Zum Kiosk, solange er noch steht

Zum Kiosk, solange er noch steht

Sinkt Onlinejournalismus auf Privatfernsehniveau herab? Steigt ein Medienkonzern in den DAX auf? Und starke Zahlen: über 300 Prozent mehr (George/ "George"-Einschaltquote), über 40 Prozent weniger (Zeitungszombie-Auflage in Lüdenscheid).

Topaktuelle Programmänderung gegenüber dem Programmablauf, wie ihn die auf Ihren Röhrenfernsehern daheim ausliegenden Programmzeitschriften abgedruckt haben: Götz George tritt heute mit dem ARD-Film "George", über den schon viiiel zu lesen war und in dem er bekanntlich seinen Vater, aber leider auch sich selbst darstellt (vgl. wohl einzige tagesaktuelle Kritik: Peter von Becker auf der Tsp.-Meinungsseite), nicht etwa gegen Bayern München im ZDF an, sondern gegen die deutsche Frauenfußballnationalmannschaft im ZDF. Zwar treten die Bayern durchaus gegen den FC Barcelona an, und das Zweite Deutsche Fernsehen enthält auch dieses Spiel dem fußballhungrigen Publikum keineswegs vor, aber halt am Vorabend (an dem dann Fans von "SOKO Wismar" und "Die Küstenwache" in die Röhre gucken).

Diese Programmänderung ist trotz ihrer Aktualität bereits Gegenstand des großen Leitartikels auf der SZ-Meinungsseite:

"Moment mal? Die Frauen verdrängen die Männer vom besten Sendeplatz? Was deutschen Fußballfans wie eine Sensation vorkommen mag, löst bei schwedischen Beobachtern eine andere Art von Verwunderung aus: Wie konnte es überhaupt zu der Terminkollision kommen?"

In Schweden wurden jedenfallsfernsehinteressante Männerfußballfreundschaftsspiele von vornherein auf spielfreie Tage der Frauenfußball-EM gelegt, schreibt Kathrin Steinbichler.

Vielleicht pimpt es, andererseits, die George-Quoten, dass, wenn um 21.45 Uhr die "Schimanski"-Krimi-Wiederholung von 20.15 Uhr und 2011 (wer sie übrigens nicht schlecht findet: Tilmann P. Gangloff hier nebenan) endet und "George" beginnt, im anderen öffentlich-rechtlichen Hauptprogramm nicht der im deutschen Fernsehen noch unverbrauchte Pep Guardiola zum Performen erwartet wird, sondern lediglich Silvia Neid...

Die George-Quoten der Arte-Ausstrahlung vom Montag sind natürlich intensiv beleuchtet worden. Die mit Abstand schönste Analyse, die eher schnöde klingende Werte wie "800.000 Zuschauer" und "3,3 Prozent ... Marktanteil" (DPA/ Tsp.) oder "210.000 Zuschauer" "bei den 14- bis 49-Jährigen", die "den Marktanteil auf 2,5 Prozent und damit auf mehr als das Vierfache des Senderschnitts" "trieben" (dwdl.de-Zahlenzentrale), locker abhängt, haben die Euphorisierungsexperten der Produktionsfirma Teamworx selbst errechnet:

"Damit hat das Doku-Drama mit Götz George in der Hauptrolle den ARTE-Primetime-Marktanteil von durchschnittlich 1,0% im ersten Halbjahr 2013 um 335 % übertroffen".

Sonst noch was zu George und "George"? Hmpf, die TAZ-Kriegsreporterin meint im Rahmen eines Nebensatzes in ihrer fröhlichen Umschau einen Vorwurf an einen unbeteiligten kürzlich verstorbenen Fernsehautor richten zu müssen ("George" sei "ein in seiner Machart ... anachronistisches Werk à la Horst Königstein"). "Er konnte das ölige Tremolo nicht anstimmen, ihm fehlte das Talent zum Glatten", stand in Jan Feddersens TAZ-Nachruf auf Königstein. Schade, dass Silke Burmester vor allem ihr Talent zum Kacke-Hau-Populismus à la SPON weiterentwickelt.

Sonst noch was zu George und "George"? Hmpf, "Götz Georges Bruder öffnet das Familienalbum" mit "bisher unveröffentlichten Fotos"!, und zwar im entgeltpflichtigen Bereich. Mehr zum mühsamen Geschäft Onlinejournalismusfinanzierung weiter unten.

[+++] Faktisch treten im Fernsehen seit einigen Jahrzehnten ja nicht bloß das Erste und das Zweite gegeneinander an, sondern viele Sender mehr, darunter allerhand private. In diesem Segment geschah gerade etwas Bahnbrechendes: Die Unterföhringer ProSiebenSat.1 AG "macht sich ... auf den Weg in die Eigenständigkeit". Bei der Hauptversammlung gestern wurde eine Umwandlung von nicht stimmberechtigten Vorzugs- in stimmberechtigte Stammaktien beschlossen und damit der Anteil der bisher dominierenden Finanzinvestoren (die einst, 2007, sogar Michael Hanfeld in der FAZ "Heuschrecken" genannt hatte) von 88 auf 44 Prozent gesenkt, berichten newsroom.de/ DPA. Einen Tick kritischer, was die hohe Dividende für die Investoren betrifft, klingt die Aggregation bei turi2.de.

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Eher wenig berichtet die gedruckte Presse heute. "Die Vorzugsaktien bei Pro Sieben Sat 1 stammen noch aus der Zeit von Leo Kirch, der seine Macht keinesfalls mit Kleinaktionären teilen wollte", erläutert die SZ-Wirtschaft in einem knappen Textchen (S. 18). "Wenn alles gutgeht, ist die Pro Sieben Sat.1 Media AG mit einer aktuellen Börsenkapitalisierung von fast 7,5 Milliarden Euro ein Aufstiegskandidat für den Dax. Mit Heidi, aber ohne Heuschrecken: Das klingt nach einem Happy End für die leidgeprüften Fernsehaktionäre", wortspielt im FAZ-WIrtschafts-Kommentar Henning Peitsmeier (S. 16). Heidi bezieht sich auf Heidi Klum, die bei Pro Sieben "gefühlt in einer Endlosschleife" zugange sei.

Eine aktuelle News aus dem P7S1-Programmangebot gibt's via EPD auf der FAZ-Medienseite und frei online trotz des enorm komplexen Themas recht locker erklärt bei dwdl.de: Die rheinland-pfälzischen Medienwächter haben mal wieder eine Entscheidung zu den sog. Drittsendezeiten bei Sat.1 getroffen. Es ist dieselbe Entscheidung wie immer (die Fernsehproduktionsfirmen News and Pictures und DCTP, im Besitz u.a. von Alexander Kluge, gewinnen), und dennoch könnte es eine etwas endgültigere sein, denn Sat.1 und News and Pictures hätten sich "angenähert" und auf ein "geringeres Entgelt" geeinigt. Die rheinland-pfälzischen Medienwächter freuen sich in ihrer Mitteilung über "eine Einigung zwischen den Beteiligten" "in einem komplexen und anspruchsvollen Verfahren". Allerdings bleiben eine Menge Fragen offen, darunter bekanntlich die, ob die Pfälzer überhaupt noch zuständig sind oder nicht eigentlich die vereinigten schleswig-holsteinisch-hamburgischen Medienwächter...

Und eine aktuelle News zum vierjährlich wiederkehrenden, gemeinsamen öffentlich-rechtlichen-/ privaten Fernsehangebot "Das TV-Duell": "Die ARD-Talkerin Anne Will wird mit Pro-Sieben-Zampano Stefan Raab ein Moderatorenpaar ... bilden" und müsse "möglicherweise ... mehr die Aufsichtsperson für den schwer Erziehbaren geben als die profilierte Journalistin, die sie in ihrer ARD-Talkshow ist". Da plaudert der Tagesspiegel im Rahmen einer allerdings arg aufgeblasenen Fernsehpersonalienumschau frische Details zur Show diverser Sender am 1.9. (20.30 Uhr) aus.

[+++] Jedenfalls, als journalistisch wahr- und ernst genommen wird die  aktuell und politisch orientierten Angebote der Privatsender weiterhin kaum. Einen interessanten Vergleich in genau dieser Hinsicht stellte Alfons Schräder, einer der Geschäftsführer des Heise-Verlags, gerade gegenüber meedia.de an:

"Online-Angebote nur über Werbung zu finanzieren würde bedeuten, den Weg der Privatsender einzuschlagen, und damit den Pfad des Qualitätsjournalismus zu verlassen",

sagte er, um für die mittlere Zukunft auf Heises Internet-Seiten auch neue Inhalte, "die es nur gegen Bezahlung geben wird", anzukündigen. Die bisherigen Inhalte, darunter das schöne Telepolis-Portal ("so ein Luxus, den wir uns leisten und den Lesern gönnen, den wir aber nicht refinanzieren können"), sollen dennoch bestehen bleiben. Das heißt: Heise strebt (mit natürlich/ hoffentlich anderen Inhalten) den gleichen, schwierigen Spagat an wie bild.de: Sowohl mit ähnlich vielen Gratis-Inhalten so viele Klicks zu erzielen wie bislang, aber auch mit zusätzlichen kostenden Inhalten Einnahmen zu erzielen. Schräder "ist schon eine arme Socke", heißt es denn auch in einem Kommentar, dem von "Kev Kuc", unten drunter.

"Derzeit arbeiten zahlreiche deutsche Verlage an Strategien, um von Lesern im Netz Geld zu verlangen", ergänzt die Süddeutsche auf ihrer Medienseite 31 die Vermeldung dieser News.

Wie bitter nötig das ist, wird regelmäßig vierteljährlich besonders deutlich, wenn neue IVW-Verfalls-Zahlen herauskommen wie am Montag.

Dazu hat etwa der EPD eine Zeitungs-Übersicht zusammengestellt (nur zum Beispiel: "Die 'Süddeutsche Zeitung' verkaufte im Schnitt 418.170 Zeitungen pro Tag und verlor damit 4,2 Prozent an verkaufter Auflage. Die 'Frankfurter Allgemeine Zeitung' verlor 5,7 Prozent der verkauften Auflage...", andere Titel haben deutlich mehr verloren). Und ebenfalls meedia.de hat daraus eine lesenswerte Analyse der Zeitschriften-Lage gestaltet, die mit aufrüttelnden Sätzen ("Traurig, aber immer wahrer: Die Jugend kehrt dem Medium Papier den Rücken") nicht geizt und anhand diverser Segmenten, darunter auch dem Heise'schen der Computerzeitschriften, zahlenreich den Verfall feststellt. Höchstens Zeitschriften, die "monatlich oder noch seltener erscheinen", gewinnen. Solche, die öfter erscheinen und bei denen mehr Redakteure arbeiten, verlieren.

"Überspitzt gesagt müssen die Kiosk-Besitzer in Zukunft wohl verstärkt auf die Alkoholiker setzen, denn Tabak und Papier taugen als große Umsatzbringer immer weniger",

scherzt Jens Schröder am Ende bitter (nicht ohne vorher das Verschwinden von über 4500 Presseverkaufsstellen seit 2009 konstatiert zu haben).

[+++] Wo bleibt das Positive? Manchmal ist der Niedergang einfach auch verdient. Am "Beispiel Lüdenscheid" arbeitet die  TAZ den weit überdurchschnittlichen "Sinkflug" der Westfälischen Rundschau heraus, also des Zeitungszombies, der im Januar seine ganze Redaktion vor die Tür setzte, um zur "erste gedruckten und kostenpflichtig abonnierbaren 'Zeitung ohne Redakteure'" (Altpapier) zu werden.

"ZeitungsleserInnen sind doch nicht so blöd, wie es sich die Funke Mediengruppe gewünscht haben dürfte",

freut sich Pascal Beucker heute.


Altpapierkorb

+++ Dass er sein Licht unter den Scheffel stellt, zählt nicht zu den Vorwürfen, die sich Richard Gutjahr machen lassen, wie die Illustrationen zu seinem ungemein spannend ("Weder ich, noch die ca. 3000 Zuschauer im Saal hatten die leiseste Ahnung, dass die Verschwörungstheorien, mit denen uns Assange an diesem Nachmittag konfrontierte, sich bald als zutreffend heraustellen sollten") eingeleiteten gutjahr.biz-Eintrag über eine Konferenz-Talkshow zwischen ihm und Julian Assange Ende November 2012 sehr schön illustrieren. Lesenswert ist die (dann englischsprachige) Abschrift aber auch. +++ Zum Querschnittsthema "Komplettüberwachung der Menschheit" (netzpolitik.org neulich, u.a. mit diesem Update, zu dem aber auch der Nachtrag unten drunter beachtenswert ist), kommt heute u.v.a. ein großer, die erste Feuilleton-Seite der FAZ (S. 25) sprengender Beitrag von Evgeny Morozov herein. "Nur wenn wir den Verlockungen des Datenkonsums widerstehen, können wir die Katastrophe doch noch verhindern", heißt es in der alarmistischen Art, die Morozov nicht nur Freunde macht. Es geht u.a. um "ethische Implikationen von intelligenten Zahnbürsten" sowie die "Tragik der Piraten" (also der gleichnamigen Partei: "dass sie zu viel wollten"). Aber auch an sehr prägnanten Gedanken herrscht kein Mangel, z.B.: "Das ist das Amerika von heute in seiner ganzen Pracht: Was nicht durch kontroverse Gesetze zu erreichen ist, wird durch Privatisierung erreicht, allerdings mit deutlich weniger Regulierung und staatlicher Kontrolle. Von privatisierten medizinischen Einrichtungen über privatisierte Gefängnisse bis hin zu privatisierten Milizen, die in Kriegsgebiete entsandt werden – dies ist das Modell der Public-Private-Partnership, an dem sich große Teile der amerikanischen Infrastruktur orientieren, auch der Kommunikationssektor." +++

+++ Ausgefuchste Mischung der SZ-Medienseite: Pat Blashill, einst u.a. Autor des Rolling Stone, verteidigt das aktuelle Rolling Stone-Cover (siehe Altpapier): Es handele sich wie in glorreichen früheren Zeiten des Magazins um "eine Gegenerzählung, eine Perspektive auf Nachrichtenstoffe und die Gesellschaft, die in den Mainstreammedien kaum eingenommen wurde". +++ Drunter sehr ausgewogen die Frage, ob der seit 1986 beim Deutschlandfunk angestellte Redakteur "Bernd K.", der "dem rechtsextremen Milieu nahe" stünde und "treues und engagiertes Mitglied einer äußerst rechten Organisation: der Münchner Burschenschaft Danubia" ist, für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk "tragbar" ist. Ein Anlauf der Anstalt, K. loszuwerden, misslang 2012 arbeitsrechtlich. K. "habe seit Jahren keinen inhaltlichen Einfluss mehr auf das Programm, heißt es aus der Redaktion". +++ Und 'ne Meldung macht auf eine bevorstehende oder auch schon laufende Kontroverse wegen dieses neuen Time-Magazins-Titelbilds (bei dem das "M" im Namen "zwei rote Hörner" hinter dem Kopf des Papstes bildet) aufmerksam. +++ Und noch 'ne Meldung darauf, dass Alan Touring "posthum freigesprochen" wurde, und zwar von der Homosexualität, derentwegen er 1952 verurteilt worden war (online etwa bei golem.de mit Link zum Guardian). +++

+++ Das Bundesverteidigungsministerium verklagte die Funke-Mediengruppe, vormals WAZ, nicht wegen Redaktionsschließungen oder so etwas, sondern in einer absurden, aber auch spannenden Grauzone aus Urheberrecht und investigativer Pressefreiheit. Es dürfte damit aber nicht durchkommen, meint Wolfgang Janisch (ebenfalls ebd.). +++

+++ Nicht weniger elaboriert der Mix auf der FAZ-Medienseite. Oben ein scharfes Interview mit Anke Engelke, der "schärfsten Zunge im Kulturbetrieb". Oliver Jungen, der Interviewer, sagt: "Moment, ich muss noch eben das zweite Gerät ...". - Anke Engelke: "Sie wissen, dass das jeder sagt?! Dass jeder erst mal seine Aufnahmetechnik erklärt ...". - Jungen: "Ich erkläre gar nichts." - Engelke: "Wohl! Und dass sich jeder entschuldigt: 'Ich mach’s mal mit zweien. Zur Sicherheit.' Alle! Alle!" - Jungen: "Pfft. Ich gratuliere vielmehr zum größten Porträt aller Zeiten: neun Seiten im 'Zeit Magazin'..." Uiuiui bzw. pfft, was für scharfe Zungen scheinen da aufeinander getroffen zu sein! +++ Darunter eine nüchterne Joseph Croitoru-Analyse der Lage der Medien im neuen Libyen: "Früher hatten wir nur eine rote Linie, nämlich Gaddafi und seine Familie. Heute haben wir Hunderte davon", wird ein Fernsehreporter zitiert. +++

+++ "WCU" steht nicht für einen Verband, sondern für Wolf-Christian Ulrich, den das ZDF als "neues Info-Gesicht" aufbaue. "Das Publikum darf sich freuen" (Daniel Bouhs, BLZ). +++

+++ Und falls jetzt noch Kolumnenbedarf besteht: "Wenn die Kanzlerin auf Journalisten hört" von Robert Leicht in der neuen Kolumnenreihe von zeit.de ist ein Glanzstückchen... +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.