Bauchtanz ist Terrorismus

Bauchtanz ist Terrorismus

Aus den USA: Newsweek macht sich mit einem Diskussionsangebot über sein antimuslimisches Titelbild lächerlich, und Präsidentschaftskandidat Mitt Romney lässt in einem heimlich gedrehten Video seiner Wählerverachtung freien Lauf. Aus Deutschland: Guido Knopp restauriert Zappelbilder, die ARD veranstaltet ein Peter-Alexander-Revival, die Bundeswehr lockt via bravo.de mit „crazy Strandspielen“. Und die große Frage des Tages lautet: Was sollte Google tun?

„Innocence of Muslims“, der „umstrittene Schmähfilm“ (süddeutsche.de), der ja eigentlich gar nicht „umstritten“ ist, weil das ja hieße, dass eine nennenswerte Gruppe von Menschen ihn gut findet - dieser Film (siehe Altpapier) ist unter zwei Schwerpunkten ein Thema. Zum einen: Soll er öffentlich in Deutschland gezeigt werden dürfen? - diese Frage stellen zum Beispiel auch einige qualitätsjournalistische Online-News-Anbieter  auf ihren Facebook-Seiten zur Diskussion. Die zweite, für eine Medienkolumne etwas interessantere Frage lautet: Wie soll sich jenes Medienunternehmen verhalten, das maßgeblich zur globalen Verbreitung des Videos beiträgt, also die YouTube-Mutter Google?

süddeutsche.de fasst die Debatte um Frage eins unter der Headline „Warum ein Verbot des Mohammed-Films kaum Chancen hat“ zusammen. Die taz und tagesschau.de erwähnen, dass es unter Muslimen sowohl Verbotsgegner als auch Verbotsbefürworter gibt.

„Je mehr man über ein Verbot redet und die Tabuisierung solcher Inhalte vorantreibt, desto mehr Schaden richtet man an",

zitiert etwa die taz Lamya Kaddor, die Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes.

„Dieses Video (...) ist eindeutig konform mit unseren Richtlinien und wird daher weiterhin auf Youtube bleiben“ - diesen Satz hat eine Sprecherin der Google-Tochter gestern verlautbaren lassen, unter anderem der Tagesspiegel und Focus Online zitieren ihn. Ebd. kritisiert Jörg Dreuw Googles Regeln für die Entfernung von Inhalten, um die es unter anderen Vorzeichen hier zu Lande ja parallel auch noch in der Causa mit Bettina Wulff und der Autocomplete-Funktion geht:

„Im aktuellen Fall hat es die YouTube-Regularien so ausgelegt, wie es für Blockade (Ägypten und Libyen), Zugangsbeschränkungen (Indien, Indonesien etc.) sowie freien Zugang eben notwendig war. Doch die Regeln sind nicht eindeutig. Dementsprechend sind sie auch flexibel in ihrer Interpretation und können bei nächster Gelegenheit anders ausgelegt werden. Hierdurch entzieht sich Google aber auch ein Stück weit der Verantwortung, die es als Medienunternehmen hat. Da es in der Öffentlichkeit aber nicht unbedingt als solches wahrgenommen wird, werden hier auch andere moralische Maßstäbe angesetzt. Ein TV-Sender oder auch ein Printverlag hätte bei identischer Vorgehensweise wohl mit massiver Kritik zu kämpfen.“

Ob bei Google und Co, „der Kontrollverlust wächst“, wie es in der Headline heißt, steht dann aber noch mal auf einem anderen Blatt, denn: Kann Verlust wachsen?

Dass die Google-Kritierien wolkig sind, moniert auch Jonas Nonnenmann in der FR:

„Politiker und auch wir selbst sollten Druck auf Google ausüben, durchsichtige Regeln zu definieren und diese öffentlich zu machen. Sie wissen nicht, wie Google seine Position zu dem Mohammed-Video begründet? Rufen Sie doch mal bei Google an.“

Kaum zu fassen ist allerdings, dass Nonnenmann in seinem Text recht prominent den Streit zwischen Youtube und der Gema ins Spiel bringt:

„Die Google-Tochter Youtube kuscht vor der Gema. Aber wenn es um die Stabilität einer ganzen Region geht, hält das Unternehmen wieder die Meinungsfreiheit hoch."

Mit dem Kuschen ist die berühmt-berüchtigte Einblendung „Dieses Video ist in Deutschland leider nicht verfügbar, da es möglicherweise Musik enthält, für die die erforderlichen Musikrechte von der GEMA nicht eingeräumt wurden." gemeint. Die SZ hat sie vor einigen Monaten für Begriffsstutzige in eine realitätsnähere Version übersetzt:

„Unser Unternehmen streitet mit den Künstlern, ohne die unser Angebot viel unattraktiver wäre, darüber, wie viel der einmalige Abruf eines Videos oder Songs wert ist. Bislang wollen die Künstler mehr Geld, als uns ihre Songs wert sind. Wir bitten um Geduld."

Wenn Nonnenmann die Diskussion um die nicht zugängliche Musikclips und jene um das Hassvideo zusammenbringt, vergleicht er also Pferdeäpfel mit Birnen. Eine Gegenposition zu Nonnenmann publiziert die FR auch, der Nachteil des Textes besteht aber - und das gilt auch für den erwähnten aus süddeutsche.de - darin, dass hier der unsägliche Rainer Wendt zitiert wird.

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Das Neue Deutschland beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, inwiefern das Video und der Aufruhr auf den Straßen eigentlich im Zusammenhang stehen - und regt am Ende des Textes implizit dazu an, einen Artikel aus dem New Yorker zu lesen, in dem ein Reporter über die Proteste in Kairo berichtet:

„Whenever I initiate a conversation, I eventually ask the same question: Have you seen the film? Again and again, the answer is no. ‚I cannot watch a porn movie like this‘, one young man tells me. Others explain that they haven’t had time, or they aren’t online, or they’ve heard enough about the movie from others.

[+++] „If anyone wants to witness true #MuslimRage, attend any Egyptian wedding: the belly dancing is practically terrorism using bottoms“ - wer diesen Tweet unvorbereitet liest, könnte auf die Idee kommen, da mache sich jemand über Gewalt lustig. Tatsächlich macht sich der Twitter-Nutzer @heba_yo über das US-Magazin Newsweek lustig, das meinte, seine Web-Leser zu einer Diskussion über sein antimuslimisches Titelbild unter dem Hashtag #MuslimRage animieren zu müssen. Was dabei herausgekommen ist, haben der Wall-Street-Journal-Blog Dispatch und Jillian C. York storifiziert bzw. aggregiert. Die Huffington Post berichtet ebenfalls.

[+++] Die Geschichte zum fragwürdigen Newsweek-Titelbild hat die auch in Deutschland mehrfach auffällig gewordene Ayaan Hirsi Ali verfasst, der man wohl nicht zu nahe tritt, wenn man sie als Gesinnungsgenossin des Neuköllner Sheriffs Bürgermeisters, feingeistigen Sozialdemokraten, virtuosen Gegendarstellers und neuen Bild-Serien-Autors Heinz Buschkowsky bezeichnet. Die Serie dient natürlich der Promotion eines gebundenen Papierstapels. Buschkowyks heißt „Neukölln ist überall“, aber um Gentrifizierung geht es offenbar nicht. Der Kölner Stadt-Anzeiger schreibt:

„Den Lesern der Bild-Zeitung hat er schon mal ein paar Kostproben gegeben. Zum Beispiel die Sonnenallee. ‚Da wird häufiger in drei Spuren geparkt. Der erste Wagen steht auf dem Bürgersteig, der zweite in der normalen Parkspur, der dritte in der zweiten Reihe, also der ersten Fahrspur‘, weiß Buschkowsky. „Wenn Sie als Autofahrer Pech haben, dann hält vor Ihnen jemand an und unterhält sich lautstark mit denjenigen, die dort vor dem Café sitzen ... Machen Sie jetzt nicht den Fehler zu hupen oder auszusteigen, Sie könnten in eine unangenehme Situation geraten.“

Und was sagt eigentlich die Buschkowskyjugend? Leider schon seit einem Jahr nix mehr.

[+++] Viel Platz bekommt heute erwartungsgemäß der Auftakt des ZDF-Geschichts-Großprojekts „Weltenbrand“ eingeräumt, schließlich ist es das letzte unter der Verantwortung Guido Knopps, der sich Anfang 2013 in den Ruhestand verabschiedet. „Weltenbrand“ ist ein Achtteiler über die Jahre 1914 bis 1945, in den aktuellen Texten geht es um den heute laufenden ersten Film über den Ersten Weltkrieg - und dabei vor allem um die Kolorierung und Restauration historischer Bilder. Im Interview mit Kurt Sagatz (Tagesspiegel) sagt Knopp:

„Im Original haben Sie Zappelbilder, wir passen darum zuerst die Geschwindigkeit an. Dann wird das Material restauriert, HD-fähig gemacht und am Ende koloriert (...) Wer soll es machen, wenn nicht wir und bei einem solchen Projekt? Die Bearbeitung des historischen Materials soll keine Manipulation sein, sondern eine technische Verbesserung.

Lorenz Jäger schreibt dazu auf der FAZ-Medienseite:

„Und so rückt alles sehr nahe, was um Weltalter von uns getrennt schien. Unheimlich.“

Das übrigens positiv gemeint. Gustav Seibt legt in der SZ (Seite 31) gleich mit einem Kinnhaken los:

„Wer ist der einflussreichste deutsche Historiker der letzten Jahrzehnte? Hans-Ulrich Wehler, Reinhart Koselleck oder Joachim Fest? Keiner der Genannten ist es, wenn man realistisch ist. Es ist Guido Knopp (...)“

Dann geht er ebenfalls auf die Bildbearbeitung ein:

„Mit der Aufhebung der hibbeligen Bewegungsabläufe der ältesten Filmaufnahmen ergibt sich ein illusionistischer Effekt: Die Menschen wirken aus Fleisch und Blut, die Sonne scheint, die Patina-Distanz von verregneten, hektischen Dokumenten ist aufgehoben. Die Aktion ist aufwendig und teuer, schon das Einfärben kostet 1500 Euro pro Minute.“

Kritisch anzumerken hat Seibt einiges. „Problematisch“ sei es zum Beispiel,

„dass ein so herausgehobener Sendetermin immer wieder dazu verführt, die Zuschauer für dümmer zu halten als sie wohl sind. Wenn man die Bildquellen schon so radikal bearbeitet, warum führt man dann nicht wenigstens drei Minuten in originaler Fassung vor, um jedem den Abstand klar zu machen? Das ist ja nicht so arg schwer zu verstehen.

Und Jürn Kruse schreibt in der taz:

„Knopp hat es seinen Kritikern wieder sehr leicht gemacht. Denn obwohl sich die Auftaktepisode ‚Sündenfall‘ nur um den Ausbruch des Ersten Weltkriegs und die ersten Jahre an West- und Ostfront dreht, wird schon nach wenigen Minuten ein Mann eingeführt, der ‚schon damals voller Hass‘ war: Adolf Hitler. ‚Muss das sein?‘ hatte Knopp seine Autoren bei der Produktion des Films gefragt. Die meinten ja - und Knopp ließ sich wohl nur zu gern überreden.“


ALTPAPIERKORB

+++ Etwas zu offenherzig war US-Präsidentschaftskandidat Mitt Romney bei einem Dinner mit Sponsoren, jedenfalls machte er kaum einen Hehl daraus, dass er fast die Hälfte der US-Wähler verachtet. Dass er dabei gefilmt wurde, wusste er natürlich nicht. Mother Jones zeigt das „geheime Video“ in mehreren Portionen. Was Romney zu dem Film sagt, steht zum Beispiel im Guardian. Auch Spiegel Online berichtet.

+++ Butter bei die Fische! Philipp Köster, der Chefredakteur von 11 Freunde, will jetzt endlich wissen, ob ein bei fluter.de erschienenes Interview mit einem anonym bleibenden schwulen Fußballer echt ist. Seine diesbezüglichen Zweifel an dem Text des relativ unbekannten Autors Adrian Bechtold hatte er bereits am Freitag angemeldet. Köster erwähnt „Widersprüche und Merkwürdigkeiten, für die es hoffentlich gute Erklärungen gibt. Es wäre sehr zu wünschen, dass die fluter-Redaktion die entstandenen Zweifel rasch ausräumen kann. Das könnte sie, in dem sie Adrian Bechtold – natürlich unter Zusicherung strenger Vertraulichkeit – um den Namen des Spielers bittet.“

+++ Mehr aus der Schnittmenge Fußball, Journalismus und Anonymität: Der Blog The Two Unfortunates weist in einer Rezension der Guardian-Kolumnen-Sammlung „I am the Secret Footballer“ darauf hin, dass es sogar eine Website gibt, die darüber rätselt, wer die Kolumnen schreibt.

[+++] Im aktuellen Merkur-Sonderheft „Macht und Ohnmacht der Experten“ beschäftigt sich Ekkehard Knörer mit der Frage, welche Folgen die „radikale Umbruchsituation, die der Journalismus erlebt“, für die Kultur- und insbesondere die Filmkritik hatte, hat und haben wird. „Es ist keine Frage, dass die Figur des Kritikers mit den Demokratisierungstendenzen des Netzes eine Kränkung der traditionellen Autorität erfährt“, meint Knörer.

+++ Dass auf den Websites von Bravo und Bravo Sport die Bundeswehr für „Adventure Camps" wirbt, indem sie „krasse Wasserwettkämpfe" und „crazy Strandspiele" verspricht, steht in der taz. Siehe auch Berliner Zeitung/AFP.

+++ Beim Online-Ableger des Intellektuellen-Periodikums Cicero schreibt die Medienressort-Intellektuelle Antje Hildebrandt über Stefan Raab. Das Konzept seiner neuen Show (Altpapier) habe einen „entscheidenden Fehler“, steht im Vorspann. Welchen? Keine Ahnung, ich habe nach dem ersten Absatz aufgehört zu lesen, denn dort steht: Wolfgang Kubicki sei der „Muhammed Ali der Liberalen“. Das ist eine Art textliche Entsprechung zum Film „Innocence of Muslims“. Muhammad Ali, den Hildebrandt wohl gemeint hat, kann sich ja leider nicht mehr wehren.

+++ Michael Hanfeld schreibt in der FAZ über die Serie „Akte Ex“ aus der ARD-Vorabendreihe „Heiter bis tödlich“: „Die Figurenkonstellation, die Witzchen über Geschlechterrollen, die betuliche Ermittlerei, der gekünstelte Gegensatz zwischen Großstadt (Berlin) und Provinz (Weimar), von den Dialogen zu schweigen – alles wirkt wie aus einer Zeit, in der Peter Alexander an der Spitze des Unterhaltungsfernsehens stand.

+++ Noch ein Verriss, dieses Mal von dwdl.de - zur am Montag bei Sat 1 gestarteten täglichen „Bauer-sucht-Frau“-Kopie „Land sucht Liebe".

+++ Der Verein Carta e.v., der u.a. Stipendien „an junge Publizisten“ vergeben möchte, teilt mit, dass er seine Arbeit aufnimmt und über Spenden definitiv nicht unglücklich wäre.

Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.