Jetzt dämmert das Neuland

Jetzt dämmert das Neuland

Nun aber wirklich: Tommy Buhrow startet durch. Frisches Benzin im Tank der Bild-Zeitungs-Bezahlschranke. Großes deutsches Interview mit einem US-Whistleblower/ Glockenläuter (Haben wir ein "Schatten-Überwachungssystem in Deutschland"?). Aber auch eines mit dem entwaffenden Experten Hans-Peter Uhl.

Großes Kino im WDR-Funkhaus zu Köln gestern: Nun hat der (eigentlich ja schon seit zwei Wochen amtierende) Intendant Tommy Buhrow vor "rund 400 Gästen aus Medien, Politik, Kultur und Gesellschaft" (WDR) auch symbolisch bzw. für die klassischen Pressefotografen den Staffelstab von seiner (eigentlich ja schon seit zweieinhalb Monaten im Ruhestand befindlichen) Vorgängerin Monika Piel übernommen.

Nicht nur der WDR selbst, auch manche Medienmedien berichten von einer launigen Show. "Das ist ja eher ein Staffelrohr", soll die sympathische Ex-Intendantin dwdl.de zufolge völlig zurecht gesagt haben (aber die Gäste in der letzten Reihe sollten ja auch etwas zu sehen bekommen). Der Tagesspiegel lobt die "muntere und humorvolle Rede", mit der sie beim kölschen Festakt "überraschte" (Tagesspiegel). "Ihren Humor, den man als Beobachter von außen in den vergangenen Jahren oft gerne häufiger gesehen hätte, hat Monika Piel aber nicht verloren", bemerkt Alexander Krei von dwdl.de. Dass allerdings die eigene Rentenversorgung für eine ausscheidende Intendantin, zu deren Jobprofil ja sowohl gehört, gut für langjährig angestellte Mitarbeiter zu sorgen, als auch dafür, dass kurzzeitig angestellte und freie Mitarbeiter keine solchen Ansprüche erhalten, kein uneingeschränkt ideales Scherzthema ist, lässt sich den Kommentaren unter dem dwdl.de-Artikel entnehmen.

Der Kölner Stadtanzeiger behilft sich mit dem EPD-Bericht. Für die Süddeutsche (S. 29) war Hans Hoff da: "Wenn große Unternehmen einen neuen Chef bekommen, dann ist die Staffelübergabe in der Regel eine Angelegenheit von überschaubarem Aussagewert", schreibt er ebenfalls zurecht und versucht daher, der Auswahl der von den Staffelträgern ausgewählten, vom WDR-Rundfunkorchester "eher verwursteten als interpretierten" Songs halt Wert zu entnehmen. "You can't always get what you want" von den Rolling Stones hatte sich Piel gewünscht, Bob Dylans "I need a shot of love" Buhrow, der auch insofern Hoffnung machte (für Medienjournalisten zumindest), als dass seine Rede "statt geplanter fünf ganze 26 Minuten dauerte".

[+++] Um einmal ein sehr traditionelles Sprachbild zu benutzen: Ein, wenn nicht das Flagschiff des WDR im Fernsehen ist zweifellos die ARD-"Sportschau". In der nächsten Fußball-Bundesliga-Saison bekommt sie neue Konkurrenz. Nicht unbedingt vom mutmaßlichen Fernsehsender Borussia Dortmund bzw. BVB total! (knappe Details zu dieser strittigen Frage heute in der SZ), sondern durch die Internet-Sportschau der Bild-Zeitung, die ebenfalls gestern vorgestellt wurde.

Immer ab 18.20 Uhr, also zehn Minuten, bevor die ARD mit ihren Berichten aus der Bundesliga startet, können mindestens 7,98 Euro (denn "nur wer mindestens 4,99 Euro pro Monat für das neue Bild-Plus-Angebot ausgibt, kann sich den Fußball für 2,99 Euro dazubuchen") zahlende bild.de-Kunden beginnen, sich diese "Sportschau zum Selberbasteln" (Süddeutsche) in selbst gesetzter Reihenfolge ("Wer sich nicht für Werder interessiert, muss nicht bis halb acht auf Bayern warten") anzuschauen.

Die Berichte werden der Plazamedia, einer Constantin-Firma aus dem Umfeld des, nun ja: Sportsenders Sport 1, produziert und von Reportern wie Jörg Dahlmann oder Hansi Küpper kommentiert. Die journalistischen Ambitionen, mit denen die Macher sich von der ARD-"Sportschau" abgrenzen möchten, schildern die Springer-freundlichen Kollegen von meedia.de (die auch den durchaus pfiffigen Werbe-Claim nennen: "Im Netz fühlt sich der Ball am wohlsten"): "Die Zusammenfassungen fokussieren sich auf das Match. Vorberichte und die obligatorischen Spieler-Interviews vor der Sponsorenwand sollen möglichst wenig Platz einnehmen".

"Erster Eindruck: Gar nicht mal so schlecht, vor allem weil kein bisschen Werbung blitzt und blinkt", schreibt wiederum die Süddeutsche, was allerdings bloß ein Vorführeffekt war, denn Werbung gehört sehr wohl dazu. "Premium-Partner in der ersten Fußball-Saison bei 'Bild' ist Volkswagen, die beiden Co-Partner sind Vodafone und Kik", heißt es in der offiziellen Springer-Mitteilung. Die genannten Mäzene "sind mit ihren Werbeformen crossmedial auf allen 'Bild'-Kanälen integriert". "Die reinen Rechtekosten von geschätzt 20 Mio Euro in vier Jahren dürfte Springer allein durch Werbepartner wieder reinspielen", vermutet turi2.de (wohl mit Bezug auf wuv.de) daher.

Das sei aber auch nötig, würde dazu sozusagen Joachim Huber vom Tagesspiegel sagen, der nach den Produktionskosten der Bild-Zeitungs-Bundesligashow vergeblich fragte, aber etwas läuten gehört hat: "Was aus den Kulissen über den Bezahl-Sektor von bild.de dringt, klingt nicht nach lautem Jubel über die Abo-Zahlen". Das gilt der Paywall- und Gratismentalitätsbekämpfungs-Initiative der Bild-Zeitung, die vor gut einem Monat anlief (Altpapier) und bekanntlich quer durch die Gesellschaft, bis hin zu Jakob Augsteins Freitag, gespannt-wohlwollend betrachtet wird. Da sei die Bundesliga nun "frisches Benzin" im "Tank" der Bild-Zeitungs-Bezahlschranken.

[+++] Achtung, jetzt kommt eine Überleitung, wie sie Gerhard Delling in der guten alten ARD-"Sportschau" zweifellos gewitzter (und das gesprochen!) hinkriegen würde: Sofern Joachim Huber und sein Informant von bild.de sich nicht persönlich getroffen und, bevor sie aufbrachen, ihre Smartphones ausgeschaltet haben, dürfte die NSA Bescheid wissen, wer der Konkurrenz Infos über den offenbar ausbleibenden Abonnenten-Jubel bei Springer zugetragen hat.

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Damit also zur notwendig unvollständigen täglichen Überwachungs-Affären-Umschau. Zwei Interviews dazu ragen aus den deutschen Zeitungen heraus. Erstens hat Dorothea Hahn für die TAZ Thomas Drake interviewt, einen der bekanntesten Whistleblower/ Glockenläuter der jüngeren Gegenwart, zumal auf freiem Fuß. Drake war 18 Jahre lang selbst Mitarbeiter der NSA und offenbar auch ein auch deutschsprachiger "Experte für Ostdeutschland" (als es die DDR nicht mehr gab). Wenn er einen Stasi-Vergleich bringt, kommt der also aus besonders berufenem Mund. Drake sagt sogar: "Die Stasi ist sanft im Vergleich." Was die gegenwärtige Lage betrifft, sagt er: "Sie haben in Deutschland ein Schatten-Überwachungssystem."

Außerdem spricht er von Programmen mit klangvollen Namen wie "Trail Blazer" und "Stellar Wind" und von schlecht funktionierenden Versuchen, die gespeicherten Datenmengen algorithmisch zu durchsuchen. Auf die Frage, ob die NSA nicht dazulernt, antwortet er:

"Es wird immer schlimmer, je mehr Daten sie anhäuft, auch weil sie zunehmend spezifische persönliche Informationen sammelt. Die ganze Sache ist metastasiert."

[+++] Das, was Drake "das außergewöhnliche Unbehagen der deutschen Regierung" nennt, kommt gut rüber im Interview, das Stefan Tomik für die FAZ zupackend mit dem Datenschutz- und Dienste-Experten Hans-Peter Uhl führte.

"Die Kanzlerin meinte zu Recht, dass auf deutschem Boden nicht gegen deutsches Recht verstoßen werden darf. Wenn die Daten jedoch gar nicht in Deutschland ausgelesen werden, sondern im Ausland, dann kann der Staat hier kaum für Schutz sorgen. Das ist keine Bankrotterklärung, sondern ein Zurkenntnisnehmen der Realität, dass dieser Schutz im Internet technische Grenzen hat. Der Staat darf nicht ein politisches Versprechen abgeben, das er technisch nicht halten kann. Das wäre einfach unseriös",

erklärt Uhl mit entwaffnender Ehrlichkeit und nicht ohne Überblick über vergangene Debatten ("...die Kanzlerin sagte ein Weiteres, für das sie belächelt und verspottet wurde: Das Internet ist noch Neuland. Und jetzt dämmert es immer mehr Leuten, was sie damit gemeint hat"). Er wusste eben wenig über E-Mails und wie sie so versendet werden, bis der Bundesnachrichtendienst ihn darüber aufklärte. Wenn Uhl nun gerade (Altpapier gestern) das Ende der "Zeiten des Biedermeier" ausrief, gilt das nicht unbedingt für die Bürgerinnen und Bürger da draußen, sondern für ihn selbst und andere hochrangige Entscheidungsträger. Harter Newswert dieses Interviews: Das bundesverfassungsgerichtlich verfügte Recht auf informationelle Selbstbestimmung

"stammt aus einer Zeit, als den Richtern diese moderne Kommunikation noch nicht bekannt sein konnte. Deshalb muss ich das Urteil an der heutigen Realität messen, in der Daten international fließen",

so Uhl.

[+++] Mehr NSA-Stoff im Schnelldurchlauf: Dass das Parlamentarische Kontrollgremium zur Kontrolle der Nachrichtendienste, von dem derzeit oft die Rede ist und zu dessen Mitgliedern auch Uhl zählt, aus "zahnlosen Schwätzern" besteht, die daher "umso lauter brüllen" müssten, steht ebenfalls in der FAZ: Majid Sattar vergleicht die Kontrolle der Geheimdienste in den USA und hierzulande. Wolfgang Neskovic, linkes Ex-Mitglied desselben Gremiums, äußert sich im Tagesspiegel zurückhaltender, aber ähnlich.

Mit einem kleinen Potpourri aus Bundesregierungs-Einschätzungen (Tsp.-Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff: "Empörend ist das Ganze!.. Es wirkt alles so devot."/ Nico Fried bei sueddeutsche.de: "Sicher aber ist, dass die Bundesregierung zu Prism noch nicht eine sachdienliche Information aus eigenem Antrieb veröffentlicht hat."/ Michael Spreng bei Carta: "Zum ersten Mal verliert die politisch alles kontrollierende Merkel an Souveränität und wird als schwache, ohnmächtige Politikerin vorgeführt. Ob die Opposition diesen Ball ins Tor schießen kann?") zum militärisch-industriellen Komplex, den Drake aus der analogeren Ära fortwirken sieht: Die SZ schreibt auf S.2 von "der Omertà, die ihnen", kalifornischen Konzernen wie Microsoft, Google, Yahoo und Facebook, "vom Spionagegesetz aufgezwungen wird" und schildert deren Bemühungen, sich vom Schweigegesetz entbinden zu lassen. Allerdings weist die SZ-Medienseite auf eine weitere Guardian-Nachdrehe hin: Katherine Losse, einst Mark Zuckerbergs Redenschreiberin, warnt vor Facebook: "When she joined Facebook as its 51st employee, the site had less than 5 million users, and customer support staff were each handed 'a master password by which we could log in as any Facebook user and access to all their messages and data'."

Vorn auf dem FAZ-Feuilleton warnt  Yvonne Hofstetter, Geschäftsführerin einer hiesigen IT-Firma, vor "Industriespionage und Wirtschaftskrieg" sowie "Datenfusion im engeren Sinne, bei der aus Roh- und Metadaten neue Information erzeugt werden". Und dann muss noch die frische Erkenntnis erwähnt werden, wie der Do-Evil-Konzern Google auch ohne nachrichtendienstliche Anweisung WLAN-Passwörter von Nutzern seines mobilen Betriebssystems Android "am Ende sogar unverschlüsselt auf den eigenen Servern" speichert. "Mit WLANs hat Google echt kein so gutes Händchen", würden da sogar die mobilegeeks sagen. Wobei andererseits aus Österreich (futurezone.at) zu hören war, dass NSA-Programmierer sowieso von Anfang an am Android-Code mitgearbeitet haben und solcher Hilfe wohl kaum bedürften.
 


Altpapierkorb

+++ Bei der gestern an dieser Stelle erwähnten Studie "Gefallen an Gefälligkeiten" hätte Ulrike Simon von der Berliner Zeitung sich den Hinweis gewünscht, dass die an der Finanzierung beteiligte Otto-Brenner-Stiftung "der IG Metall zuzuordnen" ist, weil das ja erklärt, "dass in der Studie zahlreiche Fälle auftauchen, in der die arbeitgeberfreundliche Lobbyistenorganisation Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft Einfluss in Redaktionen ausübt". Das schmälere den Wert der Studie aber nicht, vielmehr plädiert Simon ausdrücklich für weitere "Nestbeschmutzung" (und also für den Erhalt dessen, was von der BLZ-Medienseite übrig ist). +++

+++ "Die erste Frau, die es in der Geschichte des Zweiten Deutschen Fernsehens bis in die oberste Führungsetage schaffen wird", porträtiert Bernd Gäbler im Tagesspiegel. Karin Brieden soll neue Verwaltungsdirektorin beim ZDF werden. Bisher bekleidet sie dieselbe Position beim Deutschlandradio, wo "die stets im adretten Hosenanzug auftretende Direktorin bisher nicht als Feministin von sich reden gemacht" habe. +++

+++ "Die Kritiker, die ihn als 'asozial' und 'menschenverachtend' beschimpft haben, mögen sich engagiert vorkommen. Leider wissen sie nicht, wer sie engagiert hat", kommentiert Marc Felix Serrao auf der SZ-Meinungsseite Bushidos jüngste Geschäftsidee. +++ Das von Chief Product Officer Lewis DVorkin ersonnene Geschäftsmodell des amerikanischen Magazins Forbes ist Hauptthema der SZ-Medienseite: "Auf der Internetseite Forbes.com veröffentlichen inzwischen nicht mehr nur die 50 festangestellten Journalisten und eine Handvoll freier Mitarbeiter, wie das bei anderen Nachrichten-Websites üblich ist. Auf Forbes.com schreiben auch zwischen 1000 und 1300 Fremdautoren, DVorkin nennt sie 'Contributors'". Manche bekommen Geld, manche nicht und manche (Werbekunden, die auch "Contributors" werden können) zahlen sogar. Geht's dort auf forbes.com um NSA und dergleichen? Gerade nicht, aber Mark Zuckerberg taucht unter "The World's Youngest Billionaires: 23 Under 40" auf...+++

+++ Auf der TAZ-Medienseite geht's um das "deutsche Projekt toter Briefkasten" namens AnonNewsDE sowie um die Ausstellung "Paper Weight" im Haus der Kunst in München, die "15 stilbildende unabhängige Magazine" zeigt. +++

+++ Die prallvolle FAZ-Medienseite widmet sich fast ausschließlich angloamerikanischer TV-Fiction: Sie interviewt Hayden Panettiere, Darstellerin in der Serie "Nashville" ("läuft sonntags um 18 Uhr und dienstags um 21.45 Uhr auf dem Abosender Fox"), sie macht auf die einem Schwedenkrimi nachempfundene US-Serie "The Bridge" mit Diane Kruger aufmerksam ("beginnt heute um 22.05 Uhr beim Abo-Seriensender Fox"), und allen, die kein Pay-TV gucken, empfiehlt Jochen Hieber das "ansteckende Jane-Austen-Fieber bei Arte". +++ Knapp verweist die FAZ dann noch auf den morgigen Start des "neue digitale Radiosender des Konzerns Constantin Medien", also des Konzerns, der auch an der bild.de-Sportschau beteiligt ist, und der im Radiobereich dem digitalen Fußballsender 90elf.de den Untergang bereitet hat. Lässt sich dieses sport1.fm überhaupt auch im Digitalradio anhören? Offenbar durch eine Kooperation mit den Engergy-Dudelsendern knapp doch noch (digitalfernsehen.de). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.