Onlinejournalismus ist wie Olivenöl

Onlinejournalismus ist wie Olivenöl

Schon gedruckt: alles zu Michalis Pantelouris' Ausstieg. Wo die frustriertesten Menschen arbeiten. Wo Weiber nicht mehr um reiche alte Männer hüpfen. Wo das Niveau erschreckend niedrig ist.

"Wenn man glücklich sein will, muss man an das Produkt glauben, das man herstellt."

Ein Satz wie gemeißelt zum Beispiel für die noch laufende Zeitungszukunftsdebatte namens #tag2020 (mehr dazu unten), aber auch für viele andere Lebenssituationen. Auf Titelseiten von Illustrierten wie GQ oder zumindest Emotion könnte er (falls nicht zu lang) einen Kaufanreiz darstellen. Wer ihn heute sagt bzw. kürzlich im Rahmen eines Interviews, das heute auf der TAZ -Medienseite steht, sagte: Michalis Pantelouris, der in der Medienmediensphäre vor allem durch seinen Blog print-wuergt.de, in anderen Filterbubbles aber auch durch anderes bekannte Journalist. Kürzlich erregte er in dieser Bubble durch seinen Ausstieg in die Olivenölbranche Aufsehen (Altpapierkorb, ganz unten). Heute also hat mit der TAZ bereits eine Papierzeitung die "Wie kommt's?"-Geschichte dazu. Das ist flott.

Ausstieg in die Olivenölbranche, Ausstieg in die Olivenölbranche... Älteren Medienbeobachtern fällt da natürlich die traurige Geschichte von Michael Knopf ein, der in den Nuller Jahre etwa für die Medienseite der Süddeutschen gearbeitet hatte, in der damaligen Zeitungskrise bald darauf in die Olivenölbranche wechselte, aber leider nicht alt wurde. Inzwischen wird auch in den Kommentaren unter Pantelouris' Ausstiegsankündigung "Lieber Journalismus, wir müssen reden" an diese Geschichte erinnert.

Das heutige Pantelouris-Interview hat die umtriebige freie Journalistin Anne Haeming geführt. Sie stellte auch die richtige Fragen, um das journalistische Talent ihres Gegenübers zu kitzeln. Er kann einfach erzählen:

"Der Artefakt-Chef sagte, er sei in Hamburg, wolle sich treffen. Als wir uns sahen, hatte ich eine neue Interviewreihe im Kopf und wollte ihn dabeihaben, ich sagte: Ich habe da mal eine Frage. Da sagte er: Nee, ich habe erst mal eine: Willst du bei uns einsteigen? Bis zu dieser Sekunde war mir nicht klar, dass das eine Möglichkeit ist. Klar, ich habe immer wieder darüber nachgedacht, was anderes zu machen, aber ich kann ja nichts anderes..."

Ob das künftig das Muster sein wird, wenn Journalisten künftig Wirtschaftskapitäne interviewen: dass sie, die Journalisten, darauf hoffen, eine Chance zum sanften Ausstieg angeboten zu bekommen? Dass man die nötige Betriebswirtschaft schon in ein paar Wochen lernen kann? Pantelouris:

"In der Branche wird es schwieriger, man hört nur noch Gemecker, ich habe da auch mitgemacht. Und mir liefen die Träume davon. Als ich anfing, wollte ich fürs SZ-Magazin schreiben und für Geo. Hat beides geklappt. Und dann wollte man vielleicht noch Redakteur bei Spiegel oder beim Stern werden - das sind heute die frustriertesten Menschen, die ich kenne."

Andererseits, würde der Onlinejournalismus vom laut Pantelouris vergleichbaren "Weltmarkt für Olivenöl" lernen, gäbe es doch Hoffnung. Denn "Artefakt beweist, dass Kunden gewillt sind, mehr Geld für ein authentisches Qualitätsprodukt zu zahlen". Wie Sie längst ahnen, ist Artefakt (online unter artefakten.net zu finden) das in Wilstedt bei Bremen ansässige Unternehmen, für das Pantelouris nun arbeitet. (Und dass es Olivenöl auch anderswo gibt und die Einschätzungen von Olivenölqualität wie von Qualitätsjournalismus jeweils auch von individuellem Geschmack mitbestimmt werden, braucht an dieser Stelle nicht betont zu werden...).

Dritterseits, der Aussteiger verabschiedet sich selbst vom Papier-Journalismus gar nicht komplett. Seine Kolumnen in den Emotion- und GQ-Heften behält er, und die dortigen Kollegen fänden seinen Ausstieg "spannend und crazy". Auf Lebenswelten, die gutes Olivenöl schätzen und den Preis, den es wert ist, zugeschnittene Hochglanzzeitschriften bleiben sicher noch einige Zeit bestehen...

[+++] Eigentlich wäre das mit den "frustriertesten Menschen" ein perfekter Übergang zum Spiegel und zu #tag2020 gewesen. Schon weil Superlative den Onlinejournalismus immer so schön ölen. Aber Stimmung soll hier ja nicht gemacht werden.

Gestern nachmittag wurde die Zeitungsindustrie einmal nicht mit Marmeladenfabriken oder mit ausrangierten Opel Kadetts verglichen, sondern mit der Automobilindustrie an sich, also dem unverdrossenen Zugpferd der deutschen Wirtschaft:

"Man stelle sich einmal versuchsweise Vertreter der Automobilindustrie vor, die ihre Autos beharrlich als veraltet brandmarken..."

Falls Sie Lust haben, weiterzulesen: Hier bei zeit.de steht, was Adam Soboczynski anschließend kritisch zur Zeitungszukunftsdebatte der Spiegel-Medien anmerkt. Es ist ungefähr das, was schon am Dienstag und vorher im Altpapier stand. Und wirklich, je länger die (mir zunächst spannend erschienene) #tag2020-Debatte läuft, desto enttäuschender kann sie wirken. Gestern stellte Spiegel Online dazu einen Text von Silke Burmester ins Netz:

"Sie", die Zeitungen, "sind wie ein reicher, alter Mann, der meint, sein Geld genüge schon, damit die Weiber um ihn herumhüpfen",

lautet ein einprägsamer Satz im bekannten Burmester-Stil. Und wie könnte dieser alte Mann seine Jugend zurück erlangen?

"Dass es anders geht, hat die 'Financial Times Deutschland' bewiesen. Mit ihrer letzten Ausgabe. ..."

Herrje. Dass es in Zeiten der Informationsflut einfacher ist, eine interessante Wochenzeitung zu gestalten und zu verkaufen als eine Tageszeitung, ist ja schon eine Binse. Und dass eine sechs- oder siebenmal wöchentlich erscheinende Zeitung mit Aussichten, auch in den kommenden Wochen, Monaten und vielleicht sogar Jahren erscheinen zu können, niemals so "angstfrei, bunt, unvorhersehbar, gewagt, originell und vor allem persönlich" sein kann wie ein allerletztmals produziertes Einzelstück Zeitung, versteht sich erst recht.

Um zu sehen, dass Silke Burmester ja wirklich auch aktuell schreiben kann, muss man nur in ihre wöchentlichen TAZ-Kolumnen schauen. Dieser Text aber wirkt, als hätte er mindestens schon Monate auf den Servern der vielbeschäftigten SPON-Redaktion geschlummert. Oder ist es Cordt Schnibbens Konzept, das eigentliche Problem der Tageszeitungen, das des richtigen Umgangs mit der beschleunigten Aktualität, erst einmal durch Verzerrung zu verdeutlichen? Und ausgerechnet im schnellsten Medium Online mit Texten zu verblüffen, die in gedruckter Form keine Vierteljahreszeitschrift mehr unüberarbeitet brächte?

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[+++] Andererseits, die offenbar weit im Voraus produzierten SPON-Texte sind ja nur ein Strang der Debatte. Es gibt andere, über die den individuellen Überblick zu bewahren schwerig bis unmöglich ist, zumal, wenn man sich nicht auch noch 72-minütige Youtube-Videos ansehen möchte. Deshalb bleibt spannend, zu welchem Endergebnis die mit der Sache befassten Spiegel-Leute in anderthalb Wochen gelangt sein werden. Deshalb ist es gut, dass Holger Schmidt die "Digitales Quartett"-Gesprächsrunde, in der Schnibben neben Gesprächsprtnern wie dem häufug geschätzten Constantin Seibt und Online-Darlings wie Richard Gutjahr und Thomas Knüwer performte, in überschaubare Textform gegossen hat. Zumindest in der Perspektive des eingefleischten Netzwirtschafters kommt gleich wieder ein pragmatischer Zug auf, der in solchen Diskussionen eben auch gehört. Wenn von "erschreckend niedrigem" Niveau die Rede ist, geht es etwa um die Einnahmen mit mobiler Werbung, auf die jede Menge reaktioneller deutscher Portale spekulieren:

"Vielleicht werden in diesem Jahr 100 Millionen Euro Umsatz mit mobiler Werbung in Deutschland erzielt, wovon der Großteil an Google, Facebook & Co. fließt. Da Online-Werbung (und mobile Werbung noch eine Spur mehr) technisch hochgezüchtet wird, verlagern sich die Gewichte im Markt immer stärker von den Inhalte- zu den Technologieunternehmen. Bis das mobile Werbegeschäft also signifikant zur Finanzierung des Journalismus beitragen kann, sind noch viele Jahre hoher Zuwächse nötig."

[+++] Dass gleichzeitiges Spekulieren auf alle Arten von Einnahmen nicht unbedingt nötig ist (wie Qualitätsolivenölhändler vielleicht bestätigen würden), scheint die Rhein-Zeitung zu beweisen. Bekanntlich probiert der Interneauftritt der Regionalzeitung aus Koblenz seit Inkrafttreten des Leistungsschutzrechts aus, ob Zeitungsportale ohne Google News auskommen. Nach eigenen Blog-Angaben stellte es fest, dass "Google News für uns als regionale Website lange nicht die Bedeutung [hat], die ihr häufig zugesprochen wurde".

Eine der Schnibben-Thesen aus dem gedruckten Spiegel, die mir sinnvoll schienen und scheinen, lautet ja: "Die kleine Regionalzeitung hat noch ein Informationsmonopol; die überregionale Tageszeitung kann mit Scoops der Enthüllung und Scoops der Einordnung beeindrucken; Lokalzeitungen in Städten wie Berlin, München und Hamburg leiden dagegen am stärksten".

Es bleibt schon spannend, was bei #tag2020 am Ende herauskommt.


Altpapierkorb

+++ Heute abend bei ZDF-Neo: die zweite Folge der enorm umstrittenen Sendung "Auf der Flucht - das Experiment". Hier geht's zur Online-Petition für die Absetzung der Sendung. Deren, also der Petition Initiator Holger Kreymeier (fernsehkritik.tv) wird heute von der TAZ interviewt: ZDF-Intendant "Thomas Bellut hat auf Ihre Petition bisher nicht reagiert. Sind Sie zuversichtlich, dass er es noch tun wird?" - "Ich frage mich, ob er von diesem Flüchtlingsformat eigentlich weiß..." +++ Der Tagesspiegel dagegen befragt Neo-Koordinatorin Simone Emmelius, die eine vorzeitige Absetzung ausschließt und u.a. argumentiert: "Die umgekehrte Perspektive - also die Sicht der Flüchtlinge auf ihre Umwelt - leistet im Übrigen nicht zuletzt der Online-Auftritt zur Sendung. Hier kommt zum Beispiel Salomon Ykealo aus Eritrea mit seiner Geschichte ausführlich zu Wort." Heißt ungefähr: Selbst die öffentlich-rechtlichen Nischensender verlagern die ausführlicheren Hintergründe ins endlose Internet, um auf dem Fernsehbildschrim im Rattenrennen um die Quote besser dazustehen... +++

+++ In einer ebenfalls komplex strukturierten Ecke des Medienmarkts fließt das Geld noch reibungsloser als es die Ex-GEZ-Haushaltsgebühren tun: im Fernsehkabelmarkt. Dort gab es gestern eine "schallende Ohrfeige" für das Bundeskartellamt, eine "spektakuläre Entscheidung", deren Inhalt "jedoch selbst für Kartellrechtsfachleute ungewöhnlich" ist (handelsblatt.com). Die vom Kartellamt im Dezember 2011 unter Auflagen genehmigte und seitdem in "hunderten Stunden Arbeit" vollzogene Fusion der Kabelnetzbetreiber Unitymedia und Kabel BW wurde verboten. +++ Sozusagen der Sieger dieser Gerichtsentscheidung ist die Deutsche Telekom als größter Beschwerdeführer, wie die BLZ/ DPA betont. +++ Zwar kennt das Handelsblatt ein Beispiel, wie schon einmal eine Fusion rückabgewickelt wurde (anno 2003 zwischen dem Universitätsklinikum Tübingen und Krankenhäusern im Zollernalbkreis), doch sieht der Kommentar des FAZ-Wirtschaftsressorts (S. 16) die Sache relativ gelassen: "Es kann nicht schaden, wenn das Kartellamt die Bedingungen verschärft. Doch mit einer Scheidung der beiden Fusionspartner wäre nichts gewonnen." +++

+++ Dass Googlemail-Nutzer, in die analoge papierne Welt übertragen, Google sozusagen als ihre Sekretärin betrachten müssen, die ihre Briefumschläge erst mal öffnet, berichtet netzpolitik.org mit englischsprachigen Originalquellen. Dass das Betonen dieses Umstands von Microsoft als einem Google-Mitbewerber subventioniert worden sein könnte, steht in den Kommentaren untendrunter. Siehe auch sueddeutsche.de. +++ Außerdem äußert sich Markus Beckedahl bei heise.de zur Rolle des NSA-Skandals im deutschen Wahlkampf ("Ein Unterschied zur Überwachung etwa durch die ostdeutsche Stasi sei, dass die digitale Schnüffelei unbemerkt von den Nutzern über Maschinen und Algorithmen laufe. Und wer geht schon gegen ein Computerprogramm auf die Straße?") +++ Wiederum bei Beckedahls netzpolitik.org: eine interessante Analyse von allerlei Medien, wann und wie sie sich dem Thema NSA widmeten. Darin heißt es u.a.: "Für Welt, N-TV, FAZ, taz, Frankfurter Rundschau und Focus beginnt der Skandal eigentlich erst mit Tempora. Was vorher als ein eher amerikanisches Sicherheitsthema gesehen wurde, erreicht mit schnüffelnden englischen Nachbarn auch den deutschen Schrebergarten". Allerdings ernüchtere auch "der Blick über den Atlantik oder auch nur über den Ärmelkanal.... Sowohl bei Washington Post, New York Times, Guardian und Independent überwiegt das Interesse am vermeintlichen Verrat". Am Ende steht die "These ..., dass die Diskussion versanden wird, sofern Snowden nicht noch ein As aus dem Ärmel zieht." +++

+++ "Aber die Dimension der totalen Überwachung, die wir erreicht zu haben scheinen, hat mich entsetzt. Wir müssen endlich dagegen angehen" (Udo Vetter, als Pirat befragt, unverdrossen im SPON-Interview). +++ "Die ganze Welt wird abgehört, Mainz ist (zumindest per Bahn) von der Welt abgeschnitten, nur in der Welt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist alles in Ordnung. Zumindest für die, welche die Gebühren einnehmen" (Michael Hanfeld als Randspaltenrestplatzglossist auf der FAZ-Medienseite, eigentlich deswegen). +++

+++ Von einer eingerissenen Paywall in den USA weiß die TAZ. +++

+++ Eine "gewisse Genugtuung" glaubt der Tagesspiegel bei Reinhold Beckmann erwarten zu dürfen, weil er heute Gustl Mollath zu seinem ersten Fernsehauftritt empfängt. +++ Dass wegen der hoch geschmacklosen Anzeige eines prominenten Autovermieters mit Mollath-Motiv auch die Süddeutsche Zeitung, die sie abdruckte, sich vor ihren Lesern rechtfertigte, berichtet horizont.net. +++

+++ Auch anlässlich des bevorstehenden deutschen HuffPo-Starts einen Blick auf den gerade vollzogenen Start der französischsprachigen "Al Huffington Post" für die Maghreb-Region wirft Adrian Lobe bei medienwoche.ch. +++ Eine schweizerische Razzia bei einem Journalisten (online mehr bei nzz.ch) und die pakistanische Zeichentrickserie "Burka Avenger" ("Die einen argumentieren, die Würde der Frau sei verletzt, indem das Tragen einer Burka glorifiziert werde. Konservative Muslime meinen im Gegenteil, die Würde der Burka werde verletzt. Beides ist ein Missverständnis") sind Themen der FAZ-Medienseite. +++ Während die SZ heute aus katholischen Gründen gar nicht erschien. +++

+++ Und dann noch Stefan Niggemeier (via Twitter) vs. Stefan Kuzmany: "Das Kleinste, das man aus der großen Serie 'Breaking Bad' machen kann: Ein Schlecht-Nacherzähl-'Blog' auf SpOn", deshalb (aber Spoiler-Alarm!). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.