Katzen würden Content finanzieren

Katzen würden Content finanzieren

Mediales zum Anschlag in Boston.  Journalismusfinanzierungs-Initiativen zwischen Titel-Inflation am Kiosk und Transparenz im Internet (sage und schreibe 24 Möglichkeiten, mit Onlinejournalismus Geld zu verdienen!). Außerdem: Lob für die Kommentare der "Berliner Zeitung".

Jedes Thema in den Medien ist auch ein Medienthema. Insofern ist der Anschlag in Boston, der in allen Medien die obersten bzw. ersten Plätze belegt, das Topthema. Die Seite 3-Reportage der Süddeutschen trägt etwa die Überschrift "Homeland", obwohl die gleichnamige Fernsehserie mit keinem Wort erwähnt wird. Und

"... nirgendwo waren mehr Kameras, nirgendwo haben mehr Menschen das Ereignis verfolgt. Und an keiner anderen Stelle wäre die unmittelbare Aufmerksamkeit höher gewesen, als an der Ziellinie. Jede Sekunde des Anschlags ist in zahllosen Clips aus allen nur denkbaren Einstellungen zu sehen. Jedes kleinste Detail wurde mit Smartphones festgehalten und hat sich innerhalb weniger Minuten auf der ganzen Welt verbreitet. Ungefiltert, nahezu in Echtzeit. Wer will, kann das Grauen mit all seinen Facetten ansehen",

schrieb gestern nachmittag Christopher Pramstaller unter der Überschrift "Wie Terroristen die Macht der Bilder nutzen" vollkommen zurecht bei sueddeutsche.de.

Illustriert ist der Artikel mit einem Agenturfoto, das eine korpulente Frau beim Hantieren mit ihrem sog. Smartphone zeigt, während vor ihr ein Feuerwehrmann einen Verletzten versorgt. "Während sich die einen um die Verletzten kümmern, verbreiten die anderen Bilder und Informationen in Echtzeit über ihre Smartphones", lautet die Bildunterschrift. Das klingt vielleicht etwas zu anklagend. Schließlich wissen Betrachter dieses Fotos weder, was die Gezeigte wirklich "verbreitete", noch, wie genau dieses Agenturfoto mit ihr drauf entstanden ist. Bloß dass die Frau gerade kein Foto mit wirklich "blutigen Bildern der Opfer" aufnahm, wie etwa sueddeutsche.de sie laut der Selbstverpflichtungserklärung untendrunter ("Im Zuge der Berichterstattung über den Anschlag in Boston verzichtet Süddeutsche.de bewusst auf die Veröffentlichung von Fotostrecken und Videos mit blutigen Bildern der Opfer") nicht zeigen würde, ist offensichtlich. Nur sehr wenig Blut ist zu sehen. Solche nicht oder kaum blutigen Fotos hatte dagegen bereits gestern morgen auch das Panorama-Ressort von sueddeutsche.de in Storify-Form verbreitet. So wie jedes andere aktuelle Medium auch.

Echtzeit- und Quasi-Echtzeit-Berichterstattung sind ohnehin verdammt komplex, und dabei noch auf in oder unmittelbar nach Extremsituationen zufällig ins Bild geratene Passanten einzugehen, ist nicht leichter. Ebenfalls in Storify-Form, den Einfluss der sog. sozialen Medien positiver bewertend ("beispielloser Fall von Bürgerjournalismus"), unter besonderer Berücksichtigung der Plattform reddit.com sowie der selber mitgelaufenen, selber twitternden Läuferin Sabrina Mockenhaupt, berichtete über die Ereignisse in Boston z.B. das Portal handelsblatt.com [für das ich manchmal schreibe].

Die TAZ streift heute am Rande ihrer Themenseite unter der Überschrift "Bomben in Medien" das "Dilemma", dass "die Medienwelt ...von drei Fakten dominiert" werde, nämlich den "vorhandenen Bildern", der "Präsenz der Journalisten" und der "emotionalen Nähe der Leser zum Land", weshalb aktuell in Pakistan, im Irak und besonders in Somalia explodierte Bomben beim deutschen Publikum bzw. in den für dieses gemachten Medien wieder wenig bis gar kein "Medienecho" erzielten.

Auf der FAZ-Medienseite 35 berichtet erstens Nina Rehfeld über die Berichterstattung des lokalen Boston Globe:

"Schon kurz nach der Katastrophe veröffentlichte der 'Globe' ein rohes Video seines Sportberichterstatters Steve Silva über die Minuten nach den Explosionen, das von CNN, Fox News, MSNBC und anderen Sendern im Laufe des Nachmittags immer wieder gezeigt wurde. Atemlos sagt Silva darin nach Sekunden des Herumirrens: 'Wir hatten einen Angriff.' Seine Aufnahmen zeigen Menschen, die zum Ort der Explosion laufen, einen Absperrzaun niederreißen, um Verletzten zu helfen, sich Jacken vom Leib reißen, um Blutungen zu stoppen. 'Oh mein Gott', stöhnt der Filmer und wendet die Kamera von einer Blutlache am Boden auf ein dahinterliegendes Gebäude, 'mein Gott'."

Um dieses Video handelt es sich.

Zweitens berichtet in der FAZ Mark Siemons aus Peking, "was die Chinesen über das Attentat in Boston denken". Drittens streift Michael Hanfeld beim Glossieren über die jüngste ARD/ ZDF-Auseinandersetzung um Digitalsender (siehe Altpapierkorb gestern) und wirft die Frage auf, "wie viele Kanäle die Öffentlich-Rechtlichen eigentlich noch brauchen, um auf ein Ereignis wie die Bombenanschläge in Boston anders als im Business-as-usual-Modus zu reagieren, was im Zweifel heißt: so gut wie gar nicht. Einen hiesigen Nachrichtensender gab es an diesem Abend, der den Namen verdient, und das ist ein privater namens n-tv, der sich in solchen Situationen wenigstens als Klein-CNN erweist und im Rahmen seiner Möglichkeiten dem amerikanischen Nachrichtensender oder dem britischen Pendant BBC International nacheifert."

[+++] Damit zum Meta- und Megathema des Journalismus für eine noch unbestimmte Zukunft: der Journalismusfinanzierung. Gerade wurden entsprechende Fragen aus ausgesprochen unterschiedlichen Ecken ausfgeworfen. Die turnusgemäße Printjournalismus-Veranstaltung vom Montag, die Jahrespressekonferenz des Zeitschriftenverleger-Verbands VDZ, ging ein wenig unter (kress.de, meedia.de). Es mutet ja auch immer noch trister an, wenn Verbands-Hauptgeschäftsführer weiter neue Gleichnisse ersinnen, um das in seinen Auswirkungen noch immer ungewisse Leistungsschutzrecht begreiflich machen zu wollen (aktuell: "Wenn ich zu einem Bäcker gehe, 20 Bötchen klaue und die dann verkaufe, ist das sicher eine prima Geschäftsidee...", referierte der Tagesspiegel - vermutlich inkl. kleinem Tippfehler, wobei die Story mit Booten natürlich genauso aufginge oder nicht aufginge).

Dabei gab es einen neuen Rekord zu vermelden: Die Zahl der deutschen Zeitschriften-Titel ist auf den "historischen Höchststand" (VDZ) von 1.542 angewachsen,. "Zwar bedeutet eine größere Auswahl nicht automatisch, dass mehr gelesen wird", merkte mit Recht Sonja Pohlmann im Tsp. an, doch seien trotz der Verluste vieler einzelner Zeitschriftentitel eben dank des Anstiegs der Gesamt-Titelzahl  "mit einer durchschnittlichen Gesamtauflage von rund 110 Exemplaren pro Quartal ... die Abonnements- und Verkaufszahlen 2012 im Vergleich zum Vorjahr stabil geblieben". Bloß das Gesamt-Anzeigengeschäft der Zeitschriften sei nicht stabil geblieben, sondern der "Brutto-Werbeumsatz" sei 2012 um 4,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr geschrumpft. Allerdings solle im laufenden Jahr diese Anzeigen-Schrumpfung schrumpfen, auf nurmehr 1,8 Prozent.

[+++] Vor solchen Hintergründen umso spannender: wie netzpolitik.org sich "gerade mehr Gedanken über eine Refinanzierung und weitere Erlösquellen" macht.

Zuvor hatte das Portal seine aktuelle Finanzierung offengelegt, dabei gezeigt, dass "viel mehr Geld verbraucht als bisher eingenommen wird",  und "eine kleine Crowdfinanzierungs-Kampagne gestartet". In gewohnter Transparenz heißt es:

"Eigentlich müssten wir jetzt Andre" - den angestellten Redakteur André Meister -  "rausschmeissen, weil die Stelle momentan einfach nicht refinanziert wird. Machen wir aber nicht, weil Andre tolle Arbeit leistet, viel recherchiert und mir den Rücken freihält, wenn ich z.B. reise (Mitunter, um hier unsere Arbeit durch Vorträge wieder refinanzieren zu müssen)".

Markus Beckedahl ist's, der da so virtuos von der ersten Person Plural in den Singular wechselt. Und anschließend über die aus Print-Geschäftsmodellen bestens bzw. schlechtestens geläufige Idee der Redaktionsverkleinerung hinaus sage und schreibe 23 weitere Möglichkeiten auflistet, mit Onlinejournalismus (oder trotz  Onlinejournalismus, der aber jedenfalls weitergeführt wird) Geld zu verdienen. So viele Ideen in der Hinsicht gab es wohl noch niemals auf einen Schlag. Das oben gezeigte Foto mit ironischer Verwendung eines der immer noch bestlaufenden Onlineinhalte haben wir mit hoffentlich freundlicher Genehmigung der netzpolitik.org-Kampagne entnommen. Heute ist an derselben Stelle oberhalb des Blogs keine Katze mehr zu sehen, sondern der bereits erwähnte André Meister.

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[+++] Irgendwie - das würden gewiss Optimisten und Pessimisten unterschreiben - hängt Journalismusfinanzierung zweifellos auch mit Inhalten zusammen.

In der Hinsicht darf man gespannt sein auf die neueste Studie des Inhaltestudien-Spezialisten-Teams Wolfgang Storz und Hans-Jürgen Arlt (z.B. Bild-Zeitungs- und Wirtschaftsjournalismus-Studie). Statt der Otto-Brenner- ist nun die Rosa-Luxemburg-Stiftung (online: rosalux.de) Auftraggeber. Es geht um die Frage, wie Armut und Reichtum in den Medien, den traditionellen gedruckten, auftauchen. Hier gibt es einen Auszug als PDF, hier Details zur Veranstaltung am 20. April, auf der die Studie vorgestellt und dann auch vollständig veröffentlicht wird. Einen anderen Auszug haben die Autoren für Carta ediert:

"Kommentarpraxis ist es, Armut zu zerlegen in Kinder-, Alters-, Migranten-, Langzeitarbeitslosen-, Schwerbehinderten-, Hartz-IV- und Alleinerziehenden-Armut; Frauen sind in den untersuchten Texten nur als Mütter arm. Nachdem die Verarmung so portioniert wurde, empfehlen die Kommentatoren den einzelnen Gruppen, sie mögen sich bilden und engagiert auf die Suche nach einer guten Arbeitsstelle begeben. Wer sich bildet, hat bessere Chancen auf eine gute Arbeit und wer Arbeit hat, der kann Armut hinter sich lassen ...; kritisch befragt oder gar relativiert wird er [dieser "als Dogma vorgetragene" Rat] öfter in der 'Berliner Zeitung', in den anderen Tageszeitungen selten bis gar nicht",

lautet eine zentrale Erkenntnis. Auf folgendes Sample bezieht sie sich: "die Ausgaben der Jahre 2008 bis 2012 der Tageszeitungen Berliner Zeitung und Tagesspiegel, SZ und FAZ sowie der Wochenmedien Der Spiegel und Die Zeit; bei diesen die gesamte Printausgabe, bei den Tageszeitungen die redaktionellen Kommentare."

Die Frankfurter Rundschau hätten die Autoren auch nennen können. Schließlich waren deren Inhalte über einen Teil des Zeitraums weitgehend identisch mit denen der BLZ (bzw. sind BLZ-Inhalte auch von FR-Redakteuren zugleiferet worden), und identisch sind sie noch immer. Aber das tun Arlt und Storz, der ja von 2002 bis 2006 Chefredakteur der FR war, nicht.
 


Altpapierkorb

+++ "Eine kleine Revolution in Köln - und das im Beisein der Ministerpräsidentin"! "Mit zahlreichen Gästen aus Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Medien" beging der Kölner Stadtanzeiger aus dem Verlag DuMont Schauberg, dem auch die BLZ gehört, am Montag die Eröffnung seinen neuen Newsrooms. Hannelore Kraft ließ sich gern fotografieren, Joachim Frank, auch er ein Ex-FR-Chefredakteur (2009-11), berichtet im KSTA. +++

+++ "Nacktbloggerin von der eigenen Familie entführt": Mit solchen Schlagzeilen (welt.de) zu in der Sache hochrelevanten Themen (um den "Titslamism" von Femen Tunisia geht's) könnten netzpolitische Portale ihre bei der Werbefinanzierung wichtige, aber auch nicht zu überschätzende Reichweite sicher noch einen Tick erhöhen. +++

+++ Als das ZDF mal besonders schnell war, und zwar mit einer Aussage des Sabah-Europachefs Ismail Erel, also eines Vertreters der Zeitung, die vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Journalistenakkreditierung beim NSU-Prozess geklagt hatte, da hatte es "geschummelt" (stern.de) bzw. "getrickst" (Tsp.). "Ist das nun 'Schummelei' wie stern.de schreibt oder nur harmlose Trickserei?" Zumindest erweckten "die 'heute'-Nachrichten aber gezielt einen falschen Eindruck" (meedia.de). Entdeckt hatte die Sache stern.de.

+++ Die Story, wie die ARD-"Tagesthemen" weniger schummelten als mindestens grob fahrlässig den Buchautor Peter Köpf in einem auf seinen Recherchen aufbauenden Beitrag zu erwähnen vergaßen, hatte Thomas Schuler letzte Woche für die BLZ aufgeschrieben (siehe auch Altpapier). Jetzt ist sein Artikel in ausführlicherer und aktualisierter Form ("Anders als MDR-Sprecher Kehr antwortete Tom Buhrow umgehend: 'Sie haben Recht: Ich höre davon zum ersten Mal und werde ihre Beschwerde an die zuständigen Kollegen weiterleiten'...") bei vocer.org erschienen. +++

+++ Sage und schreibe "knapp 50 Kollegen aus den Bereichen Redaktion, Produktion, Verkauf, Marketing und Sendeabwicklung" sollen am im Sommer neu eröffneten Berliner Sitz des schweizerischen "Social-TV-Senders" namens joiz arbeiten, sagen dessen Gründer Alexander Mazzara und der neue Geschäftsführer Carsten Kollmus im dwdl.de-Interview. Wie geht "social TV"? "...Formate wie 'Living Room' beispielsweise. Hier wird getalked und es gibt Live- Musik, die Stars sitzen auf der Couch und die Zuschauer können partizipieren und interagieren..." +++

+++ Quoten-Analyst Joachim Huber (Tsp.) nimmt sich der aktuellen RTL-Lage an. +++

+++ Sein "erstes Interview mit Newsroom.de" hat Michael Konken, der Vorsitzende der Journalistengewerkschaft DJV, geführt. Warum ist das interessant? Weil newsroom.de im Salzburger Oberauer-Verlag erscheint wie das medium magazin, das mit dem DJV-Fachblatt journalist (Rommerskirchen-Verlag aus Remagen-Rolandseck) nicht immer friedlich koexistierte. Was Konken sagt: "Die Spitzen der Verlage wurden von Controllern und Prozessoptimierern gekapert. Wenn die Rendite von zehn auf neun Prozent sinkt, redigieren sie den Stellenplan..." +++

+++ "Heute unterdrücken die Muslimbrüder die Meinungsfreiheit schlimmer als Mubarak", sagt der entlassene Chefredakteur von Al-Ahram-Online, Hani Schukrallah, in Sonja Zekris Aufmachertext der SZ-Medienseite. +++

+++ Zur oben angesprochenen neuesten ARD/ ZDF-Streitigkeit um die Reduzierung der Digitalsender. Hanfelds These im erwähnten FAZ-Beitrag: Der Streit spiele "letztlich den Medienpolitikern der Länder in die Hände ...: Wenn zwei sich streiten, entscheidet der Dritte." +++ "Hallo? Herr Bellut? Hallo? Tuut-tuut-tuut-tuut. Aufgelegt…", schreibt heute Jürn Kruse in der TAZ, als sei er die Kriegsreporterin. Seine These: Kooperationen zwischen den Systemen klappten sowieso immer schlechter. +++

+++ Dabei ist die Kriegsreporterin aus dem Urlaub zurück. Ihr überraschendes Thema: Gruner+Jahr, der "Aufstieg des Chefredakteurs Stefan Schäfer zum Vorstand 'Produkte' - Marmelade, Heizdecken, Zeitschriften", und das aktuelle Chefredakteurinnen-Karussell bei G+J (siehe auch Abendblatt). +++

+++ Die oben erwähnte emotionale Nähe der Leser zum englischsprachigen Raum zeigt die FAZ-Medienseite heute idealtypisch. Es geht dort auch um den neuen BBC-Nachrichtenchef: "Es ist der 43 Jahre alte James Harding, der, die Entlassung durch Rupert Murdoch vorwegnehmend, im vergangenen Dezember die Chefredaktion der 'Times' abgab. Die Wahl eines Zeitungsjournalisten, der keine Rundfunkerfahrung hat, ist bemerkenswert" und zeige, dass der neue Gesamt-BBC-Chef Tony Hall nicht so "linksliberal" wie erwartet agiert. +++ Es geht um die neue Pay-TV-Serie "Da Vinci’s Demons", bei der es "weniger auf ein komplexes Zeitbild als auf eine metaphysisch umwehte Detektivstory nach dem Vorbild von Dan Browns 'Da Vinci Code' geht". Auch das ist, was die FAZ nicht erwähnt, eine BBC Worldwide-Produktion. +++ "Die Serie 'How I Met Your Mother' bleibt eine Zumutung", schreibt wiederum Hanfeld. +++ Und um die Pulitzer-Preise geht's auch noch. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.