Der Stern glänzt

Der Stern glänzt

... natürlich abhängig vom Auge des Betrachters: Stößt eine Brüderle-Story eine Politik-Sexismus-Debatte an? Der circa eintausendste ZDF-Werberahmenkrimi macht gewissermaßen auch Furore. Und der neue "Tatort" von der Saar empört einen einflussreichen Saarländer.

Hopsala, kaum hat der gerade zum Co-Chefredakteur und demnächst alleinigen Chef des Stern beförderte Dominik Wichmann Mangel an Glanz diagnostiziert (siehe Altpapier von vor einer Woche), kaum werden seine "am Dienstagabend verkündeten Reformen" vermeldet (SZ, S. 31, TAZ) - da glänzt die Illustrierte bereits ein wenig.

Zumindest auf dem dialektischen Umweg über den Blick des bekannten Dialektikers Dialektsprechers Reiner Brüderle.

"Brüderles Blick wandert auf den Busen
'Brüderles Blick', schreibt Laura Himmelreich, wandert auf meinen Busen. 'Sie können ein Dirndl auch ausfüllen.' Im Laufe unseres Gesprächs greift er nach meiner Hand und küsst sie. 'Ich möchte, dass Sie meine Tanzkarte annehmen.' 'Herr Brüderle', sage ich, 'Sie sind Politiker, ich bin Journalistin.' 'Politiker verfallen doch alle Journalistinnen', sagt er. Ich sage..."

Diese spektakulären Zeilen stehen derzeit verdammt oft im Internet, nicht nur bei stern.de, das damit eine Reportage der genannten Laura Himmelreich aus dem heute erschienenen Stern-Heft anteasert (und am Ende ein neckisches "P.S." zur Tilgung einer Passage "auch über Rainer Brüderles Ehe" in der "Erstfassung des Textes" enthält). Aufgrund des großen Erfolges letzte Woche verlinken wir hier natürlich gern das Video zum neuen Heft mit Thommy Osterkorn und Ulrike Posche, in dem Brüderle jedoch keine Erwähnung findet (vielmehr ausführlich eine "wunderbare Hochzeit" - Achtung, das Foto hat gar nichts mit dem Stern zu tun, sondern zeigt eine Szene des weiter unten erwähnten "Tatorts").

Die zitierten spektakulären Zeilen also... Sie stehen außerdem z.B. bei Spiegel Online, sueddeutsche.de und welt.de, die jeweils auch den kürzlich erschienenen SPON-Text von Annett Meiritz über sexistischen Umgang von Piraten (also Piratenpartei-Mitgliedern) mit ihr erwähnen und verlinken. Mit dem Anstoß zu einer Politik-Sexismus-Debatte auch jenseits des Milieus der mit den anderen Parteien unter einigen Aspekten nicht so vergleichbaren Piraten scheint der Stern also tatsächlich einmal wieder breitere Wirkung zu erzielen. Das erste Mal zumindest seit Lidl 2009.

"Die Pressestelle der FDP war auf Anfrage von SZ.de zu keiner Stellungnahme zu dem Stern-Artikel bereit", beklagt sich sueddeutsche.de. Über Mangel an Stellungnahmen von FDP-Politikern aber braucht sich in unserer "Talkshow-Demokratie" (Astrid Geisler in einem heutigen TAZ-Text über sonstigen Piraten-Probleme, nicht jedoch Sexismus) niemand zu beklagen.

Wolfgang Kubicki zum Beispiel ist immer (siehe z.B. Altpapier vom Dienstag) dafür zu haben. "Ich wundere mich, dass die junge Journalistin offensichtlich über ein Jahr gebraucht hat, um ihr Erlebnis zu verarbeiten", wird er vielerorts zitiert. Und macht, weil die original im Stern geschilderte Episode sich im Januar 2012 zugetragen haben soll, auch einen Punkt. Die originale Entgegnung dazu steht bei Twitter, wo Laura Himmelreich als @im_himmelreich aktiv ist.

"Weil eine Geschichte über das 'neue Gesicht' der FDP nun eine andere Relevanz hat",

lautet sie. Cool, weil das Kalkül (das freilich erwartet haben dürfte, dass Brüderles Fallhöhe gerade diese Woche gestiegen sei) nicht einmal ansatzweise dementiert wird. Aber auch nicht gerade unanfechtbar. Ob beim Zurückhalten der Story eine Zeitlang eine Rolle gespielt haben mag, dass der Konzern Gruner+Jahr Anfang letzten Jahres noch von einem FDP-Mitglied geleitet worden war (vgl. Altpapier)?

Damit noch einmal zu den eingangs erwähnten, am Dienstag verkündeten Stern-Reformen, um die es gestern auch im Altpapierkorb ging. "Richtig erfreulich waren auch die aktuellen Zahlen wieder nicht. Im vierten Quartal 2012 verkaufte sich das Magazin Stern 788.621-mal, das waren knapp 30.000 Exemplare weniger als im Vorjahr...", leitet Katharina Riehl ihren Süddeutsche-Bericht ein. Die Redaktions-Reform dürften daher "als Krisenintervention verstanden werden" und hätten zu "leichter Aufbruchstimmung" geführt, die es bei der Illustrierten auch "schon länger nicht mehr gegeben" habe.

Als Detail noch erwähnenswert: Nach Einschätzung von horizont.net soll es im Rahmen dieser Reformen künftig keinen Posten eines stern.de-Chefredakteurs mehr geben, wie ihn bislang Frank Thomsen [über den ich einmal im Rahmen des Buches "Die Alpha-Journalisten 2.0" ein Porträt schrieb; das ist aber lange her] bekleidet.

[+++] Zurück zum Sexismus, der heute auch auf einer Medienseite diagnostiziert wird, wenngleich nicht wirklich als Vorwurf. Die neue  Werberahmenkrimiserie des ZDF namens "Heldt", jawohl schon wieder eine Krimiserie, beschreibt TAZ-Autorin Lea Streisand u.a. so:

"Frau Staatsanwältin goutiert die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz lediglich mit feinem Lächeln und einem gnädig gemurmelten: 'Männer!' Es ist traurig, mit was für Geschlechterbildern das ZDF jetzt Quote zu machen versucht. Aber es geht ums Geld. Das und die Jugend entschuldige vieles, da ist die Programmdirektion bestimmt mit der Figur Bannenberg einer Meinung...",

heißt es hochgradig dialektisch. Wobei Hauptdarsteller Kai Schumann ("Man muss ihn lieben") kein Brüderle-Typ ist. Auch sonst herrscht Meinungsvielfalt zur von Sony Television, einer vor allem fürs Privatfernsehen tätigen Firma (Interview mit Geschäftsführerin Astrid Quentell bei dwdl.de) produzierten Serie.

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"Eine muntere, nicht zu anspruchsvolle Vorabendserie, gemacht von und mit Profis und Routiniers in Regie und Drehbuch, die für das aufs Betuliche abonnierte ZDF jedoch einen Quantensprung darstellt", schreibt Michael Hanfeld (FAZ, S. 31) so flockig, als würde zu hoher Anspruch am Vorabend ansonsten ein Ärgernis für ihn darstellen. "Blödes Ballermann-TV, das Zweite hat private Erfolgsserien schlecht kopiert... eine Schande", meint Christian Buß, der Festenberg von Spiegel Online. Indes pro "Heldt": Tsp., evangelisch.de.

[+++] Und wenn wir gerade bei Empörung übers öffentlich-rechtliche Fernsehen, nicht die Gebühren, sondern die Inhalte, sind: Die allergrößte davon heute steht wiederum auf der FAZ-Medienseite und gilt dem "Tatort" am kommenden Sonntag, dem ersten mit Devid Striesow als saarländischem Kommissar.

Nils Minkmar, seines Zeichens Feuilletonchef der FAZ sowie Saarländer, schreibt weniger eine Besprechung als eine Eingabe an die Aufsichtsgremien des Saarländischen Rundfunks:

"Wenn eine Region aber fast kein anderes und sicher kein besseres Mittel hat, sich darzustellen, und wenn die Existenz des Regionalsenders wie des Bundeslandes überhaupt immer wieder zur Diskussion steht, wird man sich als Freund des Saarlandes schon fragen müssen, wie klug die Gesamtstrategie ist, die darin besteht, das Saarland aus den in Saarbrücken spielenden 'Tatorten' restlos zu eliminieren. Man sieht auch nichts von Saarbrücken oder dem Saarland, gedreht wurde 'Melinda' offenbar in Bielefeld. Nur ein regionaltypischer Satz hat sich retten können: Der Baumarktleiter bemerkt, heute sei 'ein guter Tag zum Schwenken' – der Zubereitung von Grillgut (...). Gerade dieser einzige saarländische Satz ist aber sinnlos, denn im Saarland ist jeder Tag ein guter Tag zum Schwenken".

lautet gar nicht einmal die empörteste, bloß die hübscheste Passage des Textes. Wer dazu noch eine der beiden Bildunterschriften gelesen hat, die auch zu unserem Bild oben passt -

"Die Klobürste rechts im Bild ist der Protagonist eines sechsminütigen, leider pointenlosen Sketches zu Beginn des Films, der sein Genre weit öfter wechselt als die Figuren ihre Kostüme."

- muss ein schlechter Mensch sein, wenn er sich (zumindest als Nichtsaarländer) diesen Film nicht angucken möchte.


Altpapierkorb

+++ Harte, aber schöne Zahlen inklusive aufsteigender Kurven in Grafiken aus der Printbranche? Gibt's bei entsprechendem Ansatz auch dann, wenn's nicht um Landlust geht. "Nachdem die Verlage im Vorquartal noch 227.669 verkaufte Exemplare meldeten, waren es nunmehr 275.865. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum bedeutete dies einen Zuwachs von 75,36 Prozent oder 118.547 Exemplaren; und zu Dezember 2009 mehr als eine Verdreifachung", meldet illustriert der Zeitungsverlegerverband. Freilich geht es um die Gesamtzahl der in Deutschland verkauften E-Papers. +++

+++ Zurück ins Öffentlich-Rechtliche und zu einer Schattenseite der Einsparungen ebd., die vielen Kritikern nicht weit genug gehen. Anlässlich einer Demonstration von hunderten von Entlassung bedrohten ZDF-Mitarbeitern informiert Daniel Bouhs in der TAZ über diesen Aspekt und das, was Martin Stadelmaier, der eigentlich mit Kurt Beck aus seinem Amt als Staatskanzleichefs (metropolnews.info; schönes Foto!) geschiedene, aber derzeit besonders umtriebige SPD-Medienpolitiker dazu sagte. Die KEF nennt Bouhs "teils tüchtige Kontrollinstanz des öffentlich-rechtlichen Systems", lässt aber offen, welcher Teil der tüchtige sei. +++ Man wird es aber gewiss erfahren, schließlich zählt Bouhs zu den umtriebigsten Medienjournalisten. Sein gestern in der DuMont-Presse (z.B. FR) gedruckt erschienenes Stück über Mediatheken-Verweildauern und sich scheinbar anbahnende Veränderungen in der Depublikations-Praxis steht inzwischen online. +++

+++ Ungewöhnliche Öffentlich-Rechtlichen-Kritik: Oliver Fritsch aus dem Sportressort des medienressortlosen Portals zeit.de meint, angesichts des aktuellen Fußballrechte-Urteils (siehe Altpapierkorb gestern), ARD und ZDF "scheinen zu vergessen, dass sie unveräußerliche Rechte haben. Sie scheinen zu übersehen, dass die 180 Millionen Euro, die sie pro Jahr für Fußballrechte zahlen, eigentlich kein Preis, sondern ein Aufpreis sind". Sie könnten also auch weniger Fußball bezahlen. +++ Wieso 180 Mio? Vielleicht ein Irrtum aufgrund dieses Hanfeld-Artikels. +++

+++ Für heut hat Hanfeld natürlich noch mehr in petto: "Die ARD sammelt Truppen für den neuen Rundfunkbeitrag. Sie kündigt den Ausbau barrierefreier Angebote an.... Im Gegenzug und in der gemeinsamen Mitteilung zum Thema geben Vertreter des Deutschen Blinden- und Sehbehinderten-Verbands sowie der Schwerhörigenverbände bekannt, dass sie damit einverstanden sind, dass viele Behinderte... nun pro Monat 5,99 Euro ...zahlen", lautet ein kleiner Nachklapp (FAZ, S. 31) zur Gebühren/ Beitrags-Debatte (deshalb). +++

+++ Die Gegner sammeln auch Truppen ("... Doch statt Senioren zu entlasten, werden sperrige Befreiungsformulare verschickt. Zudem wurden ersten Bewohnern trotzdem Gebühren abgebucht! So wurde das Konto von Eva K. (91) aus einem Heim in Bad Homburg bereits am 2. Januar mit 53,94 Euro belastet...", bild.de). +++

+++ Eine Investigations-Investigation, in deren Rahmen wiederum die Bild-Zeitung ebenfalls vorkommt, hat der Tagesspiegel: "Warum das RBB-Fernsehen einen Beitrag über den Flughafen BER nicht sendete". +++

+++ "Auch wenn manche Umfrage also wie eine zu viel wirkt und manch andere wie der pure Trash: Wenn bei dieser Ausgangslage etwas einen verzerrenden Effekt hat, dann zu wenige Informationen" (Altpapier-Autor Klaus Raab im Freitag zur Wahlumfragen-Frage). +++

+++ "Seit Apples '1984'-Spot, seit der 'Think-Different'-Kampagne stellt das Silicon Valley seine Stars auf die Gipfel, die bis dahin Rebellen, Jahrhundertdenkern - und eben Künstlern vorbehalten waren. Wie sehr die Branche diese Selbstzuschreibung verinnerlicht hat, konnte man auf der DLD wieder erleben: Kein Redner, der von der Konferenz-Chefin Steffi Czerny nicht als 'Genie' oder 'Visionär' vorgestellt wurde...", berichtet das SZ-Feuilleton von der Digitalsause DLD des Burda-Konzerns. +++

+++ Auf der Medienseite geht's u.a. um "die umfassendste Holocaust-Dokumentation, die es je im deutschen Rundfunk gab": diese, die der Bayerische Rundfunk mit dem Institut für Zeitgeschichte und dem Oldenbourg-Verlag produziert. +++

+++ Hach wie tazzig dann noch die Titelseiten-Überschrift "Israel sexy! Was sagst du jetzt, Augstein?" +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.