht würde.

"Je mehr die Welt auf den #EuroMaidan schaut, desto sicherer ist er. Ihr rettet Menschenleben durch hinsehen.",

twitterte Weisband aus Kiew. Interessant ist auch das SPON-Interview, das sie nach ihrer Rückkehr nach Münster gab und in dem sie nochmals betont, dass ihrer Erfahrung nach Vitali "Klitschkos Rolle ... in Deutschland sehr überschätzt" werde. Das könnte, außer mit Fernsehberichten, mit der Bild-Zeitung zusammenhängen, deren Kolumnist bzw. K.O.lumnist Klitschko ist. Wäre aber ein anderes Thema.

Jedenfalls beteuert ARD-Chefredakteur Thomas Baumann im schon verlinkten, auch vom Tagesspiegel edierten DPA-Text, dass er auch am Dienstag einen "Brennpunkt" "ab spätestens 18 Uhr ... gerechtfertigt" sah und gerne programmiert hätte, das aber sozusagen wegen Verzögerungen im Betriebsablauf nicht ging:

"Im Zuge eines Personalwechsels in Kiew konnte unsere Korrespondentin Golineh Atai erst nach 20 Uhr dort ankommen. Sie sollte den Kollegen Arnim Stauth ablösen, der wiederum für Ina Ruck die Stellung gehalten hatte, die bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi ist. Die angespannte Lage in Kiew selbst hat Frau Atais Ankunft im Stadtzentrum weiter verzögert ..."

Nun haben ARD und ZDF halt statt am Dienstag am gestrigen Mittwochabend "Brennpunkt"- und "Spezial"-Sendungen angesetzt. Den Kern der Aufregung schält meedia.de am Ende seiner von weiteren kleinen Twitter-Battles, etwa zwischen dem Herausgeber der renommierten Illustrierten Stern, Andreas Petzold, und dem ZDF-Hauptstadtkorrespondenten Andreas Kynast, illustrierten Zusammenfassung heraus.

"Dass allerdings auch die Nachrichten und 'Ereignis'-Kanäle der öffentlich-rechtlichen die aktuellen Ereignisse in Kiew weitgehend ignorierten ist schwach. Auf Sendern wie Tagesschau 24 oder Phoenix sollten - theoretisch zumindest - Platz und Möglichkeiten vorhanden sein, auf solche Ereignisse zu reagieren. Phoenix zum Beispiel sendete statt aktueller Ereignisse eine Doku zu den 'Krupps' aus der Konserve", hieß es dort ursprünglich. Die Passage wurde offenbar gelöscht, nachdem ein Hinweis auf eine Phoenix-Sondersendung um 21.50 Uhr eingegangen war. Der Kern bleibt dennoch:

"Am Ende bleibt jedoch nicht zu ersten Mal die Erkenntnis: Für einen echten (!) öffentlich-rechtlichen Nachrichtenkanal wäre das viele Geld aus dem Rundfunkbeitrag wirklich gut angelegt."

Aber die zahlreichen öffentlich-rechtlichen Sender sind eben auf dem Stand eingefroren, auf dem sie zufällig gerade zu dem Zeitpunkt verkrustet waren, als auch den zuständigen Landespolitikern bewusst wurde, dass ihre Gesamtanzahl nun wirklich keinesfalls mehr steigen durfte. So gibt es eine Menge Doku-Info-Kultursender mit jungem Anspruch, auf denen der Fundus der Krupp- und Knopp-Dokus in immer anderer Reihenfolge rotiert. Aber fokussierte Sender mit zum Beispiel aktuellem nachrichtlichen Anspruch gibt es nicht und werden wohl nimmermehr geschaffen. Dazu ist auch der Artikel "Sie möchten lieber nicht" aus der noch aktuellen epd medien-Ausgabe interessant, in dem Diemut Roether aus dem Beispiel des ebenfalls immer wieder aufgeschobenen Jugendsenders folgert:

"Die Medienpolitik wirkt derzeit paralysiert. Zu befürchten steht, dass die Ministerpräsidenten es vorziehen, eine Gebührensenkung im Gegenwert eines Brötchens anzukündigen, statt medienpolitisch zu gestalten. Und diese Lähmung betrifft nicht nur den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, sie betrifft auch die Privatsender, die seit Jahren fordern, die Regulierung an die digitalen Gegebenheiten anzupassen."

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[+++] Topaktuelles Beispiel dafür, dass auch Fernsehsender auf den hinteren Plätzen der Fernbedienung Wirkung erzielen, sogar milliardenschwere: Der Streit zwischen der Deutschen Bank und den Erben des ehemaligen Fernsehimperiums von Leo Kirch wegen des Was-man-darüber-lesen-und-hören-kann,-ist-ja-Interviews, das Rolf Breuer am 3. Februar 2002 Bloomberg TV gab, scheint nun beigelegt. Und zwar für rund 800 Millionen Euro, die die Bank also den Erben zahlen soll. Kann man zumindest lesen, etwa bei sueddeutsche.de, handelsblatt.com u.a..

[+++] Harter Schnitt: Eine Top-Journalistin "verlegt ihren Arbeitsmittelpunkt nach Frankfurt" (fr-online.de). Bascha Mika wird neue Co-Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau, die sie online mit einem auch kompositorisch schönem Foto vorstellt und mit den Worten, sie freue sich "Verantwortung für eine Zeitung übernehmen zu dürfen, deren publizistische Tradition beispielhaft ist" zitiert.

Das ist schön gesagt, schließlich sind Beispiele wertneutral. Man wünscht allen Zeitungen, dass sie vielen Beispielen, die die FR in den letzten Jahren so setzte, auch dem ganz aktuellen mit den "wieder schwarzen Zahlen", nicht zu folgen brauchen.  

Aber auf Mika freuen sich alle. "Sie galt damals", bei der TAZ, "als die am längsten amtierende Chefredakteurin aller überregionalen Zeitungen in Deutschland", arrondiert die Eigentümerin der FR, die FAZ, ihre Meldung. "Mit dieser Neuigkeit dürften Befürchtungen enden, die FR könnte unter dem Neueigner Fazit-Stiftung ihr linkes Profil verlieren", glaubt die SZ (S. 27) und spekuliert munter: "Nötig hat sie den neuen Job beim taz-Konkurrenten FR wohl nicht, aber vielleicht will sie es nochmal allen zeigen."

"Das lässt konzeptionelle Umstellungen bei der Rundschau erwarten", etwa, "dass der Verlag sowohl das journalistische Profil als auch die Marktstellung der Rundschau stärken will", glaubt auch Ulrike Simon in der Berliner Zeitung, deren K.O.lumnistin Kolumnistin Mika noch ist. Vielleicht bleibt sie's auch, denn die FR "ist Kunde der MDS-Redaktionsgemeinschaft in Berlin, von der sie täglich Artikel zu Themen aus Politik, Wirtschaft und Kultur bezieht". Simon weist außerdem auf die Auflage der FR hin, die gar "nicht mehr einzeln ausgewiesen" wird und als sie zuletzt ausgewiesen wurde, bei rund 80.000 verkauften Exemplaren lag.

Mikas Spezis von der TAZ schließlich haben ein authentisch klingendes Zitat vom Spielfeldrand ("Ich freue mich total auf den neuen Job und glaube, dass die FR auf einem guten Weg ist.")

[+++] Noch ein harter Schnitt. Keinerlei Zusammenhang. Gestern hier durchgerutscht eine ebenso glamouröse wie investigative Recherche des Berliner Tagesspiegels, die heute in allen großen Zeitungen wiederkehrt, in der Süddeutschen, in der Bild-Zeitung, in der FAZ: Die ehemalige Weinkönigin und, wer möchte das zum jetzigen Zeitpunkt ausschließen?, vielleicht dereinstige Bundeskanzlerin Julia Klöckner, aktuell jedenfalls stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende, ist "stinksauer", weil die nicht unbedingt renommierte Illustrierte Bunte ihre offensichtlichen Abnehmerfolge in schleichwerbeverdächtiger Weise dem "Abspeckunternehmen" Weight Watchers zuschreibt. "Wie ich abgenommen habe, ist Privatsache", sagte Klöckner dem Tsp., und: "Sollte Weight Watchers noch einmal meinen Namen nutzen, werde ich rechtlich gegen das Unternehmen vorgehen."

Ursula Scheer zitiert auf der FAZ-Medienseite aus einem Gala-Interview "vor wenigen Wochen", zu dem Klöckner "sich mit neuer Silhouette im Designkleid" habe fotografieren lassen; gesprochen habe sie zwar "über Kilos, Currywurst und Karotten", aber nicht von Weight Watchers. Die Bild-Zeitung beharrt wiederum darauf, dass Klöckner ihr "ihr Diätgeheimnis" ("Wenig Kohlenhydrate, viel Obst und Gemüse. Wenig Wein. Viel Sport und Bewegung") verraten habe. Grundsetzlich ungern Abnehmen-Interviews zu geben scheint Klöckner also nicht. Das grundsätzlich immer und überall in diesem Zusammenhang genannte Abspeckunternehmen dürfte ebenfalls zufrieden sein.

Wer unzufrieden ist: die SPD. Scheer zitiert in der FAZ auch noch deren rheinland-pfälzischen Generalsekretär Jens Guth ("Frau Klöckners gespielte Empörung darüber, dass ihr Name im Zusammenhang mit der Firma Weight Watchers genannt wurde, nehmen wir ihr aber irgendwie nicht ab").

Einen "Brennpunkt" braucht es in dieser Sache sicher nicht, einmal "Menschen bei Maischberger" und einmal "Anne Will" dürften reichen. Vielleicht noch ein Untersuchungsausschuss.
 


Altpapierkorb

+++ "Wie Oprah Winfrey, nur witziger" sei Stefan Raab, schreibt David Denk in der TAZ zur 2000. Ausgabe der "seit Jahren weitestgehend unveränderten bunten Tüte aus Fernsehversprechern, Straßenumfragen, Talkgästen und Livemusik", der Pro-Sieben-Show "tv total" als "strategische Meisterleistung". +++ "Das erste Fünftel ist geschafft", zwischenbilanziert Pro Sieben. +++

+++ Heute beginnt in Ägypten der Prozess gegen 20 Al-Dschasira-Journalisten, auch internationale, die "in ihren weißen Angeklagtenanzügen in den Gefangenenkäfig des Gerichtssaales treten" werden. Die Berliner berichtet. +++ "Der jemenitische Blogger Firas Schamsan beispielsweise wurde festgenommen, weil er auf der Kairoer Buchmesse ein Interview führte und einem Passanten die Antworten seines Gesprächspartners nicht passten. Auch er, so der Vorwurf, habe 'falsche Nachrichten' verbreitet", ergänzt Sonja Zekri auf der SZ-Medienseite. +++

+++ "Ein Gouverneur, dessen Polizei in die Kritik gerät, ein Politiker, der mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert wird - sie alle werden sich künftig auf die Verletzung von Persönlichkeitsrechten berufen können. Sicherheitshalber verweist die Regierung zudem auf den Kampf gegen Kinderpornografie - ist dies doch ein Argument, das auch andernorts zieht" (Deniz Yücel in der TAZ über das neue türkische Internetgesetz). +++

+++Der mancherseits gespannt erwartete Bundestagausschuss für digitale Agenda, früher "Ausschuss für Internet und Digitale Agenda", also AIDA, hat sich konstituiert und gibt zu Erwartungen Anlass, nicht nur positiven (netzpolitik.org: "Es geht um das tote ACTA"). +++

+++ "Höchst kompliziert, aber sehr spannend wäre der Fall Kachelmann" zu verfilmen: Anlässlich des am Dienstag zur Ausstrahlung anstehenden Wulff-Films "Der Rücktritt" hat der Tagesspiegel Rechtsanwalt Christian Schertz über verfilmbare Lebens- und Fallgeschichten und die persönlichkeitsrechtlichen Aspekte interviewt. Schertz vertritt u.a. den Anne Frank-Fonds. Um das Frank-Filmprojekt des ZDF geht's ebenfalls. +++

+++ Schon verfilmt, ab Sonntag auf Sendung: "Der Wagner-Clan" im ZDF. "Wagner-Zwerge wüten in Wahnfried", betitelt die FAZ-Medienseite ihre Besprechung. "Fürs ZDF-Fernsehspiel schrecken sie jetzt vor gar nichts mehr zurück. Nicht mal vor Mord", schreibt Christian Wildhagen fernsehkritisch etwas aus dem Mustopf, aber mit unbestreibarer musikwissenschaftlicher Expertise ("Franz Liszts 'Totentanz' eröffnet mit 'Dies irae'-Klängen die großangelegte Familiensaga .... Der Musikkenner ahnt: Jetzt wird es schlimm, um nicht zu sagen: götterdämmerlich"). +++

+++ Wer der Markus-Lanz-Kritik neuen Schwung verleiht: Michael Hanfeld. Auf der FAZ-Medienseite kritisiert er dessen "affektierte Art der Befragung - Sahra Wagenknecht ließ er nicht ausreden, Philipp Rösler verleitete er dazu, sich zum Affen zu machen". +++ Anlass: Was der ZDF-Unterhaltungschef Oliver Fuchs wegen der bevorstehenden "Wetten, dass..?"-Show der DPA sagte. Carsten Raves spannungschürenden Vorabbericht ("Wieder werden die Kritiker jedes Wort des Moderators auf die Waagschale werfen, wieder werden die Experten am Sonntagmorgen die Einschaltquote als Messlatte für den Erfolg oder Misserfolg zugrunde legen. Doch das ZDF macht unbeirrt weiter...") gibt's z.B. beim Hamburger Abendblatt. +++

+++ Das von Zeit-Chefredakteur Givanni di Lorenzo persönlich (co-)geführte Interview mit dem Bertelsmann-Chef Thomas Rabe hat meedia.de sich aufgrund der Vorabmeldung vorab zuschicken lassen und interpretiert es im Hinblick auf Stellenabbau beim Stern. +++

+++ "'Im Hinblick auf die aktuelle Gebührendebatte ist es wichtig zu zeigen: Wir haben drei klar profilierte Sender', sagt Andreas Weber, der Programmdirektor des Deutschlandradios. Was sie bei DRadio Wissen", dem dritten dieser Sender, "aber nicht haben, sind die Hörer, die sie gerne hätten", meint SZ. Den daher vorgenommenen Wandel dieses online verbreiteten Radiosenders beleuchtete kürzlich die BLZ und beleuchtet nun auch der KSTA (anderer Artikel!). +++

+++ "Natürlich wusste man schon vorher, dass Obdachlose und Nicht-Obdachlose in zwei getrennten Welten leben. Aber durch das Posten erfährt man unmittelbar: Die zwei Realitäten finden gleichzeitig statt" (TAZ über den von einer österreichischen Werbeagentur kreiierten Facebook-Auftritt des klarnamentlich nicht genannten Obdachlosen "Vinzi Gast"). +++

+++ Interviews müssen hierzulande gängigen gepflogenheiten nach auch abgenommen werden. Eine jüngere Streitigkeit in diesem Zusammenhang zwischen der TAZ und dem Piraten Christopher Lauer hat horizont.net hübsch zusammengefasst. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.