Das Comeback des Jahres?

Das Comeback des Jahres?

Christian Wulff ist wieder in den Medien - beinahe das erste Mal, dass ein ehemaliges deutsches Staatsoberhaupt vor Gericht muss! - und sorgt bereits für schöne Meinungsvielfalt. Für die aktuellen (bitteren) Spiegel-Schlagzeilen sorgt "Spiegel TV". Außerdem: Fans interviewen "Breaking Bad"-Autor Vince Gilligan.

Beim alt-ehrwürdigen Hamburger Magazin, dessen spitzenpersonelle Verwicklungen in all den letzten Tagen die Nische wieder derart in Atem zu schlagen verstanden, herrscht die gestern angekündigte Verschnaufpause bis zur für heute angesetzten Informationsveranstaltung der Mitarbeiter-KG. Insofern verschnauft auch die Berichterstattung - abgesehen von der TAZ-Kriegsreportage in der Nachhut. Dort zerstreut Silke Burmester eventuelle Befürchtungen, sie könnte befangen sein, bloß weil Spiegel Online einen Teil ihres keineswegs geringen Kolumnenoutputs abnimmt, kraftvoll ("Der Machtkampf im Haus nimmt syrische Züge an und es wäre nicht verwunderlich, wenn der designierte Chefredakteur Wolfgang Büchner seinen Posten nicht anträte. Wofür die sogenannte Medienkrise Jahre braucht - ... - schaffen die dort Beschäftigten in drei Tagen").

Wer in die Lücke stößt, die das Topthema Spiegel in den Medienmedien frei machte: Spiegel-TV, die Fernsehstieftochter desselben Verlags. Ulrike Simon erzählt in der Berliner Zeitung die bittere Geschichte der Berliner Spiegel-TV-Dependance, und zwar als zum nächsten Jahresende abgeschlossene Geschichte: Sie, also die Firma

"hatte einst in Berlin einen starken Standort und beschäftigte um die 80 Mitarbeiter. Damals hatte das Tochterunternehmen des Hamburger Verlags große Pläne, hielt sich mit XXP sogar einen eigenen TV-Sender"

usw.. Ausgerechnet der Umzug aus der Kreuzberger Peripherie "an den ungleich repräsentativeren Pariser Platz", den vor dem bekannten Brandenburger Tor, bedeutete bereits quasi einen Abstieg. Die Berliner "Spiegel TV"-Firma verlor Aufträge, gerade wieder einen:

"Den Ausschlag für die Schließung gab nach Angaben von Geschäftsführer Dirk Pommer die Ausschreibung der Deutschen Welle für die Sendung 'Quadriga', die Spiegel TV an den Konkurrenten Cine plus verloren hat."

Für jüngere Mitbürger: XXP war sozusagen der Vorgänger des Männersenders Dmax, allerdings ziemlich unbekannt. Dass ein zumindest im Inland so unscheinbarer Sender wie die Deutsche Welle solch einen historischen Ausschlag gab, ist ebenfalls bitter. Doch könnte es, entgegen der Behauptung des genannten Managers, die Situation "stabilisiere sich nun", auch noch bitterer kommen, schreibt Simon: Sollten gerichtliche "Klagen ..., die Konkurrenzunternehmen gegen die ständige Vergabe der so genannten Drittsendezeiten bei Sat.1 und RTL an dctp und Spiegel TV eingereicht haben", Erfolg haben, dann "dürften weitere der aktuell noch rund 120 Beschäftigten gehen müssen". Diese Drittsendezeiten und ihre Vergaben stellen ja eine der kaum in verständliche Worte zu fassenden unendlichen Geschichten des deutschen Mediensystems dar...

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[+++] Das Stichwort Klage leitet flockig über in die sonstige Presse, in der nämlich eine frisch am Landgericht Hannover zugelassene Anklage breit kommentiert wird. Der bevorstehende Prozess gegen Christian Wulff ist (noch) nicht (wieder) unbedingt ein Medienmedien-Thema, die Einschätzungen dazu bieten schon schönste Meinungsvielfalt:

"Für die Staatsanwaltschaft ist die teilweise Zulassung ihrer Anklage eine Art Rehabilitierung", Wulff hatte "wahrscheinlich ... gehofft, dass die Anklage nicht zugelassen wird", und "vermutlich kommt bald Wulffs Wende", und zwar dahingehend, dass er lieber doch noch durch Zahlung einer Geldauflage den Prozess abwendet, meint etwa Christian Rath in der TAZ.

"Der noch recht junge Altbundespräsident ... zeigt jetzt womöglich Charakterzüge, die er im Amt vermissen ließ" (Reinhard Müller, launig, auch nicht ganz unkryptisch in der FAZ). "Wulff erhält vor Gericht nun die Gelegenheit, sich vom Täter zum Opfer zu wandeln" (Ralf Wiegand dto. in der SZ). Was die kommentierenden Journalisten jedenfalls unbedingt rüberbringen wollen:

"Der Mythologisierung von Wulff als Opfer einer Hetzjagd gilt es daher vorzubeugen. Es waren nicht die Medien, die ihn final aus dem Amt gedrängt haben, es war der staatsanwaltliche Beschluss, ihm ein Ermittlungsverfahren anzuhängen" (Jost Müller-Neuhof, vorn auf dem Tagesspiegel).

Beziehungsweise, anders herum betrachtet (Alexander Dill beim weniger print-basierten, aber in Hannover ansässigen Telepolis):

"Der nun nicht mehr unwahrscheinliche Freispruch für Wulff könnte nicht nur für die Staatsanwaltschaft Hannover, sondern auch für Bild und Spiegel sowie alle, die Wulff der Korruption und Lüge bezichtigten, eine bittere Lektion bieten. Entsprechend klein werden die Meldungen ausfallen, wenn der Prozess, der angeblich bis 2014 dauert, beendet wird."

"Aber ebenso egal, wie es ausgeht: Das politische Urteil über den Bundespräsidenten Christian Wulff wird Bestand haben."

Letzteres eben so kraftvoll wie sicher formulierte Urteil entstammt nun der Bild-Zeitung (die auch, wenn man so möchte: investigativ aktuell wieder ganz vorn dabei ist, und zwar indem sie aus dem Facebook-Account des mit Wulff befreundeten Filmproduzenten David Groenewold zitiert...). Den Kommentar unter der zugkräftigen Überschrift "Wulff will’s wissen" hat der aktuell auch aus anderen Zusammenhängen bekannte Nikolaus Blome verfasst.

Und da zumindest hat Dill bei Telepolis einen Punkt: Beim teilweise enorm wütenden gemeinschaftlichen Anschreiben von Starjournalisten gegen den seinerzeit zweifellos tölpelhaft handelnden Bundespräsidenten begann die Umarmung der in der Sache investigativ besonders aktiven Bild-Zeitung durch sog. Qualitätzszeitungen und das Verwischen eventueller Unterschiede. Auch angesehenste Redakteure angesehenster Blätter freuten sich, wenn sie Brocken Wulff'schen Originaltons von Kai Diekmanns Mailbox zugetragen bekamen und exklusiv (weil die Bild-Zeitung, die ja nicht dumm ist, sich mitunter zurückhielt) zitieren durften. Und nur wenige hatten noch besseren Zugang zu Diekmanns Mailbox als Nikolaus Blome, der vor allem dadurch jenen Nimbus aufbaute, der ihn vielleicht ja sogar doch noch zum angesehenen Spiegel führen wird.

Das heißt, der Wulff/ Groenewold-Prozess, bei dem schon jetzt alle Arten von Einschätzungen zu haben sind (ob das, was vor Gericht geht, nun ein Erfolg für Staatsanwälte ist oder gerade gar nicht; ob Wulff fast schon gewonnen hat oder sich wieder total verpokert...), wird eben doch einer sein, in dem es mittelbar auch um eine der jüngsten größeren investigativen Eigenleistungen der print-basierten deutschen Medienlandschaft geht.

[+++] "Es ist das erste Mal, dass sich in Deutschland ein früheres Staatsoberhaupt vor Gericht verantworten soll": Dieser ebenfalls starke, freilich nicht richtige Satz zog in diesem Jahr in den Bewegungsformen, in denen sich Meldungen derzeit multipel verbreiten, große Runden:

"So steht es bei 'Spiegel Online', der Deutschen Welle, der 'Welt', beim Deutschlandradio Wissen und an vielen weiteren Stellen. Die Formulierung stammt von der Nachrichtenagentur AFP, die sie am Freitag um 11.08 Uhr verwendet hatte",

notierte, im immer noch selben Kontext, aber schon im April das Bildblog, verbesserte dann das daran grob Falsche in netter Form (so, dass interessierte Portale aus sonstigen auch schon mal angeklagten Staatsoberhäuptern eine Klickgalerie gestalten könnten..) und riet:

"Wenn man als Journalist unbedingt so einen spektakulär klingenden Satz mit der Formulierung 'das erste Mal' verwenden will, sollte man vielleicht vorher die Fakten prüfen."

Aktuell hinzuzufügen wäre, dass dennoch der Satz "Dennoch muss sich nun erstmals ein ehemaliges deutsches Staatsoberhaupt vor Gericht behaupten" auch gestern abend im Bericht der Qualitätsnachrichtensendung "heute-journal" (Video, bei 8:48 Minuten) zu hören war.

Dass deren Moderator gestern, Claus Kleber (der den Satz gar nicht sprach, er fiel nur im Bericht), ja beinahe einmal Chefredakteur des renommierten Spiegel geworden war, muss ja nicht wiederaufgewärmt werden.
 


Altpapierkorb

+++ Großer Name unter Anhängern der Kunstform Fernsehserie:  Vince Gilligan, Autor von "Breaking Bad". Gerade war er in Berlin. "Eine Einladung zu einer Podiumsdiskussion. Gähn. Über Wirtschaft und Moral. Gähn. Mit Vince Gilligan. Wach! ... Der Auftritt ist laut Veranstalter sein einziger in Deutschland - und das im Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)...": Im Anschluss an diese packende Einleitung berichtet Jürn Kruse in der TAZ von dem Auftritt, der seine hohen Erwartungen allerdings nicht erfüllte, vor allem wohl wegen des Fantums der Interviewer. +++ Statt Fans beim Gilligan-Interviewen zuzuhören, haben von Joachim Huber und Sebastian Leber vom Tagesspiegel Gilligan halt selbst interviewt. Ihr Fan-Interview (Gilligan: "Im vergangenen Jahr konnte ich oft nicht schlafen, weil mich die Frage umtrieb, ob unser Finale gut genug sein würde." - Tsp.-Interviewer: "Und?" - Gilligan: "Ich denke, es ist gut geworden") rasch mal durchzulesen, schadet nicht. +++

+++ Der Seehofer-Horst, und was er über WDR-"Monitor"-Reporter sagte, was der WDR dazu sagt und Michael Konken von der Journalistengewerkschaft DJV - eine Umschau bei tagesspiegel.de (Konken reagierte nur "scharf", "empört" dagegen die FDP!). Wer den Cocktail der allererwartbarsten Reaktionen wirklich lesen will, sollte es im Namen der Pressevielfalt beim Original-Urheber tun: der Mainpost ("Medien aus ganz Deutschland haben die Berichterstattung der Main-Post über eine Äußerung Horst Seehofers aufgegriffen..."). Einen Kommentar hat sie auch im Angebot. +++ "Eine Auswahl von zehn Journalisten-Beschimpfungen", bietet meedia.de. +++ Die TAZ remixt dazu eine Auswahl an Bayernwitzen. +++

+++ Das ARD-Fernsehwahlkampf-Format "Überzeugt uns!" überzeugte im Süddeutschen koanen, weder Hannah Beitzer in der sueddeutsche.de-TV-Kritik, noch  Detlef Esslinger, der heute für die Medienseite drüber schreibt: "... Wer aktive Politiker einer Kamera (oder auch nur dem Tonbandgerät eines Zeitungsredakteurs) aussetzt, wird immer erleben, dass diese Politiker in den Kampfmodus schalten, erst recht vier Wochen vor der Wahl - egal ob die Kamera bei Jauch, auf der Alm oder in einem Kesselhaus aufgebaut ist." +++ Aber Peer Schader, der für die BLZ drüber schrieb, mochte es ("... Online-Profi Richard Gutjahr transferierte die Reaktionen aus den sozialen Netzwerken in die Live-Sendung und stellte den Politgästen knackige Zuschauerfragen im 'Speed-Dating', Claudia Roth zum Beispiel: 'Woher kommen ihre flippigen Klamotten – doch nicht etwa aus Bangladesch?'...") +++

+++ Außerdem auf der SZ-Medienseite: ein lesenswerter, derzeit nicht frei online verfügbarer Bericht von  Ronen Steinke, der ein sächsisches Urteil in einem Prozess gegen die VFF (Verwertungsgesellschaft der Film- und Fernsehproduzenten) mit anderen, laufenden Prozessen gegen Verwertungsgesellschaften (GEMA, VG Wort) kurzschließt. +++ Und, rar!, eine große Buchbesprechung zum "Essayband 'The Revolution Was Televised' des amerikanischen TV-Kritikers Alan Sepinwall, der im Oktober unter dem Titel 'Die Revolution war im Fernsehen' in deutscher Übersetzung bei Luxbooks erscheint", um Fernsehserien-Fantum kreist und offenkundig eine Menge Anekdoten enthält. +++

+++ "Befürchten Sie nicht, das Publikum könnte zu viel von Ihnen bekommen?" - "Ich möchte den Leuten jedenfalls nicht auf den Keks gehen und mein Gesicht nicht verbrennen. Es ist schließlich das einzige, das ich habe." Da versuchen Inka! Bause, die ab dem Start ihrer ZDF-Talkshow eine der multipelsten Fernseh-Celebrities sein wird, und FAZ-Interviewer Jörg Michael Seewald ins Gespräch zu kommen. +++ Außerdem geht's auf der FAZ-Medienseite um die Servus TV-Fernsehübertragung der Salzburger Festspiele-Eröffnung. +++ Und um deutsche Sitcoms, sowohl die von RTL ("Vor allem bei 'Sekretärinnen' nehmen die Witze einen derart langen Anlauf, dass man bis zur Pointe kaum durchhält") als auch um Markus Staenders crowdgefundeten Ludwigsburger Filmakademie-Anlauf "Allein unter Irren". Es berichtet Peer Schader. +++ Und ein Glösschen über Apps-Tippfehler gibt es, das auf Twitter schon angekündigt war, aber eher nicht zu Michael Hanfelds 500 gelungensten Glossen zählt. +++

+++ "Er ist ein Kleinod im üblichen Einerlei von Ehegefährdungsgeschichten, die sonst auf dem Schirm zu sehen sind" (Heike Hupertz, FAZ über "Du bist dran", heute in der ARD). +++ "Der grandios besetzte Film ist ein echtes bürgerliches Trauerspiel" (TAZ). +++ "Großartig" (Tsp.). +++"Es ist naturgemäß gar nicht so leicht, auf fesselnde Weise vom Alltag zu erzählen", gelinge in Sylke Enders’ Film aber "ganz wunderbar" (Tilmann P. Gangloff, hier nebenan). +++

+++ Gut informiert über die weit rumgekommene bunte Geschichte über die fahrradfahrende Familie, deren Bilder zur Werbung für die FDP, die NDP und dänischen Quark verwendet wurden, wird man von den Original-Entdeckern auf fdp-npd-quark.de. +++

+++ Zum globalen Querschnittsthema NSA, Überwachung usw.: Sascha Lobo informiert bei SPON über die Redensart von der roten Linie - nicht wg. Syrienkrieg, sondern weil auch der weniger bekannte Bundesregierungs-Menschenrechtsbeauftragte Markus Löning sie kürzlich verwendete, und zwar auf "doppelt entlarvende" Weise. +++ Und wie sehr Google Teil von "Prism" ist ("Aus einem nicht vollständig geschwärzten Dokument geht hervor, dass Google von Geheimdiensten zur Herausgabe von Daten verpflichtet wurde und weder darüber, noch über das gerichtliche Vorgehen gegen die Schweigepflicht, reden darf...."), steht bei futurezone.at. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.