Wann spielt Lanz einen Kommissar?

Wann spielt Lanz einen Kommissar?

Megatrend: Kontroverse als vergleichsweise smarte PR - jetzt auch mit Polittalkshow-Debütant Stefan Raab und dem prominenten Bundesumweltminister. In Berlin tun's konventionelle Pressebrunchs allerdings auch noch.

Ganz wichtige Triebkraft für die Medien: dem Publikum Inhalte, sagen wir: vorzustellen, damit es auf mehr davon gespannt ist und zum gegebenen Zeitpunkt bestimmte Sendungen anschaut (also auch deren Werberahmen, oder zumindest zufrieden ist, diese Sendungen mit seinen Gebühren finanziert zu haben), damit es bestimmte Kinofilme besucht, bestimmte Druckerzeugnisse kauft, bestimmte Parteien wählt, über die berichtet wurde, oder bestimmte Parteien nicht, über die nicht berichtet wurde.

Womöglich die Erkenntnis der Stunde: Mit Harmonie, indem alle immer alles "amazing" finden, kommt man dabei nicht mehr weit. Oder interessiert irgendjemanden im Ernst die Frage nach dem Vornamen des von Christian Ulmen gespielten "Tatort"-Kommissars Lessing, die sich beim Berliner Pressebrunch des MDR zur Vorstellung des aktuell allerneuesten Krimiermittler-Gespanns Ulmen/ Nora Tschirner als noch offen entpuppte, bis zur Ausstrahlung des Films am 26. Dezember 2013 aber vielleicht, wer weiß, gelöst werden wird?

Falls diese Frage doch interessieren sollte: Der Tagesspiegel beschreibt fast so ausführlich wie affirmativ, was beim Presseessen im Café Einstein so gesagt wurde. In der TAZ beschreibt Jürn Kruse schön subversiv den aktuellen Frontenverlauf im Krimi-"Krieg" der Landesrundfunkanstalten. Noch subversiver allerdings der erste Kommentar unterm Tsp.-Text ("Wann spielt eigentlich Lanz endlich einen Kommissar?").

Und für die Berliner Zeitung fand Torsten Wahl den Dreh, statt über einen frühestens in mehr als einem Jahr anstehenden Krimi zu mutmaßen, lieber über den verantwortlichen Sender-Manager zu schreiben, der der berüchtigten ARD-Degeto "zusätzliche Mittel abrang", damit auch dieser Krimi noch realisiert werden kann. Freilich schildert er den MDR-Fernsehdirektor Wolf-Dieter Jacobi und dessen zwölf- bis 14stündige Arbeitstage allein auf Basis dessen, was Jacobi selbst bei "Croissants und diesen dreieckigen Sandwiches, bei denen immer die Rinde abgeschnitten ist" (TAZ), so sagte. Von Kontroverse keine Spur. Bloß der MDR kann, da sogar die Bild-Zeitung ein paar Zeilen aufwandte ("Unser 'Tatort' ist ein Flirt-Ort", klicken lohnt aber wirklich nicht), mit dem Engagement der Berliner Journalisten sehr zufrieden sein.

[+++] Kontroverse vom Feinsten schürt indes Pro Sieben, dessen zu bewerbende Sendung freilich auch rund 60 Wochen früher als der Ulmen-/ Tschirner-"Tatort" zur Ausstrahlung gelangt: Schon am kommenden Sonntag um 22.45 Uhr startet Stefan Raabs Polit-Talkshow "Absolute Mehrheit". Ein paar Tage zuvor ist eine aufmerksamkeitsstarke Streitigkeit im Gange. Nach der zwischen Marina Weisband (Piratenpartei) und Merlind Theile (Spiegel) sowie der zwischen Tom Hanks (Hollywood, aktueller Kinofilm: "Cloud Atlas") und Markus Lanz (ZDF, aktuelle Shows: "Wetten, dass...?", "Markus Lanz" u.v.a.m.), von denen an dieser Stelle schon öfter die Rede war, bereits die dritte laufende Auseinandersetzung, die auch das aufgeklärte Publikum dadurch fesselt, dass man nicht einfach weiß, wer jetzt recht oder zumindest etwas weniger unrecht hat.

Die Frage ist, ob womöglich der Stargast unter Raabs Talkgästen, der amtierende Bundesumweltminister Peter Altmaier, für die Ausladung des ebenfalls nicht unbekannten Grünen-Politikers Volker Beck gesorgt hat. Hat er, behauptete Becks Büroleiter. Habe er nicht, bestritt bereits Altmeier persönlich sogar unter Berufung auf Freundschaft mit Beck.

Weil beides jeweils öffentlich via Twitter geschah und so einige nationale Medienprominenz verwickelt ist, verbreitete sich die Story virulent in den Medienmedien (meedia.de, dwdl.de mit Enthüllung des unprominenten fünften Gastes) weiter. Der Tagesspiegel spricht von "Eklat" (welche Polit-Talkshow hätte nicht gern einen?), die Berliner Zeitung berichtet unter Bezug auf das, was die TAZ "auf ihrer Website" berichtet, obwohl taz.de eigentlich nur auf die öffentlichen Tweets Bezug nahm. In der Druckausgabe berichtet die TAZ heute ähnlich, allerdings mit dem Clou, abschließend für ein Druckerzeugnis zu werben, nämlich die kommende "sonntaz", die ein Stefan-Raab-Interview enthalten wird.

Falls Sie sich für das Rätsel selbst interessieren, empfehlen wir den Artikel bei sueddeutsche.de. Dort sind Thorsten Denkler und Michael König tiefer in die Recherche eingestiegen, d.h. haben bei Becks Assisten, der die eventuelle Sache öffentlich machte, nachgetwittert und die erhaltenen Auskünfte mit eigenen Einschätzungen arrondiert:

"Auf Nachfrage von SZ.de präzisiert er: 'Raabs Assistentin hat angerufen und @Volker_Beck für Sonntag ausgeladen, weil @peteraltmaier sonst nicht kommt.' Das ist erstaunlich. Bundesumweltminister und Vieltwitterer Altmaier und Beck pflegen jenseits politischer Auseinandersetzungen seit langem eine gute Freundschaft. Dass Altmaier, der jetzt als Gast der Sendung aufgeführt wird, Beck nicht an seiner Seite sehen will, erscheint einigermaßen zweifelhaft."

Schließlich, heißt es etwas später ebd,

"was soziale Netzwerke angeht, wären Altmaier und Beck geradezu eine Traumbesetzung: Beck kann bei Twitter auf 26.000 Follower verweisen, Altmaier auf 27.000."

Und dass sog. Social-TV, wie eines von etwa einem Dutzend trendigen Schlagworten für auf Internetebenen verlängertes Fernsehen lautet, für Sender-Manager ein ganz heißes Eisen ist, lässt sich ja an den Analysen der US-Wahl-Sendungen sehen [folgen in Kürze im Altpapierkorb].

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Was die eigentlich für die Gästeauswahl zuständige Seite, die des Senders betrifft, so werfen einander Pro Sieben und die auch beim Aufmerksamkeiterzeugen nicht unversierte Produktionsfirma Brainpool einander die Bälle der Verantwortung zu. Selbst wenn die Bild-Zeitung, der schließlich auch zuzutrauen wäre, gar aus den sexuellen Orientierungen der eventuellen Streithähne etwas zu drehen, irgendwie nicht richtig einsteigen möchte, kann sich Pro Sieben, dessen Show und deren Spielregeln (am Ende kann ein Politiker 100.000 Euro gewinnen!) überall mit beschrieben werden, sehr zufrieden sein.
 


Altpapierkorb

+++ Vielleicht bräuchten die Grünen, die nun, anders als die Linke mit einem ziemlich unprominenten Vertreter, gar nicht unter Raabs Gästen vertreten sind, doch einen eigenen Generalsekretär, der mit genug Nachdruck bei den Medien anruft. Einen Nachklapp zu jüngeren CSU-Affären hat Altpapier-Autor Klaus Raab für den Freitag verfasst: "Rundfunkgremien sind keine Kinderspielplätze..." +++ Und noch was von einem Altpapier-Autor: René Martens geht für die TAZ dem gestern bei SPON vermeldeten, sozusagen einem vom Bruno-Gmünder-Verlag ausgesetzten Kopfgeld zu verdankenden Erfolg bei der Suche nach den "Machern des rechtsextremen Portals kreuz.net" nach. +++

+++ Wer hat bei der US-Wahl nun gewonnen, unter Aspekten deutscher Medien betrachtet? "ARD-Party besiegt ZDF-Party", d.h. Sandra Maischberger besiegte Markus Lanz, analysiert kress.de. "Auch bei Twitter war die ARD-Diskussion an der Spitze der Twitter-Trends", pflichtet der WDR als Vertreter der ARD bei. Da vom ZDF keine entsprechende Jubelmeldung kam, obwohl Claus Kleber twitternd unterwegs war (bzw. "der heimliche Star des Abends", wie die BLZ-Vormitttagskritik meinte), scheint da etwas dran zu sein. RTL und sein Nachrichtensender N-TV haben nach eigenen Angaben, also bei anderem Zielgruppenzuschnitt, ebenfalls gewonnen. +++

+++ Inhaltlich analytischer zum Thema US-Wahl-TV äußert sich heute nurmehr die FAZ, und zwar mit zwei unterschiedlichen Texten von Tobias Rüther, der eigentlich der FAS-Literaturredakteur ist. "Zum Fernsehereignis wurde die Wiederwahl Barack Obamas nicht unbedingt dank der deutschen Sender, die mit etlichen Reportern ausgeschwärmt waren in die amerikanische Nacht, die in ihren Studios aus dem Internet vorlasen, skypten und twitterten, wenn sie nicht gerade ihre pensionierten Korrespondenten, den Amerikanerdarsteller Don Jordan oder Gayle Tufts interviewten - sondern wegen Fox News", schreibt er auf der Medienseite 33 der Druckausgabe. +++ Im Online-Artikel ist die Tendenz ähnlich, aber der Text anders ("Das Übererklären machte ein bisschen müde in dieser langen Wahlnacht im deutschen Fernsehen. Nicht, wenn es um die komplexen Verhältnisse ging, sondern wenn Bilder für sich hätten stehen können oder Technik einfach nur hätte genutzt werden müssen"). +++ Und in der Medienseitenglosse rutscht Michael Hanfeld eine Meinung zum Wahlausgang heraus, die manche Hanfeldkritiker erstaunen könnte ("... Doch dürfte die Entzauberung abermals nicht lange auf sich warten lassen, hatten die Amerikaner doch nur die Wahl zwischen zwei verschiedenen Vertretern ein und desselben Finanzmarktkapitalismus..."). +++ Nachzutragen von gestern vormittag: die schwungvolle Fernsehnacht-Besprechung von sueddeutsche.de über die "Cheerleading-Atmosphäre" im deutschen Fernsehen. +++

+++ Medienwirtschaft: "Die Axel Springer AG will die Gratiskultur im Internet beenden", steht am Anfang einer derart knappen Meldung auf der FAZ-Wirtschaftsseite 16, dass man nicht den Eindruck gewinnt, da glaubte jemand ans Gelingen. Gratis am ausführlichsten über Springer-Chef Mathias Döpfners jüngste Ankündigungen in dieser Richtung, und zwar anlässlich der gestrigen Quartalszahlenbekanntgabe, berichtet wallstreetjournal.de. +++ Siehe auch meedia.de ("'Kostenlose Leser sind viel weniger wert als solche, die zahlen', sagte der Springer-Vorstandschef"...).+++ Handfester die News, dass FAZ- und Süddeutscher Verlag sich beteiligen sich am Holtzbrinck'schen Online-Vermarkter beteiligen wollen, der bislang schon die Handelsblatt- und Zeit-Webseiten im Angebot hat (kress.de). +++ Von einer Print-Online-Zusammenlegung in der Schweiz berichtet die Süddeutsche. +++

+++ Burdaistik, wie es der renommierte Burdaist und künftige Handelsblatt-Chef Hans-Jürgen Jakobs nennen würde. Weil in Kürze ein von Hubert Burda verfasstes Buch (bei Bertelsmann) erscheint, läuft die es begleitende Kampagne an. Bei den Freunden von der Zeit plaudert Burda aus dem Nähkästchen (Vorabmeldung, lieb aggregiert von meedia.de). In der Süddeutschen analysiert Jakobs das Werk: "Im Grunde handelt es sich bei dem Buch um eine episodische Verteidigung der großen Unterhaltung (Hollywood! Google!) und des eigenen Seins. ... Es ist, insgeheim, auch ein Regenbogen-Gegenbild zur Ideologie der 1960er-Jahre, mit der Frankfurter Schule und der Kritik an der 'Bewusstseinsindustrie', was Burda interessierte, aber nervte. ... und es bleibt genug Raum für die Würdigung des zweiten Lieblingsmotivs der Burdaistik (nach High und Low), und das ist der 'Iconic Turn', der Siegeszug des Bildes." +++

+++ Öffentlich-Rechtliches: Behinderte sollen im RBB-Rundfunkrat vertreten sein, fordert der Berliner Gesundheitssenator Mario Czaja (TAZ).+++ Kai Pflaumes "Starquiz" soll im auszudünnenden "Portfolio" der ARD-Unterhaltungsangebote nicht mehr vertreten sein, sagte ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber der Süddeutschen. +++

+++ Die überdies den von der Deutschen Telekom finanzierten 100-minütigen Internetspielfilm "Move on" vorstellt, der in der Tat Spaß bereitet ("Könnt ihr euch ein Road Movie ohne Autos vorstellen? Wahrscheinlich nicht. Umso glücklicher waren wir, Volkswagen als Partner für das außergewöhnliche Projekt zu gewinnen und tolle Autos von VW zur Verfügung gestellt zu bekommen...") +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.