Das Geschmäckle von Google

Das Geschmäckle von Google

Der nützliche Datenkrake mobilisiert seine Nutzer, und die deutschen Medien reagieren mit einer Flut von Einschätzungen: mit Ladendiebstahls- und Saurer-Apfel-Vergleichen, mit Kampfbegriffen wie "Angstgesetz" und "Silicon-Valley-Kapitalismus", mit Vermutungen wachsender Nervosität und schwindender Objektivität.

Seit gestern morgen läuft also die große deutsche Google-Kampagne, mit der der kalifornische Suchemaschinen-Konzern das deutsche Leistungsschutzrecht noch verhindern möchte, indem er seinen Nutzern auf der Startseite

"Willst Du auch in Zukunft finden, was Du suchst? Mach' mit: Verteidige Dein Netz"

zuruft. Falls Sie die praktische Google-Seite nicht kennen: Hier stellt das Altpapier gern (und gratis!) einen Link zur Verfügung.

Schnell hat die Kampagne, die FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher, dieser der großartige Vereinfacher, mit dem Tweet "Jetzt verschickt Google schon Einberufungsbefehle" kommentierte, publizistische Reaktionen hervorgerufen. Die deutschen Medien zeigen ihre herausragendste Stärke: enorme Breite, in der häufig auch unterschiedliche Positionen auffindbar sind.

Allerdings: Sympathie für die Google-Kampagne ist kaum zu finden. Höchstens ein

"Natürlich muss man Google angehen und auch gesetzlich Grenzen setzen. ... Ich kann Google aus Datenschutzsicht scheisse finden - und gleichzeitig in anderen politischen Fragen zusammenarbeiten. So ist eben politische Bündnisarbeit. So war sie immer. Man musste immer auch mal in den sauren Apfel beißen."

So argumentiert John F. Nebel auf netzpolitik.org. Wer jetzt, nur zum Beispiel, mit Nazizeit-Vergleichen in einen harten "Meinungskampf" (vgl. das letztinstanzliche Urteil zur Eva-Herman-Sache z.B. bei taz.de) ziehen wollen würde, könnte ihm das kräftig um die Ohren hauen. Muss man aber nicht, auch bei netzpolitik.org herrscht Pluralismus:

"Überlasst Angelegenheiten von öffentlichem Interesse den öffentlichen Akteuren  - Zivilgesellschaft und Regierungen. Allerdings, wenn die Stimmung zugespitzt ist, spendet vielleicht ein bisschen Geld für solche Anliegen, haltet euch dabei aber fern davon, welche Aktivitäten daraus folgen. Ich habe einfach keine Lust auf Unternehmens-geführte Kampagnen des 'öffentlichen Interesses'",

schreibt ebd. ein aus dem Englischen übersetzter Anonymus. Und Andre Meister, ebenfalls netzpolitik.org-Autor, sagte, dass Google inhaltlich Recht habe, es jedoch ein "Geschmäckle" habe, wie der Konzern seine Marktmacht nutzen will, um ein Gesetzgebungsverfahren zu beeinflussen.

Das sagte er, der dafür zum Vertreter einer "kleinen Nicht-Regierungsorganisation" ernannt wurde, dem Tagesspiegel, für den Sidney Gennies gestern noch zwei weitere, also insgesamt zumindest drei Texte zum Thema verfasst hat (was ganz gut zeigt, worin das Berufsbild eines Online- oder genauer: Print- und Online-Journalisten inzwischen besteht: den ganzen Tag lang denselben Artikel laufend aktualisieren oder mehrere teilweise identische Artikel zum selben Thema schreiben).

Was die publizistische Aufbereitung des Themas verkompliziert: Niemand weiß genau, was genau dieses Leistungsschutzrecht (die fundierteste Kritik daran, die auch schon x-mal, aber jetzt auch noch von 16 Professoren sowie namhaften Instituten geäußert wurde, gibt's ebenfalls via netzpolitik.org) wie genau bewirken soll, und was es, falls es in ungefähr der aktuellen Fassung tatsächlich beschlossen würde, tatsächlich anrichten wird. Am allerwenigsten wissen das vermutlich die Bundestagsabgeordneten, die in ihrer morgigen, von "10.00 - ca. 05.15 Uhr" angesetzten Sitzung unter dem Tagesordnungspunkt 19, also lange nachdem sie mutmaßlich die noch viel umstritteneren Finanzhilfen für Griechenland beschlossen haben werden, eine halbe Stunde lang auch darüber diskutieren sollen.

Für die publizistische Aufbereitung empfehlen wir das Bundle der TAZ, die mit der Titelschlagzeile "Google greift den Bundestag an" aufmacht (im Bild, als Text) und dann im Zeitungsinnern einen Themenschwerpunkt dazu aufzieht. Steffen Grimberg erläutert die Lage die und bringt dabei eines der relativ überzeugendsten Argumente gegen die schon oft geäußerten Argumente, die u.a. Google gegen so ein Leistungsschutzrecht anführt:

"Die Suchmaschine verweist in ihrer Argumentation darauf, dass die Verlage ihre Artikel schließlich freiwillig und zudem meist gratis ins Netz stellen - sollte man diese 'nicht mehr verwenden dürfen, wird das Suchen und Finden von Informationen im Internet massiv gestört'. Doch in der schnöden Realität geht es natürlich um Geld. Viel Geld. Denn so richtig Googles Hinweis ist, dass man allein mit Google News weltweit jeden Monat für rund eine Milliarde der begehrten 'Klicks' sorgt: Ohne dieses auswertbare Basisangebot im Netz würde Google wohl kaum ein attraktiver Platz für Onlinewerbung sein. Der Konzern verweist nun darauf, dass Google News werbefrei sei - doch auch dieses spezielle Suchangebot existiert nur auf dem Rückgrat der anderen, sehr wohl mit Anzeigen gesegneten Seiten."

Worüber sich natürlich streiten ließe. Am Rande der TAZ-Seite streiten sich in zwei Kurzinterviews zwei Lobbyisten mit durchaus heftigen Sätzen.

Sagt Philipp Otto, der irights.info-Redaktionsleiter:

"Es ist ein weltweit einmaliges Angstgesetz Made in Germany. Zudem droht kleineren Zeitungen eine Existenzkrise, da sie in der Folge faktisch aus der digitalen Öffentlichkeit verschwinden würden. Die Politik wäre sehr gut beraten, genau zu überlegen, ob der Springer-Konzern ihr dieses Gesetz vorschreiben darf."

Sagt Dietmar Wolff, der Hauptgeschäftsführer des Zeitungsverlegerverbands BDZV, der in derselben Sache sonst auch mit Ladendiebstahls-Vergleichen hantierte (siehe erneut netzpolitik.org):

"Google ist die zeitgenössische Set-Top-Box aller Medieninhalte. Sie ist vorprogrammiert, sie ist marktbeherrschend und sie ist in ausländischer Hand. Und trotzdem sind viele kritiklos fasziniert von Google statt alarmiert. Das stimmt mich sehr nachdenklich."

Was ist davon zu halten? Eine Einschätzungsidee hat dann wiederum Grimberg auf der Kommentarseite. Er erkennt entspannt ("Wie lustig") Parallelen zwischen den aus aktuellen Anlässen sehr lebhaften Untergangsszenarien für die gedruckte Presse und dem "Untergang der Netzfreiheit", den nun Google prophezeit - und vermutet ähnliche Nervosität und Unersetzlichkeits-Zweifel beim Suchmaschinenkonzern, wie sie die Presseverleger ja auch plagen.

Vor dem Schnelldurchlauf die durch kaum googlebare Flut von Googlekampagnen-Einschätzungen noch eine besondere Lese-Empfehlung: Volker Schütz, Chefredakteur des vor allem auf Werbung und Marketing spezialisierten Blattes und Portals Horizont, betrachtet die Googlekampagne als gut gemachte bzw. teure Werbung bzw. als Marketing:

"Während die Lobbyarbeit des VDZ [des dem BDZV sehr ähnlichen Zeitschriftenverlegerverbands; AP] zunächst als Verzweiflungstat eines Internet-David gegen einen Digital-Goliaths startete (und dann von der Politik honoriert wurde), ist die von der hochgeschätzten Agentur Kolle Rebbe entwickelte Kampagne vor allen Dingen ein aufschlussreiches Zeugnis der Ideologie eines übermächtigen Internet-Konzerns."

Es folgt dann, unter der komplexen Prämisse "Ich bin weiterhin gegen das Leistungsschutzrecht, aber nicht wegen, sondern trotz der Google-Initiative", eine fundierte Einschätzung der sich anbiedernden Google-Arroganz, die das Überfliegen anderer, großenteils auch nicht unfundierter Einschätzungen überflüssig macht, falls Sie auch nicht ewig Zeit haben.

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[+++] Falls Sie doch noch ein paar Minuten haben, hier ein Schnelldurchlauf: "Die Google-Kampagne ist der Höhepunkt eines jahrelangen Streits, der zu einem Gradmesser des politischen und medialen Einflusses von Internetszene, Großverlagen und Google geworden ist", meint mit Recht Johannes Boie auf der Medienseite der Süddeutschen, wo er auch Kritik am Entwurf des Leistungsschutzrechts (LSR) äußert: "Kritiker monieren unter anderem, das Leistungsschutzrecht würde die freie Verbreitung einzelner Wortfolgen oder Satzteile erschweren, wenn nicht verbieten und sei daher zum Beispiel mit der Meinungsfreiheit nicht zu vereinbaren". Auf der Meinungsseite konzediert Heribert Prantl solche Kritik, findet aber "gefährlich ...nur die Art und Weise, mit der ein Weltkonzern seine gewaltige Marktmacht nutzt, um seine Nutzer zu täuschen und den Gesetzgeber zu drangsalieren. Das muss auch diejenigen ärgern, die sich ansonsten über dieses Leistungsschutzgesetz ärgern".

"Das Heuchlerische der Kampagne von Google ist, dass es die eigene Sache als die aller und kommerzielle Interessen als einen Kampf um Grundrechte und um die Freiheit ausgibt", kommentiert Michael Hanfeld im Politikressort (S. 8) der FAZ, um vorn auf dem Feuilleton weiterzukommentieren: "... wir aber nennen das Silicon-Valley-Kapitalismus, in dem ein Weltkonzern sein kommerzielles Interesse als unser aller Grundrecht ausgibt." Hanfeld-Beobachter erkennen aber, dass auch er vom LSR abrückt und sogar einen sympathischen kleinen vielleicht Leidtragenden benennt (indem er bezweifelt, dass "die Folgen zum Beispiel für Blogger und Aggregatoren wie etwa das interessante Portal 'rivva.de' vollständig durchdacht sind").

Dennoch wird Hanfeld der "Hyperventilation" bezichtigt, und zwar vom Ex-Kollegen Stefan Niggemeier in seinem Blog. Dass dort überdies der aktuelle Niggemeier-Kollege bei Spiegel Online, Konrad Lischka (der dort fundierte Google-Kritik à la "Google verschafft bestimmten Themen und Diensten auf seiner Website mehr Aufmerksamkeit, als sie eigentlich bekommen würden" auflistet, ohne freilich Spiegel Online-Kritik zu üben), auch nicht gut wegkommt, sorgt bereits für Ärger bei einem weiteren aktuellen Kollegen. Insgesamt interessanter: Niggemeiers um den aus jahrelangen Qualitästjournalismus-Debatten bekannten Zusatz "Verlage sind nicht der gute Journalismus" ergänzte Hauptthese lautet "Google ist nicht das Netz", tue jetzt aber so - ist weithin identisch mit der tagesaktuellen These von Hanfeld, Prantl und Lischka.

Und auch wenn Philipp Ottos oben zitierter Satz, die Politik müsse "überlegen, ob der Springer-Konzern ihr dieses Gesetz vorschreiben darf" ein sehr gutes Argument ist (beinahe so gut, als wären die Kreativen von Kolle Rebbe drauf gekommen... ), sitzt auch ganz gut, was Springers seriöseres Blatt meint: "Objektivität hatte bei Google bisher also den Rang eines Dogmas. Die Suchmaschine beteuerte stets, auf ihrer Homepage werde nur gezeigt, was ein neutrales Computerprogramm ausgerechnet habe, ein Algorithmus, blind und gerecht wie Justitia. Als ob das Internet ein Marktplatz voller Händler wäre, die miteinander feilschen, und Google ist nur Pförtner am Eingangstor, parteilos und unbeteiligt. Nun hat Google das Objektivitäts-Dogma gekippt."

"Befremden mag höchstens im ersten Moment, dass der Nett-Gigant die Rede von der Meinungsfreiheit im Internet führt, die er schützen will", schreibt Marin Majica in der Berliner Zeitung. Ob er sich da vertippt hat oder nicht, unklar. Stimmig wäre beides. Zumindest hat er ein nettes Telefonat mit Google-Sprecher Ralf Bremer geführt und dabei erfahren, dass "der Aktions-Link" für "ein bis zwei Tage" auf der Google-Startseite stehen soll, also in Kürze verschwinden wird.

Und ie einzige hochrangige Politiker-Äußerung, die in diesem Kontext insofern interessant ist, als dass Politiker ja die indirekten Adressaten der Google-Kampagne sind, stammt von der Bundesjustizministerin:

"Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat angesichts der Online-Kampagne von Google indirekt zum Boykott des Suchmaschinenanbieters aufgerufen: 'Es gibt noch andere Suchanbieter als Google', sagt sie dem Handelsblatt (Mittwochausgabe). Die FDP-Politikerin zeigte sich erstaunt, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen versuche, die Meinungsbildung zu monopolisieren..."

Das Zitat, das mit derselben Quellenangabe auch die FAZ auf S. 1 bringt, stammt aus dem Tagesspiegel. Im Handelsblatt ist der entsprechende Text gerade, vielleicht auch aufschlussreich, ungoogelbar.
 


Altpapierkorb

+++ In der von konkreten Google-Schritten unabhängigen allgemeineren Printmedien-Krise gibt's auch was Neues, das allerdings in den Printmedien untergeht: Sechs Frankfurter Rundschau-Tochterfirmen haben nun ebenfalls einen Insolvenzantrag gestellt (wuv.de, kress.de). +++ Und ein neues großes, ausgeruhtes und entschleunigtes Stück zur Krise kommt ebenfalls rein. Auf vocer.org positioniert sich Stephan Weichert näher an Mathias Döpfners aktuellster Gesamtkriseneinschätzung als an derjengen Giovanni di Lorenzos. Ganz am Ende fordert er, vielleicht als Bild leicht widersprüchlich, vielleicht auch bloß dialektisch, einen eleganten Ruck: "Es muss endlich ein Ruck durch die Redaktionen gehen - eine elegante Vorwärtsbewegung in die digitale Zukunft." +++

+++ In ungefähr derselben Sache gestattet sich Wolfgang Michal (Carta) den Spaß, einfach mal 170 Jahre zurückzublenden, als ja "diese neuen Medien" gab, "mit deren Hilfe man sich Frisch-Luft zufächeln konnte im preußischen Provinzmief", und ein gewisser Karl Marx, weil er sonst keine Karriere machen konnte, halt Redakteur bei einer diesen Zeitungen wurde... +++

+++ Auch ein Spaß, ein moderat bitterer: Matthias Hannemanns großer FAZ-Bericht über eine Kleinbusreise zum Hintergrundgespräch in der GEZ-Zentrale in Köln-Ossendorf, wo "die 'Multimedia-Ecke' im Foyer" "aus einem Wasserspender, einem Fernseher und einem Internetmonitor mit der Meldung: 'Die Seite kann nicht angezeigt werden'" besteht. Bloß die GEZ-Vertreter, die wegen des Starts ihrer (wirklich) schön illustrierten Webseite rundfunkbeitrag.de zu diesem Gespräch luden, werden beim Lesen des Artikels "Für die Taubblinden ändert sich nichts" keinen Spaß haben. +++

+++ Eher kein Spaß, sondern kleine Hommage an die FTD-Redaktion: die heutige TAZ-Medienkriegsreportage. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.