Wer überholt historisch wen?

Wer überholt historisch wen?

Frischer Trash-Wind für die ZDF-Unterhaltung? Thommy Gottschalk weiter auch für die ARD? Außerdem: Wie potenzieller Streit um komplizierte Kabelfernseh-Regelungen ARD und ZDF vielleicht sogar gut tun könnte.

Hier führt Lothar Matthäus gut eine Minute lang ein Telefoninterview auf Englisch. Die "Personality-Doku" "Lothar - immer am Ball" mit dem bekannten Rekordnationalspieler begegnet einem derzeit öfters in den Spalten und Feeds der Medienmedien: erstens weil sie im weitesten Sinne mit dem Megathema Fußball zusammenhängt. Zweitens weil sie sowohl schlechte Einschaltquoten erzielt als auch offenbar schlecht (fundierte Kritik im FAZ-Fernsehblog) ist - was schließlich nicht allzu häufig zusammenfällt. Und drittens, weil Lothar Matthäus als Klickanreiz eigentlich immer geht, bloß nicht als Einschaltanreiz für eine eigenständige "Personality-Doku".

Was "Lothar - immer am Ball" nun besonders interessant macht: Der verantwortliche Produzent Oliver Fuchs soll einen hochrangigen Posten im ZDF bekommen, dort nämlich Unterhaltungschef werden. Das hat das Medieninvestigativ-Ressort des Spiegel in Gestalt Markus Braucks und Alexander Kühns herausbekommen und online vermeldet. Fuchs ist derzeit CEO der Fernsehfirma "Eyeworks", die eine gewisse Bandbreite an sogenannter Fernsehunterhaltung herstellt, darunter aber auch eine Menge spektakulären Schund.

"Dem Mann Biederkeit vorzuwerfen, wäre tatsächlich unfair", spottet Spiegel Online und fragt sich, "ob die bisher eher trutschige ZDF-Unterhaltung und Fuchs ... zusammenpassen".

Andererseits, noch besser zusammenpassen würden eigentlich nur Fuchs und die Unterhaltungs-Abteilungen der ARD. Deren Intendantinnen und Intendantinnen saßen bis gestern wieder bei einer ihrer turnusgemäßen Konferenzen in Landesrundfunkanstalten beisammen, dieses Mal in Schwerin. Aus dem bunten Strauß der dabei abgesonderten Meldungen (schon wieder eine "Informationsoffensive"...) fährt allerdings kaum jemand ab. Michael Hanfeld erteilt in der FAZ (S. 31) die Höchsstrafe und fasst alles in vierzehn Zeilen zusammen, von denen die meisten der Unterhaltungsabteilung gelten:

"Und zu dem zu RTL abgewanderten Entertainer Thomas Gottschalk gibt es auch noch Kontakt, wie der Programmdirektor Volker Herres sagte: Gottschalk habe sich nicht exklusiv an RTL gebunden".

Die Süddeutsche versucht in ziemlich gewundenen Worten, womöglich veränderte ARD-Positionen im inzwischen schon recht alten ARD-/Verlage-Streit um die "Tagesschau"-App zu schildern. Der Tagesspiegel versucht, neu (dieses Mal beim MDR) aufgenommene und aber auch (an geringer Begeisterung der anderen Anstalten) bereits gescheiterte Bemühungen um einen eigenen Sender für junges Publikum in auch nicht ungewundene Worte zu fassen. Am interessantesten daran: Joachim Huber ist sich schon sicher, dass bei der Erhebung der neuen Rundfunkgebühr "die Schraube 2013 nochmals angezogen wird".

Es gibt aber auch noch einen spannenden Artikel rund um einen aktuellen ARD-Beschluss, um diesen vom Montag: Ab 2013 will die ARD, wie auch das ZDF, keine Einspeisegebühren mehr an Kabelnetzbetreiber zahlen. In der Summe gehe es um "zusammen zuletzt 45 Millionen Euro pro Jahr", schreibt Jörg Seedorf in der Süddeutschen. Und dieser "Schritt [könnte] die deutsche TV-Landschaft nachhaltig verändern".

ARD und ZDF argumentieren unisono mit der Historie. "Die Zahlung so genannter Einspeiseentgelte ...sei historisch begründet gewesen und stamme aus der Zeit, als die ehemalige Bundespost die Kabelinfrastruktur mit Unterstützung der Programmveranstalter aufgebaut habe", heißt es in der oben verlinkten ARD-Mitteilung. Und da diese Infrastruktur ja schon lange privaten, von Finanzinvestoren oder Aktionären besessenen Unternehmen gehören, seien solche Zahlungen "historisch überholt" (ZDF-Intendant Thomas Bellut, kress.de).

Immerhin "können" die Kabelbetreiber "die Programme von ARD und ZDF auch künftig verbreiten, sofern sie entsprechende Lizenzen besitzen", wie es die TAZ formuliert, und müssen dafür nichts bezahlen, wie es ja etwa in den USA üblich ist.

Völlig abgesehen von der weiteren Komplikation, dass bisher gar nicht alle Kabelbetreiber, sondern nur die drei größten Geld von ARD und ZDF bekommen (vgl. digitalfernsehen.de vom Montag), argumentiert die größte Kabelfirma Kabel Deutschland in der schon länger schwelenden Frage mit dem auch nicht kleinen Begriff der Diskriminierung (vgl. digitalfernsehen.de aus dem März). Aktuell zitiert die Süddeutsche den Wunsch des Kabel Deutschland-Vorstandschefs Adrian von Hammerstein nach einer "Verhandlungslösung". "Keinesfalls wolle man aber die öffentlich-rechtlichen Programme kostenlos durchleiten".

Muss man aber:

"ARD und ZDF verweisen auf die sogenannte 'Must Carry-Vereinbarung', die die Betreiber verpflichte, die öffentlich-rechtlichen Programme einzuspeisen. Das gelte auch für Arte, 3sat, Phoenix und Kika",

so die Süddeutsche heute. Was es mit dem rundfunkstaatsvertragslichen "Must Carry" auf sich hat, steht z.B. bei ard-digital.de. Allerdings verbreiten ARD und ZDF ja noch mehr Programme als gesetzlich verbreitet werden müssen. Und da könnte, so die Süddeutsche, sich 2013 etwas ändern:

"Im schlimmsten Fall könnten die Kabelfirmen von ihren Kunden also einen Zuschlag für die Dritten Programme verlangen. Kabelkunden sind unflexibel. Sie haben Verträge mit ihren Hausverwaltungen und oft keine Alternative wie Satellit."

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Entweder muss, wer via Kabel fernschaut und täglich in irgendeinem Dritten Programm irgendeinen "Tatort" (heute u.a. beim MDR) oder Degeto-Film (heute beim NDR, allerdings kein Eskapismus, auch Krimi) wiederholt bekommen möchte, künftig extra zahlen. Oder die ARD sieht sich veranlasst, ihre vielen, vielen Programminhalte doch einmal sinnvoller als in lauter vor allem überregionalen Alles-Mögliche-Kanälen zu bündeln.

Dann könnte die historische Medienentwicklung tatsächlich ihr Gutes haben.


Altpapierkorb

+++ Das Nutzerverhalten im Netz, das habe sich so verändert, "dass dort niemand mehr nach kompletten Zeitungen, sondern 'nach einzelnen Elementen aus unterschiedlichen Quellen sucht'". Das sagt Justus Haucap, VWL-Professor in Düsseldorf, aber auch Vorsitzender der Monopolkommission der Bundesregierung, und findet dieses Trends zur "Entbündelung" wegen die "kompositorische Leistung der Verlage" obsolet, die das neue Leistungsschutzrecht schützen soll. Kürzerer Sinn des längeren Satzes: Haucap findet das LSG aka #LSR doof, und das findet wiederum die TAZ gut. +++

+++ Breaking im wahrsten Wortsinn: der von Rupert Murdoch gesteuerte News Corp.-Konzern könnte sich in zwei Teile aufsplitten, einen für Bewegtbild, einen für Print-basierte Geschäfte. Siehe auf deutsch etwa bei der FTD und sueddeutsche.de, im Original beim dazugehörenden Wall Street Journal. +++

+++ Die Kommission namens ZAK der Landesmedienanstalten hat getagt und einen "Etappensieg für Sat.1" (FAZ, S. 31) beschlossen. Der Wechsel des Privatsenders als Lizenznehmer von Rheinland-Pfalz nach Hamburg und Schleswig-Holstein wurde genehmigt. Bloß erst zum Juni 2013 statt zum Januar. "So wäre Zeit für eine diplomatische Lösung" im damit zusammenhängenden Drittsendezeiten-Streit, meint die Süddeutsche (S. 17). +++

+++ Außerdem geht's in der SZ um die Nachrichtenagenturen DPA (hat "nach zwei verlustreichen Jahren ...2011 erstmals wieder Gewinn gemacht", 650,000 Euro, u.a. durch den Verkauf des Fernsehprogramm-Dienstleister PPS) und die französische AFP, die bald eine Gemeinsamkeit haben werden: jeweils inländische Konkurrenz durch die DAPD. +++

+++ Eine Menge frischen GEMA-Stoff (vgl. Altpapier gestern) bietet das FAZ-Feuilleton auf seiner ersten Seite beinahe ganzseitig: Edo Reents besuchte sowohl die Münchner Generaldirektion als auch Proteste gegen die GEMA in Berlin, freilich mit heiterem Ansatz: "Um zu sehen, wie ernst die Gema ihre Sache nimmt, pfeife ich beim Eintritt" in die Generaldirektion "'Michelle' von den Beatles. Wird man, da es sich eindeutig um die Aufführung eines noch nicht rechtefreien Liedes handelt, sofort zur Kasse gebeten? Für alle Fälle habe ich Bargeld dabei..." +++

+++ Thema der FAZ ist der Tod des New York Times-Reporters Anthony Shadid, der "im Februar bei der Rückkehr von einer längeren Reportage-Reise in Syrien beim Fußmarsch über die Berge in die Türkei offenbar an den Folgen eines Asthma-Anfalls gestorben" war. Hat er zuvor gesagt: "Wenn mir etwas zustößt, dann soll die Welt erfahren, dass mich die 'New York Times' umgebracht hat!“? Fotograf Tyler Hicks, "der vergeblich versucht hatte, Shadid wiederzubeleben", weist solche Behauptungen des Vetters des Verstorbenen zurück. +++

+++ In der TAZ kümmern sich die (bekanntlich im übertragen Sinn zu verstehende Medien-) Kriegsreporterin um Maria Furtwänglers BH auf dem Cover des Manager Magazins und Georg Seesslen um den "neuen deutschen Konsum- und Unterhaltungsnationalismus". +++

+++ Und der Tagesspiegel ist Jürgen Domian begegnet, "dieser nimmermüden Nachtgestalt", aber auch Peter Laubenthal, der "27 Jahre lang die 'Abendschau'" im RBB-Fernsehen geprägt habe. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.