In Elefantenrunden am besten schweigen

In Elefantenrunden am besten schweigen

Johannes B. Kerners Comeback im ZDF und gleich noch eine Show-Weltpremiere in der ARD. Ines Pohls Cowboystiefel und andere Trends von den Münchener Medientagen. Ein Reich-Ranicki-Moment beim Deutschen Comedy-Preis. Aber auch "poetischer Realismus" (in Köln!).

Der rote Faden, der sich heute durchs Altpapier zieht, ist ein im Medienbusiness ganz wichtiger: Innovation. Falls Sie zu den sympathischen Zeitgenossen gehören, die den Trend der ubiquitären Überironisierung nicht ausschließlich begrüßen: In einem Absatz, diesem, geht es tatsächlich relativ ernsthaft um Innovationen im (deutschen!) Medienbereich. Ansonsten geht's natürlich nicht ohne Ironie.

Heute abend zur sog. besten Sendezeit demonstriert das reichste Fernsehen der Welt, wie das öffentlich-rechtliche deutsche mitunter polemisch, aber nicht zu Unrecht genannt wird, auf das Idealtypischste seine Innovationskraft: mit gleich zwei Show-Weltpremieren! Während im sog. Ersten Matthias Opdenhövel "Die Show der unglaublichen Helden - Das Generationen-Duell" präsentiert (ARD: "Die Generation der über 60-Jährigen ist heute fitter denn je - das stellt ein außergewöhnlicher Wettkampf unter Beweis, der den Puls bei Kandidaten und Publikum höher schlagen lässt..."), nimmt im sog. Zweiten ein guter alter Bekannter "Zuschauer mit auf eine spannende und unterhaltsame Tour durch die Geschichte": Johannes B. Kerner präsentiert "Die große Zeitreise-Show".

Opdenhövel, der ja ohnehin laufend Moderationen in sämtlichen Genres aufführt, ist den Medienseiten heute keiner weiteren Rede wert. Aber Kerner. Der Boulevardisierungs-Pionier, der die quasitägliche Talkshow im öffentlich-rechtlichen Fernsehprogrammschema verankert hat, die ehemalige "Allzweckwaffe des Zweiten Deutschen Fernsehens", die das Privatfernsehen gar nicht mehr auf seine Sender lassen wollte, ist wieder da. Sonja Álvarez vom Tagesspiegel war beim Pressetermin und berichtet: Kerner

"gibt sich bescheiden. Von Demut will der 48-Jährige zwar nicht sprechen, aber doch ist ihm anzumerken, wie flach er den Ball halten will, als er jetzt in Berlin seine neue Sendung vorstellte. Er habe für seine Kinder zuletzt 'Nutella-Brote geschmiert', das sei 'auch nicht schlecht' gewesen..."

Kenner fragen sich natürlich, ob die Marketing-Füchse von Ferrero schon vor Kerners zweitem Frühling den eher mittelständischen Geflügelproduzenten, als dessen Gesicht er in seinem ersten Frühling auch bekannt war (und noch Anfang '12 fungierte), überboten haben. Oder ob das Wort "Nussnougatcreme" einfach acht Zeichen zu lang war und halt ein kürzeres Synonym gebraucht wurde, damit der Artikel überhaupt auf die Zeitungsseite passt. Um fair zu bleiben: Außer als Markenbotschafter war Kerner auch für seine brillanten Kontakte zur Bild-Zeitung bekannt. Wie steht's gegenwärtig damit? Gewohnt gut offenbar: "...Wie steht‘s mit eigenem Geschichtswissen? Kerner: 'Ab 1900 bin ich ganz gut im Stoff. Vorher ist die Luft dünner?...' Dafür könnte die Show ein dicker Erfolg werden!", "berichtet" M. Schacht.

[+++] Der oberste Chef des sympathischen Moderators, Intendant Thomas "Innovationsmotor" Bellut, zählte gestern vormittag zu den prominenten Gästen in der sog. Elefantenrunde der Münchener Medientage, die in den Echtzeit- und weiteren Onlinemedien sowie in den heutigen Zeitungen durchaus das große Hallo auslöste, das bei solch aufwändigen Events erwartet werden muss. Ja, sogar Superlative hagelte es:

"Geht's nur mir so oder erleben wir gerade die ödeste Elefantenrunde seit Bestehen der Medientage?",

twitterte Richard Gutjahr, der als Bayer, Bayerischer Rundfunk-Mitarbeiter sowie Medientage-Referent übermäßiger Unsachlichkeit unverdächtig erscheint. Eine Innovation, die aktuell die Vorreiter unter den Diskussions-Elefanten auszeichnet und dank der insbesondere Bellut geglänzt haben soll,  erwähnt Thomas Lückerath bei dwdl.de lobend - Schweigen:

"Auf dem von 'taz'-Chefredakteurin Ines Pohl durchwachsen moderierten Podium saßen übrigens auch ... Bellut, der BLM-Präsident Siegfried Schneider und Professorin Caja Thimm von der Universität Bonn. Angesichts der verlockenden Gefahr sich ebenfalls bloß in Phrasen zu ergehen, mag es klug gewesen sein, dass sie nicht oft das Wort zu ergriffen. Mancher, angesichts der immer gleichen Diskussionen, entnervte Blick von ZDF-Intendant Bellut sagte ohnehin mehr. Schweigen wird bei Elefantenrunden so zu einer neuen Qualität, für die man dankbar sein muss."

Von der Konsistenz der Medientage zeigte sich Lückerath bei Twitter ebenfalls beeindruckt. Falls Sie sich dennoch für die Diskussionsinhalte interessieren: Christian Meier will für meedia.de, pardon: hier gleich "fünf relevante Themen und Thesen der Münchner Runde herausgefiltert" haben; zumindest die Analyse der Googlerepräsentanten-Rolle sitzt:

"Googles Rolle auf Panels dieser Art ist tatsächlich aufschlussreich: Der Konzern ist überall dabei, die jeweiligen Vertreter reagieren aber in der Regel nur auf Vorwürfe. Als Strukturveränderer, die sie ja tatsächlich sind, lehnen sie sich nicht aus dem Fenster. Motto: Wir sind da, aber sollen doch die anderen so tun, als hätten sie die Kontrolle."

Falls Sie sich noch tiefer für die Diskussionsinhalte interessieren: Hier gibt's die offizielle Diskussionsinhalte-Zusammenfassung auf drei Seiten zum Ausdrucken. Was sonst noch auffiel: erstens, in Christian Buggischs Blog: "das Ausmaß an uninspirierter Aignerscher Phrasendrescherei ('Das Internet hat die Kommunikation verändert')" - Hintergrundinfo: Ilse Aigner ist nunmehr auch bayerische Medienministerin; zweitens Ines Pohls Style, der die SZ-Medienseitenchefin Claudia Fromme zu folgendem Erzählbogen inspirierte (S. 25: "Auf die Frage, wie er Filme angeht, sagte Clint Eastwood vor sehr vielen Jahren: 'Ich reite in eine Stadt, der Rest ergibt sich.' Erprobte Teilnehmer sogenannter Elefantenrunden sagen, dass diese Maxime die einzig mögliche sei, um Podien zu überstehen, vor allem solche, die was mit Medien zu tun haben. ... Die Elefantenrunde ... ist deshalb einen Besuch wert, weil es neben den Thesenabspulern immer auch die auf dem Podium gibt, die den Sekundenschlaf der Besucher mit spontanen Eingaben unterbrechen. Diesmal gab es einige, was vielleicht auch mit Ines Pohl zusammenhing, der taz-Chefredakteurin, die erstmals die Runde moderierte, in Cowboystiefeln, was gut zu Eastwood passt.").

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Um fair zu bleiben: Die Vielfalt der Qualitätszeitungen bringt aber auch zwei Berichte hervor, die die Elefantenrunde ernsthaft interessant fanden und mit den großen Augen, die Journalisten ja auch brauchen, schildern, wie "Ilse Aigner in ihrer Begrüßungsrede aufhorchen" ließ, Verleger Dirk Ippen "Lacher erntete" und gar ein "Raunen im Münchner Messesaal" zu hören gewesen sei (Jörg Seewald im Tagesspiegel, der überdies Pohl den guten Rat gibt, bitte so lustig wie einst Helmut Markwort zu werden), bzw. wie "durchaus überraschende Einsichten" formuliert wurden (Martin Gropp auf der FAZ-Medienseite). Dort wird Ippen, ohnehin der Zitatekönig der Elefantenrunde (kress.de), auch mit "Wir müssen in den Ozean des Internets einen Leuchtturm der Orientierung setzen" zitiert.

[+++] Eine Branche, die "Neuerung nur durchs Mauseloch zulässt", kam indes in der Kölner Mehrzweckhalle Coloneum zusammen. Alles, was zur Verleihung des Deutschen Comedy-Preises zu sagen ist, bei der Elefanten wie Til Schweiger, Mario Barth und Cindy aus Marzahn Leuchttürme der Orientierung setzten, steht in den Worten Hans Hoffs auf der SZ-Medienseite, z.B.:

"Ganz schlimm wurde es aber, als Thomas Heinze einen Ehrenpreis an Tom Gerhardt übergab und in seiner Laudatio zweimal Loriot als Bezugsgröße für den ewigen Prollkomiker anführte. Geht's noch? Dass Carolin Kebekus nach vier Jahren endlich Cindy aus Marzahn als beste Komikerin ablösen durfte, musste da schon als Lichtblick durchgehen..."

Leider steht der Artikel zurzeit nicht frei online. Bloß bierernste Agentur-Zusammenfassungen (BLZ/ DPA) sind zu haben. Was der Veranstaltung womöglich ein wenig Brisanz verlieh: "ein echter Reich-Ranicki-Moment" (Tagesspiegel), nämlich die mutmaßliche zwischenzeitliche Ablehnung eines der Preise durch Sonja Zietlow und Daniel Hartwich. Stefan Niggemeier ist in seinem Blog der Meinung, die Dschungelcamp-Moderatoren hätten "eigentlich Haltung bewiesen", oder sogar "Anstand" (Überschrift), Uwe Mantel bei dwdl.de der, sie hätten halt "auch diesmal auf die Autoren hören sollen".

[+++] Wieauchimmer, als Leuchtturm des schlechten Fernsehens steht Köln im mitteleuropäischen Medien-Ozean unerschütterlich. Ganz Köln? Nein, Ende September im Museum Ludwig trafen sich Vorkämpfer einer im Verborgenen und manchmal im Nachtprogramm des sog. Kultursenders 3sat blühenden Parallelgesellschaft, der des ambitionierten Dokumentarfilms, zum Symposium "Reclaim Television". Es wurde über Dinge wie "poetischen Realismus", "nicht klassisch narrative" Filme, "unformatierte Formate" sowie einen wiederum von Niggemeier publik gemachten Aufreger diskutiert. Altpapier-Autor René Martens gelangt für die Funkkorrespondenz zum Resümee,

"dass es in den öffentlich-rechtlichen Sendern unter Redakteuren zwischen Mitte 30 und Anfang 40 eine Gegenbewegung zu den älteren Führungskräften gibt, die ängstlich, müde oder zynisch geworden sind. Jenseits von den in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommenen dokumentarischen Formaten ... gibt es eine Art neue alte Schule, also Programmmacher, die die klassischen Stärken des Dokumentarfilms mit frischen Elementen zu kombinieren wissen: Redakteure, die sich im weiteren Sinne als Kuratoren oder Leiter einer Autorenwerkstatt verstehen und den Filmemachern wieder Freiheiten einräumen, die einst selbstverständlich waren... Ob jene, die jetzt neue Impulse setzen, mittelfristig im Kampf gegen den Apparat bestehen können oder ob sie dann doch zermürbt werden - das ist aber nochmal eine andere Frage."

[+++] Wenn wir bei den ganz hehren Werten sind: Wie gestern im Altpapierkorb gestreift, hört NSA-Skandal-Enthüller Glenn Greenwald beim Guardian auf. Warum, geht nun als bunte Fortsetzungs-Meldung durch die Medienmedien: Das unablehnbare Angebot, dessen Details noch nicht bekannt sind, kam von Pierre Omidyar, "dem Gründer und Verwaltungsratschef des Internetmarktes Ebay" (Süddeutsche):

"Das Magazin 'Forbes' schätzt den Besitz des Ebay-Erfinders auf 8,5 Milliarden Dollar, mit seinem Vermögen finanziert der iranische Amerikaner aus Frankreich unter anderem einen 'Demokratie-Fonds' sowie die investigative Nachrichtenseite Honolulu Civil Beat."

Für die SZ berichtet übrigens  Peter Burghardt aus Buenos Aires, wohl weil ja auch Greenwald in Südamerika lebt, und erwähnt zumindest Greenwalds letzte Guardian-Kolumne, in der, vermeintlich aus anderen Gründen, vom "sickly state of establishment journalism" die Rede war. Dass Omidyar, der "in Honolulu lebende gebürtige Franzosen mit iranischen Eltern", seitdem er mit dem Ebay-Börsengang Milliarden verdiente, "als Philanthrop gilt", fügt die FAZ hinzu. Gibt es schon jemanden, der es zumindest etwas obskur findet, wenn sich ein Star-Enthüllungsjournalist eines renommierten Digital-Mediums von einem philantropischen Internetmilliardär einkaufen lässt?

Zumindest den Säzzer von der TAZ, der Ralf Sotschecks ziemlich neutraler Zusammenfassung des allgemeinen Wissensstandes die Überschrift "3 …, 2 …, 1 … Meins!" verpasst hat.


Altpapierkorb

+++ Dass "das Ruhrgebiet... publizistisch weiter versteppt und es ohne eine gemeinsame Zeitung noch schwerer hat, sich als Region zu verstehen und aufzutreten", merkt die FAZ knapp zur jüngsten WAZ-Entwicklung (siehe Altpapier gestern) an. +++

+++ "Eigentlich wollte er Schauspieler werden, es gab auch ein paar kleine TV-Rollen, und in New York, wo die Familie ein Apartment hat, tritt er immer wieder in Off-Theatern auf. Schauspieler ist er geblieben, bei Gesprächen greift er sich an Stirn oder Brust, packt einen am Arm, springt auf, wandert redend und gestikulierend auf und ab. Seine Ambition hat er ins akustische Darstellen gesteckt, ins Sprechen": große letzte Worte in Viola Schenz' großem SZ-Medienseiten-Porträt zum 70. Geburtstag von Christian Brückner - dem De Niro-Synchronsprecher, der zweifellos mehr Respekt verdienen würde, wenn er nicht auch das "Dauer-Off in Guido Knopps Geschichts-TV" wäre. +++

+++ Außerdem blätterte die SZ in die Zeitschrift namens The Berlin State of Mind hinein, eine internationale Publikation des Zeit-Magazins: "Auf 260 Seiten zeigt die Redaktion, was Iggy Pop Ende der Siebziger in der Hauptstadt trieb und präsentiert den Herbst-Chic an Zwillingsschwestern, die sich im brandenburgischen Wald räkeln. Dazu eine Auswahl aus den wöchentlichen Serien des Magazins und übersetzte Texte. Hier gerät der Deutschlandfokus dann etwas zu stark: Anke Engelke, Frauenquote und - damit der Leser mit der Anfangsphase des Zeit-Magazins vertraut wird - eine kurze Geschichtsstunde zu Willy Brandts Kniefall, der RAF und Franz Beckenbauer..." Wo es das Heft zu kaufen gibt: "an den besten Adressen in Metropolen wie Paris, Mailand, New York, Shanghai, Amsterdam und London", aber auch "in ausgewählten Läden in Deutschland, die internationale Kunden haben" (Zeit-Verlag). +++

+++ "Die Besessenheit, mit der Fleischhauer Mutmaßungen über die Befindlichkeiten von Zeit-Redakteuren anstellt", erzürnt Jens Jessen aus dem Zeit-Feuilleton bei zeit.de. +++ Wo übrigens (ich suchte eigentlich, vergebens, nach einem The Berlin State of Mind-Internetauftritt) man gerade "300 Euro sparen" kann: beim Erwerb des "Träumenden Weibes", einer "limitierten Bronzeskulptur nach Ernst Barlach" (einer von dessen Nachfahren Zeit-Leser ja gerade als Antagonist vieler Suhrkampverlags-Berichte entertaint...). +++

+++ Zurück zu den Innovationen: "einen Meilenstein in der Bewegtbildforschung" hat die Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung nach eigenen Angaben "auf den Weg gebracht": "Das Ziel ist, die Sehgewohnheiten der Online-Panelisten ebenso untersuchen zu können, wie das beim Fernsehen schon seit vielen Jahren möglich ist. Also beispielsweise angeben zu können, ob ein Format üblicherweise vom Anfang bis zum Ende genutzt wird, ob eine Chartshow von jungen Frauen auch mehrfach angesehen wird oder wie lange das entscheidende Tor eines Fußballspiels nach Spielende noch attraktiv ist", erläutert die AGF-Vorsitzende Karin Hollerbach-Zenz der FAZ, die heute auf der Medienseite neutral über die Zukunft der Einschaltquotenforschung berichtet.  +++

+++ Ein interessantes huffingtonpost.de-Abenteuer hat die Reisebloggerin Inka Chall erlebt und aufgeschrieben (blickgewinkelt.blogspot.co.at). +++

+++ Von bemerkswerten Bewegungen im kubanischen Mediensystem, "die Partei fordert, dass Journalisten kritischer über Missstände im Land berichten", berichtet die TAZ. +++

+++ Zurück auf die FAZ-Medienseite: Jörg Michael Seewald zeigt sich dort ganz begeistert von "Brain Games", einer (auch in Deutschland zu sehenden) Show des National Geographic Channel sowie des venezolanischen Moderators Jason Silva ("eine Art Ranga Yogeshwar auf der Überholspur"). Man würde sich nicht wundern, wenn einige innovative Elemente des Formats bald Shows von Johannes B. Kerner und Matthias Opdenhövel bereichern. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.