Freibier aus Angst vor dem Tod

Freibier aus Angst vor dem Tod

Charisma und gesundes Selbstbewusstsein statt Freibier!, fordert Mathias Döpfner in teilweise allerdings beängstigenden Formulierungen im großen "Zeit"-Interview. Außerdem: Mitarbeiter öffentlich-rechtlicher Anstalten können auch Sorgen haben.

Wenn die renommierte Wochenzeitung Die Zeit, die eigentlich ja gar kein Medienressort hat, zum zweiten Mal innerhalb von drei Wochen (Nr. 48/ 12; siehe auch Altpapier) das Thema Zeitungskrise prominent auf der Titelseite anteasert, und wenn ihr Interviewpartner Mathias Döpfner, den sie damit auch schon zum zweiten Mal im selben Zeitraum befragt (was er vor zwei Wochen zu Fragen wie "Wie kann guter Journalismus überleben?" sagte, steht hier und hier), dann nicht nur die in der aktuellen Leistungsschutzrecht-Diskussion missglückteste Verleger-Metapher, die vom Ladendiebstahl, variiert, sondern auch noch seine doppelt morbide, daher aber auch einprägsame Lieblingsredewendung des "Selbstmords aus Angst vor dem Tod", die er schon in den Nuller Jahren überstrapazierte (siehe z.B. Altpapiere von 2007) - ... dann muss die Lage wirklich ernst sein.

Heute also auf der Zeit, rechts neben Harold Lloyd, der am Uhrzeiger hängt, unter dem Hinweis auf das "Duell der Woche" zwischen den Supplements Zeit-Magazin und SZ-Magazin ("Wer ist klüger, lustiger, besser?") steht der nicht minder launige Hinweis "Kann er in die Zukunft der Zeitung sehen? Springer-Chef Mathias Döpfner hätte da einige Rezepte".

Das doppelseitige Interview im Wirtschaftsressort (S. 32-33) geführt haben Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo und Anne Kunze. Es geht gleich kräftig los. Döpfners zweite Aussage enthält, nachdem in seiner ersten schon der Satz "Früher hatten Journalisten ein gesünderes Selbstbewusstsein" vorkam, die Aussage:

"Außerdem haben wir uns von den technologischen Veränderungen die Agenda diktieren lassen. Inhalt spielt in den strategischen Verlagsdiskussionen eine oft erschütternd geringe Rolle. Das ist eine kollektive Verunsicherung, ein übergreifendes Phänomen, von dem ich unser Haus keinesfalls ausnehme".

Die Nachfrage, ob er denn sich selber, der ja gern und oft von Renditen und Profitabilität spricht und eine Menge Lokalzeitungen verkauft hat, um stattdessen etwa internationale Immobilienportale zu kaufen, ausnimmt, unterbleibt leider.

Wenig später dann die aufgepeppte Ladendiebstahls-Metapher, die die Zeit auch in ihrer Vorabmeldung zitiert:

"... Man glaubt es kaum, aber die [gemeint ist Google; AP] haben uns noch nie nach dem Preis gefragt, der uns vorschwebt. Wir glauben dem Google-Slogan 'Don't be evil' und denken, die netten Jungs mit dem bunten Logo meinen es doch nur gut. In Wirklichkeit will Google nur erzkapitalistische Interessen durchsetzen und sein Geschäftsmodell optimieren. Das ist so, als würde eine Hehlerbande bei Amnesty International eine Menschenrechtspetition zur Verteidigung der freien Bürgerrechte beim Ladendiebstahl einreichen."

Die Nachfrage, nach welchem Preis genau denn Google den Springer-Verlag oder die deutschen Verlage hätte fragen sollen, unterbleibt leider. Dafür erfahren die Interviewer und die Leser, dass Springer selbst keine eigene Suchmaschine zu betreiben gedenkt.

Knapp zwanzig Fragen später (das Interview hat wirklich die Länge, die man besser auf Papier lesen und derentwegen man ausgeruhte Wochenzeitungen schätzen kann) kommt dann Döpfners Top-Metapher, und zwar in der Antwort auf die gute Frage, ob der Springer-Konzern, wenn er als zumindest zunächst einziger deutscher Verlag Bezahlschranken um Onlineauftritte seiner Zeitungen errichtet, nicht Angst hat. Döpfner sagt:

"Abwarten ist auch keine Strategie. Das Schicksal unserer Branche wird sich an der Frage entscheiden, ob auch zukünftig in der digitalen Welt erfolgreiche Geschäftsmodelle für journalistische Inhalte zur Verfügung stehen. Nur wenn es ein Geschäftsmodell gibt, wird ein Markt entstehen. Und nur der Markt erzeugt Vielfalt. Und nur diese Vielfalt ist langfristig im Interesse der Verbraucher. Ein Beibehalten der Freibier-Kultur wäre Selbstmord aus Angst vor dem Sterben."

Das  Interview geht dann noch über 20 Fragen weiter, die Unterhaltung kreist unter anderem um das Hanseaten ja doch am Herzen liegende Hamburger Abendblatt, dessen überregionaler Mantelteil neuerdings aus der Berliner Springer-Zentralredaktion kommt, um Kai Diekmann sowie um die anfechtbaren Inhalte der Bild-Zeitung (wofür der Zeit allerdings kein besseres Beispiel einfiel als die Berichterstattung über Peer Steinbrücks Bahncard). Um hier noch einen Döpfner-Satz auszuschenken (wer wissen will, was Döpfner über Gehorsamkeit von Journalisten sagt, muss halt stolze 4,20 Euro für die Zeit hinlegen):

"Natürlich sind viele der Probleme auch hausgemacht."

Zeit: "Welche?"

"Charismaverlust durch Sparen an der falschen Stelle. Das sagt der, der im eigenen Haus auch viel gespart hat... Man muss an der richtigen Stelle sparen, ohne die journalistische Qualität zu beschädigen."

[+++] Eine prägnante Analyse dessen, was Döpfner über die netten Jungs mit dem bunten Logo und den erzkapitalistischen Interessen sagt, gibt's bei Carta:

"Kein Vergleich ist den Kritikern inzwischen zu blöd, kein Bild zu schief (Nordkorea, Mullah-Regime), um den 'anti-kapitalistischen'“ Impuls in den guten Deutschen wachzurufen...",

schreibt Wolfgang Michal. Die Prägnanz zeigt sich darin, dass er sich gar nicht besonders auf Döpfner als neuestes Exempel stützt, sondern eher auf das, was Frank Schirrmacher und Frank Rieger in der FAZ und Hajo Schumacher bei SPON schrieben, die natürlich allesamt eigene Interesse vertreten:

"Diese Interessen sind so legitim wie die Interessen von Apple, Google und Facebook. Es sind wirtschaftliche Interessen -  doch 'beide Seiten' arbeiten nun verstärkt mit ideologischen Überhöhungen. Halt! Einen bedeutsamen Unterschied gibt es: Die drei US-Konzerne haben die Phase ihrer ideologischen Selbst-Überhöhung schon weitgehend hinter sich, während die deutschen Opponenten diese gerade erst einüben. Ersteres ist eine typische Aufstiegs-Ideologie, die sich mit dem Erfolg und der wachsenden Akzeptanz allmählich verliert, letzteres ist eine typische Abstiegs-Ideologie, die sich im Zuge der Konfrontation und des Niedergangs zuspitzt und radikalisiert."

[+++] Um nochmals kurz den Freibierbereich zu verlassen und aus einem derzeit hinter einer Bezahlschranke (Döpfner: "furchtbarer Begriff... Sagen wir doch Abomodell!") stehenden Interview zu zitieren: In der aktuellen Ausgabe des Journalistengewerkschaftshefts journalist führt Hans Hoff ein Interview mit dem Geschäftsführer der in Verlagen nicht unberüchtigten Schickler-Unternehmensberatung. Dieser Rolf-Dieter Lafrenz sagt darin (S. 23) u.a.:

"Worüber sich die Verleger beklagen, ist unlauterer Wettbewerb. Sehen Sie mal das Kartellrecht. Es ist für Google überhaupt kein Problem, zwei Milliarden Umsatz in Deutschland zu machen, ohne dass sie vom Kartellamt als Medienwettbewerber wahrgenommen werden. Aber ... wenn Sie eine Vermarktungsallianz installieren wollen, um etwa Google und Facebook entgegenzutreten, müssen Sie das beim deutschen Kartellamt anmelden, während ausländische Wettbewerber außerhalb des Kartellrechts stehen."

Warum deutsche Verleger, darunter auch eigentlich eloquente und intelligente, anstatt der Öffentlichkeit oder auch der Politik so etwas zu sagen, lieber mit Ladendiebstahls-Quatsch kommen, bleibt rätselhaft.

####LINKS####

[+++] Nochmals: Huch. Kaum hatten wir hier gestern, um nicht immer nur Krisenszenarien auszuleuchten, von den dwdl.de-Kollegen den Begriff der "öffentlich-rechtlichen Sorgenlosigkeit" übernommen, da beweisen die öffentlich-rechtlichen Anstalten, dass auch sie oder ihre Mitarbeiter, zumal die jüngeren, Sorgen kennen oder kennenlernen werden: Die Anzahl der beim ZDF entfallenden Stellen ist von 300 auf bis zu 400 gestiegen, meldet der gewöhnlich gut informierte Daniel Bouhs bei kress.de, und könnte sogar noch mehr Menschen betreffen:

"Bei den jetzt bis zu 400 statt 300 Stellen gehe es um 'sogenannte Vollzeitäquivalente', was wiederum heißt: Es geht in der Summe um bis zu 400 Stellen auf Papier. Teilzeitkräften mit eingerechnet, könnte es weit mehr Mitarbeiter als Stellen treffen. Sendersprecher [Peter] Gruhne erklärte dazu, der Abbau sei 'bis Ende 2016 ohne betriebsbedingte Kündigungen möglich'."

Wenn so etwas ohne Kündigungen möglich ist, heißt das, dass auslaufende Verträge nicht verlängert und freie Journalisten, die in der Angestellten- und Gewerkschaftsmentalität ja ohnehin selten vorkommen, nicht mehr beschäftigt werden. Welche Sendungen entfallen, berichten papierzeitungsmäßig knapp die TAZ und etwas ausführlicher dwdl.de - wo Kommentatoren auch für eine Einordnung der News sorgen. "Ja, Championsleague-Erwerb war gestern, heute ist die KEF an den Entlassungen schuld...", schreibt Reto Mueller gleich untendrunter.
 


Altpapierkorb

+++ Die Berliner Morgenpost ist neben dem Hamburger Abendblatt die einzige noch bei Springer verbliebene Regionalzeitung (und wird wie gesagt inzwischen von derselben Redaktionsgemeinschaft erstellt). Gestern machte sie groß auf mit dem Bericht über eine Polizeirazzia in ihrer Redaktion. Heute betrachtet Hans Leyendecker die Sache auf der SZ-Medienseite 47 und neigt in der Frage "ein Fall von Korruption oder ein Anschlag auf die Pressefreiheit?" zur Antwort, dass es sich nicht um eine neue Cicero-Affäre handelt: "Den Fall Cicero und den Fall Morgenpost verbindet, dass es sich bei beiden um Gedrucktes handelte. Ansonsten sind die Fälle sehr unterschiedlich. Im Fall Cicero ging es bei der Durchsuchung darum, einen Informanten ausfindig zu machen, der geheimes Material weitergereicht hatte, was vom Bundesverfassungsgericht später gerügt wurde. Im Fall Morgenpost geht es um den Verdacht der Bestechung. Das Bargeld an den Beamten, so heißt es in Ermittlerkreisen, soll aus einem Topf für Informanten bezahlt worden sein". +++

+++ Die FAZ-Medienseite hat die neueste Veröffentlichung des Pressestatistikers Walter J. Schütz gelesen und kam zum Ergebnis: "Überregionale Abonnementzeitungen und westdeutsche Lokalzeitungen bewähren sich im medialen Wettbewerb am hartnäckigsten. Die Schließung der 'FTD' und das drohende Ende der 'Frankfurter Rundschau' bleiben hoffentlich traurige Sonderfälle." +++ Außerdem geht's ebd. um eine Facette des aufstrebenden kalifornischen Online-Kapitalismus: "Amazon Vine™ - Club der Produkttester". "Was Amazon als Exzellenzinitiative für mehr Transparenz und Glaubwürdigkeit verkauft ... bringt in Wahrheit Durchschnittskunden ... dazu, sich als Mitglied eines exklusiven Zirkels zu fühlen und genau da zu rezensieren, wo der Versandhändler es will", meint Ursula Scheer. +++

+++ "Wieder ein Grund, warum Zeitschriften nicht sterben dürfen: um nicht eines Tages so lieblos wiederbelebt zu werden", schreibt ebd. Nils Minkmar über die neue Pardon-Ausgabe des einstigen Focus-und Cicero-Chefredakteurs Wolfram Weimer (siehe Altpapier), die nun heute erscheint. +++ Vorab schrieb meedia.de, das sicher weniger feinsinnig tickt als Minkmar, dazu bereits: "zu viel Feinsinn, zu wenig Unsinn". +++ Einen Offenen Brief an Weimer hat im Tsp. Norbert Thomma geschrieben. +++ "Die Textqualität im neuen Pardon variiert von überraschend originell bis hin zu altbacken-muffig", meint Rupert Sommer in der Süddeutschen. +++ Die TAZ interviewt die Chefredakteure Peter Böhling und Daniel Häuser. +++

+++ Dass es das geplante neue Studio der ARD-"Tagesschau" gestern auf die Titelseite der Bild-Zeitung schaffte, war für die BLZ Anlass, den schon erwähnten Daniel Bouhs mit einem Artikel dazu zu  beauftragen. +++ Hier die offizielle NDR-Stellungnahme zur Kritik des Springerblatts. +++ Um die ARD kümmert sich auch der Tagesspiegel: Joachim Huber räsoniert mal wieder über die Frage, welche ARD-Talkshow abgeschafft werden könnte (und kommt dabei auch auf die "Tagesschau" zu sprechen). +++ Außerdem die Meldung, dass Thommy Gottschalk eine Oldie-Show mit den Hits vergangener Jahrzehnte bekommen könnte (aber noch nicht zugesagt hat). +++

+++ Außerdem im Tsp.: ein großes Interview mit den Machern der ZDF-Neo-Cartoonserie "Deutsches Fleisch", deren Startfolge zurzeit auch online anguckbar ist. +++

+++ Wo es vielleicht doch öffentlich-rechtlich und sorgenlos zugeht: bei Arte in Straßburg. Eine im Sender selbst offenbar unbemerkt gebliebene Panne, die vielleicht damit zu hatte, dass sich alle Sendermitarbeiter einen Sender-Film im Kino anschauten, fiel Spiegel Online auf. +++

+++ Bonusmaterial zu Journalismuszukunftsdiskussionen: "Das Angebot an aktuellen Inhalten im Netz ist schier unbegrenzt. Wer für digitalen Journalismus zahlt, der erwartet dafür einerseits inhaltliche und funktionelle Qualität, und andererseits Rücksicht auf die eigenen begrenzten Ressourcen (= Zeit) in der Aufmerksamkeitsökonomie, in der Ablenkung immer nur einen Klick oder Swipe entfernt ist", lautet der vielleicht beste Satz in einem netzwertig.com-Beitrag, der am Ende allerdings mit weniger zwingenden Sätzen wie "Weniger ist mehr. ... Wer mehr bieten will, muss weniger bieten: Ballast, versteht sich. Abspecken lautet die Devise" auf seine über 7000 Zeichen umfassende Länge kommt (und auf die Idee, dass sich unterschiedliche Leser für völlig unterschiedliche Inhalte interessieren könnten, irgendwie nicht). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.