Merkellächeln

Merkellächeln

Eine neue Kanzlerinkette in den digitalen Medien, Kritik an der King-of-Kotelett- sowie Brüderle-losen Elefantenrunde und schon wieder (Grünen-Berichte-halber) an der TAZ. Wer nicht gewählt hat, wird Wirt, und weiterer medialer Widerschein der Bundestagswahl.

Am Montag nach der Wahl, an dem die Echtzeit die sonstigen Zeiten noch ein wenig mehr pulverisiert hat, bestimmen natürlich das „Merkel-Gefühl“ (TAZ) bzw. das „Merkel-Republik“-Gefühl (SPON) die Medienlage. Die wohl tazzigste Überschrift zur Wahl hat mit „Jetzt muss nur noch Merkel wählen“ ausnahmsweise der Berliner Tagesspiegel. Die rätselhafteste allerdings auch, falls in der Zeile „Und am Ende regiert FDP CDU“ nicht einfach Blindtext stehen blieb. Dazu nahezu überall das relativ unglaubliche Merkellächeln im Bild...

Schließlich, wenn die CDU auch sonst keine Netzpolitik betreibt - dass die Bundeskanzlerin die Halskette, die sie zum ersten Bejubeltwerden trug, in Unkenntnis des im deutschen Netz vorhergegangenen Schlandketten-Diskurses, also ohne weitere Debatten anstoßen zu wollen, angelegt hat, ist auszuschließen. Die Kette war, wie etwa dieses auch emotional authentisch wirkende Foto aus der „Berliner Runde“ belegt, außer schwarz auch ein wenig grün.

Nicht nur „das Netz“ sprang natürlich tatsächlich drauf an (vgl. nur z.B. Hans Sarpei bei Twitter, die notorische So-lacht-das-Netz-Schau von sueddeutsche.de). Überdies schickte Thommy Gottschalk am Abend eine diesbezügliche E-Mail („Die neue Halskette der Kanzlerin macht mir Hoffnung“) an seinen RTL-Showkumpanen Günther Jauch, der gerade seine ARD-Talkshow abhielt. Wer annimmt, Jauch ließe sich so eine Gelegenheit entgehen, hat trotz allem immer noch ein zu positives Bild dieses Entertainers (vgl. z.B. diese Jauchshow-Kritik bei rp-online.de oder auch meine - allerdings ausführliche - Fernsehabend-Schau bei handelsblatt.com).

Ebenfalls eine ausführliche Fernsehabend-Umschau eines vierköpfigen Autorenteams (Michael Hanfeld inklusive) hat faz.net. Wer die vor den Kameras für den Wahlabend häufig postulierte historische Qualität zumindest am Fernsehabend selbst erkannt hat: Ruth Schneeberger (sueddeutsche.de): „Womöglich ist auch die Objektivität des Fernsehjournalismus Geschichte“, schreibt sie. Das richtet sich allerdings vor allem gegen noch überdurchschnittlich regierungsparteienfreundliche Vor-Wahltag-Shows der ZDF-Celebrities Marietta Slomka und Markus Lanz.

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Dem Wahlabend-Fernsehen selbst „hätte ein bisschen mehr 'King of Kotelett' … gut getan“, schreibt Sonja Álvarez bei tagesspiegel.de mit Bezug auf die „Berliner Runde“, an der der bislang notorische Rainer Brüderle Wahlergebnis-halber nicht teilnehmen durfte. In der überdurchschnittlich langweiligen Sendung legten die öffentlich-rechtlichen Chefredakteure Thomas Baumann und Peter Frey zwar Brender-hafte Zupackendheit beim Fragenstellen an den Tag, bloß standen ihnen keine interessanteren Fragen zur Verfügung, als mit wem die Kanzlerin denn künftig koalieren wolle und ob die Pkw-Maut nun kommt. Und das mit der Halskette war ausgerechnet ihnen, die als einzige vielleicht eine halbwegs nichtdumme Anmerkung dazu hätten loswerden können, auch entgangen.

[+++] Auch sonst ranken sich diese und jene Geschichten mit medialem Bezug um den Wahlkampf und sein Ergebnis. Der Spiegel kurzinterviewt auf seiner Medien-Meldungsseite erstens Klaas Heufer-Umlauf zu Peer Steinbrücks Auftritt in seiner Pro-Sieben-Show. Heufer-Umlauf vollbringt das Kunststück, diese sowohl mit einem amerikanischen Vorbild als auch mit einer öffentlich-rechtlichen Sendung zu vergleichen:

„Wenn US-Politiker bei Jon Stewart zu Gast sind, ist das meiste Comedy, aber er fragt sie eben auch nach Tagespolitik. Die Zuschauer sind doch in der Lage zu unterscheiden, ob ein Politiker einen Witz macht oder eine seriöse politische Aussage. Die Grenzen verschwimmen ohnehin. Den Stinkefinger hat Steinbrück schließlich im Magazin der 'Süddeutschen Zeitung' gezeigt, und die letzte Jauch-Sendung vor der Wahl war ja auch eher 'Circus Halligalli', oder?“

Ihn „halten viele für das größte Talent unter den jungen Fernsehmoderatoren. Weil er lustig und ernst sein kann. Jetzt macht er auch noch Musik“, lautete dazu passend übrigens der Vorspann zur FAS-Medienseitenstory am Sonntag (was, wie angesichts verschwimmender Grenzen dazu gesagt werden muss, natürlich Heufer-Umlauf, nicht Steinbrück galt). Zurück auf die Spiegel-Medien-Meldungsseite, auf der es außer lustig auch ernst zugeht:

Der Parteienforscher Franz Walter wehrt sich gegen TAZ-seitige Vorwürfe an ihn wegen seines TAZ-Artikels zu Jürgen Trittins 1980er-Jahre-Verantwortlichkeit (Altpapier vom Donnerstag) vehement. Walter schreibe in einer E-Mail, so der Spiegel,

„dass die 'Passage zu Trittin' erst durch das Redigat in der taz 'stärker gemacht' worden sei. 'Ich verstehe das, aber jemand von der taz sollte es nicht im Nachgang mir vorwerfen.' Im ursprünglichen Text, den Walter an die taz schickte, geht es um Trittin nur in einem Satz. Erst die Redaktion habe dann Details aus dem Belegmaterial beschrieben. Ihm sei es immer 'um Kontext und nicht um Anprangern' gegangen, so Walter. 'Das Anprangern hat erst eine andere Zunft gemacht.'“

Ob nun vielleicht wieder die FAS auch Walters Artikel im sog. „Author's Cut“ bringt, oder die SZ (der gegenüber FAZ-Medienseitenchef Hanfeld am Samstag „das Versehen“ bedauern musste, in seinem diesbezüglichen Artikel vom Freitag geschrieben zu haben, der „neueste Walter-Report“ sei „auch der Süddeutschen angeboten worden“; dieser Artikel, um den es auch im Freitags-Altpapier ging, steht inzwischen korrigiert frei online) – noch unklar. Jedenfalls dürfte auch dieser Kleinkrieg, der zum schlechten Abschneiden der Grünen ja tatsächlich beigetragen haben könnte und dann gar nicht klein wäre, noch weitergehen.

[+++] Rasch ein Blick auf die „Wahl-BILD“ vom Samstag, die allen Haushalten, die sich nicht gewehrt hatten, am Samstag in die Briefkästen gestopft wurde. Denen, die sich gewehrt haben, zeigt bildblog.de die „Prost Wahlzeit“-Titelseite, die immerhin mit einer Mütze voller Wortwitze („Auf einem Kreuz kann man nicht stehen!“, „Wer nicht wählt, wird Wirt“...) eventuelle Vorurteile, die Bild-Zeitung sei keine schlicht dumme Zeitung, eindrucksvoll widerlegt hat. „Gut abgehangen“ nennt sogar horizont.net die Scherze, das sich als Werber-Medium ja keineswegs große Springer-Skepsis gestatten darf.

Wer sich mit seinem Showkumpanen Nikolaus Blome in Form eines durchaus sehenswerten gespielten Witzes an der in der Sache natürlich ehrenwerte Kampagne übrigens auch beteiligt hat: Freitag-Chef Jakob Augstein (bild.de-/ Phoenix-Video).

[+++] Einen human touch-Aspekt des Wahlergebnisses hat dann noch Bülend Ürük zutage gefördert:

„Die historische Niederlage der FDP bei der Bundestagswahl führt auch dazu, dass ein früherer Top-Medienmanager nicht nach Berlin darf.“

Bernd Buchholz, der ehemalige Gruner+Jahr-Chef, der eine Bundestags-Laufbahn anstrebte, „scheint trotz der dramatischen Niederlage der FDP … keinen Rückzug aus der Politik zu planen“, heißt es bei newsroom.de.


Altpapierkorb

+++ Wer außer Angela Merkel gerade auch gewonnen hat: „Breaking Bad“, und zwar immerhin einen - wichtigen - Emmy (SPON, KSTA/ DPA). +++

+++ Wer offenbar eine neue RTL-Show bekommt: der schon erwähnte Thommy Gottschalk. „Der Entertainer soll eine Show moderieren, in der Prominente Einblick in ihre Plattensammlung gewähren. Das Ganze sei so etwas wie eine individuelle 'Chartshow', sagt einer, der das Konzept der Sendung kennt“, macht Kai-Hinrich Renner im Hamburger Abendblatt gespannt (siehe abendblatt.de; eventuell muss die Titelzeile gegooglet werden, oder Tagesspiegel). +++

+++ Berichtet Renner noch im Abendblatt? Noch, ja, ab Oktober dann im Handelsblatt. Was sich sonst bei der bekanntlich bis auf Weiteres zwischen Springer-Verlag und Ex-WAZ-Funke-Gruppe schwebenden Hamburger Regionalzeitung tut, hat Altpapier-Autor René Martens unter der Überschrift „Die Entdeckung der Kampfeslust“ für die TAZ aufgeschrieben. +++ Und noch ein interessanter Redaktionsbesuch wurde für die TAZ absolviert . bei einer unter unter überregionale Wahrnehmungsschwellen gerutschten Traditionszeitung. „Klitzeklein mit Haltung“ nennt Daniel Bouhs die neue Frankfurter Rundschau. +++ Zu dem Thema weiter lesenswert: Michael Ridders Text „Heimat-Illusion“ in epd medien kürzlich. +++

+++ Hopsala, nun möchte tatsächlich noch jemand die größte medienpolitische Errungenschaft der auslaufenden Bundesregierung, das Leistungsschutzrecht, wahrnehmen: die VG Wort (PDF). „Ob große Aggregatoren wie Google News ein solches Angebot“, wie die VG ihnen unterbreiten will, „in Anspruch nehmen werden, bleibt abzuwarten. Ich halte es allerdings für naheliegender, dass Google die Inhalte derjenigen Verlage, die die VG WORT mit der Rechtewahrnehmung beauftragen, schlicht nicht mehr anzeigen wird“, schreibt Thomas Stadler u.a. bei Carta dazu. +++

Hauptthema der SZ-Medienseite 33: der „erbitterte Streit“ „um den letzten Rest des analogen Fernsehens“. Karoline Meta Beisel führt in die auch nicht unkomplexe Fragestellung ein, ob süddeutsche Kabelnetzbetreiber norddeutsche Dritte Programme verbreiten müssen.+++

+++ Auf die schöne Antwort, die der Blogger Kai Petermann auf das bekannte Angebot der deutschen Huffington Post, dort künftig gratis für Reichweite zu bloggen, gesendet hat („Ich gebe Ihren Vorschlag gerne an meinen Vermieter, den Lebensmittelhändler, den Tankwart und die Telekom weiter. Vielleicht kann ich dort in Zukunft auch ohne Bezahlung alle nötigen Dinge bekommen. Sollte das klappen, werde ich mich gerne bei Ihnen melden und dann können wir auch bestimmt super zusammenarbeiten“, siehe lead-digital.de) machte die FAS-Medienseite aufmerksam. Übrigens ist Petermanns Blog stilsucht.de via brash.de schon mit dem deutschen Huffington-Partner Burda verbunden. +++ Wo man ebenfalls gratis online schreiben kann, sollen künftig mehr Frauen als, wie bisher, nur zehn Prozent schreiben: in der Wikipedia (Tagesspiegel). +++

+++ Wo die Grüne Claudia Roth noch einen mitbekommt: Im Zehn-Jahre-Dummy-Rückblick der TAZ. „Dummy, das ist mal Juden, Jugend, Scheiße, Revolution oder Atom“, schreibt Svenja Bednarczyk, und die aktuelle Ausgabe führe Roth „unter dem Titel 'Türkei' vor: 'Ich liebe die Menschen in der Türkei. Und ich liebe die Konflikte in der Türkei, es gibt immer wieder Probleme, immer wieder Konflikte.'“ +++

+++ Für den Tsp. hat Joachim Huber ein etwas mühsames Gespräch mit dem in einer europäisch-amerikanischen Sat.1-Serie mitspielenden US-Schauspieler William Fichtner geführt. +++ Und im Rahmen einer Fernsehfilmkritik informiert Suzanne Forsström ebd., dass Rolf Lassgård und Hannelore Hoger, nachdem sie nun schon drei Filme gemeinsam gedreht haben (der jüngste läuft heute im ZDF), inzwischen gute Freunde geworden seien. +++

+++ Außerdem weiterhin viele Reich-Ranicki-Nachrufe: fünf Seiten im FAS-Feuilleton sowie der aktuelle Spiegel-Titel gelten ihm. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Dienstag.