Die einen Journalisten stellen bei einer Stefan-Raab-Pressekonferenz wirklichkeitsfremde Fragen, die anderen analysieren Wahlergebnisse vor der Wahl und wieder andere diskutieren darüber, ob man an der Verbreitung eines islamfeindlichen Videos mitwirken sollte. Ein Thomas-Rabe-Video gibt es auch. Einige nicht ungeile Schlagworte des Tages lauten: Wahrheitsministerium, Transformationspfad, Lieschen-Moden-Müller-Modus.
Bei der taz ist es recht beliebt, Mega-Themen - Bankenrettung, Jogi Löw - von zwei Redakteuren im Pro-und-Contra-Modus kommentieren zu lassen. So verfährt de Zeitung nun auch bei einer aktuellen Frage: Soll man, wie etwa die ARD, Ausschnitte aus dem in den USA entstandenen anti-islamischen Video zeigen, das Muslime dazu brachte, vor US-Botschaften aufzumarschieren?
Soll man nicht, meint Ines Kappert:
„Das Plädoyer für das Nichtverbreiten (bedeutet) ja (...) keinen Aufruf zum Löschen der Propaganda. Letzteres wäre Zensur und die hat noch nie zur Aufklärung beigetragen. Zudem funktioniert sie in Zeiten des Internets ohnehin nicht mehr. Doch der Auftrag, aufzuklären, legitimiert nicht, sich hemdsärmelig über die Gefahr der Verrohung und der Normalisierung von Hassreden hinwegzusetzen. Jeder einzelne Journalist muss jedes Mal aufs Neue um eine Balance ringen.
Zwar gilt, abgesehen von beispielsweise Libyen und Ägypten, wo YouTube den Film geblockt hat:
„Wer will, findet ‚Innocent of Muslims‘ (..) problemlos. Genau deshalb sollten die taz oder andere Medien sich davor hüten, dem giftigen Unsinn nicht auch noch ein Gütesiegel aufzudrücken und es auf ihren Onlineseiten zu reproduzieren. Wir berichten, wir kritisieren, aber wir erklären uns auch mit den Beleidigten und Verletzten solidarisch, indem wir uns nicht aktiv an der Verteilung von rassistischem, antisemitischem oder antimuslimischen Trash beteiligen. Indem wir eine Grenze ziehen.“
Pro-Verfechter Daniel Bax macht ein noch etwas größeres Fass auf:
„Weil diese Hasspropaganda nun mal in der Welt ist, müssen sich deutsche Medien offensiv damit auseinandersetzen und deutlich machen, worin genau dabei das Problem liegt. Doch vielen Journalisten in Deutschland scheinen die klaren Maßstäbe dafür zu fehlen, wo bloße Religionskritik und Satire aufhören – und wo Rassismus und gefährliche Hetze beginnen. Aus Bequemlichkeit weichen sie dieser Frage aus, statt sich mit den Vorurteilen zu beschäftigen, die möglicherweise in den eigenen Köpfen herumspuken.“
Zur künstlerischen Qualität des Filmchens äußert sich Jordan Meijas auf der Medienseite der gedruckten FAZ:
„Kein Laientheater hätte es gewagt, derart hilflose Gestalten in derart lächerliche Kostüme zu stecken und in eine Handlung zu verstricken, die sich durch derart irrsinnige Szenen quält.“
Die bei faz.net verwendete Formulierung „islamfeindliches B-Movie“ klingt angesichts dessen doch ein bisschen zu freundlich. In dem Text geht es auch um die verwirrende Umstände der Filmentstehung und um die noch nicht geklärte Identität hinter dem Autorenpseudonym „Sam Bassil“. Damit beschäftigen sich unter anderem auch die SZ (Seite 35) - und äußerst ausführlich das Handelsblatt:
„Als angeblicher Abenteuerfilm, der in der arabischen Wüste spielt, soll alles begonnen haben. Das beteuern die 80 Schauspieler, die sich inzwischen von dem Werk distanziert haben und sich betrogen sehen.“
Mit Verweis auf das Wall Street Journal und dessen Recherchen im Einwohnerverzeichnis des kalifornischen Ortes Cerritos heißt es weiter:
„Dort wohne ein gewisser Nakoula Basseley Nakoula, der aber nicht anzutreffen war. Interessant: Bis zum Juni 2011 habe ein Mann mit diesem Namen eine Haftstrafe wegen Bankbetrugs abgesessen. Die Alias-Namen, die er dabei verwendet haben soll, waren Mark Basseley Youssef und Youssef M. Basseley. Und hier ist die mögliche Verbindung zu dem umstrittenen Film. In einer Casting-Anzeige für einen Wüsten-Abenteuerfilm wurden laut WSJ zwei Produzenten genannt: Sam Basselley der eine, ein anderer mit dem Namen Nakoula.“
Alles klar? Noch nicht, denn Nakoula Basseley „bestreitet, hinter Sam Bassil zu stecken“ (tagesschau.de). Nicht auf den Film, aber auf die Attacken auf die US-Botschaften bezieht sich ein mittlerweile gelöschter Tweet von Wikileaks, der vermuten lässt, dass Julian Assange oder ein anderer Twitter-Account-Zugangsberechtigter der Organisation nicht mehr alle Nadeln an der Tanne hat (FR, Guardian).
[+++] Überall zu sehen, auch in Libyen und Ägypten, aber nur Hartgesottenen zu empfehlen ist ein Promo-Interview-Video mit Bertelsmann-Chef Thomas Rabe, das der Medienkonzern anlässlich der gerade zuende gegangenen Führungskräftetagung in Gütersloh publiziert hat. Von Laientheater kann hier keine Rede sein, die für das Gespräch rekrutierte Stichwortgeberin ist zum Beispiel eine nahezu perfekt durchkomponierte „Switch Reloaded“-Figur. Sie entlockt Rabe verblüffende Sentenzen, etwa:
„Die Digitalisierung ist eine Realität, das ist ein Megatrend, dem wir uns stellen.“
Oder:
„Durch die Digitalisierung steigt die Mediennutzung.“
Gemessen daran, klingt eine Handelsblatt-Unterzeile aus der Printausgabe vom Donnerstag (nicht frei online) dann plötzlich gar nicht mehr hämisch, sondern nüchtern:
„Bertelsmann hat die digitale Welt entdeckt.“
Im großen FAZ-Interview präsentiert Rabe ebenfalls Kostproben seiner Sprachkunst, zum Beispiel diese:
„Wenn ich mir unsere Buch-, Fernseh- und Dienstleistungsgeschäfte vor Augen führe, kann ich den digitalen Transformationspfad und Geschäftsmodelle mit profitablen Erlösen sehr klar erkennen“.
Spekulationen anheizen dürfte wohl dieser Dialog:
„Könnte die Financial Times Deutschland die erste Publikation Ihres Hauses sein, die sich in ein reines Online-Medium verwandelt?“
„Das ist eine Entscheidung des Vorstands von Gruner + Jahr.“
Auf eine allzu voreilige, allzu spökenkiekerische FTD-Analyse der Wahlen in den Niederlanden geht derweil Stefan Niggemeier ein.
[+++] Viele Journalisten waren natürlich am Mittwochabend in Hamburg dabei, als Stefan Raab und Peter Limbourg, der „Senior Vice President Nachrichten und politische Information“ von ProSieben Sat 1 das Konzept der neuen Polittalk-meets-Gewinnspiel-Show „Absolute Mehrheit“ vorstellten (ich nicht, ich war beim Pilates). Man hätte Raab als Reaktion auf die offizielle Reaktion der ARD (siehe Altpapier) ja eigentlich mehr zugetraut als ein berechenbar-kokettes
„Dann wird es ein Kracher, wenn die ARD etwas scheiße findet.“
Simone Schellhammer (Tagesspiegel) meint, das sei:
„eine bemerkenswerte Aussage angesichts dessen, dass Stefan Raab für die ARD zuletzt den Eurovision Song Contest gerettet hat.“
Raab kennt also die ARD gut genug, um zu wissen, dass sein Konzept da garantiert niemand „scheiße“ findet. Man wird sich allenfalls darüber ärgern, dass die von Raab zu erwartenden Zuspitzungen der öffentlich-rechtlichen Populismus-Inszenierungen nicht zum Profil des Senderverbunds passen. Noch nicht.
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Einige der bei der Pressekonferenz anwesenden Journalisten scheinen in den letzten Jahren gar keine Polit-Talkshow gesehen zu haben - den Eindruck legt jedenfalls Thomas Lückeraths Artikel für dwdl.de nahe:
„Immer wieder wurde Skepsis laut, dass Raab die ehrenwerte Politik doch bloß zu einer Show machen wolle. Doch das wäre schlicht zu viel der Ehre für Stefan Raab - das hat die Politik dank der Spielfläche bei ARD und ZDF schon längst selbst geschafft. (...) Raab brach angesichts der Haltung einiger Journalisten mit der implizierten Lobhudelei auf die bestehenden Polittalks: ‚Wenn Sie Plasberg gucken, dann haben Sie da Themen wie ‚Baumärkte - Wissen wo der Hammer hängt'. Also das können wir auch.‘
Abgesehen davon, dass Lückerath anfangs den Personalausweis in seiner Hosentasche ins Spiel bringt („Man sagt uns Deutschen nach, dass ..“) und er sich von Raabs Sendung ein bisschen zu viel versprechen scheint, ist es löblich, dass er transparent die Medien benennt, deren Gesandte bei der Veranstaltung Fragen stellten. Deshalb darf man nun auch mal wieder die beliebte Volkwseise „Das dümmste Blatt der Welt / Kommt immer noch aus Bahrenfeld“ anstimmen, denn:
„Eine Kollegin der Hamburger Morgenpost fand es empörend, dass man zwei Monate vor der ersten Sendung noch nicht einen einzigen Gast der Sendung bekannt geben wolle. Peter Limbourg klärte sie daraufhin über die Aktualität von Polittalks auf.“
[+++] Im Zusammenhang mit der Fahndung nach den NSU-Terroristen und der Aufarbeitung der Ermittlungen ist in den Medien ja oft unzutreffenderweise dann von „Pannen“ die Rede, wenn eigentlich von bewussten und kalkuliertem Fehlverhalten die Rede sein sollte. Tatsächlich einer Panne dürfte es aber geschuldet sein, dass im elf Jahre alten WDR-„Tatort“ „Bestien“ als Requisite das echte Fahndungsfoto des Nazis Uwe Mundlos zu sehen war. Spiegel Online hat es dort entdeckt:
„Wie kommen die ‚Tatort‘-Macher ausgerechnet auf dieses Bild? Von Ende April bis Anfang Juni 2001 liefen die Dreharbeiten zu ‚Bestien". ‚Zu der Zeit hat man tatsächlich Requisiten, wie die in 'Bestien' zu sehenden Akten, im wahrsten Sinne des Wortes zusammengebastelt‘, sagt (die) Produzentin (...) Nach Angaben des damaligen Requisiteurs hatte eine Praktikantin die ‚Phantasieakten‘ aus Archivmaterial händisch zusammenkopiert, irgendwie muss das Foto von Mundlos dort hineingeraten sein.“
Die SZ ergänzt:
„Vom WDR hieß es auf Anfrage, es habe damals keinen Grund gegeben, die in dem Film verwendeten Requisiten zu überprüfen. Man sehe keinen Anlass, ‚in dem Vorkommnis mehr als einen Zufall zu sehen‘“.
[+++] Mehr zu Bettina Wulff: meedia.de liefert einen Überblick über die Rezensionen zu ihrem Buch. Da auch Ulf Poschardt dem Werk nichts abgewinnen kann, muss man wohl befürchten, dass es super ist. Die taz twittert dezent eigenwerbend, dass bei ihr ja bereits im Januar ein Artikel (vom heute schon erwähnten Daniel Bax) erschienen sei, der „quasi vorwegnahm“, was mittlerweile überall zu lesen ist. Und eine fast brillanten, manchmal überambitioniert wortwitzige Glosse über die Medienfigur B. Wulff liefert Gerhard Stadelmaier in der FAZ ab:
„Alle (bitte, wir ja hiermit auch!) stürzen sich nicht auf den anscheinend in den Vergessensschlaf gefallenen Berliner Hausbesetzer aus Niedersachsen, sondern wecken dessen Gefährtin aus dem Lieschen-Moden-Müller-Modus. Und schrillklingeln sie in den Promi-Modus hinein. (...) Die Kollegen vom „Stern“ räumen ihr gleich eine ganze Hochglanzstrecke übers halbe Blatt hinweg frei. Lieschen Moden-Müller wird bei Beckmann, bei Maischberger, ganz sicher auch bei Jauch die Fernsehschwatzkanäle anschwellen lassen. Alice Schwarzer wird sie unter ihre zähnefletschenden Frau-bleibt-Frau-Laberfittiche nehmen. (...) Wie man hört, soll sie demnächst korrespondierendes Mitglied der Akademie der Dünste werden. Fehlt eigentlich nur noch: die Theaterfassung des Buches. René Pollesch könnte daraus eine seiner durchgeknallten Diskurs-Scharteken machen mit einem noch durchgeknallteren Titel (‚Schmockina mon amour oder Die Medien gehören mit zum Geschäft‘)
Vor einer Theaterfassung droht aber möglicherweise noch eine TV-Filmfassung.
[+++] Der Grundsatzartikel des Tages ist dem öffentlich-rechtlichen Hörfunk gewidmet, genauer: der Unsichtbarmachung des Hörspiels. Jochen Meißner findet es in der Funkkorrespondenz „zum Weinen“, dass die Presseabteilungen der ARD-Anstalten „ihren Job zur Bewerbung echter Qualitätsprodukte nicht machen“ und diverse sendereigene Hörfunkprogrammpublikationen verschwinden.
„Die Krönung aber ist das sommerliche, bei den Kultur- bzw. Wortwellen veranstaltete sogenannte ‚ARD-Radiofestival‘ – perfider hätte auch das Wahrheitsministerium in George Orwells Roman ‚1984‘ die Selbstabschaffung des föderalen Kulturradios begrifflich nicht umwerten können“,
meint Meißner. Sein Fazit:
„Eine inhaltliche Idee von der verfassungsgerichtlich gestellten Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Allgemeinen und der des Kulturradios im Besonderen sucht man auf der Ebene der Entscheider (...) vergebens.“
ALTPAPIERKORB
+++ Jens Berger (Nachdenkseiten) findet die Berichterstattung über das Karlsruher Urteil in Sachen ESM zumindest unpräzise: „Die Vertreter der Politik und die Kommentatoren der Tagespresse sind sich bei der Bewertung des gestrigen ESM-Urteils des Bundesverfassungsgerichts in einem Punkt einig – die Demokratie wurde gestärkt und das ist gut. (...) Die Frage, die sich hier stellt, ist jedoch, wessen Demokratie durch das ESM-Urteil gestärkt wurde – die deutsche oder die europäische? Während der Bundestag durch das Urteil in der Tat mehr Entscheidungsbefugnisse bekommen hat, bedeutet das Urteil für die künftigen Länder als Empfänger von ESM-Krediten keinesfalls mehr Mitsprache und Demokratie – im Gegenteil.“
+++ 23 Jahre zu spät, aber immerhin: Das britische Revolverblatt The Sun, dem man hier zu Lande hin und wieder nachsagt, es sei schlimmer als die Bild-Zeitung, hat jetzt auf zumindest formal spektakuläre Weise zugegeben, dass die Berichterstattung über die Katastrophe im Fußballstadion von Hillsborough, die eine bis heute wirkende Boykottkampagne ausgelöst hat, voller Lügen war. Unabhängig davon, wie ehrlich die Selbstbezichtigung wirklich gemeint ist (siehe dazu New Statesman): Würde sich eine deutsche Boulevardzeitung so etwas trauen?
+++ 25 Jahre „Landarzt“ im ZDF: David Denk traf für die taz den heimlichen Hauptdarsteller Gerhard Olschewski, der beinahe auch mal mit Francois Truffaut gedreht hätte, „aber dann starb der feige Kerl".
+++ Glenn Beck is back: Der früher bei Fox rüpelnde Rechtsaußen hat jetzt einen eigenen Kanal (Guardian).
+++ Auch nicht schlecht: ein Interview mit der MDR-Intendantin Karola Wille führen und den Sender durchgehend in Anführungszeichen schreiben (Medien Mittweida).
+++ Einen offenen Brief von ORF-Mitarbeitern, aus dem hervorgeht, dass sie oder manche ihrer Kollegen „oft nicht wissen, wie sie ihre Miete bezahlen sollen oder die Raten für ihre Sozialversicherung“, publiziert derstandard.at.
+++ Sind Hacker Helden? Diese Frage diskutiert Sue Halpern in der aktuellen New York Review of Books im Rahmen einer Rezension diverser Bücher zum Thema. Unter anderem kommt „We are Anonymous“ vor. Dass einige Medien Anonymous bisher nur unzureichend verstanden haben, beschreibt anhand eines aktuelles Beispiels The Daily Beast.
+++ Der am Sonntag zu sehende RTL-Event-Movie „Die Jagd nach dem Bernsteinzimmer“ sei „kurzweiliger Schwachsinn“, meint Reinhard Lüke (Funkkorrespondenz)
+++ Mehr Rezensionen: Die FAZ lobt mit Einschränkungen den heute bei arte zu sehenden und im Altpapier bereits erwähnten Spielfilm „Der Albaner“, der einen jungen Mann auf dem „Weg in die Abgründe des Menschenhandels“ zeigt.
+++ im FAZ-Feuilleton gratuliert der Schriftsteller Uwe Timm dem Kollegen Gerd Fuchs, der in den 60er Jahren Kulturredakteur bei der Welt und beim Spiegel war, zum 80. Geburtstag: „Wie kommt es, dass ein Autor, der nun seit gut fünfzig Jahren veröffentlicht, Romane, Erzählungen, Essays, von der literarischen Öffentlichkeit so wenig wahrgenommen wird, wie es bei Gerd Fuchs der Fall ist? Sicherlich liegt es auch daran, dass er sich dem Betrieb entzogen hat (...)“
Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.