Großer Sport: Ecuador gegen Großbritannien! Seppelt gegen Weinreich! Kahn gegen Löw! Zeit gegen Spiegel (wg. Wallraff)! Außerdem: Medienminister Neumann kriegt einen Medienpreis.
In den letzten Tagen haben ja eher nationale Berühmtheiten und Nischenheroen die Debatten bestimmt, und einige von ihnen sind auch heute gut vertreten im Aufmerksamkeitserregungsgeschäft. Gleichzeitig zieht aber auch ein globaler Promi das Interesse auf sich. Willkommen zurück im Altpapier, Mr. Julian Assange! Damit erst einmal in die große internationale Politik:
„Es ist schon paradox: Ausgerechnet Ecuador gewährt Julian Assange Asyl. Das kleine lateinamerikanische Land ist nicht gerade dafür bekannt, Meinungsfreiheit und andere Menschenrechte zu schützen“,
schreibt Alexandra Endres (Zeit Online). Und Peter Burghardt, der Lateinamerika-Experte der SZ, notiert ebd. auf der Meinungsseite Ähnliches:
„Gewöhnlich ist Ecuadors Präsident nicht nett zu kritischen Berichterstattern. Wer unfreundlich über Rafael Correa schreibt, dem droht der linksgerichtete Staatschef gerne mit Bußgeld. Auch wurden freche Privatsender schon mal abgeschaltet, derweil die staatliche Medienstreitmacht wächst. Der Umbau der Presselandschaft gehört zu Correas Revolution am Äquator.“
Aber „paradox“ (Zeit Online) ist die Entwicklung dann eben doch nicht, meint Jochen Buchsteiner in der FAZ:
„Assange hat sein Asylland schlau gewählt. Der ecuadorianische Präsident Rafael Correa (...) gilt als Mitglied im südamerikanischen Bund sozialistischer Staatschefs, die sich als Kraft gegen die Vereinigten Staaten und den ‚westlichen Imperialismus‘ inszenieren. Erst im Februar hatte er Sanktionen gegen Großbritannien gefordert, nachdem die Krise um die Falklandinseln wieder aufgeflackert war.“
Buchsteiners FAZ-Kollege Peter Sturm kommentiert:
„Was immer man von Julian Assange und seinem Treiben halten mag; er ist weder Usama Bin Ladin noch ein Mafiaboss. Und deshalb war es - vorsichtig formuliert - ungeschickt, dass sich die britische Regierung gegenüber Ecuador auf ein Gesetz beruft, das es in Einzelfällen erlaubt, Personen aus Botschaftsgebäuden zu holen, die dort Zuflucht gesucht haben.“
Einen Krieg zwischen Großbritannien und Ecuador gibt es zwar noch nicht, dafür krawallt Spiegel Online aber bereits von einem „diplomatischen Krieg“ bzw. einem „Nervenkrieg“:
„Am Sonntag will sich Assange selbst zu den Vorfällen äußern. Ob er für seinen Auftritt um 15 Uhr deutscher Zeit nur ans Fenster der Botschaft tritt oder das Gebäude tatsächlich verlässt, ist einer WikiLeaks-Sprecherin zufolge noch unklar. Es wird Assanges erster öffentlicher Auftritt seit März.“
[+++] Die diplomatischen Kriege im hiesigen Medienbetrieb gehen derweil weiter. Hans Leyendecker hat für die SZ einen neuen Riemen in Sachen Wallraff geschrieben. Er zitiert zum Beispiel Hermann L. Gremliza, den ersten Wallraff-Entzauberer, dessen zentraler Text zum Thema (von 1987) seit kurzem im Netz in aller Breite verfügbar ist. Leyendecker fokussiert sich heute auf jenen „Verdacht“, der „für einen berühmten Schriftsteller von Bedeutung sein kann“:
„Hat Wallraff allein oder gemeinsam mit anderen die unter dem Namen Wallraff erschienen Texte geschrieben? Gab oder gibt es ein Kollektiv, das schrieb oder schreibt? Hat er die Schreibhelfer, die manchmal Schreib-Maschinen waren, ausreichend gewürdigt?“
Das ist nicht ganz korrekt. Die entscheidende Frage lautet und lautete auch schon vor 25 Jahren nicht, ob Wallraff menschliche „Schreib-Maschinen“ beschäftigt bzw. beschäftigte - das ist doch mittlerweile klar, oder? -, sondern ob er überhaupt in einem nennenswerten Maße am Schreiben der Texte, die unter seinem Namen erscheinen, beteiligt ist bzw. war, ob der Rollenspieler also auch die Rolle des Autors spielt oder gespielt hat. Träfe Letzteres zu, müsste eine große meta-investigativjournalistische Frage noch geklärt werden: Wer hat eigentlich die Texte geschrieben, die bei Bild unter dem Namen Hans Esser erschienen sind?
Insgesamt geht Leyendecker das Ganze eher dialektisch an, ein bisschen versöhnlich gibt er sich nämlich auch:
„Der Name Wallraff wird vermutlich alle Werkstattdiskussionen unbeschadet überstehen. In seinem Fall sind die Verdienste groß, die Schwächen klein.“
Außerdem lobt Leyendecker noch die Zeit, die sich in ihrer aktuellen Ausgabe auf „saubere“ Weise mit den Vorwürfen gegen ihren Mitarbeiter beschäftige. Annabel Wahba schreibt in ihrem Verteidigungstext, gerichtet vor allem gegen den Spiegel, dessen aktueller Beitrag einen „Tiefpunkt“ in der Anti-Wallraff-Berichterstattung markiere, über die Arbeit Albrecht Kiesers, den Leyendecker am vergangenen Samstag (siehe Altpapier) noch als „neue Schreibmaschine Wallraffs“ bezeichnet hatte:
„Kieser sagt, seine Arbeit für Wallraff beginne in erster Linie, wenn Wallraffs Undercover-Recherchen schon abgeschlossen seien. Er versuche dann, gemeinsam mit ihm Ordnung in das Material zu bringen, es in den Computer zu übertragen, weil Wallraff prinzipiell per Hand oder mit der Schreibmaschine schreibe. (...) Kieser sagt, er selbst bringe seine eigenen Ideen mit ein, man unterhalte sich über den Aufbau des Textes. ‚Dann setzt sich Günter Wallraff meist nachts an die Schreibmaschine, am nächsten Morgen überarbeite ich dann das Manuskript‘, sagt Kieser (...)“
Moment mal, erst werden die Recherchen in den Computer eingegeben, und dann geht es analog weiter? Es wird immer bizarrer.
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[+++] Das lässt sich auch über die Causa Deutschlandfunk gegen Jens Weinreich sagen, die einen weiteren Spin dadurch bekommt, dass Wolfgang Michal, der bei Carta gerade den DLF kritisiert hat (siehe Altpapier), nun den ARD-Mitarbeiter Hajo Seppelt interviewt, der den Sender verteidigt und zu einer Blutgrätsche gegen Weinreich ansetzt. Dabei sind sich Seppelt und Weinreich auf den ersten Blick nicht unähnlich, beide sind sie investigative Sportjournalisten, befasst mit Sportpolitik und Doping-Dingen, und harte Austeiler sind sie auch. Seppelt meint nun
„Hier wird gezielt der Eindruck erweckt, dass ein anerkannter und verdienter Kollege angeblich zum Opfer politischer Ränkespiele geworden ist, weil er zu kritisch sei und sich von niemandem verbiegen lasse. Das lässt sich ja so schön verkaufen im Mainstream des Klischees, ein großer öffentlich-rechtlicher Sender würde unter politischem Druck einknicken und sogar einen seiner besten Mitarbeiter dafür opfern. (...) Aber die Gründe dafür, dass er seit Jahren immer wieder mit etlichen Kollegen auch weit über den Deutschlandfunk hinaus in Konflikt gerät, sind aus meiner Beobachtung weniger inhaltlicher Natur, sondern haben mit seinem Auftreten seit langen Jahren zu tun. Es ist aus meiner Sicht interessant zu beobachten, wie hier eine Kampagne von ihm und nahestehenden Kollegen inszeniert wird, die ihn als Opfer dastehen lässt.“
Ob der Begriff „Mainstream“ in der obigen Passage angebracht ist, sei mal dahingestellt, jedenfalls insinuiert er, die Debatte um Weinreichs Ende als freier DLF-Mitarbeiter habe sehr Kreise gezogen hat, obwohl sie doch in Nischen stattfindet. In den Kommentaren meldet sich Matthias Krause zu Wort, einst mit Weinreich bei der Berliner Zeitung:
„Ach Hajo, war das wirklich notwendig? Das grenzt doch schon sehr an character assassination.“
Weinreich reagiert auf die Abservierung des DLF unter anderem damit, indem er jetzt gewissermaßen sportpolitisches Radio in Eigenregie macht. Konkret: Ab Sonntag bietet er sportpolitische Gespräche als Podcast an, und zwar
„mit Verbandspräsidenten, Whistleblowern, Vermarktern, Enthüllern, Propagandisten, Dopingfahndern, ja sogar Politikern und Journalisten“.
Noch Lust auf ein sich möglicherweise entwickelndes kleineres Gefecht zwischen öffentlich-rechtlichen Kollegen? Der „Zapp“-Mitarbeiter Daniel Bröckerhoff verreißt via Twitter (hier und hier) einen Beitrag, den Iris Marx für „Kontraste“ über die Gruppierung Anonymous abgeliefert hat.
[+++] Bernd Neumann, der Staatsminister für Kultur und Medien, hat eine neue Trophäe im Schrank. Zugegeben, der Satz ist ein bisschen spekulativ, denn wir wissen gar nicht, ob er schon andere Trophäen hat als die ihm am Donnerstag verliehene Sally, die er für seine „Verdienste um die Sicherung der Pressevielfalt und der Pressefreiheit“ vom Arbeitskreis Mittelständischer Verlage (AMV) bekommen hat. Ist es nicht prima, dass ein Minister so pressefreiheitsliebend ist, dass er dafür sogar einen Preis von Presseverlagsleuten kriegt? Andererseits kann man es als durchaus nicht geschmäcklefrei einstufen, wenn eine Organisation, in der Verlagsgesandte sitzen, einen Minister mit einem Preis auszeichnen, schließlich stehen im Zusammenhang mit dem Leistungsschutzrecht Politiker gerade quasi als Laufburschen der Verlage da. Und laufburschenmäßig äußerte sich Neumann gestern auch zu diesem Thema. Fairerweise muss man sagen, dass der AMV die Entscheidung für Neumann bereits im März gefällt hat, und dass die Mittelständler ihn als Verbündeten im Kampf gegen die nicht so mittelständische Bauer Media Group in der Auseinandersetzung um die Zukunft des Presse-Grosso sehen.
+++ Der taz fallen zur Meldung des Handelsblatts, dass Kai Diekmann bis 2017 auf dem Stuhl des Bild-Chefredakteurs sitzen bleibt, die äußerst anspielungsreichen Headlines „Diekmann kriegt Verlängerung“ (online) und „Kai kriegt Verlängerung“ (Druckausgabe) ein.
+++ Ebenfalls in der taz: Jan Scheper beschäftigt sich mit Enthüllungen rund um den Roman „Der Sturm“, mithin um dem damit offenkundig gewordenen „Vetternkrieg“ (Jakob Augstein, siehe Altpapier vom Donnerstag) zwischen zwei Feuilleton-Feldherrn: „Letztlich also alles eine Farce, die in ein vor Banalität und Selbstbezüglichkeit nur so strotzendes Spektakel hineinwuchert. Eigentlich wäre es Zeit für eine ernsthafte literaturwissenschaftliche Debatte darüber, was Literatur darf und was eher nicht. Wo liegen die vertretbaren Grenzen der Fiktion? Diese Chance vergab die Szene schon bei Christian Krachts Roman ‚Imperium.‘“
+++ In der Funkkorrespondenz schlage ich einen Bogen von eben dieser Irgendwas-mit-Pseudonymen-Affäre zu einer ähnlichen, der Causa Doris Heinze nämlich, die ja gerade vor Gericht verhandelt wird. Denn: Wenn man bedenkt, wie schnell es heute geht, Pseudonyme als solche zu erkennen, stellt sich natürlich wieder mal die Frage, warum es in der Sachen Heinze ein paar Jährchen dauerte.
+++ Wo wir schon bei Prozessen sind: Die SZ hatte in der vergangenen Woche auf das Verfahren gegen den früheren MAN-Manager Anton Weinmann eingestimmt - vor allem auf das medienrechtliche Vorspiel, mit dem Weinmann Anwälte verhindert hatten, dass Journalisten vor Prozessauftakt Zugang zur Anklageschrift bekamen (siehe Altpapier). Darauf nimmt nach dem ersten Verhandlungstag nun die Wirtschaftswoche Bezug: „Diese ungewöhnlichen Schritte veranlassten den vorsitzenden Richter Hans-Joachim Eckert heute vor Beginn der eigentlichen Verhandlung zu einer Art Grundsatzerklärung, das erste Mal, dass er so etwas mache, wie er betont. (...) ‚Die Öffentlichkeit hat Anspruch, zu erfahren, welche Straftaten dem Beschuldigten vorgeworfen werden. Die Medien haben darum das Recht und die Pflicht, darüber zu berichten.‘ Weinmann schaut den Richter an, als verstehe er nicht, worum es geht.“ süddeutsche.de zitiert den Richter in einem agenturlichen Text noch mit dem Satz: „Wie sinnvoll es ist, die Arbeit der Medien behindern zu wollen, vermag ich nicht zu beurteilen.“
+++ Dass Musikzeitschriften so ihre Probleme haben, ist bekannt. Ein paar horrende Zahlen aus Großbritannien, also dem Musikzeitschriftenland schlechthin, liefert der Guardian. Relativ gut steht im übrigen noch Mojo da, das Popgeschichtsnerd-Fachblatt aus dem oben in einem anderen ganz anderen Zusammenhang erwähnten Hamburger Globalkonzern Bauer.
+++ In einer Nachlese des Länderspielabends im ZDF widmet sich 11freunde.de KMH, Wut-Jogi und dem Titan, vor allem einem Wortduell zwischen beiden letzteren, an dem „wirklich bemerkenswert“ ist, „dass Löw dabei Kahn den Rücken zuwendet. Es ist, als wäre Kahn für ihn gar nicht da. Und man sitzt vor dem Fernseher und möchte nur eine Sekunde in Müller-Hohensteins Ohr brüllen: ‚Sag ihm: Sie müssen nicht mit mir reden, Oliver Kahn steht direkt neben Ihnen!‘ Sie tut es nicht.“
+++ Einen leicht hölzernen Text darüber, dass einem ARD-Team in China neun Stunden die Freiheit geraubt wurde, findet man im Tagesspiegel.
+++ Nicht seiner Freiheit, aber seiner Berichterstattungsfreiheit beraubt wurde in Österreich ein Fotograf der Nachrichtenagentur APA (agenturjournalismus.de).
+++ Im Landtag des rotgrün regierten Nordrhein-Westfalen gibt es jetzt wieder einen Kultur- und Medienausschuss. Hintergrund: „Als Rot-Grün (...) im Mai 2005 die Mehrheit verlor und von CDU und FDP abgelöst wurde, schafften die beiden neuen Regierungsfraktionen den Medienausschuss wieder ab, was SPD und Grüne kritisiert hatten“ (Funkkorrespondenz).
+++ Ein medien- und sporthistorischer Einschnitt ist aus Italien zu vermelden: „Zum ersten Mal überhaupt hat jetzt der öffentlich-rechtliche Sender Rai kein Gebot für die Übertragungsrechte der höchsten Spielklasse Serie A abgegeben“, berichtet Dirk Schümer auf der FAZ-Medienseite.
+++ Ebenda: Dietmar Dath preist die ab heute bei RTL 2 zu sehende neue Staffel der Serie „Torchwood“: „Was wäre, wenn ein Wunder einträte, das selbst die Opfer extremer Unfälle, deftigster Mordversuche und verheerendster Krankheiten am Sterben hindert, so dass die Verletzten, Kranken und Alten zwar nicht mehr über den Jordan müssen, aber auch nicht mehr gesunden, sondern begleitet von allerlei technischem und pharmazeutischem Pflegeaufwand nur immer siecher, schwächer und vor allem teurer werden? Wie ernährt man eine Menschenschar, deren Zahl noch rasanter zunimmt als bisher? Welche Bürgerrechte hat, wer nicht mehr wählen kann, aber für immer weiterwelkt?“ Dieser „starke sozialpolitische Stoff“ werde „mit erfreulich leichter Hand, aber nie flapsig, pampig oder dröge lehrhaft aufbereitet“. Der Tagesspiegel ist auch zufrieden.
+++ Und wie war die große RTL-Programmpressekonferenz so? Der Tagesspiegel weiß mehr. Michael Hanfeld schreibt auf der FAZ-Medienseite: „Im Programm zeigt sich die RTL-Geschäftsführerin Anke Schäferkordt nicht übertrieben expansiv.“
Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.