Kein Emmy für die Quatschwurst

Kein Emmy für die Quatschwurst

Die Sperrfrist der Urzeitkrebse, politische Fragen mit versteckter Kamera und vielleicht eine Südpol-Show-Verwechslung. Aber auch Bedenkliches rund ums Internet, diese magische Tür: Sucht, Shitstorms im Namen der SPD und zuviel Populismus.

Beginnen wir mit dem vordergründig Erregenden, einer "sehr ärgerlichen Sperrfrist-Affäre" und einem bis gestern "weitgehend unbemerkt" gebliebenen "Fernsehskandal": Den hatte die FAZ in ihrer gestrigen Druckausgabe auf der Medienseite der Öffentlichkeit doch noch mitgeteilt und im Verlauf des Tages dann auch frei online gestellt.

Jan Wiele bezichtigt darin das umtriebige Moderatorenduo Klaas Heufer-Umlauf und Joko Winterscheidt in einer seiner nicht wenigen Shows, "Neoparadise", "Selbstverstümmelung salonfähig" zu machen, indem sie "lebensgefährlich dumme" Mutproben veranstalten. Womöglich muss man ein guter Kenner sowohl der Heufer-Umlauf/ Winterscheidt-Formate (etwa das Einsatzes von "Pups-Spray" darin) als auch der deutschen Rapper-Szene sein, um die volle Brisanz erfassen zu können.

Womöglich kann man auch einfach festhalten: Selbst in den digital und dennoch spät ausgestrahlten Nischen, in denen das öffentlich-rechtliche Fernsehen sich innovativ wähnt und geriert, reproduziert es Bullshit, mit dem MTV-Sender vor circa zehn Jahren Aufregungs-Aufmerksamkeit erzielten.

Wer jedoch, ebenso wie die Sparkassen und viel andere aus dem alltäglichen Werberahmen bekannte Darlings, auf Heufer-Umlauf/ Winterscheidt abfährt: die Bundeszentrale für politische Bildung, und insbesondere deren Fachbereich "Politikferne Zielgruppen". Der fördert Sendungen der "Kult-Moderatoren", wie der Tagesspiegel in einem ansonsten lesenswerten Artikel schreibt (vielleicht, weil das Präfix "Kult-" einen Text bei Google nach vorn katapultiert), mit Steuergeld, zum Beispiel "Ahnungslos",

"deren zweite Staffel gerade im September auf ProSieben lief. Die Kult-Moderatoren stellten darin Kandidaten mit versteckter Kamera politische Fragen. Etwa, wer gerade das Kanzleramt innehat, oder was die Agenda 2010 ist. 50 Euro gab es pro richtiger Antwort. 'ProSieben gelingt es dadurch, politische Bildung auf unterhaltsame Weise ins Spiel zu bringen', erklärte eine ProSieben-Sprecherin das Ziel der Sendung."

Allerdings betrage das Gesamtbudget des Politikfernen-Fachbereichs nur 900.000 Euro. Insofern lässt sich, auch wenn besonders die von Edmund Stoiber beiberatene ProSiebenSat.1 AG von den Peanuts profitiert, nicht von Fernsehskandal reden.

[+++] Jetzt die "sehr ärgerliche Sperrfrist-Affäre": In beinahe anrührend persönlichem Tonfall beschreiben hier die Kollegen von meedia.de, wie sie kürzlich "doof aus der Wäsche" schauten, weil sie "offenbar zu nett sind" und daher "aus Höflichkeit eine Exklusiv-Info verloren" haben.

In der Sache geht's um einen eher noch schwerer als der Selbstverstümmelungs-Skandal verständliches Problem mit einer Sperrfrist des Egmont Ehapa-Verlags, die dieser über die News verhängt hatte, dass das "Comeback" des Comichefts namens Yps (siehe auch Altpapier aus dem April)

"nun doch zusammen mit den Urzeitkrebsen stattfinden (wird). Das legendäre Gimmick liegt der Erstausgabe mitsamt Futter bei."

Während sich meedia.de daran gehalten habe, habe bild.de die Sperrfrist gebrochen, soweit der Ärger. Vielleicht ein Anlass für die Kollegen, im Dezember einmal ein Ranking der 100 übelsten Bild-Zeitungs-Aktionen des Jahres aufzulegen (in das der Sperrfristbruch es allerdings schon jetzt kaum noch schaffen dürfte).

[+++] Irgendwann nachdem frühere Yps-Ausgaben mit Urzeitkrebsen eingestellt worden waren, öffnete sich dann eine magischen Tür in eine neue Welt, und das Internet begann eine Fülle neuer medialer Möglichkeiten zu eröffnen, die noch heute viele Menschen aller Art fasziniert, aber auch verführt. Womit wir bei den großen grundsätzlichen Themen sind.

U.v.a. aktuell in diesem Internet zu finden: eine aktuelle Studie der Drogenbeauftragten (drogenbeauftragte.de) der Bundesregierung über "krankhafte Internetnutzung", die etwa heise.de zusammenfasst.

Dieser Studie erwidert Teresa Maria Bücker im Deus-ex-machina-Blog der FAZ: "Die Sucht geht nicht vom Bildschirm aus". Ihr Text tut vielleicht ein wenig zu sehr so, als habe das Internet in all seinen Erscheinungsformen mit "pathologischem Internetgebrauch" rein überhaupt nichts zu tun ("Die Jugendlichen erkranken also vor allen Dingen aufgrund ihrer sozialen Situation, ihr Unwohlsein äußert sich lediglich häufiger über eine Symptomatik, die neu scheint..."), enthält aber viele schöne Sätze, etwa:

"Das Internet -  vielleicht, weil es für jeden von uns etwas anderes bedeutet und die Entwicklung seiner Möglichkeiten niemals still steht - erfährt selten sachliche Behandlung."

[+++] Schlaglichter auf eine von Internet-Aficionados manchmal weniger beachtete Schattenseite wirft die Bloggerin (u.a. bei mutterseelenalleinerziehend.de), Autorin und Musikerin Maike von Wegen in einem tagesspiegel.de-Gastkommentar zur Kommentarkultur auf einer Facebook-Seite, die dem Berliner SPD-Politiker, Neuköllner Bezirksbürgermeister sowie Buchautor Heinz Buschkowsky zugeschrieben wird. Indem sie dort einen ziemlich Buschkowsky-kritischen Kommentar veröffentlichte, habe sie sich "den größten Shitstorm..., in dessen Mitte ich jemals stand", zugezogen:

"Im Namen Heinz Buschkowskys geschieht nun seit drei Wochen Gewalt im Internet, die durch keinen Administrator kontrolliert wird. Deutsche Bürger schlagen verbal auf andere deutsche Bürger ein und ergießen sich in rassistischen Hassreden auf der Internetseite eines Sozialdemokrate."

Dass nicht jeder Shitstorm von den Guten gestartet wird und also immer die Richtigen trifft, zählt allerdings zu den Aspekten, die in manchen Diskussionen über das Internet ein wenig kurz kommen könnten.

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[+++] In solchen Hinsichten bemerkenswert das ausführliche Interview, das Wolfgang Michal (Carta) mit dem ehemaligen Piratenpartei-Vorsitzenden Jens Seipenbusch geführt hat. Zu Seipenbuschs bemerkenswerten Sätzen zählt dieser, in dessen Kontext es zwar um innerparteiliche Meinungsbildung und "elektronische Meinungsumfragen" zu diesem Zweck geht, der sich aber auch allgemeiner gut liest:

"Ich bin da zugegebenermaßen sehr kritisch, weil ich ohnehin schon eine starke gesellschaftliche Tendenz zum Populismus sehe, die wir aus meiner Sicht eher kritisieren als fördern sollten."

[+++] Um jetzt jedoch nicht das magische Tor zu verteufeln: Weil die Entwicklung der Möglichkeiten des Internets ja niemals still steht und weil sich ein Berliner Medieninformatik-Student für noch eine neue Vernetzungsebene engagiert hat, gibt es nun auch die Webseite bundestwitter.de, die Tweets von Bundestagsabgeordneten bündelt.

Dirk von Gehlen hat auf jetzt.de den Initiator Thomas Puppe interviewt. Er bringt u.a. das kürzlich leicht beachtete Geschichtchen um einen CSU-Politiker zur Sprache, "der vergangene Woche per Papierpressemeldung auf seinen neuen Account hingewiesen hat" (auf das Maike von Wegen etwas überflüssigerweise auch noch eingeht).

Aber Puppe zeigt sich sowohl auf diese Frage wie auch überhaupt dermaßen freundlich und begeistert ("Ich habe bei Twitter so weit in die Vergangenheit geschaut wie möglich. Die Daten reichen zurück bis 2008. Die ersten Twitterer waren die FDP-Fraktion und Hubertus Heil..."), dass allen Internetskeptikern einfach wieder warm ums Herz werden muss.
 


Altpapierkorb

+++ Zurück ins Fernsehen: Wer sich engagiert auf der Programm-Messe Mipcom umschaut, ist natürlich dwdl.de. Der Fernsehtrend geht nach Chile, berichtet Thomas Lückerath etwa, es gebe "gleich mehrere US-Adaptionen chilenischer Formate". +++ Und die Deutschen, schon weil sie so viele Medienförderungen haben, die immer gern zum Umtrunk einladen, verstehen es zu feiern: "Wie sonst vielleicht nur der Brunch von Jan Mojtos Beta Film ist der German MIP Cocktail schon beim vierten Mal ein fester Termin im Kalender vieler deutscher Fernsehmacher nach einem langen Messetag" (ebd.). +++ Erfolg haben sie aber auch: "Auch das Ausland wird auf Deutschlands neuen Star-Moderator aufmerksam", leitet der Tagesspiegel die Meldung von den Nominierung für den Fernsehpreis namens Internationale Emmy Awards ein. Gemeint ist ein Koch-, Talk- und sonstige Showmoderator: "Drei Tage nach seiner Premiere bei 'Wetten, dass..?' wurde Markus Lanz mit seiner Doku 'Wettlauf zum Südpol' zusammen mit Joey Kelly für die beste internationale Dokumentation bei den International Emmy Awards vorgeschlagen". +++ Allerdings könnte auch eine Südpol-Show-Verwechslung vorliegen: "Die Nominierung ist nicht zu verwechseln mit der Doku-Soap 'Der Wettlauf zum Südpol - Deutschland gegen Österreich', in der ein deutsches Team um Markus Lanz und Joey Kelly gegen ein österreichisches Team die Reise zum Südpol antrat. Beide Formate wurden von der Produktionsfirma Loopfilm realisiert", meint kress.de. +++

+++ Jedenfalls, der Titel "Quatschwurst" aus der Überschrift dieser Kolumne bleibt Lanz. Der stammt aus Hans Hoffs "Wetten, dass..?"-Besprechung neulich bei handelsblatt.com. +++

+++ Die Süddeutsche-Medienseite bewegt sich in lauter Grenzbereichen: "Arte zeigt mit seinem Web-Projekt 'Hotel', was an der Schnittstelle von Fernsehserie und Videogame möglich ist", meint Michael Moorstedt. Den Übergang des Luc Besson-produzierten Formats "Transporter" von der Kinofilm-Reihe zur RTL-Fernsehserie betrachtet Hoff heute ("Damit es auch ein bisschen deutsch wirkt, hat man als Nebenfiguren Charlie Hübner, Hannes Jaenicke und Uwe Ochsenknecht im Cast untergebracht"), und um die Hörspiel gewordene Graphic Novel geht's auch kurz (länger: TAZ gestern). +++

+++ Die FAZ-Medienseite würdigt ausgiebig das "sehr passable Format" "180°" des MTV-Senders Viva: "Es geht um junge Menschen, die eine schwere Zeit - Drogen, Gefängnis, Krankheit - hinter sich haben. Die erste Folge handelt von Danny, 24, aus Cottbus, der eine Geschichte erzählt, die man so oder so ähnlich schon oft gehört hat: die von seiner früheren Drogenabhängigkeit. ... Danny aber tut etwas Ungewohntes: Er erzählt einfach. In unverfälschtem brandenburgischem Dialekt steht er vor spärlich arrangierter Kulisse und spricht von Absturz, Entzug und Therapie". +++ Und sie berichtet ausführlich, dass El País "ein Drittel der 464 Mitarbeiter umfassenden Belegschaft entlassen" muss, vor allem, weil "die Zeitung zu wenig Geld im Internet verdient". +++ Kurz geht's um die 1000. Ausgabe der Zeitschrift "Schweizer Monat". +++

+++ Den offenbar schwer zu besprechenden ARD-Fernsehfilm heute um 20.15 Uhr kriegt am besten Jens Müller in der TAZ in den Griff: "Torsten C. Fischer (Regie) und Karl-Heinz Käfer (Buch) ... sind TV-Routiniers, viele Krimis, gleichwohl nicht festgelegt auf ein Genre. Mit 'Jahr des Drachen', das Ergebnis lässt das vermuten, wollten sie ein archetypisches Melodram im Stile Douglas Sirks machen." +++

+++ Der "schokoladensüchtige und kleptomanische Pfarrer Ingo" gehört zum Personal einer neuen ZDF-Serie, deren Dreharbeiten begannen. Vor allem geht's um aber um eine junge Anwältin - "'Danni Lowinski' lässt grüßen" (Tsp.). +++

+++ Vielleicht auch ein schöner Filmstoff: "Triumph aus dem Jenseits" (Süddeutsche), "Posthum zwingt Kirch die Deutsche Bank dann doch in die Knie" (wuv.de). +++

+++ "Ein(en) Aufruf an die Presse" startet Klaus Max Smolka in der FTD: "Folgen wir der 'New York Times'. Setzen wir uns zusammen, um zu beraten, wie wir dem Missstand ein Ende setzen". Um den Missstand des sog. Autorisierens von Interviews (siehe natürlich Altpapier) geht's. +++

+++ Und wer wissen will, welche insolvente Agentur die TAZ-Kriegsreporterin "Nachrichten-KiK" nennt, muss hier klicken. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.