Bald Kulturrevolution in Frankreich?

Bald Kulturrevolution in Frankreich?

Neues und Altes aus der Welt der Spionage: Der britische Geheimdienst Government Communications Headquarters attackiert das „deutsche Internet“ (SZ-Titelseite); der BND hatte einst einen früheren NS-Propagandisten als Agenten in der Bundespressekonferenz sitzen. Außerdem: Bei der Vorstellung eines Fußballtrainers in München sind Journalisten aus elf Ländern anwesend, und der Chefredakteur des Nordbayerischen Kuriers attackiert die SZ in der Causa Mollath.

In den 80er Jahren, als Tennis und vor allem die Berichterstattung darüber gerade boomten, erschien in der Titanic ein Cartoon Hans Traxlers, in dem ein Fernsehreporter zu sehen ist, der gerade von der Verbrennung des Papstes in Rom berichtet. Viel Zeit hat der Mann allerdings nicht, denn parallel läuft gerade die Übertragung eines Tennisspiels. Traxler macht das deutlich, indem er seiner Cartoonfigur die Worte „und damit zurück zum Tennis“ in den Mund legt.

Die mediale Präsenz des Tennis hält sich mittlerweile in Grenzen. Bedenkt man, dass heute einer anderen Sportart in der Berichterstattung eine grotesk überproportionale Bedeutung zukommt, erweist sich die satirische Darstellung aber als weitsichtig. Jedenfalls, wenn man eine Begebenheit bei der Vorstellung des neuen FC-Bayern-Trainers Pep Guardiola betrachtet. Der Beginn der gestrigen Pressekonferenz war für Punkt 12 Uhr geplant - ein Zeitpunkt, zu dem auch Nachrichtensendungen beginnen. Markus Hörwick, der „Mediendirektor“ des FCB, verschob den Start der PK dann aber kurzfristig um fünf Minuten,

„damit die TV-Sender über die anderen wichtigen Geschehnisse in der Welt berichten können.“

So zitiert Maik Rosner Hörwick in der Berliner Zeitung.

Claudio Catuogno hat den Sachverhalt der SZ (Seite Drei) folgendermaßen notiert:

„‚Es passieren so wichtige Dinge auf der Welt', merkt der Mediendirektor des FC Bayern generös an: ‚Wir wollen den Fernsehstationen die Möglichkeit geben, über diese wichtigen Dinge zu berichten.'“

Rosner fügt dazu an:

„Bei einem früheren Beginn hätten die Nachrichten wohl ausfallen müssen, so verrückt ist die Welt nach Fußball.“

So gesehen war Hörwick, der „Mediendirektor“ eines Fußballvereins, am Montag kurzzeitig auch noch eine Art senderübergreifender Programmdirektor. Der Tonfall Catuognos ist diesbezüglich ähnlich wie der Rosners:

„Fünf Minuten für die wichtigen Dinge. Und dann den Rest der Stunde für Pep Guardiola.“

Jetzt aber zu den harten Fakten rund um die Guardiola-Show:

„Seine ganze Medien- und Mythen-Maschine hatte der FC Bayern angeworfen, um den neuen Trainer vor 250 Journalisten und fünfzig Radio- und Fernsehsendern als Superstar zu präsentieren – bis hin zu dem Moment, in dem sich der Rasen der Arena auftat, als Guardiola zur Fanfare von ‚Also sprach Zarathustra‘ für die Kamera-Armada zum ersten Mal aus der Kabine kommend seine künftige Wirkungsstätte betrat“,

schreibt Christian Eichler in der FAZ (Seite 24). Der SZ verdanken wir noch die Präzisierung, dass „250 Reporter aus elf Ländern“ zugegen waren bei der „größten Pressekonferenz in der Geschichte des FC Bayern“ (Hörwick).

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[+++] Das Thema des Tages in der SZ (Seite 2) ist die britische Spionageoperation „Tempora“, über die Spiegel Online bereits am Sonnabend berichtet hat. Die SZ beschreibt nun mit Berufung auf „Unterlagen des Whistleblowers Edward Snowden“ ausführlich, wie der britische Geheimdienst Government Communications Headquarters Internet- und Telefondaten aus Deutschland „abgegriffen“ hat:

„Es soll sich um unzählige Daten handeln, die aus Deutschland kamen oder nach Deutschland geschickt wurden. Das ist nicht der Cyberkrieg, vor dem die amerikanische NSA immer gewarnt hat, sondern ein heimlicher umfassender Big-Data-Angriff auf die Bevölkerung eines befreundeten Landes. Die alte Formel: ‚Freund hört mit‘ umfasst das Problem nicht mal ungefähr. Großbritanniens Geheimdienst hat einen Lauschangriff auf Deutschland gestartet.“

Der Begriff „Angriff“ kommt mehrmals vor in dem nicht unmartialisch formulierten Artikel. Verwendung findet auch das beliebte Suffix „-gate“: Von „Nordengate“ ist die Rede, weil eine „Seekabelendstelle“, eine Art Datenknotenpunkt, in der ostfriesischen Stadt Norden eine Rolle spielt. Jetzt sind wir natürlich gespannt auf Details darüber, wie deutsche Geheimdienste bei ihren Lauschangriffen auf befreundete Länder vorgehen.

Weiter unten auf der Seite 2 der SZ geht es um Neuigkeiten rund um Edward Snowden, also den Mann, ohne den wir wohl nichts über „Tempora“ wüssten:

„Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass Julian Assange Zuflucht vor dem Zugriff der USA in der Botschaft Ecuadors in London suchte. Assange war es auch, der Snowden riet, in einem lateinamerikanischen Land um Asyl nachzufragen. Warum aber suchen sich die derzeit berühmtesten Apologeten ungebremster Informationsverbreitung ausgerechnet ein Land aus, das die Organisation Reporter ohne Grenzen auf dem wenig ruhmreichen Platz 119 der Pressefreiheit platziert, zwischen Nepal und Kamerun?“,

fragen Reymer Klüver und Christian Wernicke.

Die FAZ haut auf ihrer Medienseite in eine ähnliche Kerbe.

„Wenn der Whistleblower Edward Snowden sich nach Ecuador flüchtet, gerät er in schlechte Gesellschaft. Präsident Rafael Correa ist nämlich einer der größten Feinde der Pressefreiheit. Ein neues Gesetz verschafft ihm umfassenden Zugriff auf die Medien.“

In den USA spielt sich mittlerweile noch ein „anderes Snowden-Drama“ ab. Die Formulierung stammt aus der New York Times. Ursprung dieses Debattenkomplexes ist eine Frage des NBC-Mannes David Gregory, die dieser in der Sendung „Meet the Press“ an Glenn Greenwald richtete, jenen Guardian-Journalisten, der die Enthüllungen des Spionageaufklärers Snowden unters Weltvolk brachte: „Why Shouldn't You Be Charged With A Crime?“ Erik Wempler geht in seinem Washington-Post-Blog gleich zweimal auf die Causa ein (hier und hier); er zitiert unter anderem, was Greenwald direkt auf Gregrory entgegnete.

„If you want to embrace that theory, it means that every investigative journalist in the United States who works with their sources, who receives classified information, is a criminal.“

Ein Text von The Nation geht in eine ähnliche Richtung.

„Criminalizing investigative reporting may undermine and intimidate journalism, but it is even more devastating to democracy.“

Verfassunsgrechtlich und medienhistorisch argumentiert die Press Freedom Foundation. Poynter. fasst die Reaktionen verschiedener Journalisten zusammen. Und die bereits zitierte New York Times zieht folgendes staatsragend-liberales Fazit:

„Politicians would like to conflate the actions of reporters and their sources, but the law draws a very clear and bright line between the two in an effort to protect speech and enable transparency. Mr. Greenwald may have a point of view and his approach to journalism is through the prism of activism, but he functioned as a journalist and deserves the protections that go with the job.“

[+++] Kommen wir zur Spionage der älteren Schule: Die Historikerin Bettina Stangneth hat herausgefunden, dass der BND einst einen Spitzel in der Bundespressekonferenz sitzen hatte: den früheren NS-Propagandajournalisten Fritz Fiala. Der arbeitete später für die Saarbrücker Zeitung, unter anderem als Leiter deren Bonner Büros. Auf das Spitzeldasein Fialas wurde Stangneth im Rahmen eines Gutachtens aufmerksam, das sie mit Blick auf eine an diesem Donnerstag stattfindende Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht Leipzig erstellt hat. Es geht um einen sich schon sehr lange hinziehenden Rechtsstreit, den der Bild-Redakteur Hans-Wilhelm Saure angestrengt hat, um vom BND sämtliche Akten über den Menschheitsverbrecher Adolf Eichmann vorgelegt zu bekommen. Der Spiegel hat kürzlich die Namen mehrerer Journalisten genannt, die für den BND tätig waren. Stangneths Enthüllungen haben aufgrund der Tatsache, dass nun auch ein langjähriges Mitglied der Bundespressekonferenz als Agent enttarnt wurde, eine neue Qualität. Das Gutachten ist auf der Seite von Saures Anwalt zu finden (hier als PDF, zur Causa Fiala siehe Seite 13 bis 15).

[+++] Alphatiere des Journalismus hauen gern einmal auf die Tonne, und insofern ist es nicht verwunderlich, dass Joachim Braun, Chefredakteur des Nordbayerischen Kurier und einer der alphatierischsten Vertreter des hiesigen Regionaljournalismus, zur „Berichterstattung der Medien in der Causa Mollath“ was sehr Meinungsstarkes mitzuteilen hat. Diese sei „sehr ungenau und manipulativ“ schreibt Braun in seinem Blog.

„Dabei wird vielfach Interpretation als Recherche verkauft. Denn SZ, Nürnberger Nachrichten, einige ARD-Sender und all die anderen haben sich bisher kaum die Mühe gemacht, auch mal die Gegenseite zu hören. Und damit werfe ich den Kollegen nicht vor, dass Mollaths Ex-Frau nicht mit ihnen sprechen wollte. Es gibt genügend andere Quellen, die man hören kann. Aber warum die Mühe? Man will ja nicht das Bild zerstören einer politischen Intrige,“

Besonders die SZ hat Braun im Visier. Deren Zielrichtung sei

„ganz klar: Innenpolitik-Chef Heribert Prantl nutzt Mollath als Waffe gegen den von ihm als schändlich angesehenen Paragraphen 63 der Strafprozessordnung, den er gar den ‚Mollath-Paragraphen‘ nennt (...) Prantls dafür mit einem Wächterpreis ausgezeichnete Kollegen Olaf Przybilla und Uwe Ritzer missbrauchen Mollath in einem Feldzug gegen die CSU, die Justiz und die Psychiatrie.“

Die Berichterstattung des Nordbayerischen Kuriers kommt in dem Blog natürlich sehr gut weg. Obwohl der Kurier gerade eine „Ente“ in Sachen Mollath verbreitet hat. Darüber berichtet, na klar, die SZ.


ALTPAPIERKORB

+++ Um beim Thema Recherchequalität zu bleiben. Hans Leyendecker - heute SZ. früher Spiegel - gibt in einem Interview mit Cicero Online zu, dass er 1993 mit einer Spiegel-Titelgeschichte zum Polizeieinsatz in Bad Kleinen daneben lag, unter anderem, weil er einen „Informanten falsch eingeschätzt“ hat: „Wissen Sie, seit 20 Jahren entschuldige ich mich für diese Sache. Und ich sage jungen Leuten: ‚Du kannst dir ziemlich sicher sein, dass deine Entschuldigung immer neue Entschuldigungen nach sich ziehen wird.‘ Aber das ist okay. Entschuldigt Euch, wenn es sein muss."

+++ Bei Cicero Online findet sich noch ein weiterer Text zum Thema Bad Kleinen und die Medien. Er nimmt Bezug auf die beiden aktuellen ARD-Filme zum Thema („Endstation Bad Kleinen“ und „Zugriff im Tunnel“).

+++ Die heute wichtigste Meldung aus dem öffentlich-rechtlichen Milieu betrifft Frankreich: „Die Ministerin für Kultur und Kommunikation, Aurélie Filippetti, (hat) jetzt einen erstaunlichen Vorschlag gemacht: Die Franzosen sollen bei ihrer Steuererklärung angeben, ob sie die öffentlich-rechtlichen Programme nutzen oder nicht. Jene, die sich auf das Privatfernsehen oder auf Pay-TV beschränken, müssten dann keine Gebühren mehr zahlen (...) Die Verwirklichung dieses Modells käme einer Kulturrevolution gleich“, meldet die FAZ auf ihrer Medienseite. Doch Kulturrevolution hin oder her: Der Text ist nicht einmal 1.500 Zeichen lang.

+++ Aufmacher in den Feuilletons von SZ und FAZ sind Nachrufe auf Henning Ritter, den Gründer der FAZ-Beilage Geisteswissenschaften, der im Alter von 69 Jahren gestorben ist. Er war „einer der wichtigsten Redakteure, die die FAZ in ihrer Existenz gehabt hat“, schreibt Andreas Platthaus ebd. Thomas Steinfeld (heute SZ, früher FAZ) preist einen „großen Ideenverschenker“ „Henning Ritter war einer der scharfsinnigsten, gebildetsten Köpfe der Republik und als Redakteur einer ihrer folgenreichsten Gestalter.“ Ohne damit etwas gegen den Verstorbenen sagen zu wollen: Die Idee, dass Journalisten in diesem Sinne „Gestalter“ waren oder sind, kommt mir generell etwas romantisch vor. Der Ritter-Nachruf in der Welt („Er war ein Flaneur des Geistes“) stammt ebenfalls von einem Ex-FAZ-Redakteur (Eckhard Fuhr; online ist der Name in der Autorenzeile kurioserweise falsch geschrieben)

+++ Aufmacher der SZ-Medienseite: ein Verriss der öffentlich-rechtlichen „Markenchecks“ und anderer Lightdokus: „(...) im deutschen Fernsehen (ist) auf diversen Kanälen die ganz große Checkerei ausgebrochen. Stets wird dabei 'die ganze Wahrheit' versprochen, ob über die Fitnessbranche, über Bio-Gemüse oder über die Drogerieszene (...) Was derzeit im boomenden öffentlich-rechtlichen Verbraucherfernsehen wie Aufklärung daherkommt, ist vielfach nur dumm und verlogen.“

+++ Der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Baden-Württemberg missfiel die Berichterstattung insbesondere der FR zum Polizeieinsatz gegen Blockupy-Demonstranten in Frankfurt. Deshalb publizierten die Gewerkschafter folgende Wortspende: „Die FR ist einmal mehr im Bunde mit linken bis linksextremen Organisationen und betreibt eine Kampagne in deren Namen (...) Spätestens jetzt sollte sich die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) gehörig dafür schämen, dieses linksradikale Propagandablatt vor dem verdienten Bankrott gerettet zu haben.“ Die taz greift den Irrsinn auf - und weist darauf hin, dass die GdP den Text „von der rechtskonservativen Internetseite blu-News übernahm“. „Rechtskonservativ“ ist nett formuliert.

+++ Der Guardian berichtet über eine Twitter-Kampagne des Bürgermeisters von Ankara gegen die BBC-Journalistin Selin Girit.

+++ Joachim Huber kritisiert im Tagesspiegel, dass in der ZDF-Berichterstattung zum Confederations-Cup in Brasilien die anlässlich des Turniers stattfindenden Demonstrationen „erst allmählich in den Fokus rücken“.

+++ Huber war gestern auch mit dabei bei einer Podiumsdiskussion zum „Funkverkehr – Wie Politik zur Nachricht wird”. Genauer gesagt ging es um die Frage: „Wie verläuft der Weg vom Parteibüro ins Studio und was passiert unterwegs?“ (siehe RBB-Kulturradio-Ankündigung eines morgigen Beitrags zum Thema). Das Video der Diskussion steht bei wwwagner.tv.

+++ Oh, Neon ist mittlerweile auch schon zehn Jahre alt - siehe dazu einen Jubiläumsartikel in der Welt.

Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.