"Krisekrise, Anneliese"

"Krisekrise, Anneliese"

Julia Jäkel auf dem Gipfel der Macht, Jakob Augstein wie Veuve Cliquot, Mathias Müller von Blumencron versonnen lächelnd auf seinem Segelschiff: "Wind of change" in Hamburgs Medienlandschaft. Außerdem: wie ein ARD-"Tagesthemen"-Beitrag vergaß, den Original-Rechercheur zu erwähnen.

Die jüngste Top-Personalien-Medienmeldung ist jedenfalls kein Dolchstoß oder "Dolchstoß". Denn schon am selben Tag, an dem die durchgestochene Personalie vermeldet wurde (wie im Hause Bertelsmann ja gute Sitte, über das Manager-Magazin bzw. dessen Onlineauftritt), wurde sie auch bereits offiziellst bestätigt:

"Julia Jäkel (41), bisher Mitglied des G+J-Vorstandes und Leiterin G+J Deutschland, wird zur Vorsitzenden des Vorstandes / Chief Executive Officer, berufen".

Einen "komplett neuen Vorstand" (meedia.de) bekommt G+J also nicht, da ja ein bislang nominell gleichberechtiges Vorstandsmitglied zum nun eindeutig mächtigsten Vorstandsmitglied aufsteigt. Brisanter ist, wie G+J tief unten in seiner Mitteilung mitteilt, dass zwei weitere bisherige Vorstandsmitglieder mit sofortiger Wirkung ausscheiden: Torsten-Jörn Klein und Achim Twardy. Das bedeutet wiederum, wie der in Bertelsmann-Dingen bestens informierte Manager-Magazin-Redakteur Klaus Boldt ganz am Ende seines Artikels schreibt, dass nun offenbar der Dreiviertel-Meherheitsgesellschafter Bertelsmann "den Hamburger Verlag künftig wie einen Filialbetrieb führen darf."

"Brisant: Twardy war bislang unter anderem für die Beteiligung am Nachrichtenmagazin 'Spiegel' zuständig", flicht die Süddeutsche in ihren Bericht übers "Großreinemachen" bei Gruner ein. Nun also wird Jäkel "Einfluss auf die Wahl des neuen 'Spiegel'-Chefs haben" (Tsp.), oder - falls man Boldts Einschätzung folgt - direkt die Bertelsmann-Zentrale in Gütersloh wird diesen 25,5-Prozent-Einfluss nehmen.

[+++] Damit zunächst (mehr Jäkel-Stoff folgt unten) an die Ericusspitze, also den einen Tick östlich des G+J-Hauptquartiers gelegenen Sitz des Spiegel, bei dem seit spätestens gestern ein neuer Chefredakteur gefunden werden muss.

In der aktuellen Berichterstattung schürt die Springerpresse Verwirrung. Erstens macht der gestern erhobene oder zumindest bestrittene "Dolchstoßlegenden"-Vorwurf (siehe Altpapier) die Sache auch für die Bild-Zeitung interessant ("Waren die Spiegel-Chefs Opfer einer Intrige?"), die dem "stets gut informierten Redakteur" aus dem seriöseren Segment des eigenen Verlags, Kai-Hinrich Renner, die "renommierte 'FAZ'" gegenüberstellt. Dass diese "im Zusammenhang mit den jüngsten Ereignissen von einer 'Dolchstoßlegende'" gesprochen habe, ist nun aber absoluter Quatsch...

Zweitens preschte in den seriöseren Springerblättern (Welt, Hamburger Abendblatt), deren überregionale Inhalte inzwischen ja weithin identisch sind, Henryk M. Broder mit einem Plädoyer für Jakob Augstein als neuen Spiegel-Chefredakteur hervor. Derart hintersinnig mit süßem Lob vergiftet ist es, dass sich zweifeln lässt, ob wirklich alle Echtzeitmultiplkatoren es verstanden haben. Broder schreibt z. B.:

"Natürlich kann auch ein Jakob Augstein nicht zaubern und die Uhr zurück drehen. Aber der Name ist eine Marke. Wie Dr. Oetker bei den Backzutaten, Melitta bei Kaffeefiltern und die Witwe Clicquot im gehobenen Champagnersegment. Da zahlt man gern ein wenig mehr als für ein No-Name-Produkt."

Und, was den bekanntesten Broder-/ Augstein-Streitpunkt betrifft, den Antisemitismus-Vorwurf (siehe Altpapier):

"Auch ich lag mit meiner Einschätzung, er wäre ein lupenreiner Antisemit, daneben. Dass er einige Artikel geschrieben hat, die man als antisemitisch interpretieren könnte, beweist noch nichts. Wäre die allgemeine Stimmung proisraelisch, würde auch er sich auf die Seite des Judenstaates schlagen."

"Augstein schreibt nicht aus dem Kopf, sondern aus dem Bauch heraus", heißt es ein paar Absätze später. Wer Broders "Doppelzüngig"-keit verstanden hat, ist der Mediendienst meedia.de, der ja nicht alle seiner vielen vielen Artikel ungelesen ins Echtzeitnetz raushaut.

[+++] Noch ein dicker Hund von der Spiegel-Front steht auf S. 30 der Wochenzeitung Die Zeit. Auf der letzten Seite des Wirtschaftsressorts, in der Rubrik "Was bewegt ..?"-, also dem "Ich habe einen Traum" für Wirtschaftskapitäne, sitzt heute versonnen lächelnd Mathias Müller von Blumencron auf seinem Segelschiff. "Was bewegt... Mathias Müller von Blumencron, Ex-Chef von 'Spiegel Online'?", heißt es tatsächlich im Inhaltsverzeichnis. Hat @Moonxings (siehe erneut meedia.de) also tatsächlich gleich nach seinem Rauswurf am Dienstag der Wochenzeitung ein ausgeruhtes Interview gegeben?

Nein, die Autoren Alina Fichter und Götz Hamann haben ihren Text zusammengesamplet aus erstens ein paar aktuellen Auskünften über Blumencrons Abschiedsrede ("Der scheidende Chef schloss mit den Worten: 'Es tut mir leid, dass wir uns als Konkurrenten wiedersehen werden.'"), zweitens allgemeinem Lob für Spiegel Online als Leitmedium ("In den Ministerien, dem Bundestag und sogar bei Konkurrenzmedien ist Spiegel Online die Startseite auf Tausenden von Computern. Und der Politikberater Michael Spreng sagt...") sowie drittens, was selbstredend nicht fehlen darf, Kritik an der SPON-Boulevardisierung. Dafür zitieren sie ausführlich aus dem SPON-Artikel "Festgefrorene Kuhkadaver werden zum Problem". Und der Fotocredit informiert, dass Andreas Lindlahr das Blumencron-Foto bereits bei einem "Sportboot-Rennen im Sommer 2012 auf dem Atlantik" gemacht hat.

[+++] In einer weiteren Spiegel-Lage-Analyse, die sich zunächst etwas albern überfliegt ("Krisekrise, Anneliese - die Gewissheitsindustrie hat ein Absatzproblem"), in der TAZ nämlich, schreibt Daniel Schulz:

"Auch bei den noch erfolgreichen Medien geht der Trend zum Fragenden, zu weniger Gewissheit, zur Ansicht. Die Wochenzeitung 'Zeit' wächst immer noch - sie spart sich so gut wie jede Ansage, die über den Minimalkonsens im Lande hinausgeht."

Das ist sehr fein beobachtet. Und tatsächlich könnte Schulz' Text vielleicht sogar die bislang allergrundsätzlicheste Analyse des Problems papierner Leitmedien sein:

"Religion, Politik, Medien mit großer Ansage - Betriebe, die ihr Geld damit verdienen, den Wust Wirklichkeit zur Wurst Wahrheit zu verarbeiten, zu der einen Geschichte, die erzählt werden soll - sie verlieren rapide an Kundschaft".

Insofern könne dem Spiegel sowieso kein neuer Chef helfen. Es sei denn (wie aber nicht in der TAZ steht) Giovanni di Lorenzo.

[+++] Jetzt aber zurück zu G+J an den Baumwall. Was bewegt Julia Jäkel, "die mit dem früheren 'Tagesthemen'-Moderator Ulrich Wickert (70) verheiratete Topmanagerin"? "Eine große Aufgabe für eine starke Frau"? Diese Zitate entstammen natürlich der Bild-Zeitung (die übrigens auch noch den talentierten Gesellschaftsreporter Alexander von Schönburg nach Hamburg sandte...: "Ich wurde mal bei der FAZ entlassen. Mitfühlend und salbungsvoll. Fühlte sich trotzdem sch... an").

Auf der FAZ-Medienseite 31 nimmt sich Michael Hanfeld mit ebenfalls allerhand Wohlwollen ("So langsam könnte sich im Verlag wieder gutes Karma breitmachen") Jäkels Mission an: "Es dürfte der größte Wandel sein, dem sich das Verlagshaus Gruner + Jahr seit seiner Gründung im Jahr 1965 unterworfen hat". Worin die Wandelsgröße sich vor allem zeigt: im Zuschnitt der neuen Vorstandsressorts. An die Stelle der gefeuerten Vorgänger

"treten Oliver Radtke als Vorstand 'Operations' und Stephan Schäfer als Vorstand ' Produkt' . Im Zuschnitt ihrer Ressorts verbirgt sich der grundlegende Wandel von Gruner + Jahr: Schäfer ist als Vorstand für sämtliche Titel und Produkte verantwortlich, er ist kein journalistischer Vorstand, sondern auch für nichtjournalistische Produkte zuständig."

Gut, dass zumindest Jäkel "unbedingt für Qualitätsjournalismus eintritt und an die Zukunft des gedruckten Wortes glaubt", wie zumindest Hanfeld glaubt. Das tut aber nicht jeder. Der Onlineauftritt des Cicero hat aus dem aktuellen Anlass ein im Januar erschienenes Jäkel-Porträt mit dem Titel "Zwischen Journalismus und PR" wieder hervorgeholt. Geschrieben hat es einer der besten schreibenden Bertelsmann-Kenner jenseits des Manager-Magazins, Thomas Schuler. Er beschreibt ausführlich "die einzige Zeit, in der Julia Jäkel originär journalistisch arbeitete". Das seien drei Monate im Jahre 1998 gewesen, als sie "am Kotti in Kreuzberg" wohnte und für die damals noch zu G+J gehörende Berliner Zeitung schrieb, wo unter Chefredakteur Michael Maier noch "Aufbruchstimmung herrschte"... ... Dass Jäkel Qualitätsjournalismus bewegt, glaubt Schuler jedenfalls nicht.

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[+++] Damit kurz zur Berliner Zeitung heute, wo längst alles andere herrscht als Aufbruchsstimmung. Bestürzung und Empörung herrschen in der DuMont Digitale Redaktion GmbH in Frankfurt, die am Dienstag Insolvenz angemeldet (kress.de, heise.de, meedia.de). Dieses Unternehmen "hatte bisher die zum Teil preisgekrönten Onlineauftritteund Apps der 'Frankfurter Rundschau' und der 'Berliner Zeitung' gestaltet" (FAZ, S. 31).

Was gerade aktuell in den seit langem ja unregelmäßig gefüllten Medien-Kanal des BLZ-Onlineauftritts kam: ein ebenfalls lesenswerter Thomas Schuler-Artikel über den "Tagesthemen"-Beitrag vom 2. April über in die DDR desertierte NATO-Soldaten. An dem hat es nach ARD-Auskünften so viele "konzeptionelle Änderungen" gegebe, dass am Ende Peter Köpf, der Autor des Buches, auf dem der Beitrag basierte, überhaupt nicht mehr drin vorkam: "Die ARD präsentierte das Thema, als sei die Recherche allein ihr Verdienst."..

[+++] Aber zurück zu Julia Jäkel:

"Die Hauptlast liegt aber auf den Schultern von Julia Jäkel. Sie ist nun ohne Wenn und Aber die Chefin am Baumwall. Das bedeutet volle Kontrolle aber auch volle Verantwortung. Der neue Vorstand ist erkennbar auf sie zugeschnitten. Die Chemie zwischen ihr und Bertelsmann-Boss Rabe scheint zu stimmen, das Vertrauen der Jahr-Familie hat sie sowieso. Gütersloh-Kenner Boldt meint zwar ... "

Wir wollen jetzt auch nicht zuviel zitieren. Wer möchte, liest bei meedia.de weiter, wo Stefan Winterbauer schreibt, wie Bela Rethy redet:

"All dies ist wohl nur das Vorspiel für den auffrischenden Wind of Change in der Branche. Das wird ganz sicher noch ein verdammt spannendes, vielleicht auch ein verdammt raues Medienjahr."


Altpapierkorb

+++ Christopher Keil ist wieder da. Der ins Investigativressort der Süddeutschen gewechselte vormalige Chef der Medienseite ebd. führt auf dieser heute ein großes Interview mit Steffen Kottkamp, dem im März beim Kinderkanal entlassenen (SZ) Programmgeschäftsführer.  "Für mich stellt es sich so dar, dass die Verantwortlichen beim MDR von eigenem Fehlverhalten ablenken wollen", sagt Kottkamp nicht nur einmal. Seine wohl zentrale Aussage: "Meine schockierende Erfahrung ist: Der MDR ist eher bereit, einen extern Dazugekommenen zu kriminalisieren, als etwas an den eigenen Strukturen zu verändern. Es geht mir aber nicht um meine Person. Meiner Ansicht nach kann sich die Lage beim Kika nur beruhigen, wenn der Kinderkanal aus der Federführung des MDR genommen wird." +++

+++ "Können Sie eigentlich auch mal ernst sein, unironisch?" - "Wieso?" - "Sie gehören zu den Leuten, die nicht nur im Fernsehen, auf der Bühne, sondern auch im Gespräch auf der Ebene von Scherz und Satire verweilen. Das nervt bisweilen." - "Ich bin zu höflich, die Wahrheit zu sagen. Natürlich kann ich auch ernst. Aber das macht selten Spaß, weder Ihnen noch mir...": schönes Jan-Böhmermann-Interview von Markus Ehrenberg im Tagesspiegel. Überschrift: "Facebook nervt". +++ "Facebook nervt" II, bzw. es ist "voll uncool", "wenn Mama oder Papa auf Facebook Profile haben" (TAZ über WhatsApp etc.). +++

+++ Als Reaktion auf polnische Kritik am Dreiteiler "Unsere Mütter, unsere Väter" hat das ZDF Andrzej Klamt als Co-Autor einer neuen "Dokumentation über Polen unter deutscher Besatzung im Zweiten Weltkrieg" beauftragt (Tagesspiegel). +++ UMUV ist auch eins unter mehreren Themen eines SZ-Kommentars zum "Schatten der Geschichte" über Polen. +++

+++ Zur Illustratiaion des gesellschaftlichen Minimalkonsenses, dass Berater doof sind, oder zumindest der von dieser im Munde geführte Beratersprech es ist, hat sich die Zeit offenbar "eins zu eins" Inhalte von beratersprech.de "ins Layout kopiert". Und inzwischen ein wenig auf den Vorwurf reagiert. +++

+++ Gestern hier durchgerutscht: der Tsp.-Bericht über "die angeschlagene Mutter aller Enthüllungsplattformen", Wikileaks, und die "Kissinger Cables" aus den mittleren 1970er Jahren. +++

+++ Eine Aktualisierung zu ihrem Bericht vom Anfang April über die usbekische Journalistin Elena Bondar hat die TAZ heute. +++

+++Dass sie "die lässige Musterfigur der Mittedreißig-Generation und Großstadtmenschen" sei, wurde Sarah Kuttner sicher auch schon lange nicht mehr gesagt (außer vielleicht in ARD- und ZDF-Digitalkanal-Redaktionen). Es steht heute aber schwarz auf weiß in der FAZ (S. 31), im Rahmen einer gedämpften Empfehlung ihrer ZDF-Neo-Sendung "Bambule" als "nette Unterhaltung zu später Stunde. Mehr nicht." +++

+++ "In deutschen Fernsehspielen hat sich eine fatale Banalisierung des Erzählens breitgemacht. Ungeniert werden große Themen angeschnitten, um sie schematisch abzuhaken und mit leblosen Figuren zu bestücken. In dramatische und existenzielle Dimensionen - Schuld und Sühne, Korruption von 'Idealen', Faszination des Bösen - kann und will dieses subalterne Erzählen gar nicht mehr vordringen. Es taugt gerade noch für Beziehungskistengeplänkel..." Diese Sätze Rainer Ganseras stammen aus einer Kinofilmbesprechung (zum Film "Das Wochenende", bekannt u.a. aus der Katja-Riemann-Viralkampagne) im SZ-Feuilleton, treffen die deutsche TV-Fiktion aber sehr gut. +++

+++ Gibt's bei Arte Geld für Blogger und Journalisten, die über Arte schreiben? Dieser Frage ging Stefan Niggemeier aufgrund einer ungelenken Anfrage ans Fernsehblog nach. +++

+++ Und noch mehr Spiegel-Stoff: Joachim Frank, einst ja Chefredakteur der Frankfurter Rundschau, spricht im KSTA von einem "Branchenfuchs" (Kai-Hinrich Renner) und einem "Affentanz der 'Spiegel'-Alphatiere", was sich ausdrücklich gegen Blumencron und Georg Mascolo richtet. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.