Der Redakteur eines Online-Portals gibt der Justiz unter Druck eine Information preis. Anlässlich der am Montag gestarteten Konferenz re:publica stellt sich heute, mal wieder, folgende Frage: Hat die Netzgemeinde, die nicht so genannt werden möchte, eine Perspektive, den „Rest der Bevölkerung“ zu erreichen? Außerdem auf der Agenda: der Qualitäts-Fashionjournalismus der NSU-Prozessberichterstatter, ein fiktiver Theater-Prozess gegen die Weltwoche und ein Verriss der aktuellen Spiegel-Titelgeschichte.
Die wichtigste Nachricht des Tages lautet, jedenfalls unter medienbetriebsinternen Gesichtspunkten, dass der Redakteur Rasmus Meyer nicht ins Gefängnis geht. Die SZ meldet es heute links unten auf ihrer Medienseite. Rasmus Meyer? Richtig, der Mann gilt nicht als Alphajournalist. Dass die Verbreitung der Nachricht sich noch in Grenzen hält, liegt daran, dass er als Redakteur für das Portal klinikbewertungen.de arbeitet.
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Kurz zum Hintergrund (siehe auch Altpapier, Spiegel Online, Der Westen): Das Amtsgericht Duisburg hatte Beugehaft gegen Meyer angeordnet, weil der den Klarnamen eines Nutzers nicht preisgeben wollte; dieser hatte einen Kommentar verfasst, durch den sich eine Ärztin beleidigt fühlte, die daraufhin Anzeige stellte. Aufs Zeugnisverweigerungsrecht könne sich der Mitarbeiter in dieser Sache nicht berufen, so das Amtsgericht. Meyer ging in Berufung. Über das entsprechende Urteil des Landgerichts Duisburg schreibt SZ-Redakteur Wolfgang Janisch nun:
„Das Landgericht hat ihm (...) keineswegs abgesprochen, dass er redaktioneller Mitarbeiter des Portals sei - womit er prinzipiell die Aussage verweigern dürfte. Und in der Rechtsprechung ist anerkannt, dass auch Leserbriefe zum redaktionellen Teil einer Zeitung gehören, so dass die Zeitungsmitarbeiter die Namen der Verfasser nicht preisgeben müssen. Nur: Beiträge auf Internetforen zählen gerade nicht zum redaktionellen Inhalt. Weil solche Nutzerbeiträge - anders als der Leserbrief - ohne vorherige redaktionelle Prüfung öffentlich würden, gelte für sie kein journalistisches Zeugnisverweigerungsrecht, entschied das Landgericht und bewegt sich damit auf der Linie der einschlägigen Fachkommentare.“
Meyer hat sich, so die SZ, nun, falls man das so sagen kann, entschieden, den Namen doch herauszurücken. Er will nicht den Märtyrer spielen - und kann es vielleicht auch nicht. Die Frage, ob es vertretbar ist, einem Journalisten Beugehaft anzudrohen, reißt Janisch nicht an.
Interessant wird auch sein, ob die Auffassung der Duisburger Landrichter in Einklang zu bringen ist mit zwei höchstrichterlichen Entscheidungen - etwa einer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Der stellte 2010 fest, die Öffentlichkeit habe grundsätzlich auch Interesse an Informationen aus anonymen Quellen, weshalb diese schützenwert seien. Außerdem gibt es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem August 2000, in dem es anlässlich eines Bekennerschreiben einer autonomen Gruppe heißt: „Der Schutz der Pressefreiheit umfasst ebenfalls die Wiedergabe von Beiträgen Außenstehender, einschließlich der anonymen Veröffentlichung von Zuschriften Dritter.“
Da Meyer Verfassungsbeschwerde eingelegt hat, werden wir in einigen Monaten diesbezüglich vielleicht schlauer sein.
[+++] Vom Beinahe-Gefängnisinsassen Meyer zu Deutschlands derzeit bekanntester Inhaftierter: Aus der Berichterstattung über den nach dem ersten Tag unterbrochenen NSU-Prozess collagiert Deniz Yücel (taz) vor allem modejournalistisch angehauchte Passagen (die nicht unbedingt überraschen, siehe Altpapier vom Freitag). Trug Beate Zschäpe nun einen „nachtblauen Sakko, weiße Bluse und schwarze Jeans“, einen „schwarzen Anzug und eine weiße Bluse“ oder einen „dunklen Hosenanzug“?
publikative.org ironisiert die Spackigkeit der Zschäpe-Beschreibungen, indem man das Prinzip einfach auf die männlichen Angeklagten anwendet:
„André E. – Volltreffer! Modische Frisur, Haare im Rockabilly-Style zurückgeschleimt, cooler Backenbart, aufregende Sonnenbrille, männliches Hemd. Der Prototyp des Ostfaschos überzeugte Deutschland durch sein erfrischendes Auftreten. Der aus verschiedenen Subkulturen zusammengeklaubte Nazi-Macker-Chic ist DIE konsequente Weiterentwicklung der Fascho-Skinhead-Mode der 1990er. Publikative-Note 1.
Jenseits der hosenanzüglichen Prozess-Berichterstattung macht Georg M. Oswald in der Welt auf sich aufmerksam. Ungefähr ein dreiviertel Jahr nach der Titanic und sechs Monaten nach der taz fällt es nun ihm auf, dass die Nazisse Zschäpe sich von Anwälten vertreten lässt, deren Namen einfach super passen zu einer nationalsozialistischen Terroristin bzw., um es mit Oswald zu sagen, klingen, „als habe die Angeklagte sie ausgesucht, um zu provozieren. Diese Art Hohn ist ein Mittel rechter Symbolik“.
[+++] Selten ist der Verkauf eines Medienobjekts hübscher begründet worden als nun von Dirk Manthey, der den Branchendienst Meedia an die Verlagsgruppe Handelsblatt (VHB) veräußert hat:
„Ich selbst möchte mich mit dem Verkauf von Meedia zeitlich entlasten."
Der Medienunternehmer mit Hauptwohnsitz in Kalifornien hat nämlich „eine gewisse Angst davor, dass meine Unternehmungen (...) mich zu lange in Hamburg halten“. All die Möchtegern-Kalifornier in unserer Branche können den Dirk diesbezüglich bestimmt gut verstehen. Immerhin fehlt in dem Text der Hinweis nicht, dass sich Meedia „wirtschaftlich immer etwas schwer getan“ habe. Das Handelsblatt äußert sich ebenfalls in eigener Sache.
Was bedeutet es, dass Meedia nun Teil einer recht großen, gern mal so genannten Familie ist? Auf den ersten Blick ist das nichts Besonderes. Auch andere Branchendienste sind Teil großer Häuser. Werben & Verkaufen gehört zur Unternehmensgruppe Süddeutscher Verlag, in der neben der Süddeutschen Zeitung und bayerischen Regionaltiteln überwiegend Fachpublikationen erscheinen. Horizont gehört dem Deutschen Fachverlag, Kress Report ist als Teil von Haymarket Media mit dem Fachblatt Friedhofskultur verschwistert. Meedia ist nun allerdings mit außergewöhnlich vielen Medien verbandelt, die zu den Berichterstattungsobjekten des Branchendienstes gehören: zum einen mit den VHB-Titeln Handelsblatt und Wirtschaftswoche, zum anderen, da die VHB zur Dieter von Holtzbrinck Medien GmbH gehört, auch mit dem Tagesspiegel und der Zeit. Das ist theoretisch erst einmal nicht optimal.
[+++] Derweil schreibt der Branchendienst, der gerade Nachrichten in eigener Sache produziert, über „ZDFcheck“, ein erst einmal nicht uninteressant klingendes Projekt, das am ersten Tag der re:publica vorgestellt wurde: Während des Bundestagswahlkampfes will man in Kooperation mit Wikipedia Aussagen von Politiker auf ihre faktische Richtigkeit überprüfen. In den USA gibt es ähnliche Projekte schon seit längerem, seit 2007 etwa klopft zum Beispiel die von der US-Zeitung Tampa Bay Times gestartete Plattform Politifact Politiker-Statements auf ihren Wahrheitsgehalt ab. Das ZDF informiert über sein eigenes Projekt auch selbst.
Zwei Fragen wirft „ZDFcheck“ schon einmal auf. Erstens: Interessiert es den Wähler wirklich, ob Politiker die „Wahrheit“ sagen? Zweitens (siehe Altpapier): Wenn man schon den nicht unberechtigten Verdacht hat, dass es Politiker mit Fakten nicht so genau nehmen, könnte man sich ja auch mal Gedanken über eine Politikberichterstattung machen, die nicht so sehr auf Politiker fixiert ist. Aber das ist natürlich ein frommer Wunsch angesichts der Konstruktion des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.
Weitere Artikel zur re:publica: Zeit Online widmet sich dem Auftritt des „Hofnarrs der digitalen Elite“ bzw. des „Rentners und Teilzeitphilosophen“ Gunter Dueck, und die Berliner Zeitung stellt die kubanische Bloggerin Yoani Sánchez vor. Die Verleihung des Finanzblog-Awards 2013 während des ersten Veranstaltungstages animiert Dirk Elsner (Carta) dazu, sich mit der hiesigen Finanz- und Wirtschaftsbloggerszene zu beschäftigen.
Stephan Dörner (Wall Street Journal Deutschland) nimmt die re:publica zum Anlass für eine Grundsatzbetrachtung:
„Das Wort ‚Netzgemeinde‘ ist vielen führenden Köpfen der Szene in Deutschland ein Graus. Es impliziert eine sektenartige kleine geschlossene Gemeinde – abgetrennt und isoliert vom Rest der Gesellschaft. Weil Internet längst Mainstream ist, sei der Begriff Netzgemeinde in etwa so sinnvoll wie der Begriff Fernsehgemeinde, argumentiert der bekannte Blogger Mario Sixtus. Eine schonungslose Bestandsaufnahme zeigt aber: Mit Begriffen wie Netzneutralität können auch im Internetzeitalter nur die wenigsten etwas anfangen und der Protest gegen das von der Netzavantgarde verhasste Leistungsschutzrecht für Presseverleger starb trotz allem Trommeln auf Twitter und Blogs den grausamen Tod der Gleichgültigkeit. Es gibt sie eben doch, die Netzgemeinde – sie ist aber klein und oft isoliert.“
Wenn wir schon beim Begriff „Fernsehgemeinde“ sind: Möglicherweise ist die Gruppe, die mit „Netzgemeinde“ (im Sinne von: Menschen, die sich sehr für die Themen Leistungsschutzrecht und Netzneutralität interessieren) gemeint ist, ja ungefähr so groß wie das Stammpublikum einer Sendung von Eins Plus oder BR-Alpha. Oder nicht einmal das?
Am Ende seines Textes fragt Dörner:
„Wird aus der Netzgemeinde am Ende doch noch eine Netzgemeinschaft? Findet die Netzelite eine Sprache, die vom Rest der Bevölkerung verstanden wird? Diese Fragen entscheiden sich auch auf der diesjährigen Republica.“
+++ Die taz kritisiert mit Bezug auf den Leipziger Rundfunkrechtler Christoph Degenhart die Großzügigkeit von TV und Hörfunk gegenüber den Kirchen: „Die Sender sind nach den Rundfunkgesetzen und -staatsverträgen (...) verpflichtet, den Kirchen Sendeplätze (...) einzuräumen. Doch sie gehen weit darüber hinaus: Sie produzieren und finanzieren einen Großteil der Kirchensendungen auch selbst. Das müssen sie nicht."
+++ Eine „kurze Theorie der Leser, dieser Bastarde“ liefert Constantin Seibt in seinem Deadline-Blog für den Schweizer Tagesanzeiger ab. Es geht sowohl um Leserbriefschreiber als auch Online-Kommentatoren. Seibt fragt sich: „Warum (...) der oft limitierte Ton in den Reaktionen? Warum wird in den Briefen ausgerechnet der allerbilligste Stoff im Journalismus gelobt oder getadelt – die Meinung? Und warum das aggressive Geraunze und Geschwafel online?“
+++ Mehr Schweizerisches: Tim Neshitov schreibt in der SZ (Seite 13) über einen von Milo Rau inszenierten fiktiven Theaterprozess gegen das Krawallblatt Weltwoche in Zürich. Dessen Chefredakteur Roger Köppel habe es abgelehnt, „persönlich an den Verhandlungen teilzunehmen, stattdessen führte er mit Rau ein Streitgespräch, das er mit der Unterzeile ‚Wozu das Theater?' pünktlich zum Prozessbeginn abdruckte. ‚Der echte Roger Köppel kann nicht vor einem falschen Gericht stehen', sagt da der echte Roger Köppel. Der bekennende Linke Rau betont seinerseits, er wolle keinen Schauprozess gegen ein Blatt führen, zu deren klassischen Lesern er sich nicht zähle. Das juristische Format solle vielmehr helfen, die Tabuisierung der Weltwoche in den linken Kreisen zu überwinden und ‚wirre Vorwürfe von realen Fehlleistungen zu trennen‘“. Und wie war nun die Inszenierung? „In einem kleinen, schlecht gelüfteten Theatersaal ließ Milo Rau drei Tage lang Dutzende Journalisten, Aktivisten und Politiker aufeinandertreffen, die glauben, sie hätten in der Schweiz viel zu sagen, und oft nur von ihren Gleichgesinnten gehört werden. Diesmal wurden diese Menschen von den jeweils anderen gehört und von sieben bunt gecasteten Geschworenen, unter ihnen ein Germanist, eine kopftuchtragende Studentin der Islamwissenschaften, eine Gymnasiastin.“ Auf der Feuilleton-Aufmacherseite der FAZ geht es ebenfalls um die den Bühnenprozess gegen die Weltwoche.
+++ Auf der Medienseite der FAZ findet sich unter anderem ein Interview mit Sofia Fromberg, der zuständigen Redakteurin der öffentlich-rechtlichen dänischen Talkshow „Blachman“, dessen Konzept darin besteht, dass zwei Männer eine nackte Frau betrachten und sich darüber unterhalten (siehe Altpapier). Fromberg sagt: „Es ging nicht um Provokation. Wir wollten eine Debatte anstoßen: Ist der weibliche Körper zum Tabuthema geworden? Wir sollten das Gespräch über den weiblichen Körper nicht der Werbung, den Modemagazinen und der Pornoindustrie überlassen. Dort findet der Sexismus statt, wird respektlos über den Körper gesprochen, und genau das wirkt sich schädlich auf den Umgang zwischen Männern und Frauen aus.“
+++ Michael Kläsgen, Andrian Kreye und Claudia Tieschky schreiben auf der SZ-Medienseite über die Deutschland-Offensive der Huffington Post und bezeichnen deren Null-Honorar-Prinzip höflich als „umstrittenes Geschäftsmodell“ (siehe Altpapier).
+++ Beim Antrittsbesuch des neuen Spiegel-Chefredakteurs Wolfgang Büchner, der noch nicht weiß, wann er seinen ersten Arbeitstag an der Ericusspitze haben wird, sei die zweite Frage aus der Runde gewesen, ob bald alle Redakteure „einen Twitter-Account haben müssen“, berichtet Meedia. Eine Frage, die man eher bei der Eckernförder Zeitung erwartet. Womit natürlich nichts gegen deren Redakteure gesagt sein soll.
+++ Und was hat man von der aktuellen Spiegel-Titelgeschichte zum Thema Altersvorsorge zu halten? Sie ist eine „eine publizistische Bankrotterklärung“. Meint jedenfalls Jens Berger (Nachdenkseiten).
+++ Noch was in Sachen Spiegel: Dessen TV-Ableger wird 25 (Hamburger Abendblatt).
+++ „Ehe und Familie sind die großen Stabilisatoren der Evolution. Selbst den Katastrophen der Natur und in den revolutionären Umbrüchen hielt der familiäre Kern des Zusammenlebens stand. Weder Robespierre noch Hitler, Stalin, Mao oder Pol Pot schafften es, die Familien zu eliminieren, so sehr sie sich auch darum bemühten. Ehe und Familie haben alle Frontalangriffe überlebt. Bedrohlicher als die gewaltsamen Versuche von gestern sind möglicherweise die lautlosen Unterminierungen von heute“, schrieb Norbert Blüm gestern in einem Gastartikel für die Seite 2 der SZ, der mittlerweile auch online steht. Man kann es ja opportun finden, mit „provokanten“ Gastartikeln „Debatten“ anzustoßen, aber ein paar, tja, Grenzen, sollte es dann schon geben, jedenfalls für eine nicht zu Unrecht nicht unrenommierte Zeitung. Anstatt diesen hier komprimierten Text überhaupt zu publizieren, wäre es jedenfalls besser gewesen, dem guten Mann zu raten, den Schrank mal wieder mit ein paar Tassen aufzufüllen, oder ihn ans Eva-Herman-Milieu zu verweisen. Die SZ-Redakteurin Barbara Vorsamer hat zwar angekündigt, dass ein Contra-Artikel kommt, aber erschienen ist er noch nicht.
Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.