Journalisten sind das Letzte

Journalisten sind das Letzte

Zumindest im Fernsehen. Alles zum neuen Werberahmen-Schmunzelkrimi der ARD aus dem Zeitungsmilieu. Außerdem: Neues vom Medienfuchs Peer Obama, von Amazon Deutschland und vom unverwüstlichen Krisenherd Kika.

Alle Augen aufs Fernsehen heute, ganz besonders auf die ARD (Schlager-Grand Prix, Journalistenserie, Vorabendkoordinator...). Wobei die breitestgestreute Medienmeldung einem Pro Sieben-Moderator gilt: Peer Steinbrück, der Kanzlerkandidat mit der lockeren Zunge, wäre mit Stefan Raab als Moderator seines TV-Duells gegen die amtierende Kanzlerin Angela Merkel nicht einverstanden. Dieses dicke Ding, das Entertainment-Fans ebenso wie Politikinteressierte interessiert, ziert natürlich jedes Universalportal im Netz und jede Zeitung.

Der Tagesspiegel hat es zum Anlass einer Umfrage bei Sender-Hierarchen und Pressesprechern genommen. ARD-Chefredakteur Thomas Baumann ließ völlig zurecht verlauten, dass ja "noch kein Zeitdruck" herrsche, ein RTL-Sprecher sprach sich dafür aus, dass "die Auswahl der Moderatoren den einzelnen Sendern obliegen" sollte, usw..

Woher die Meldung stammt? Aus einem Steinbrück-Interview der Passauer Neuen Presse, also der Lokalzeitung vom Ort des sog. Politischen Aschermittwochs, der gestern die Inland-Politressorts klassischer Medien beherrschte. Falls das interessiert: hier der Aschermittwochs-Bericht der PNP. Ihr Kanzlerkandidaten-Exklusivinterview mit u.a. dieser Passage:

Passauer Neue Presse: "Edmund Stoiber, im Jahr 2002 selbst Kanzlerkandidat, schlägt Stefan Raab als Co-Moderator beim TV-Duell vor. Wären Sie einverstanden?"

Steinbrück: "Nein, Politik ist keine Unterhaltungssendung, sondern ein ernstes Geschäft,  ohne dass es dabei humorlos zugehen muss."

Passauer Neue Presse: "Herr Steinbrück, sind Sie eigentlich Patriot?"

...

hat die PNP dagegen nicht frei online gestellt, sondern möchte es zahlendem Publikum vorbehalten. Warum wir hier trotzdem draus zitieren können, Google? Nein, die SPD hat's online publiziert. Auch wenn das Peerblog offline ist (siehe Altpapier), mangelt es an digitalem Peer-Content nicht.

[+++] Am späten Sonntagabend wird übrigens die zweite Ausgabe von Raabs Pro Sieben-Polittalkshow laufen. Wer dabei ist, u.a. Doro Bär, die Powertwittererin von der CSU, die gestern auch fröhlichst aus Passau twitterte, "lüftet" die Bild-Zeitung.

[+++] Endlich zum Programm von heute: ARD, 20.15 Uhr - die allerneueste deutsche Schlager-Grand Prix-Vorausscheidungscasting. Eigentlich stehen viele Medienjournalisten ja darauf. Heute informieren aber nur die DPA (KSTA) und natürlich, gewohnt blendend informiert ("... Man kennt die Namen derer nicht, die gekniffen haben - aber man munkelt von Nena, Juli oder Peter Fox..."), Jan Feddersen in der TAZ.

[+++] Bevor wir zum aus medienjournalistischer Sicht unzweifelhaften Highlight des heutigen ARD-Programms gelangen, noch der Hinweis, dass gestern abend in der ARD eine sehr gute (nicht durch die üblichen Vorbesprechungsschleifen gegangene) Kurzreportage lief. "Eine berührende Reportage über die Leiharbeiter beim Internetriesen Amazon", meint Frank Lübberding in der faz.net-Frühkritik. Gezeigt wurde, wie internationale Wanderarbeiter zum Durchforsten der Amazon-Lager in der mittelhessischen Pampa von, sagen wir: neonazioid anmutenden Securitymenschen bewacht werden. Inzwischen ist "Ausgeliefert! Leiharbeiter bei Amazon" auch in der Mediathek enthalten...

[+++] Jetzt das aus medienjournalistischer Sicht unzweifelhafte Highlight des heutigen Programms: ARD, 17.55 Uhr (Foto oben). Dann startet "Zwischen den Zeilen", die in Aachen angesiedelte Reporterserie aus der ARD-Schmunzelkrimi-Reihe "Heiter bis tödlich", auf den sich das Altpapier schon im letzten August gefreut hat.

Mit der Ansiedlung dieses neuesten Produkts aus dem bekanntlich unter Quoten-Aspekten nicht gut funktionierenden Schmunzelkrimi-Konzepts im Journalistenmilieu hat es die ARD zumindest geschafft, zum Starttermin eine Menge Journalisten-Aufmerksamkeit und überdurchschnittlich viele Berichte zu generieren. Sowohl die SZ als auch die FAZ machen die Serie zum Aufmacher ihrer Medienseite. In der SZ (S. 29) schreibt Katharina Riehl Grundsätzliches über die Darstellung dieses Milieus im Fernsehen:

"Journalisten im deutschen Fernsehen sind das Letzte. Wenn im 'Tatort' ein Journalist auftaucht, durchwühlt er entweder den Müll einer jungen Familie, deren Zwillinge gerade bestialisch ermordet wurden, oder er hängt selbst in irgendeiner Sauerei mit drin - Bestechung, Kinderhandel, so etwas. Auf jeden Fall trägt er Dreitagebart und sieht aus, als rieche er streng."

Anschließend geht's um amerikanische Serien, die dänische "Borgen" und um "Kir Royal" (den guten Ruf, den Helmut Dietl im Bayerischen genießt, konnten selbst die Dietl-Filme des laufenden Jahrtausends nicht zerstören...). Viel über die neue ARD-Serie, außer dass Riehl sie "etwa so überraschend wie Straßenglätte im Winter und ähnlich amüsant" findet, erfährt man nicht.

Das ist in der FAZ (S. 31) anders. Dort werden die Charaktere der Serie ausgiebig beschrieben, z.B.:

"Dann wären da als weitere Mitarbeiter der Lokalredaktion noch die dümmlich-frische, aber gutherzige und mitunter gewitzte Wasserstoffblondine Jenni ('Ich glaube, ich habe das Internet gelöscht!')",

und auch wenn der Autor die Serie ebenfall nicht mag, konzediert er am Ende:

"Manchmal muss man wirklich sehr lachen, wenn Maja wieder einmal versucht, sich hinter einer Mülltonne zu verstecken."

"Maja", "die Bridget Jones des Journalismus", wie die ARD sie ankündigt, eine "Investigativjournalistin in spe", wie Altpapier-Autor René Martens im Journalistengewerkschafts-Heft journalist schreibt, ist eine der beiden Hauptfiguren. Die andere heißt Paul Jacobs und ist ein "Ex-Starjournalist".

Den Plot der ersten Folge bzw. den Mord, den die beiden ungleichen Journalisten aufklären müssen, schließlich handelt es sich ja um einen Krimi, fasst die TAZ heute so zusammen: "Ein Veganer erstickt an einer Wurst, höhö". Auch das ist jetzt, da Pferdefleisch noch besser klickt als Peer Steinbrück, ja ein heißes Thema. Dennoch räumt Anna Klöpper in der TAZ die neue Serie am gründlichsten ab:

"Komödiantenstadl Lokaljournalismus: So weit, so auserzählt. Das Schlimmste ist, dass das wirkliche Thema gnadenlos versenkt wird: 'Die Zeitungsbranche hat kein Geld, der Verlag kürzt mir das Redaktionsbudget zusammen', klagt Jacobs, den der Verlag 'mit drei Jahresgehältern' abfinden will. Die Printkrise ... ... fiktional aufzuarbeiten, das hätte spannend werden können. Aber es wäre auch anstrengend gewesen. Da lässt man doch lieber die Wurst im Horst und den ARD-Vorabend wie er ist".

"Die Wurst im Horst" lautet der Titel der ersten Folge. Und "zwischen den Zeilen ist bei 'Zwischen den Zeilen' leider nicht viel los", lautet noch eine hübsche Zeile aus der TAZ-Kritik.

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[+++] Wer heute nicht über diese Produktion berichtet: der Tagesspiegel, der ja vorgestern die Misere der ARD-Werberahmenkrimis allgemeiner beleuchtete. In diesem Bericht begegnete man auch dem "ARD-Koordinator Vorabend", Frank Beckmann, dem man heute in ganz anderem Kontext wieder begegnet. Was sich im Januar andeutete (siehe Altpapier), hat sich nun ein Stück weiter verdichtet: warum die Staatsanwaltschaft Erfurt u.a. gegen Beckmann in seiner früheren Funktion als Programmgeschäftsführer des skandalumwitterten Kinderkanals ermittelt.

Die Infos hat die Branchenzeitschrift Kontakter. Das verlaglich verwandte werben und verkaufen fasst sie online unter der Überschrift "Staatsanwalt untersucht Partybudget" zusammen. Es geht darum, wie "eine Feier zur Verabschiedung des Herrn Beckmann" finanziert wurde, wird ein Staatsanwalt zitiert. Der heutige Tagesspiegel zitiert via DPA aus einer Stellungnahme Beckmanns. Die FAZ-Medienseite dazu:

"Im Klartext: Beim Kika wurde eine Party unter Produktionskosten abgerechnet. Das sei, so ist aus Senderkreisen zu erfahren, nicht unüblich gewesen",

und dass das bei anderen Sendeanstalten nicht unüblicher sei, deutet Michael Hanfeld ebenfalls an, versteht sich.

[+++] Überwiegend Ärger für und Kritik an der ARD heute also. Und beim ZDF? Zumindest eine heftige Kritik kommt ebenfalls rein. Es geht um den Beibootsender ZDF-Neo, bei dem nun wieder das Reportageformat "Wild Germany" startet. Während der Tsp. es und den dort auftretenden Reporter Manuel Möglich lobt, selbst in der Folge zum Thema Pädophilie ("Er bleibt dran, auch wenn die Wahrheit weh tut"), meint wiederum die FAZ, die ZDF-Produktion "vergreift sich im Ton. Sie verharmlost sexuelle Straftaten an Kindern".

Vor allem ärgert Hannah Lühmann:

"Interviewpartner aber ist ein Dieter Gieseking, der von Kindesmissbrauch spricht, als wäre dies eine harmlose Freizeitbeschäftigung, und sich für eine Legalisierung 'sexueller Handlungen zwischen Kindern und Erwachsenen' einsetzt. So wird etwas nicht Verhandelbares - die sexuelle Unversehrtheit von Kindern - in den Diskursraum des Fernsehens gerückt."


Altpapierkorb

+++ Aus traurigem Grund reich an Nachrufen ist heute die TAZ: Christian Semler ist gestorben, wie gleich die Titelseite mitteilt. Mehr Erinnerungen an Semler stehen im heutigen Themen des Tages-Ressort. Und, als anrührendes P.S. , in bzw. unter einem Ambros Waibel-Text weiter hinten im Blatt. +++ "Christian Semlers Mutter war die Schauspielerin und Kabarettistin Ursula Herking, die früh in der 'Dreigroschenoper' die Jenny gespielt hatte, dann, in der NS-Zeit, ein Kabarett mit Werner Finckh führte, die in der Bundesrepublik mit der Münchner Lach- und Schießgesellschaft auftrat und mit Wolfgang Neuss. 'Vom Mütterchen die Frohnatur / die Lust zu fabulieren', um es mit Goethe zu sagen. Der Vater aber, Johannes Semler, war einer der Gründer der CSU gewesen", hat auch die FAZ (S. 28) eine Nachruf. Die Pointe ist, dass Sohn Semler dann sozusagen die westdeutsche KPD gegründet hat. +++ Auf der SZ-Medienseite 29 erinnert nun auch (nach Alfred Neven DuMont gestern im eigenen Blatt) Hans Leyendecker an den verstorbenen Dieter Schütte, "dem die Übergabe auf die nächste Generation gelungen ist" - dies bekanntlich anders als seinem Kompagnon Neven DuMont. +++

+++ Über Christian Ulmens neue Show  "Who wants to fuck my girlfriend?", die im Internet bei ulmen.tv "Who wants to fuck my lesbian girlfriend" heißt, "regte sich niemand so richtig ...auf", schreibt Alexander Becker bei meedia.de und findet das schade. Denn die Sendung sei "der hässliche, aber auch ehrlichere Bruder des Bachelors". Sendung? Ja, um 23.10 Uhr zeigt sie nun auch Tele 5. Der Tagesspiegel schreibt doch: "Vorab gab es im Netz bereits zahlreiche Proteste". +++

+++ Fernsehen und Internet: Wie das "ARD Content Center" und die ZDF-Nachrichtenredaktion Onlinevideos überprüfen, bevor sie sie meist mit der Einblendung "Quelle: Internet" selber senden, schildert die Berliner Zeitung. Schön nachdenkenswerter Schluss-Satz: "Erst viel später wird sich herausstellen, ob die Realität wirklich so war, wie sie abgebildet wurde." +++ Aus dem Anlass, dass das ZDF inzwischen alle seine Programme auch per Stream im Internet überträgt, hat der Tagesspiegel auch bei anderen Sendern angefragt. +++

+++ Feuilletonistischeres: "Eine Klasse, die im öffentlichen Leben der USA inzwischen die Rolle einer letzten Instanz einnimmt", eine journalistische...? Niklas Hofmann schreibt vorn auf dem SZ-Feuilleton (derzeit nicht frei online) anlässlich der jüngsten Obama-Rede über die Faktenchecker von factcheck.org. +++ "Offenbar glauben viele Museen, dass sie ihren hohen Kulturanspruch nicht aufrechterhalten, wenn sie sich, mit allem, was möglich ist, in der Social-Media-Welt präsentieren. Dadurch vergeben die Museen jedoch die Chance, das Internet zu einem fundierten Medium des Austausches über Kunst zu machen", appelliert Swantje Karich unter der Überschrift "Nehmt euch das Netz!" vorn auf dem FAZ-Feuilleton an die Museen. +++

+++ Auf der Medienseite nimmt die FAZ gern den Ärger des Privatsenderverbands VPRT über die "Umwidmung von Radiofrequenzen", weg vom Kulturradio, beim Hessischen Rundfunk auf. +++

+++ Und dann noch in der neuen Zeit : groooße "Typologie der deutschen Talkshow" bzw. des "festen Kreises von Charakterdarstellern", der dort "die Kunst des Machterhalts"  zelebriere, von Peter Kümmel (S. 51f). Am Ende heißt es: "Je länger man deutsche Talkshows betrachtet, desto mehr könnte man sie mit einem anderen beliebten Format verwechseln, der Kochshow. Beide zeigen nicht, was sich in unserer Gesellschaft abspielt, sondern was ihr fehlt. Wir essen gern, wir lieben Wärme, Geselligkeit und das Geräusch von brutzelndem Fett, aber wir können nicht kochen und sind traurig und allein, deshalb brauchen wir den lustigen Bartträger Horst Lichter, der im Fernsehen auf unsere Kosten kocht. Lichter sagte kürzlich im Studio beim Abschmecken eines Fleischgerichts: 'Das Tier hat Spasss gehabt!' Ganz Ähnliches darf ein deutscher Talkmaster am Ende einer wie immer 'sehr munteren' (Markus Lanz) und 'informativen' Sendung denken: Das Volk ist satt geworden!" +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.