Einen Spring machen

Einen Spring machen

Krise adé: Sowohl den Zeitschriften als auch den Fernsehnachrichten geht es blendend. Und im Ernst: Zumindest ist das ZDF nicht so blamiert, wie manche taten. Außerdem: ein Google-Boykott mitten in Amerika, das 501. "Tatort"-Ermittlerduo.

Zu den Problemen mit Krisen, wie sie dem interessierten Publikum im Bereich traditioneller Medien in diesen Tagen, Wochen, Monaten, Jahren pausenlos begegnen, ganz aktuell zum Beispiel in Form von weiteren "Einbußen am deutschen Pressemarkt" (IVW) oder in der von "Quotendesastern" bei eigentlich als angesehen angesehenen Nachrichten-Fernsehsendungen (BLZ; Dementi folgt weiter unten...), zu den Problemen also zählt: Das gegebenenfalls interessierte Publikum begreift bekanntlich schnell, ist bei Wiederholung noch schneller gelangweilt und stumpft selbst dann ab, wenn es eigentlich wohlmeinend ist.

Zumal die meisten, die solche Krisen beschreien, ja Geschäftsleute sind, die außerdem gleichzeitig ihren eigenen Geschäften und Geschäftsideen schönen Erfolg in der Vergangenheit und eine blendende Zukunft vorherzusagen haben.

Aus diesen öden Kreisläufen ist Stephan Scherzer, der Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger (und "passionierte Bergsteiger") gestern auf der traditionsreichen Jahrespressekonferenz seines Verbandes ausgeschert, um ausgerechnet der Mediengattung Zeitschrift eine nahezu krisenfreie Gegenwarts- wie auch Zukunfts-Erfolgsgeschichte auszumalen: "Noch nie gab’s so viele Publikumsmagazine wie 2012" (kress.de), "Deutschland hat so viele Zeitschriften wie noch nie", ..."bleibt ein Land der Zeitschriften" (DPA/ newsroom.de), "neue Höchstmarke" (TAZ), "noch nie gab es mehr Zeitschriften als derzeit" (dwdl.de mit wie gemaltem Symbolbild).

Selbst die der gedruckten Presse leicht skeptisch gegenüberstehenden Aggregatoren von meeedia.de lassen angesichts der Fülle von in dieser Grafik am dynamischsten aufbereiteten Zahlen ihre Skepsis nur in einigen Randbemerkungen ("das kleine Wachstum", "nur bedingt nachvollziehen"...) durchscheinen.

Das Erfolgsrezept der Zeitschriftenverleger besteht grob gesagt darin, die teils drastischen Auflagenrückgänge ihrer Zeitschriftentitel dadurch auszugleichen, dass sie immer mehr Zeitschriftentitel auf den Markt werfen, deren Anzahl schneller steigt als ihre Auflage sinken kann. "Rund 6.000" verschiedene seien es derzeit, sagt der VDZ.

"Insgesamt sind 103 Titel in den ersten drei Quartalen dieses Jahres neu auf den Markt gekommen. 31 Magazine wurden eingestellt",

hat kress.de errechnet. Ob auch die jüngste Einstellung, das Fußballheft Goal (ebd.), eingerechnet ist oder nicht - ebenso unklar wie die Antwort auf die Frage, ob es sich bei Scherzers Ankündigung "Auch das Digitalgeschäft wird einen kräftigen Spring machen" um einen Kress-Tippfehler oder einen besonders optimistischen Anglizismus handelt.

[+++] Der Tagesspiegel, unter den Berliner Zeitungen eigentlich der verlässlichste Chronist von dergleichen Veranstaltungen, war ebenfalls beim VDZ und hat dort etwas mitbekommen, über das er heute noch lieber berichtet  - einen Google-Boykott, und zwar in Brasilien:

"154 Zeitungen aus dem bevölkerungsreichsten Land Südamerikas haben beschlossen, ihre Inhalte nicht mehr über Google News auffindbar zu machen. Das sind etwa 90 Prozent der täglich erscheinenden Titel, auch große Zeitungen wie 'O Globo' und 'O Estado de São Paulo' machen mit. Es ist ein Wagnis, das deutsche Verleger mit Interesse beobachten",

schreibt Sonja Pohlmann.

Dann dürfte, falls es nicht das aktuelle französische Gesetzesvorhaben vorher beschlossen wird, Brasilien zu Belgien als dem Beispiel für die zäh seit Monaten hin- und herwogenden deutschen Leistungsschutzrechtdebatten (siehe z.B. Marcel Weiss' Text, gestern und vorgestern einer der Artikel des Tages im Altpapier) hinzukommen.

[+++] Jetzt zur Fernseh-Nachrichtenkrise, also der oben schon erwähnten Media Control-Feststellung, dass die gemessenen Reichweiten sämtlicher Hauptnachrichtensendungen sänken (siehe etwa dwdl.de).

Gibt's nicht, sagen Vertreter sämtlicher Sender mit Hauptnachrichtensendungen bei einer kleinen Umfrage der Süddeutschen (S. 31). Namentlich sind das ZDF-Chefredakteur Peter Frey, ein Anonymus des nachrichtlich sowieso unbedeutenden Senders Sat.1 und RTL-Chefredakteur Peter Kloeppel, der ungefähr so reagiert wie Philipp Rösler auch immer auf aktuelle Umfragewerte reagiert ("die aktuelle Entwicklung bleibe 'im Rahmen unserer Erwartungen'. Trotzdem sei jeder Rückgang 'immer Ansporn, unsere Sendung noch besser zu machen'"). Sowie natürlich allen voran ARD Aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke.

Dessen einleuchtende Erklärung, dass "das Erste" ja nur eines unter vielen Programmen ist, die die "Tagesschau" ausstrahlen, und "im Ersten, in den Dritten, bei Phoenix und 3Sat zusammengerechnet erreiche man nämlich 8,7 Millionen Zuschauer, ... 1992 seien es 8,76 Millionen gewesen" (hier zitiert nach FAZ, S. 31), fand ebenfalls bereits Eingang in den Strom der Medienmedien (siehe etwa dwdl.de).

Am ausführlichsten äußert sich Gniffke im Tagesspiegel, dem verlässlichen Chronisten, der ihm die Gelegenheit eines Interviews bietet: "Das ist keine Katastrophe, sondern ein exzellentes Ergebnis", und an eventuellen Abstrichen an der Ergebnisexzellenz sei allenfalls ein gewisser Mangel an Katastrophen im laufenden Jahr, "im Jahr nach Fukushima, arabischer Revolution, Anschlägen in Norwegen und Tötung bin Ladens", schuld.

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[+++] Wobei, um die Nachrichtensendungen nicht schlechter zu machen als sie sind: Eine grundsätzlich erfreuliche Revolution täte ihrer Quote sicher ebenfalls gut. Dass Fernsehnachrichten-Sendungen nicht generell so schlecht sind, wie sie in anderen Nachrichtenmedien oft dargestellt werden, das arbeitet in einem Beitrag von erfrischender Klarheit Dietrich Leder heraus. In der Funkkorrespondenz verteidigt er das ZDF-"heute journal" gegen Vorwürfe wegen eines etwas expressiv in einen Nachrichtenfilm hineinmontierten Jürgen-Trittin-Samples. Gerade hatte focus.de dies mit der vielfach kritisierten Jogi Löw-/ Balljungen-Montage während einer Fußball-Liveübertragung verglichen. Leder dazu:

"Bei der Szene der Fußball-EM handelte es sich um eine Live-Übertragung, bei der viele Kameras vor Ort waren und der Regisseur - so die ungeschriebene Regel dieses Fernsehformats - im Live-Schnitt Bilder aneinanderreiht, die auch nacheinander entstehen. ...
Anders ist das allerdings bei zusammenfassenden Berichten. Sie geben die Zeit nicht eins zu eins wieder, sondern sie komprimieren das Geschehene aufs Äußerste. Hier verbindet der Schnitt nur im Ausnahmefall etwas, was wirklich zeitlich unmittelbar aufeinander folgte."

[+++] Was vermutlich den deutschen Fernsehnachrichten-Quoten einen gewaltigen Kick gäbe, wenn es hierzulande stattgefunden hätte: die britische Affäre um die verstorbene "BBC-Ikone" Jimmy Savile, die bzw. der zu Lebzeiten "Hunderte Kinder missbraucht haben" soll (siehe Altpapier gestern).

Steffen Grimberg ist für die TAZ nach London gereist, um die "Panorama"-Sendung der BBC, die den bislang im eigenen Programm vertuschten Skandal gestern beleuchtete, anzuschauen und berichtet von erheblichen Turbulenzen in der für so vorbildlich gehaltenen Anstalt. Und die Formulierung "kulturelles Problem", die der BBC-Chef George Entwistle laut Süddeutscher beim Versuch, die Dinge zu erklären, benutzte, die könnte als neuer Trend-Euphemismus Weltkarriere machen.
 


Altpapierkorb

+++ Breaking: Das 501. "Tatort"-Ermittler-Duo ist nun auch gecastet. Christian Ulmen und Nora Tschirner sind's, und zwar in Weimar! Original-Investigator: die Bild-Zeitung.  +++

+++ Über der Medienseite der Süddeutschen thront heute, sympathisch lächelnd und mit Dekolleté, die Schauspielerin Katharina Wackernagel, "die Frau für die Rollen am Rande des Wahnsinns im deutschen Fernsehen", wie die Unterüberschrift zum Porträt lautet. Es geht darin außer um den heutigen ARD-Film "Herbstkind" auch um Wackernagels Lebensgeschichte, etwa "Onkel Christof, der in den Siebzigern kurzzeitig Mitglied der RAF war, zehn Jahre im Gefängnis saß, und sich danach aufmachte, um in Mali zu leben" (also jenem Mali, das gerade im Moment erstmals den Horizont deutscher Nachrichtenmedien erreicht). Der Text steht derzeit nicht frei online. +++ Wer nur Wackernagels Sicht ihrer ARD-Rolle lesen will, ganz ohne Tieschky-Touch, wird bei welt.de frei online bedient. +++

+++ "Kein Filmstar, ...eher ein Printstar" in der Ukraine: die Journalistin Katja Gortschinskaja, die gleich darunter in der SZ porträtiert wird. +++

+++ Auf der FAZ-Medienseite lastet Heike Hupertz dem "Herbstkind"-Film an, "dass er dicker aufträgt als nötig." +++ Außerdem nennt Jochen Hieber die Kafka-Erbe-Dokumentation "Kafka: Der letzte Prozess" bei Arte (22.05 Uhr), die vermutlich aus "öffentlich-rechtlicher Trägheit" so lange ungesendet blieb, bis sie gar nicht mehr richtig aktuell war, dennoch "munter parteilich, lustvoll reißerisch und deshalb zumindest nicht langweilig". +++ Und es geht um den ersten der deutschen Youtube-Originalkanäle (siehe Altpapier), der unter dem Titel Ponk nun startete. "Das begeistert freilich nicht immer, sondern wirkt oft bemüht und hier und da unbeholfen. Als Zielgruppe ist denn auch die jüngere Generation angepeilt. Die Youtube-Gemeinschaft insgesamt ist tendenziell eher jung wie die Kanalbetreiber selbst", schreibt Lars Reusch in auf diesen Themenfeldern gewohnt anfechtbarer FAZ-Prosa. +++

+++ Und noch 'ne Lobbyverbandsmeldung gegen Krisengefühle: "Bei elektronischen Medien steigen die Umsätze" meldet der Verband Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) und der Tsp. gern weiter. +++

+++ Dass der Spiegel nun in einer Reihe mit den starken Marken Ikea und Apple steht, zumindest in dem Hamburger Museum, das vor allem Werbeausstellungen für solche Firmen zeigt und nun auch, allerdings noch nicht ganz fertig, die ehemalige Spiegel-Kantine zeigt, das meint die TAZ-Kriegsreporterin. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.