Die Wumms-Flut

Die Wumms-Flut

Kann der Spiegel, wenn Nikolaus Blome von der Bild-Zeitung kommt, noch bleiben, was er irgendwann mal gewesen ist? Außerdem: Meinungen zum Urteil gegen Bradley Manning; Guardian-Journalisten in deutschen Interviews; mal eine gute Nachricht von einem auf internationalen Flughäfen Verfolgten.
 
Schon wieder platzte gestern in die echtzeitgetriebenen und doch hoffentlich langfristigen Prozesse, im laufenden Wandel valide Positionen zum Umgang mit Daten, Medien, dem Journalismus usw. zu bestimmen, eine jener News hinein, die halt als Salz die tägliche Mediensuppe verfeinern, dieses Mal eine saftige Personalie.

Unmittelbar im Anschluss an die Meldung von der Berufung der Bild-Zeitungs-Führungskraft Nikolaus Blome zum stellvertretenden Chefredakteur des Spiegels und Spiegel Onlines ging eine feine Satire des Tagesspiegels ("Irrer Qualitäts-Wahnsinn! ... Achtung Diktatoren! Das Sturmgeschütz der Demokratie wurde durchgeladen") aus dem April dieses Jahres, als zuletzt ein neuer Haupt-Chef für den Spiegel gesucht wurde, wieder durchs Netz, weil sie genau das prophezeit hatte. Die Autorschaft schreibt turi2.de Ulrike Simon zu. Versteht sich außerdem, dass auch in Klaus Raabs tags zuvor erschienenem Altpapier der ultimativen Spiegel-Chef-Kandidaten Blome mit dabei war.

Frische Satiren spendet das stets lachende Netz ebenfalls, z.B. bei nachdenkseiten.de ("Nun ist der langjährige Transformationsprozess des ehemaligen Nachrichtenmagazins zur 'Bild am Montag' endlich abgeschlossen..."). Sie reflektieren die Diskussionen, die in vielen Redaktionsstuben und Freiberufler-Cafés nun um die Frage kreisen, ob die Spiegel-Medien denn noch etwas grundsätzlich völlig anderes als die Bild-Zeitungs-Medien sind und seit wann nicht mehr (wobei sich in letzteren Halbsatz bereits eine Meinung dazu eingeschlichen hat). Jedenfalls, "eine solche Karriereleiter ist schon bemerkenswert und wäre in früheren Zeiten nicht denkbar gewesen", dichtet Michael Hanfeld knapp für die FAZ-Medien.

Analytisch den Vogel ab schießt, durchaus überraschend, die TAZ:

"Die Entscheider scheinen jegliche Berührungsängste vor dem Boulevard endgültig verloren zu haben. Fragt sich eigentlich niemand mehr, wofür Personen wie Blome stehen?",

fragt Jürn Kruse auf der Meinungsseite und zählt dann Institutionen von unterschiedlichen Seiten des Mediengeschäfts auf, die für unterschiedliche Chefposten Bild-Zeitungs-Personal angeheuert haben: Siemens (Industriekonzern), Twitter (sog. soziales Medium), Focus (Zeitschrift mit Onlineauftritt). Und Kai Diekmann, immer noch Haupt-Chefredakteur des Blattes, verströmt, gern ja ebenfalls via Twitter,

"Stolz darauf, dass seine Leute die deutsche Kommunikationslandschaft überfluten".

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Blome-Büchner-Spiegel-Geraune im Schnelldurchlauf (für flüchtige Medienmediennutzer: Wolfgang Büchner ist der zwar längst bestimmte, doch weiterhin noch künftige Haupt-Chefredakteur des Spiegel): In der Redaktionskonferenz gestern sagte Blome "schlicht, dass man ein solches Angebot nicht ablehnen könne" (hat sich Kruse für seine TAZ-Meldung erzählen lassen). +++ Konstantin von Hammerstein, der noch aktuelle Leiter des Berliner Spiegel-Büros, das Blome ebenfalls übernehmen wird, "wird in den Autoren-Status befördert. Von Hammerstein wird Ideen-, ja  Ratlosigkeit ... vorgeworfen" (Tagesspiegel). +++ Da Blome "zudem im Fernsehen Bella Figura macht und von 'Spiegel'-Gesellschafter Jakob Augstein, mit dem er eine gemeinsame Talkshow hat,  geschätzt wird, konnte ihn sich mancher als neuen Leiter des Hauptstadtbüros des Nachrichtenmagazins vorstellen" (sueddeutsche.de). +++ Blome "bringt .... von der Bild Erfahrung in Sachen Exklusivnachrichten mit, und detaillierte Kenntnis über die Zusammenführung von Print- und  Online-Journalisten in eine integrierte Redaktion." Ja, ist sogar "ein profilierter Autor, Träger des Theodor-Wolff-Preises" (Johannes Boie, Süddeutsche, S. 25). +++ "Spannender Personal-Coup" (dwdl.de) +++ "Konservatives Aushängeschild", "Grummeln in der 'Spiegel'-Redaktion" (turi2.de). +++ "Ein Kulturbruch, finden viele. ... Der neue Chef Wolfgang  Büchner aber weiß: Es wird kein Preis für die netteste Medienmarke vergeben. Vier Botschaften, die sich aus der Blome-Personalie ableiten lassen...".  "...doch verspricht sich Büchner offenbar mehr Drive, mehr Härte, mehr Wumms" (meedia.de, das auch glaubt, dass die Mitarbeiter KG des Magazins, der bekanntlich der halbe Verlag gehört, "offenbar nicht über den Wechsel informiert war"). +++ "Wer ein wenig in der Medienbranche vernetzt ist, wusste seit Montag zumindest so ungefähr Bescheid" (der in Medienbranche wohl vernetzteste Medienjournalist Kai-Hinrich Renner, noch in der Welt) +++ Tenor der meisten Meldungen: "Man darf gespannt sein", sicher auch darauf, wohin der Wumms noch führen wird, wenn Büchner, Blome und ihre Spezis erst einmal Blatt machen, und Online. Wenn viele Entscheider in den Medienmedien oft solche spannenden Storys über den Spiegel und seine Macher lesen, dann buchen sie vielleicht auch Werbung dort, und alles wird gut.

[+++] Auch spannend gestern, so spannend, dass es sich livetickern ließ (theguardian.com): die Dauer der Gefängnisstrafe für Bradley Manning, der via Wilieaks so einiges in die Weltöffentlichkeit gebracht hat, das länger bleiben wird als das allermeiste, was sonst in der Mediensuppe schwimmt. "Bradley Manning Uncovered U.S. Torture, Abuse, Soldiers Laughing As They Killed Innocent Civilians", erinnert huffingtonpostcom.

"Mit dem am Mittwoch verkündeten Strafmaß von 35 Jahren Haft ist eine US-Militärrichterin zwar hinter der Forderung der Anklage zurückgeblieben. Dennoch wird Manning viele Jahre im Gefängnis verbringen" (reporter-ohne-grenzen.de). "Es mag für ihn angesichts des harten Urteils ein schwacher Trost sein, aber wenn er gesund bleibt, wird Bradley Manning seine Geschichte erzählen können" (Johannes Kuhn, sueddeutsche.de, mit Bezug auf Bewährungsregeln). "Nein, die USA sind keine Diktatur. Aber in der Frage der Deckelung von im Staatsdienst begangenen Verbrechen verhalten sie sich, als wären sie eine. Leider, das hat zumindest die bisherige Geschichte gezeigt, kommen sie damit gut durch..." (Bernd Pickert, vorn auf der TAZ). Ein auch aus Sicht der amerikanischen Staatsmachtselbst verhängnisvolles Signal sieht wiederum die Süddeutsche (Nicolas Richters Print-Meinungsseiten-Kommentar):

"Es steht nicht fest, dass die Taktik der Einschüchterung aufgeht, auf die Barack Obamas Regierung setzt. Diese Härte könnte Nachahmer erst recht in dem Gefühl bestärken, dass der einzige Weg zu umfassender öffentlicher Aufklärung mit Straftaten gepflastert ist."

[+++] Gestern hier im Altpapier das Topthema: der bereits erwähnte Guardian und Fragen wie die, warum die so angesehene britische Presse so verhalten bis gar nicht auf die geheimdienstlich verfügte Festplattenzerstörung im Guardian-Keller reagiert, und warum Guardian-Chef Alan Rusbridger diese so verzögert öffentlich gemacht hat. Auch dazu gibt es üppige Anschlussberichterstattung der deutschen Presse. Zum Beispiel hat sie solche Fragen an Leute vom Guardian selbst gerichtet. Ralf Sotscheck von der TAZ kurzinterviewte den "für Geheimdienste und Sicherheitsfragen" zuständigen Redakteur Richard Norton-Taylor, der erstere recht einleuchtend beantwortet ("Man wollte die Regierung nicht durch einen Bericht über die Aktion provozieren, denn sie hätte juristisch reagieren können. Dann hätten wir das Material aushändigen müssen, und der Richter hätte wohl eine einstweilige Verfügung verhängt. Wir hätten dann bis zum Prozess nicht mehr über die Spähaktion berichten dürfen.").

Länger das Interview der Londoner FAZ-Korrespondentin Gina Thomas mit Rusbridger selbst, der trotz zupackender Fragen die gewohnte, wie sagt man... Bella Figura macht:

"Wir berichten einfach weiter. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand in Amerika gegen den 'Guardian' vorgehen wird. Der  amerikanische Justizminister hat gesagt, er werde nicht gegen Journalisten vorgehen, die Journalismus betrieben. Ich will nicht selbstgefällig sein, aber es beruhigt mich mehr, aus Amerika zu berichten, als aus dem Vereinigten Königreich."

Zur Ehrenrettung der sonstigen britischen Presse gehört, dass sie in Form des Independent doch aktiv wurde und den amtierenden Premierminister in unmittelbaren Zusammenhang mit der Aktion gegen den Guardian bringt. Eine Eindeutschung der Vorwürfe gibt's z.B. bei faz.net. Heute kommentiert die FAZ gar (S. 8), ohne David Cameron mit Namen zu nennen, mit anglophilem Understatement, aber bemerkenswert spitz: "Fast könnte man meinen, da habe ein Politiker, der schon in der Causa Murdoch große Probleme mit den Medien hatte, die Nerven verloren. Das  wäre dann kein Ausweis großer Staatskunst".

Auch zu diesem Themenkomplex ein Schnelldurchlauf. Falls Sie den aktuellen Superlativ übersichtlich aufbereitet haben wollen: "Die NSA überwacht sämtlichen Internet-Verkehr, der über amerikanisches Gebiet geht" (netzpolitik.org unter Berufung aufs amerikanische Wall Street Journal). +++ Falls Sie bestätigt haben wollen, dass auch deutsche Dienste leisten, was sie können, und fleißig sind: "Deutsche Behörden identifizieren alle fünf Sekunden einen Anschlussinhaber" (ebd.). +++ Falls Ihnen der Sinn nach einem allgemeinerem, aber kämpferischen Stückchen zur "Guardian-Affäre" steht: Eins von Thomas Stadler ist bei Carta zu haben. +++ Besonders kämpferisch und inzwischen bekanntlich auch persönlich betroffen: Glenn Greenwald. Ihn hat zu den aktuellen Vorgängen zeit.de interviewt ("Die wussten, dass das Zerstören von Festplatten nichts ausrichtet, aber das wahre Ziel war Einschüchterung. Und im Fall Davids sagen sie: Wir mussten das tun, um an die Dateien heranzukommen. Aber das hätte sie neun Minuten gekostet, nicht neun Stunden! Sie haben ihn neun Stunden lang dort behalten, weil es in Wirklichkeit um Einschüchterung ging"). Wie steht Greenwald eigentlich zu Online/ Zeitungs-Fragen? Auf die Frage "Wann werden Sie die nächsten Informationen aus den Unterlagen von Edward Snowden veröffentlichen?" antwortet er: "Bald. Wir haben eine Reihe von Dingen fast fertig zum Abdruck." +++

Und falls Sie gern eine gute Nachricht aus der Welt der schwer durchschaubaren, gewiss oft auch schmutzigen internationalen Beziehungen und der Flughäfen, die für leibhaftige Menschen halt die Schnittstellen zwischen den Staaten bilden, lesen möchten - die TAZ hat eine:

"Mit dem Nachtflug der Lufthansa aus Tiflis flog Dodojon Atovulloev in die Freiheit nach München. Wie so oft in den letzen 20 Jahren ist der  tadschikische Exiljournalist und Oppositionelle mit knapper Not aus dem zentralasiatischen Heimatland an der afghanischen Grenze entkommen",

und das, weil Georgien "sich als Rechtsstaat erwiesen, und Deutschland ... sich für einen Flüchtling eingesetzt" habe.


Altpapierkorb

+++ Nachtrag um 11.20 Uhr wg. des "Auf dein Glaubwürdigkeitsprädikat kann ich verzichten"/ "Arschloch-Polemik auf 'Bild'Niveau"/ "Hopp, geh mit Fefe spielen!"-Wumms: ein  eindrucksvolles Storify von Marcus Anhäuser darüber, "Wie die 'Jungen Wilden' den Journalismus neu verhandeln", und zwar auf Twitter. Es verhandeln Martin Giesler, Tilo Jung u.a. wie etwa Mario Sixtus. +++

+++ Neues vom prominenten Autovermieter mit der geschmacklosen Werbung und seiner Battle gegen die Haushaltsgebühren. "Das börsennotierte Unternehmen sieht durch die Mitteilung" des Bayerischen Rundfunks, die auch gestern hier verlinkt war, "unzulässigerweise Firmeninterna veröffentlicht" (TAZ/ DPA). +++ "Der BR verliere die  Nerven und würde mit falschen Darstellungen 'schlicht und ergreifend lügen'", zitiert die FAZ (S. 13) Erich Sixt gar von der Halbjahreszahlen-Verkündung. +++

+++ Kräftig los geht die Fernsehsaison. "RTL versucht, mit überdrehten Frauen die deutsche Fiction zu retten" und startet gleich drei Serien, für die es "alles in allem... zu loben" sei (Markus Ehrenberg, Tagesspiegel). +++ Heike Hupertz in der FAZ ist besonders von "Christine" angetan, meint aber, dass die "zwei anderen neuen RTL-Serien... sich auch sehen lassen können". +++ Claudia Tieschky porträtiert "Christine"-Hauptdarstellerin Diana Amft in der SZ als "Komödiantin, bei der nicht nur die Locken nach oben wollen". +++

+++ Meanwhile auf Sat.1.: die amerikanisch-französisch-deutsche Serienkoproduktion "Crossing Lines". "Die Produktion bietet sorgfältig gebautes Serienfernsehen mit achtbarer Ensemble-Inszenierung und  vorzeigbarer Schauspielkunst. Selten nur wird bei den Fahndern in die Falle nationaler Klischees getappt" (Joachim Huber, Tagesspiegel). +++ "Es dauert nur fünf Minuten bis zum ersten peinlichen Anschluss- oder Schnittfehler: Die verkrüppelte Hand des einstigen FBI-Ermittlers Carl Hickman (William Fichtner) war bis dahin die rechte, dann ist es plötzlich die linke, dann wieder die rechte..." (Michael Hanfeld, FAZ-Medienseite). +++

+++ Zum am Freitag wieder bevorstehenden "TV Lab" des ZDF-Nebenkanals Neo gestattet sich die SZ-Medienseite schon mal zwei Verrisse: "Niemand hat die Absicht, einen Flughafen zu eröffnen", eine Satire der (wie die SZ nicht schreibt) Ufa, "misslingt gründlich". Und Michel Friedmans neues "Justiz-Dokutainment" "will lehrreich sein, bleibt aber banal". +++

+++ Seit zwölf Jahren die erste fremdsprachige Produktion, die BBC Two mit englischen Untertiteln zeigen will: UMUV (dwdl.de). +++

+++ "In der Musik gibt es das häufiger, dass ein Künstler den ganz großen Wurf landet und dann zeitlebens damit verbunden wird. So bleibt Paul McCartney immer ein Beatle, und die Rolling Stones spielen stets ihrer großen  Zeit bis 1972 hinterher. Ein bisschen ähnlich verhält es sich mit dem Wirken von Jörg Pleva..." Den es sicher freuen würde, dass er nicht nur mit Agentur-ähnlichen Nachrufen (heute in der FAZ: "Pleva spielte den Showkandidaten Bernhard Lotz", im jahrzehntealten Fernsehfilm "Das Millionenspiel", "mit einer Eindringlichkeit, die denjenigen, die den Film  gesehen haben, präsent bleibt") bedacht wird, sondern auch einem etwas individuelleren in der SZ von Hans Hoff. +++

"Hat das Land wirklich Lust auf eine Sendefolge, die rund um die Uhr nur aus fein abgemessenen Nachrichten  und gewissenhaft recherchierten Reportagen besteht? Es wäre ein Trend, der alle derzeitigen Strömungen mit  einem Schlag außer Kraft setzte", schreibt Jordan Mejias (FAZ, S. 27) zum Programmstart von Al Jazeera America alias AJAM. +++

+++ Wer Lust auf die Zeitungszukunftsdebatte hat, deren Ergebnis ja noch aussteht, kann bei Carta Daniel Bröckerhoffs recht individuellen Kleinkrieg um dieselbe nachvollziehen. +++ "Der Leser liest keine Texte, sondern Überschriften". Und wenn er denn mal Texte liest, kann da auch etwas ganz anderes drinstehen als die Überschriften erwarten lassen, z.B. der ebenfalls bedenkenswerte Satz "Die vierte Gewalt selbst sitzt in einer Falle: Sie lebt von Inhalten, deren Produktion sie durch ihr schnelllebiges Verwerten konterkariert" (Timo Stein, cicero.de). Überschriftenmäßig hätte man eine Besprechung zu Peer Steinbrücks Auftritt bei RTL erwartet... +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.