Was wollen die neuen Fugger?

Was wollen die neuen Fugger?

Medienbeobachter befassen sich heute verstärkt mit der Frage, für welche Art von Journalismus Glenn Greenwalds künftiger Brötchengeber, der Ebay-Gründer Pierre Omidyar, steht. Außerdem: Die taz-Chefredakteurin Ines Pohl redet über Fehler, Johannes B. Kerner macht Herz-OP-Patienten froh, und aus BR-alpha könnte ARD-alpha werden.

Falls man schon mal einen Tipp abgeben möchte, wer auf dem Podium sitzen wird bei den nächsten Medientagen München, deren 2013er-Ausgabe heute zuende geht: Nicht falsch läge man wohl mit dem als Flohmarktanbieter zu Reichtum gekommenen Pierre Omidyar, der gerade das mutmaßlich nächste große, derzeit allerdings noch namenlose Ding des Journalismus plant, wofür er mit Glenn Greenwald den Lionel Messi des investigativen Journalismus verpflichtet hat (siehe Altpapier vom Donnerstag). Einen genaueren Blick auf Omidyar, sein neues Portal, „das nicht nur Enthüllungsjournalismus betreiben, sondern alle möglichen Themen umfassen soll“ (Viola Schenz, SZ, Seite 47) sowie den generellen Trend unter Milliardären, ins Geschäft mit dem Journalismus zu investieren, werfen heute diverse Tageszeitungen. Stefan Schulz schreibt auf der Feuilleton-Aufmacherseite der FAZ:

„Es gehe ihm, so Omidyar, um den Schutz der Demokratie, die bedroht sei, wenn Politiker Journalisten als Terroristen oder deren Unterstützer brandmarkten und Behörden Redaktionen aufsuchten, um die Vernichtung von Daten zu verlangen, und in die legitime, verfassungsrechtlich geschützte Berichterstattung einzugreifen versuchten. Da dieser staatliche Druck nun zusammenfalle mit dem Kollaps der Geschäftsmodelle des Journalismus, sah er sich zum Handeln gezwungen.“

Daran anknüpfend, lässt sich mit taz-Redakteur Jürn Kruse, der sich in seinem Text sowohl mit den Engagements von Omidyar und Co. beschäftigt als auch auf die Medientage eingeht, Folgendes fragen:

„Schaffen es also nur noch die Mäzene, klassischen Journalismus zu erhalten? Wie unabhängig kann ein Journalist noch sein, der von der Laune eines einzelnen Superreichen abhängig ist? Vermeintlicher Altruismus weckt Argwohn.“

Darüber hinaus kann man, und zwar mit Hans Hütt (wiesaussieht.de), fragen: Was wollen „die Fugger des 21. Jahrhunderts und ihre Nachrichtenmacher“? FAZ-Mann Schulz ist jedenfalls skeptisch:

„Die Ideen des institutionellen Journalismus, die sich gerade auflösen, sind in den (...) Beschreibungen Omidyars allerdings kaum wiederzufinden. Ihm gehe es um die Verknüpfung der Bloggermentalität mit der Technikaffinität eines Silicon-Valley-Unternehmens, sagte Omidyar.“

Andererseits:

„Er verbindet mit Journalismus demnach zumindest eine Idee, während Jeff Bezos die Öffentlichkeit über dessen Kauf der Washington Post weiterhin rätseln lässt. Gerüchten nach geht es ihm tatsächlich kaum um mehr als um das Studium des Vertriebsmodells Tageszeitung, das noch immer schneller ist, als der Warenvertrieb.“

Verschwiegen sei auch nicht, dass die Journalistin Adrienne LaFrance, die beim Honolulu Civil Beat, einem anderen investigativjournalistischen Portal Omidyars, gearbeitet hat, im Reuters-Blog The Great Debate Gutes über ihren Ex-Boss Gutes sagt. Zum Beispiel:

„When I worked in Honolulu, he was there most days helping the site’s developers write code – Python and Erlang, for those who are keeping track – occasionally chuckling at our newsroom banter, and always eating healthier than anyone else in the room.“

[+++] Gestern noch schrieb die SZ-Medienressortchefin Claudia Fromme über die Cowboystiefel der bei den Medientagen moderierenden taz-Chefredakteurin Ines Pohl (siehe Altpapier), heute interviewt sie die Stiefelträgerin ausführlich. Es geht unter anderem um die hausinterne Kritik an Pohl und um - wie es vor rund zwei Monaten im Altpapier hieß - das „fulminante Kalkül-Eigentor“,  das der taz unterlief, als sie Philipp Rösler als wenig pressefreiheitsfreundlichen Autorisierungs-Freak bloßzustellen versuchte. Pohl sagt jetzt:

„Als Statement gegen den Autorisierungswahn von Interviews in der Politik ist das völlig danebengegangen. Philipp Rösler hat zwar zu keinem Zeitpunkt gesagt: Hört mal auf, ich will nicht ständig über meine Herkunft reden. Auch wirkt das Interview ganz anders, wenn man die Antworten kennt. Aber in der Umsetzung war das daneben. Hier haben alle Kontrollmechanismen versagt. Und auch wenn ich das Interview in dieser Form erst nach Drucklegung gelesen habe, trage ich natürlich die Verantwortung. So ist das als Chefin einer Redaktion mit sehr flachen Hierarchien. (...) Mutti kann nicht immer reingrätschen.“

Ob Pohl mit „Mutti“ auf eine Nachnamensvetterin aus dem Schauspielergewerbe anspielt, die diesen Beinamen hatte, oder auf eine auch gelegentlich hier und dort reingrätschende Frau aus dem Politikbetrieb, die mit dem Begriff „Mutti“ unzureichend beschrieben ist, weiß man nicht. Wie auch immer: Es fällt auf, dass Pohl zwar die Verantwortung für den Fehler übernimmt, allerdings auch andeutet, dass er anderen hätte auffallen müssen. An einer anderen Stelle des Gesprächs geht es um einen weiteren Fehler, einen Blogbeitrag, in dem Pohl sich zu einem taz-Artikel über Peter Altmaier äußerte (siehe auch stefan-niggemeier.de):

„Dass ich mich öffentlich für die Altmaier-Sache entschuldigt habe, würde ich nicht mehr machen, das haben Kollegen als Demütigung empfunden.“

Dass es nun wieder andere, nämlich die in der Causa Rösler versagenden Kontrolleure, als Demütigung empfinden, was Pohl über die Hintergründe der Abnahme der speziellen Interviewversion sagt, ist nicht völlig auszuschließen.

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[+++] Mehr zu den Münchener Medientagen: Die Gründung einer Verwertungsgesellschaft für Ansprüche aus dem sogenannten Leistungsschutzrecht steht bevor (hat Burdas oberster Jurist laut horizont.net dort erzählt), und Konstantin Neven DuMont macht jetzt was mit Immobilien (taz.de). Unter anderem die Passage „Die Medienbranche ist voll seltsamer Typen. Eine besonders sonderliche Figur gibt allerdings Konstantin Neven DuMont ab“ hat Letzteren zu einer Replik via Twitter inspiriert.

Seinen letzten Auftritt an der Medientage-Front - zumindest als Vorsitzender der FAZ-Geschäftsführung - hatte Tobias Trevisan, der sich zum 1. Januar von diesem Posten verabschiedet. Vielleicht hielt er es deshalb für angebracht, noch einmal auf die Tonne zu hauen und auf einem Podium mit dem Springer-Gesandten Jan-Eric Peters dessen Welt kompakt als Gratiszeitung im weiteren Sinne zu bezeichnen. Es geht um Dumping-Preise bei den Anzeigen und einen grundsätzlichen Streit rund um das Thema Auflagen und Anzeigen,  den FAZ und Welt auch schon vor Gericht ausgetragen haben, wie meedia.de berichtet.

[+++] Dass die FAZ sehr klagefreudig ist, zeigt auch ein Wolfgang-Michal-Text für Carta. Es geht um eine eigentlich sehr absurde Causa:

„Im Juni 2012 begann die FAZ einen exemplarischen Rechtsstreit mit dem Online-Buchhändler buch.de wegen der kostenlosen und offenbar unrechtmäßigen Verwendung von Kritikerzitaten. Dieser Konflikt könnte Auswirkungen auf die gesamte Branche haben. Das Landgericht München hat bereits durchblicken lassen, dass die bisherige Gewohnheit kein Gewohnheitsrecht begründe, sondern schlicht urheberrechtswidrig sei. Künftig müssten sich die Buchverlage von den Presseverlagen das Recht zum Abdruck der Rezensions-Ausschnitte genehmigen lassen – oder darauf verzichten.“

Dieses Vorgehen passt zu der im vergangenen Jahr unter anderem hier aufgegriffenen Strategie, gegen Künstler vorzugehen, die Rezensionen aus der FAZ (also Artikel, die ohne sie, die Künstler. überhaupt nicht möglich gewesen wären) auf ihrer eigenen Website publiziert haben.

[+++] Einen größeren Nährwert als die gesammelte Medientage-Berichterstattung hat das Oktober/November-Heft des Merkur, das unter dem Titel „Wir?“ erscheint und mehrere Medienthemen im weiteren Sinne behandelt. Über die „Konsensillusion“ bzw. die Illusion des „Wir“ in den eigenen Freunde- und Follower-Gemeinden schreibt zum Beispiel Kathrin Passig:

„Trotz der Beschwörung der Filterbubble, die dank homogener Bekanntenkreise alle kontroversen Themen zuverlässig ausschließen soll, ist in den sozialen Netzwerken auf gar nichts Verlass. Egal, wie selbstverständlich eine bestimmte Haltung zu Homoehe, Religion oder Fahrradhelmen einem selbst erscheinen mag, am Rande und sogar inmitten des Bekanntenkreises gibt es immer jemanden, der sie nicht teilt und daraus kein Geheimnis macht. Kaum hat man sich die Vorstellung eines in den wesentlichen Fragen einigen ‚Wir‘ gebildet, da stellt sich bei der nächsten Gelegenheit heraus, dass es sich bei der Hälfte dieses Wir in Wirklichkeit um Die Anderen handelt.“

Ebenfalls im Heft vertreten ist Altpapier-Autor Matthias Dell mit einem Text zur im Medienmainstream dominierenden Haltung gegenüber der DDR, eine Haltung, die Dell aus gegebenem Anlass - eine Moderationsleistung von Hubert Winkels in einer Literatursendung des Deutschlandfunks, in der drei in der DDR sozialisierte Schriftsteller bzw. Journalisten mitwirkten - das „Hubert-Winkels-Wir“ nennt. Dell benennt das „Erstaunen“ darüber,

„dass ein Mensch wie Hubert Winkels, der sich beruflich mit Literatur befasst, sich also professionell mit intellektuellen Fragestellungen und fremden Vorstellungswelten auseinandersetzt, es in den dreiundzwanzig Jahren seit dem Hinzukommen des Ostens zum Westen Deutschlands offenbar nicht geschafft hat, über die gröbsten Bilder von diesem Osten (Tristesse und Überwachung) hinauszukommen“.

Passigs Texts steht frei online, von Dells Beitrag gibt es einen Teaser.


ALTPAPIERKORB

+++ Kommt bald ARD-alpha? Friedemann Greiner, Rundfunkrat beim Bayerischen Rundfunk, erläutert in einem Beitrag für epd medien (derzeit nicht frei online), warum die ARD einen Bildungskanal in ihr Digitalkonzept integrieren sollte. Er befürwortet den ARD-intern diskutierten Vorschlag, den Bildungssender BR-alpha in ARD-alpha umzubenennen - und dieses Programm dann auch verstärkt mit Produktionen anderer ARD-Häuser zu bestücken.

+++ Was macht eigentlich Bernhard Nellesen, der im Hebst 2012 ausgeschiedene SWR-Programmdirektor? Das hat sich nicht der Stern gefragt, sondern die Funkkorrespondenz. Die Antwort: Er betreibt jetzt eine „Consultingfirma für Stiftungsmanagement, Coaching und Kommunikationsberatung“, die unter anderem „Krisen- und Konfliktcoaching vor allem für Führungskräfte und Mandatsträger“ sowie einen „Lektoratsservice“ im Angebot hat. Geilomat!

[+++] Die Berichterstattung über den Protest gegen die Flüchtlingspolitik des Hamburger Senats greift das ortsansässige Blog Mittendrin auf: „Manchmal ist es mit der Kopie einer Agenturmeldung einfach nicht getan. Manchmal lohnt es sich durchaus, am Geschehen teilzunehmen und genau hinzuschauen.“ Was etwa dieser Kollege getan hat. Dass Medien, die bei Texten über Demonstrationen mit der Wahrheit recht freihändig umgehen, sich beim Schreiben über die Flüchtlingsunterstützer gern auf die „Linksautonomen“ konzentrieren  - obwohl zum Beispiel der ARD-Koch Tim Mälzer (siehe einen Beitrag nebenan) und Zehntklässler eine Stadtteilschule mit dem Begriff nicht optimal beschrieben sind -, ist ebenfalls Thema des Blogbeitrags.

+++ Die „Annäherungsschwierigkeiten zwischen AktivistInnen der Netzbewegung und dem linken Milieu“ betrachtet John F. Nebel in einem Artikel, der bisher an drei verschiedenen Orten (bei Carta, analyse & kritik sowie im Metronaut-Blog) erschienen ist.

+++ Dass das Bundeskartellamt den Springer/Funke-Deal vielleicht noch einen Tick schärfer unter die Lupe nimmt, als sich vor einer Woche andeutete (siehe Altpapier), weiß Caspar Busse (SZ, Seite 47), der mit Andreas Mundt, dem Präsident der Kontrollbehörde, gesprochen hat. Letzterer sagt: „Wir werden das intensiv prüfen. Der Fall betrifft eine Vielzahl von Märkten und darunter einige, die man sich aus Wettbewerbssicht sehr genau ansehen muss. Wir werden uns vor allem mit drei Bereichen intensiver befassen müssen: dem Markt für überregionale Anzeigen in Zeitungen, mit verschiedenen regionalen Anzeigenmärkten und den Märkten für Programmzeitschriften.“

+++ Alan Rusbridger, der Chefredakteur des Guardian, rezensiert - allerdings nicht für sein Blatt, sondern für den New Statesman - den Wikileaks-Film „The fifth estate“, der in Deutschland in zwei Wochen startet: „If you’re not a geek, some of this may be a little dry and even hard to follow, but the film has two things at the heart of it which make it work – or did for me.“

+++ „Auch wenn der Film durch fiktionale Details unnötig verunklart wird“, beschreibe er „die Zusammenarbeit des Guardian mit Wikileaks in Bezug auf den Disput zwischen Journalisten und Assange zuteffend“, meint Nick Davies im neuen Freitag bzw. im Guardian. In seinem Text geht es aber nur am Rande um dem Film, hauptsächlich setzt sich Davies mit der Haltung von Journalisten auseinander, die gewissermaße an ihrer eigene Kompetenz zweifeln: „In den vergangenen Tage haben zwei britische Tageszeitungen – die Times und die Mail – behauptet, der Guardian hätte Geheimdienst-Material von Edward Snowden nicht veröffentlichen sollen, weil Journalisten nicht beurteilen könnten, was die nationale Sicherheit gefährdet. (...) Wer sollte in so einem Fall entscheiden? Die offizielle Antwort lautet, wir sollten einfach den Sicherheitsbehörden selbst vertrauen. Ich habe die vergangenen 35 Jahre mit verschiedenen Whistleblowern aus den Reihen dieser Dienste zusammengearbeitet, und sie alle erzählten immer wieder das Gleiche: Sie alle hatten gesehen, wie unter dem Deckmantel der Sicherheitsüberwachung Regeln und Vorschriften in einer Weise gedehnt und gebrochen wurden, die nahelegen, dass man den Behörden eben nicht trauen sollte.“

+++ RTL hat ein Problem mit Haltung, meint Stefan Niggemeier. Er rekapituliert, wie Sonja Zietlow und Daniel Hartwich in Sachen Annahme des Deutschen Comedy-Preis sehr plötzlich genau das Gegenteil von dem vertraten bzw. vertreten mussten, was sie vorher in einer Videobotschaft geäußert hatten.

+++ Eine Drohung aus der Schweiz, wo Waldemar Hartmann mittlerweile lebt, ausgesprochen mit Blick auf die Besetzung der TV-Berichterstatterteams für die WM 2014: „Ich habe zwar seit einigen Monaten einen Rentner-Ausweis, mit dem ich mir hier in der Schweiz sogar einen vergünstigten Senioren-Teller einfordern könnte, aber als ausgemusterter Pensionär möchte ich dann doch nicht abgestempelt werden“ (11freunde.de).

+++ Mehr Fußballerisches: Meine Nachkritik zur einerseits erhellenden, andererseits kontraproduktiven ARD-Doku „Im Griff der Zockermafia“ steht in der Funkkorrespondenz.

+++ Aus dem Häuschen ist Heike Hupertz (FAZ, Seite 43) wegen des Niederbayernkrimis „Paradies 505“. Sie fühlt sich erinnert an „ein Stück von David Lynch oder den Coen-Brüdern“.

+++ Bald im Fernsehen: die MDR-Dokureihe „Make Love“. Die wird gelobt von Anne Hähnig (Die Zeit): „Dabei sieht diese Serie nicht aus wie die Neuerfindung des Doku-Fernsehens. Ist sie auch nicht. Erzählt wird ziemlich klassisch: Ann-Marlene Henning besucht Menschen, um mit ihnen über ihr Liebesleben zu reden. Normale Leute, nicht Swingerclub-Besucher oder Dildoshop-Betreiber. In der ersten Folge berät sie ein Paar, das seit zehn Jahren glücklich miteinander ist – nur kaum noch miteinander schläft. Henning will helfen (...) (Sie) ist der Grund dafür, dass diese Sendung funktioniert. Sie stellt naive Fragen – und bekommt außergewöhnlich intime Antworten.“

+++ Fernsehen gestern: Peer Schader bezeichnet „Die große Zeitreise-Show“ mit JBK (siehe Altpapier) in seiner faz.net-Frühkritik als „Best-of bisheriger Mutlosigkeiten“. Aber: „Durchaus lobend zu erwähnen wäre, dass die hundertminütige Sendung problemlos von Herzpatienten anzusehen gewesen wäre, die sich nach der OP nicht doll aufregen dürfen.“

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.