Herrje, ich weiß es auch nicht

Herrje, ich weiß es auch nicht

Silvia Seidels Tod, Nadja Drygallas Liebe, Harald Stengers gewissermaßen ebenfalls trauriger Abschied vom DFB, der Würgegriff des Boulevards: schwer zu fassen oder zu beurteilen.

Was immer man vom Medienmedium meedia.de auch hält: Zumindest hat es seine Finger ungefähr ähnlich eng am Puls der Zielgruppen wie auf der Tastatur. Derzeit ist es so berührt vom Tod der Schauspielerin Silvia Seidel, dass es dem Thema gleich zwei persönliche Texte widmet.

Stefan Winterbauer fühlt sich fast an Prinzessin Dianas Tod erinnert und räsoniert über das Verhältnis von Darstellern zu Rollen in den Köpfen von uns Zuschauern.

Und Chefredakteur Georg Altrogge steigt noch eine Metaebene höher und kritisiert "Doppelmoral der Medien" wegen des "Umgangs mit Freitoden gerade bei Prominenten". Aus Sicht des Aggregators argumentiert er:

"Viele - vor allem junge - Leser aggregieren ihre Nachrichten ebenfalls über Suchmaschinen und filtern so lange, bis sie eine möglichst vollständige Version zusammen haben. Und oft sind es gerade die Qualitätsmedien, die mit ihren Andeutungen ('wollte nicht mehr', 'die Rolle der zarten Tänzerin sollte wie Pech an ihr kleben', 'es folgten schwierige Jahre', 'hatte auch finanziell zu kämpfen', 'sah am Ende keinen Ausweg mehr') den Lesern zuraunen, in welche Richtung sie weiter forschen sollen, ohne selbst die Information zu geben. ... So stößt man die Leser förmlich auf die Fakten, verklausuliert diese aber aus presse-ethischen Gründen."

Ob wirklich alles entklausuliert werden muss (zumal, bevor es feststeht), und ob der "offensive Umgang mit dem Tabuthema Suizid", den Altrogge am Ende fordert, jemandem hülfe, das müssen offene Fragen bleiben. Doch dass Ratlosigkeit anstelle sofort erlangter bzw. behaupteter Deutungshoheit zumindest mal anklingt, mag sympathisch berühren.

Auf der bunten Panorama-Seite 10 der Süddeutschen erinnert sich heute Holger Gertz

"an ein Gespräch mit Silvia Seidel, einige Jahre her, in einem Café am Isartor in München. Es ging um Ruhm: was Ruhm anrichtet mit einem Menschen. Und es ging auch darum, was es mit einem Menschen macht, wenn er nicht mehr berühmt ist. Das waren zwei der Lebensthemen von Silvia Seidel. Sie hatte damals länger überlegt, ob sie mit der Zeitung überhaupt reden soll, eigentlich war sie fertig mit den Medien. Aber dann wurde es ein spannendes, offenes Interview, es wurde viel gelacht und geraucht, das Gespräch hatte einen Sinn auch für die, die befragt wurde, denn Silvia Seidel konnte noch einmal festschreiben, wie sehr sie Berichterstatter verachtete, jedenfalls einen großen Teil von ihnen: 'Ich habe keinen Respekt vor diesen Menschen, ich habe keine Achtung mehr, gar nichts mehr. Die machen einen widerlichen, billigen Job.'"

Vielleicht hätte sich Gertz verkneifen können, im nächsten Absatz zu erwähnen, dass die Kellnerin jenes Cafés schon damals Seidel gar nicht mehr kannte. Vielleicht ist auch das gleich.

Was jetzt definitiv nicht hierher passt: eine arg misslungene Telepolis-Glosse über zum Glück fiktionalen "kollektiven Suizid" von gleich acht "Tatort"-Drehbuchautoren. Darin geht es auf eine polemische Weise, die auch ohne den Seidel-Kontext unglücklich wäre, um Urheberrechtliches.

[+++] Interessanter bei Telepolis: Eine recht klare Analyse zum aktuellen Medienaufreger um die Ruderin Nadja Drygalla (siehe Altpapier gestern). Peter Nowak sieht in der Empörungswelle "eine jener Übungen in hilflosem Antifaschismus", bei der "am Ende mehr Kontrolle und Gesinnungsprüfung herauskommt", was dem "Kampf gegen Rechts im Sport" eher schadet:

"Der hilflose Antitotalitarismus, der im Fall Drygalla von Politik, Sportverbänden und Teilen der Medien praktiziert wird, behindert eine solche Arbeit der zivilgesellschaftlichen Gruppen eher, die ja schließlich ebenfalls einer Extremismusklausel mit merkwürdigen Auswüchsen unterliegen..., die nun besser installiert werden kann".

Zumindest die Hilflosigkeit brachte das Leitmedium bild.de gestern in der Überschrift (über einer Presseschau) "Plötzlich rudern alle zurück" perfekt zum Ausdruck.

Noch zuvor hatte eine ranghohe Persönlichkeit des Journalismus "die vereinzelt geäußerte Kritik an den Medien" in dieser Sache zurückgewiesen: der Bundesvorsitzende des deutschen Journalistenverbandes DJV, Michael Konken.

Seine ohnehin gewohnt kräftige Position wurde im relativ neuen (auf der Startseite übrigens von einem Supersymbolfoto gezierten) DJV-Blog noch weiter bekräftigt. Dort schreibt Hendrik Zörner unter der Überschrift "Die Kraft des Ruderns":

"... Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière, qua Amt weder für Sport noch für Medien zuständig, forderte einen behutsameren Umgang 'mit einem solchen Fall'. Das sieht der DJV ein wenig anders. Und erhielt Unterstützung von Sportminister Hans-Peter Friedrich: 'Der Sachverhalt muss umfassend und gründlich geklärt werden', sagte er der Bild-Zeitung. 'Extremistisches Gedankengut hat im Sport keinen Platz.'"

In einem Boot mit der Bild-Zeitung und dem Bundesinnenminister, das ist doch ein schöner Ehrenplatz für einen Journalistengewerkschafts-Chef. Und anstelle von Sprechblasen-Zurückweisung durch Sprechblasen einfach mal "Herrje, ich weiß es auch nicht" sagen, wie es erfrischenderweise Kai Gniffke im Tagesschau-Blog tat, kann man in so einer Position natürlich nicht.

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[+++] Künftig wieder enger im "Würgegriff des Boulevards" dürfte sich die deutsche Fußballnationalmannschaft befinden. Das meinen die in Fußballdingen oft gut informierten elf Freunde zur Ablösung des Nationalmannschaft-Pressechefs Harald Stenger. Man muss vermutlich langjähriger sehr intensiver Beobachter sein, um zu ahnen, dass dieser Würgegriff zuletzt zumindest gelockert war. Aber die Einschätzung, die Mannschaft werde nun "wieder näher an die Bild-Zeitung heranrücken", wird geteilt:

Der neue DFB-Präsident Wolfgang Niersbach "scheint insbesondere die Beziehungen zum Axel- Springer-Verlag zu pflegen, aus dem etwa der amtierende Mediendirektor Ralf Köttker zum DFB stieß", schreibt Robert Ide im Tagesspiegel, der auch die aktuelle Stenger-Aussage "Ich werde jetzt versuchen, die Enttäuschung zu verarbeiten" zitiert. Außerdem beschreibt natürlich auch die Frankfurter Rundschau das "traurige, wenn auch nicht überraschende Ende" der Verbands-Karriere ihres ehemaligen Fußballchefs. (Immerhin, so traurig wie Silvia Seidels Ende wird es nicht).

[+++] Nochmals zurück zu Olympia und dem DJV, dessen Chef natürlich nicht in einem Boot mit dem Bundesinnenminister sitzt, sondern in seiner neuesten Stellungnahme ("Das Bundesinnenministerium steht nicht über Gesetz und Recht") dessen mögliche Taktik des Aussitzens sogar ausdrücklich kritisiert.

Da geht es um die "Informationen über die Medaillenabsprachen" bzw., wie die Aggregatoren von meedia.de korrekter schreiben: "Zielvereinbarungen" zwischen dem Ministerium und den Sportverbänden, deren Veröffentlichung das WAZ-Rechercheblog eigentlich mithilfe der Auskunftsrechte von Journalisten (dank derer die TAZ übrigens auch gerade einen Gerichtssieg über Klaus "Wowi" Wowereit erzielte, vgl. newsroom.de) erzwang.

Andererseits, fast schon egal, denn die "abstrus verzerrte Medienperspektive" auf die Olympischen Spiele steht sowieso und stand von Anfang an, wie Michael Ridder im epd medien-Tagebuch (mit Bezug auf den ersten Naziaufregung, die um Carsten Sostmeiers "Zurückgeritten"-Spruch) aufschrieb.
 


Altpapierkorb

+++ Sascha Lobo hat für SPON die noch aktuelle Zeit-Titelstory "Wie Facebook, Google und Co die Welt zensieren" (siehe Altpapier vom Donnerstag) gelesen: "Tatsächlich ist die in der 'Zeit' geäußerte Kritik in den meisten beschriebenen (und vermutlich Tausenden weiteren) Fällen legitim und sinnvoll", schreibt er. Tröstlich sei nur die Vorstellung, was denn wäre, "wenn Myspace dort wäre, wo Facebook heute ist, wenn der moralamputierte Rupert Murdoch ein Quasimonopol für digitale Sozialbeziehungen hätte?" Außerdem unterbreitet Lobo einen verblüffend einfachen Lösungsvorschlag fürs Facebook-/ Google-usw.-Problem: "die Schaffung einer nichtkommerziellen digitalen Öffentlichkeit... , einer digitalen Öffentlichkeit, die nicht den Regeln der Börsen, sondern denen der Öffentlichkeit selbst unterliegt". +++ Diese Aufgabe scheint doch wie geschaffen für die Landesmedienwächter, die zusehends Probleme haben, ihre gut bezahlte Arbeitszeit sinnvoll zu füllen. Wie die rheinland-pfälzische Medienanstalt nun "im Verein mit der hessischen Landesmedienaufsicht" gegen den Lizenzgeberwechsel von Sat.1 auf höchstföderalistsche Weise ("Die Landesmedienanstalt des Saarlandes lässt sich zu dem Verfahren, das vor dem Verwaltungsgericht Schleswig angestrengt wird, beiladen") klagt, schildert die FAZ-Medienseite heute: "Mit anderen Worten: Jeder verklagt jeden". +++

+++ Abgeschafft gehört überdies das Feuilleton! Meint Georg Seeßlen in der TAZ. Schließlich sei "der Feuilletonismus ...aus dem Feuilleton ausgewandert in den neuen Kolumnismus." +++

+++ Intensiv mit Medien beschäftigt sich das Wirtschaftsressort der FAZ. "Das Internet zerstört nicht die Tageszeitung, sondern die Zeitung ist zu vorsichtig, sich der Zeit anzupassen", entlockte es dem neuen WAZ-Geschäftsführer Manfred Braun. Dass Braun "leider auch die ohne Zweifel vorhandenen Leistungen des Vorgängers", Bodo Hombach, "in Abrede" stellt, stört newsroom.de. +++

+++ Die Mutter aller Stadtmagazine, Time Out aus London, wird gratis (TAZ). +++

+++ Im Prozess gegen die Ex-Fernsehspielchefin des NDR, Doris Heinze, traten am Dienstag ein Justiziar des Senders (Süddeutsche) und erstmals Heinzes Mann Claus Strobel (KSTA/ DAPD) auf. +++

+++ Die Erkenntnis, dass es "Zeit für eine Entschuldigung" bei Dieter Thomas Heck sei, denn der "war genau der richtige Mann am richtigen Platz", kam Hans Hoff (Süddeutschen beim Anschauen der neuen "Pyramide"-Shows auf ZDF-Neo. "Der Grund der Erkenntnis heißt Micky Beisenherz", der der neue Moderator ist. (Siehe auch Altpapierkorb gestern). +++

+++ Langer Aufmacher der SZ-Medienseite: Wie Endemol Deutschland, "einst vor allem Verwerter internationaler Lizenzware wie 'Big Brother'", über Partnerschaften mit Moderatoren wie Jörg Pilawa und den omnipräsenten Joko und Klaas auch "den Sprung ins öffentlich-rechtliche Fernsehen" und, wie Simon Feldmer meint, ins "kreative Fernsehen" schaffte. Mit Joko und Klaas stünden noch große Deals bevor. +++

+++ Wer "mit sofortiger Wirkung nach zehn Jahren aus seiner Spitzenposition ausgeschieden" ist (TAZ), hat das vermutlich nicht vollends freiwillig getan. Insofern schreibt die FAZ über ihre Meldung zum Abschied des Chefredakteurs "'Brigitte'-Chef Lebert muss gehen". Gemeinsam mit Andreas Leberts Stellvertreterin Brigitte Huber soll Stephan Schäfer nun das Blatt so "rapide entwickeln" wie zuvor Schöner Wohnen. +++

+++ Nach fast drei Jahrzehnten und nicht sofortig geht der "Führer der Redaktion 'Zeitgeschichte'" im ZDF (TAZ-Kriegsreporterin), Guido Knopp. +++

+++ ARD-Olympiareporter Wilfried Hark bekommt den (negativ gemeinten) "Dschammeeka-Preis" des Vereins Deutsche Sprache (Tsp.). +++ ZDF-Olympiareporter Norbert Galeske macht aus jedem Kanu-Vorlauf ein sportliches Großereignis (ebd.). +++ Und wie wird zwischen Russ- und Thailand über die Olympischen Spiele berichtet? Weitestgehend aus Medaillenperspektiven, informiert die BLZ. +++

+++ Und noch eine gute Nachricht: Wer bei Fernsehshows klatschend im Studio sitzt, tut das häufig nicht unbezahlt (Süddeutsche). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.