WAZ siegt gegen Innenministerium, unbekannter Bayer klagt gegen Haushaltsabgabe. Außerdem: eine notwendige Ergänzung zum Fall Sostmeier, der Journalisten-Film „The Rum Diary“ sowie Empfehlungen aus dem journalistischen Schaffen Gore Vidals.
Wir wissen nicht, ob in der Medienredaktion der FAZ oder bei diesem Verein, dem Jürgen Doetz vorsteht, manchmal aus gegebenem Anlass vormittags schon die Sektkorken knallen und ob die dort oder in anderen Bastionen des aufopferungsvollen anti-öffentlich-rechtlichen Kampfes ihrer Arbeit nachgehenden Menschen zu Freudentränen neigen. Wir sehen uns nicht einmal in der Lage, entsprechendes Wissen vorzutäuschen - aber das ist ja vielleicht auch ganz gut so, spätestens seit einer Woche weiß man ja, dass so etwas auch in die Hose gehen kann. Nun, sagen wir es mal so: Nur für den Fall, dass an den genannten Orten hin und wieder schon vor der Mittagspause Sekt und Freudentränen fließen, dann passiert es ganz bestimmt heute. Beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof ist die erste Klage gegen die von Medienjournalisten eher nicht geliebte Haushaltsabgabe eingegangen - obwohl das neue Rundfunkgebührenmodell doch erst ab Anfang 2013 gilt. Volker Nünning berichtet in der Funkkorrespondenz:
„Eine Privatperson aus Bayern klagt gegen die Vorschrift im Rundfunkbeitragsstaatsvertrag, der zufolge künftig für jede Wohnung von deren Inhaber ein Rundfunkbeitrag zu bezahlen ist. In dieser Bestimmung sieht die Person einen Verstoß gegen die Bayerische Verfassung.
Und das Schöne für alle Kritiker und heutigen Vormittags-Sekttrinker: „Die Klage, bei der es sich rechtstechnisch um eine sogenannte Popularklage handelt“ (Nünning), wird wohl nicht die letzte sein, zumindest nicht in Bayern, denn:
„Beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof kann jedermann eine Popularklage einreichen, wenn er Grundrechte der Bayerischen Verfassung durch bestimmte Rechtsvorschriften eingeschränkt sieht. Grundsätzlich sind die Verfahren beim Verfassungsgerichtshof für den Kläger kostenfrei.“
[+++] Bereits einen juristischen Sieg errungen hat der WAZ-RedakteurReporter Daniel Drepper vor dem Verwaltungsgericht Berlin, und zwar, um es mal populistisch zu verkürzen, gegen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich. Es geht um Akten zu den Zielvorgaben für die hiesigen Sportverbände bei den Olympischen Spielen. Das Vorgehen war auch schon Thema im Altpapier, im Zusammenhang mit einer Betrachtung der rund um diese Causa recht intensiven Kooperation mit dem Investigativ-Ressort des Stern). Über ihren Erfolg berichtet die WAZ natürlich selbst. Und worum geht es bei der Klage eigentlich im Detail? Dazu Drepper im Interview mit Newsroom:
„Um genau zu sein, geht es nur um die Medaillenzahlen und die verlangte Platzierung der Verbände in der Medaillen- und Nationenwertung. Also um sehr genau definierte Infos wie sie nach den Landespressegesetzen abgefragt werden können. Um die Dokumente zu bekommen, haben wir (...) parallel dazu vor 14 Monaten recht umfangreiche Einsicht in Akten zur Sportförderung nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) beantragt. Die ist teilweise bereits gebilligt und es finden sich auch interessante Geschichten in den Unterlagen, die Auswertung dauert aber noch an. Die Klage nach dem Berliner Pressegesetz haben wir nur eingereicht, da uns die Dokumente der Zielvereinbarungen auch 14 Monate nach dem ersten Antrag nach dem IFG noch nicht ausgehändigt wurden.“
[+++] Andere Artikel mit Olympia-Bezug: Natürlich nicht entgehen lassen können wir uns das hier: die Verbindung eines aktuellen Altpapier-Themas (Olympia) mit einem ein nahezu permanent aktuellen Altpapier-Motiv (Rupert Murdoch in einem nicht undubiosen Kontext): Es geht darum, ob der britische Steuerzahler das VIP-Ticket mitfinanziert, das Londons Bürgermeister Boris Johnson Murdoch - und wo wir ihn gerade erwähnen: Im Guardian steht was Aktuelles aus zur juristischen Aufarbeitung des Phone-Hacking-Skandals) - für den Besuch der Leichtathletik-Wettbewerbe am Wochenende geschickt hat.
Was wäre, wenn alle olympischen Sportarten so hinterteillastig fotografiert werden würden wie Beachvolleyball, fragt man sich bei metro.us (Metro, das ist diese Gratiszeitungsgruppe, deren Produkte sonst selten altpapier-reife Zitate abwerfen). Matthias Kalle (Tagesspiegel) denkt bei Britta Steffen an Veronica Ferres. Und in der FAZ lobt Oliver Kühn die Livestream-Angebote von ARD und ZDF im Netz. Eine kleine Einschränkung macht er aber:
„Bis zu sechzig Stunden zusätzlichen Sport pro Tag zeigen die beiden Sender online, in vier Jahren könnten es sogar noch mehr werden. Doch selbst bei sechs Streams können längst nicht alle Wettbewerbe gezeigt werden – und in Rio de Janeiro werden Golf und Rugby das olympische Programm zusätzlich erweitern.“
Paul-Nikolas Hinz rammt bei Welt Online dagegen das klassische Programm von ARD und ZDF in den Boden. „Es fehlt die gut geplante Verdichtung“, schreibt er. Und: „Dauernde Aufzeichnungen führen irgendwann dazu, dass überhaupt nichts mehr live zu sehen ist.“ Ein paar härtere Vorwürfe gibt es auch.
Zum Fall des Militär- und Military-Experten Carsten Sostmeier (Altpapier) hat Dietrich Leder in der Funkkorrespondenz noch etwas anzumerken:
„Die Variation des Satzes, mit dem Adolf Hitler 1939 den Zweiten Weltkrieg mit dem Angriff auf das wehrlose Polen verkündete, ist des Öfteren in einem ironischen Kontext verwendet worden. In diesen Fällen kann man vielleicht über den Geschmack der Zitatwahl streiten. Aber nicht bei Carsten Sostmeier. Denn wie Hitler stellt er bewusst einen falschen Kontext her. Der Diktator (...) begründete die Kriegserklärung mit der Lüge, dass die Polen zuerst Deutschland angegriffen hätten. Sostmeier begründet die Größe des deutschen Reitsieges mit dem Hinweis, der deutschen Equipe sei vor acht Jahren die Goldmedaille von Franzosen, Briten und Amerikanern (also den westlichen Alliierten des Zweiten Weltkriegs) am grünen Tisch ‚weggerissen‘ worden und nun reite man seit 2008 zurück. Das Rachemotiv und der nationalistische Kontext, auf dem es basiert, kann man hier nicht übersehen. Wer (...) die Formulierung für (...) unbewusst dahingesagt hält, ignoriert den Satz, den Sostmeier anschloss: ‚Wir holen uns Gold zurück, gnadenlos.‘“
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[+++] Besonders kritisch gehen Journalisten grundsätzlich mit Filmen ins Gericht, in denen es um sie und ihre Branche geht. Insofern verwundert es nicht, dass die Kritiker den von Bruce Robinson inszenierten und von Hauptdarsteller Johnny Depp produzierten Film „The Rum Diary“, der auf einem halbautobiographischen Roman Hunter S. Thompsons über einen Zeitungsreporter in Puerto Rico Ende der 50er Jahre basiert, ambivalent finden oder mit ihm gar nichts anfangen können. Zu Recht, denn der Film ist eine tatsächliche ziemlich zwiespältige Angelegenheit. Dirk Peitz schreibt in der Welt:
„Johnny Depp, der den Reporter Paul Kemp spielt, der wiederum Hunter S. Thompson ist oder besser gesagt eine von mindestens zwei Möglichkeitsformen des berühmt-berüchtigten Reporters und Reporterdarstellers Hunter S. Thompson in diesem Film: ‚I don’t know how to write like me – Ich weiß nicht, wie man wie ich schreibt.‘ Super Satz, aber er steht nicht im Buch, auf dem dieser Film basiert, ebenso wenig wie die Szene, in der er ausgesprochen wird: Kemp sitzt auf der Segelyacht des Ex-Journalisten Saunderson, der auf die andere Seite gewechselt ist, die besser bezahlte, in die PR.“
Was nicht heißt, dass Peitz der Werktreue bei Romanverfilmungen das Wort redet. Interessant ist diese Passage insofern, weil der Satz mit der PR andeutet, dass sich in dem Film durchaus auch aktuelle Bezüge erkennen lässt.
„‚Rum Diary‘ kann man mit Vergnügen ansehen – und doch geht man am Ende frustriert raus“,
meint Daniel Kothenschulte (FR). Ein Problem des Films ist, dass die Atmosphäre, meinetwegen auch: der Look - um hier mal ein nicht unbescheuertes Modewort ins Spiels zu bringen - nicht mal ansatzweise Thompson-like ist. Unter anderem dazu noch einmal Peitz:
„ (...) das Rum-Saufen und Rum-Schwitzen, ach, die Karibik: allerfeinste Augenpflege. Bloß hat der Film nicht nur wenig mit dem Roman gemein außer den Grundzügen des Plots. Er findet weder die passenden Bilder für die Sehnsucht und das Verderben des Hunter S. Thompsons noch irgendeines anderen Klischees eines Reporters oder Reporterdarstellers.
Und Marit Hofmann urteilt in konkret:
„Robinsons unangemessen brave Verfilmung widerlegt unfreiwillig den von Thompson befeuerten Mythos, dass Drogeneinfluss die Kreativität steigere.“
[+++] Mit Verlagsberatern dürfte Hunter S. Thompson nie in Kontakt gekommen sein, aber was der „große Gonzo-Journalis"t (taz) bzw. „giftige Porträtist des republikanischen Establishment-Amerikas“ (Zeit) über diese Zunft gesagt hätte, die heute einen nicht unwesentlichen Einfluss auf das hiesige Medien-Establishment hat, hätte man doch gern gewusst. In der Juni-Ausgabe des Kursbuch war kürzlich ein Artikel mit einem sehr hübschen Titel zu finden.
„Kaputtoptimieren und Totverbessern. Eine kurze Geschichte des Managements als Scharlatanerie.“
Um die Medienbranche geht es in dem Beitrag überhaupt nicht, aber es liegt natürlich nahe, den Titel aus dem Zusammenhang zu reißen und für eine Medienkolumne zu sampeln, weil damit die jüngere Geschichte der deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenverlage auf den Punkt gebracht wird. Heute liegt das besonders nahe, denn der journalist berichtet, dass einige - möglicherweise Kursbuch-unkundige - Manager von Gruner + Jahr bzw. laut substantieller Vermutung des ebenfalls mit der Sache befassten Portals meedia.de „G+J-Vorstandschef Bernd Buchholz himself“ die Firma Porsche Consulting ins Haus gelassen haben.
„Fragt man bei Porsche Consulting nach, geht es der Unternehmensberatung vor allem darum, ‚Verschwendung zu vermeiden‘, also Doppelarbeit, unnötige Zeitpuffer (...)“,
schreit Svenja Siegert im journalist. Zu den Ideen, die die KFZ-Hersteller-Tochter ausgeheckt hat, gehörten „Autoren-Briefing-Formulare“. Außerdem gebe es in der Redaktion der G+J-Wirtschaftsmedien, wo Porsche bereits zugange war, nun „neben der regelmäßigen Blattkritik auch eine Art Prozesskritik“.
meedia.de weiß, was man so hört:
„Wie aus G+J-Kreisen zu hören ist, soll die Geo-Redaktion wohl noch vor dem Stern Besuch von den Porsche-Beratern bekommen. Ob und wann der Stern beraten wird, ist noch unklar. Aber auch die Verlagsgruppe Life, zu der beispielsweise Brigitte, Gala und Schöner Wohnen gehören, werden vermutlich Besuch der Prozessoptimierer bekommen, ist in Hamburg zu hören.“
Und sollte tatsächlich „Bernd Buchholz himself“ ein so großer Porsche-Consulting-Fan sein, singen die Kritiker der Prozesskritik demnächst vielleicht: Buchholz, wir wissen, wo Dein Porsche steht!
+++ Nichts Neues gibt es heute offenbar in der Causa Prantl, dafür aber über den gewesenen New-Yorker-Redakteur und hier gestern im lockeren Zusammenhang mit Prantl erwähnten „Dylanzitate-Kreateur“ Jonah Lehrer. Wer das Buch mit den vermeintlichen Dylan-Zitaten gekauft hat, bekommt vom Verlag das Geld zurück, berichtet Paid Content.
+++ Im Prinzip Erfreuliches aus München: süddeutsche.de aggregiert jetzt die „interessantesten Texte der Welt“ bzw. analysiert „alle Leserempfehlungen auf großen Nachrichtenseiten und wertet aus, welche Texte die meisten Likes und Tweets bekommen“. Kritik an dieser neuen Presseschau kommt via Twitter von Thomas Stadler und Dorin Popa (dem wiederum SZ-Online-Chef Stefan Plöchinger antwortet).
+++ In der gedruckten SZ blickt Willi Winkler schon einmal weit voraus auf Richard David Prechts neue ZDF-Show: „Von kommenden Monat an soll er das am Sonntagabend sanft entschlafende ZDF-Publikum an das heranführen, was neuerdings alles in den großräumigen Brotbeutel Philosophie passt: Lebenshilfe, Pädagogik, Gentechnik, PID-Forschung, aber vor allem Lebenshilfe, Lebenshilfe, Lebenshilfe.“
+++ Außerdem stellt die SZ auf ihrer Medienseite The I Files vor, den neuen investigativen Kanal von YouTube, der in Zusammenhang mt dem in Kalifornien ansässigen Center for investigative Reporting entstanden ist.
+++ Der eben schon erwähnte Thomas Stadler findet den Vorschlag eines Regensburger Professors, „die Berichterstattung über sogenannte Amokläufe unter namentlicher Nennung des Täters einschließlich der Bild- und Filmberichterstattung über die Person des Täters“ zu verbieten, zwar „interessant“. Er stehe aber „möglicherweise“ mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte „in Konflikt“ (Carta)
+++ „Gore Vidal’s New York Times Obituary Has Some of the Best Corrections Ever“, meint Gawker - und liefert ein paar Zitate aus den Korrekturen mit, zum Beispiel: „An earlier version misstated the term Mr. Vidal called William F. Buckley Jr. in a television appearance during the 1968 Democratic National Convention. It was crypto-Nazi, not crypto-fascist.“
+++ Mehr zu Gore Vidal: The Nation hat eine - 1958 beginnende - Liste mit Links zu Artikeln zusammengestellt, die er für das Blatt geschrieben hat.
+++ Dass die Musik, die das britische Fernsehen in den Jahren 1956 bis 1980 prägte, im kollektiven Pop-Bewusstsein des Vereinigten Königreichs stark verankert ist, obwohl kaum jemand ihre Macher kennt - darüber habe ich für die Funkkorrespondenz geschrieben.
+++ Noch ein bisschen Eigenwerbung: Über den Unterschied zwischen einer beinahe gesendeten Version der NDR-Doku „Die Milch-Lüge“, in der ein Arzt, der einst in der SA und später Bundestagskandidat einer rechtsextremen Partei war, allzu segensreich beschrieben wurde, und der dann letztlich gesendeten Fassung (in der zu dem Sachverhalt dann ein paar kritische Worte fallen), habe ich ebenfalls in der FK geschrieben (siehe Altpapier).
+++ Facebook-Kritisches: Marin Majica beschäftigt sich in der Berliner Zeitung mit der „als Information getarnte Werbung“, die „sehr aufdringlich in der Neuigkeitenspalte der User auftaucht“, Und der aktuellen, das heißt September-Ausgabe von Wired findet sich ein Artikel mit prima Headline „How not to be a product on Facebook“
+++ „Hacker und Geheimdienste waren einmal natürliche Gegner. In den Vereinigten Staaten hat sich das geändert: Mittlerweile werden junge Talente von Militärs und Sicherheitsbehörden als Experten im Cyberwar umworben“ - Constanze Kurz in ihrer FAZ-Kolumne über den steigenden Bedarf an „digitalen Landsknechten“.
+++ Und in der taz berichtet Meike Laaff über den neuen digitalen Briefkasten von Zeit Online, der Informanten das anonym Hochlanden von Dokumenten ermöglicht. „Der Hype um Leaking-Plattformen“ - der ja inzwischen auch schon viele, viele Monde her ist - sagt Online-Chefredaktionsmitglied Fabian Mohr, sei „nicht unsere Motivation" gewesen.
Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.