Im Abgang wie Seifenwasser

Im Abgang wie Seifenwasser

Ulysses! Watergate! Doch, doch, das sind durchaus mediale Schlagworte des Tages. Aber natürlich geht es heute auch um folgende Fragen: War ARD-Mann Gerd Gottlob der „schwächste Deutsche“ am Samstagabend in Lwiw? Handelt Mehmet Scholl „antizyklisch“? Außerdem: Wofür Schläger und Ganoven gut sind.

Für den, um es mit taz.de zu sagen: „größten Aufreger“ des ersten EM-Wochenendes war eine Honorarkraft der ARD verantwortlich. Für entsprechenden Wirbel nicht nur bei den Twitter-Nutzern - deren Äußerungen die taz im besagten Text kuratierte (wie man heute sagt) - sorgte Mehmet Scholl nach dem 1:0.Sieg der DFB-Elf gegen Portugal, weil er sich kritisch äußerte zur nicht allzu modernen, nicht allzu laufintensiven Spielweise des goldenen Torschützen Mario Gomez. „Wie lange hält eine Mannschaft so etwas aus?“ fragte Scholl im Rahmen seines Gomez-Bashings  gleich zweimal (die SZ hat die Passage auf Seite 26 dokumentiert).

„Das Protokoll sieht nach einem Sieg der deutschen Mannschaft Jubel vor, mindestens für den Torschützen“,

meint Sarah Mühlberger (Berliner Zeitung), und deshalb findet sie es gut, dass Scholl „auch mal den Spielverderber gibt“. Für den Fall, dass der Ex-Profi allzu viel gelobt wird in den nächsten Tagen, sei schon mal daran erinnert, dass er beim Platzsturm von Düsseldorf vor nicht einmal einem Monat sich also genauso unfähig erwiesen hat, das Geschehen adäquat und einigermaßen realitätsnah zu kommentieren, wie seine bei der ARD Kollegen Reinhold Beckmann und Tom Bartels.

Die Abendzeitung, die dort erscheint, wo Scholl und Gomez ihren Wohnsitz haben, hat sich für die Variante Pro und Contra entschieden. Gunnar Jans, der Pro-Scholl-Kommentator, nimmt dabei darauf Bezug, dass der ARD-Experte demnächst wieder die zweite Mannschaft des FC Bayern trainiert und dann also ebenso Angestellter des Klubs sein wird wie Gomez.

„Dass er sich traut, auch Helden (und Vereinskollegen!) zu zerlegen, ist mutig und zeigt, dass Scholl – auch als Bayern-Trainer – unabhängig ist. Nach Niederlagen übrigens kann jeder draufhauen. Vielleicht hat Scholl das ja von seinem Mentor Uli Hoeneß gelernt: antizyklisch zu handeln!“

Für Mark Stöhr (stern.de) war es eine „formidable Demontage des pomadigen Schönlings“ Gomez, wobei der Begriff Schönling ja mehr über den aussagt, der ihn verwendet, als über den, dem er gilt. Es ist auch sonst ein wortgewaltige TV-Kritik, die Stöhr verfasst hat. „Witzsportgruppe“ nennt er den Haufen, den Waldemar Hartmann in „Waldis Club“ um sich versammelt hat (Vielleicht wäre „Witzsportgruppe Hartmann“ ja tatsächlich kein schlechter Titel für die Sendung). Und über Scholls Moderatoren-Partner Beckmann schreibt Stöhr:

„(Er) versteht sich als eine Art Sommelier der Sportberichterstattung, immer auf der Suche nach dem Bonmot, das im Abgang wie Seifenwasser schmiert.“

Das ist prinzipell nicht falsch, aber man hat ähnliche Einschätzungen in den vergangenen Jahren schon so oft gehört, dass sich schon jetzt, in der Anfangsphase des Turniers, ein leichter Überdruss einstellt. Abgesehen davon: Beckmann und Scholl sind in jeder Verfassung immer noch besser als die Präsentatoren des maritimen ZDF-Fußball-Fernsehgartens (siehe dazu ein Tweet des bereits zitierten AZ-Redakteurs Jans).

Für den Tagesspiegel knöpft sich Matthias Kalle Gerd Gottlob vor,  den Kommentator des Deutschland-Spiels. „Der schwächste Deutsche im Stadion“ sei er gewesen:

„Was hatte Gottlob im Sinn? Wollte er unparteiisch sein bis zur Selbstaufgabe? Das deutsche Spiel redete er in einer Art und Weise schlecht, als habe er keine Ahnung von Taktik, Spielaufbau und Nervosität.“

Dass er das deutsche Spiel schlechter machte als es war, kann man so stehen lassen. Aber Formulierungen wie „2000 haben die Portugiesen uns richtig verfrühstückt“ oder „Nur geglänzt haben wir bei Europameisterschaften auch nicht, auch wenn wir es schon dreimal geschafft haben, den Titel zu holen“ künden nicht gerade von einem Willen zur Distanz. Lieblingsausruf des jovialen Stammtischbruders: „Schade!“ (ohnehin gerade eine beliebte Formulierung, siehe Spiegel-Titel). Als NDR-Sportchef ist er besser.

Wie umgeht man das Problem, dass es Reporter gibt und dass man sich eigentlich auch nicht mehr über sie aufregen möchte? Martin Krauß hat an einem vor Beginn des Turniers erschienenen Sammelbeitrag für die Jungle World mitgewirkt, in dem er anmerkt, dass „Tonabdrehen“ auch keine Alternative sei, „denn dann ist man den Bildern ausgeliefert. die ja auch lügen“, schließlich zeigen sie nicht das Spiel, sondern „die Inszenierung des Spiels durch die Bildregie. Krauß fragt:

„Geht überhaupt was, wenn man nicht im Stadion sein kann? Ich lese den Ticker auf kicker.de. Da erfahre ich mehr vom Spiel.

[+++] Mehr Sportmediales mit mal direktem, mal indirektem EM-Bezug: Silke Burmester (Spiegel Online) schreibt, die deutsche Mannschaft sei eine nach allen medialen Gesetzen gecastete „Boygroup“ bzw. eine Art „Schlumpfhausen“-Auswahl, „bei der jeder Spieler eine ganz bestimmte Imagefunktion übernimmt“. Der Tagesspiegel  empfiehlt „Liga der Milliardäre“, eine ZDF-Reportage über den Einfluss der Oligarchen auf den ukrainischen Fußball. Und um die Frage „inwieweit sich die Berichterstattung über Sport seit dem Aufkommen von Social Media gewandelt hat, wie sich dadurch die Rollen der einzelnen Akteure (Organisationen, Medienunternehmen, Sportler, Fans) verändert haben“, sowie insbesondere um die Dynamik von Twitter (die sich der eingangs erwähnte taz-Text zunutze macht), ging es kürzlich bei einem internationalen Symposium in Hamburg, über das ich für die Funkkorrespondenz berichte.

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[+++] Im Rahmen unserer wohlwollenden Erwähnungen medialer EM-Alternativangebote (siehe Altpapier vom Freitag) verweisen wir heute gern darauf, dass bald wieder Bloomsday ist, am Samstag nämlich. An diesem Tag strahlt SWR 2 eine 22-stündige, ein „Wechselspiel von Sprache und Musik“ wagende Hörspielfassung des James-Joyce-Hauptwerks „Ulysses“ aus, die Eva-Maria Lenz in der Funkkorrespondenz enthusiastisch lobt:

„Herausragend ist in dem Hörspiel das Ensemble charakteristischer Stimmen. Dietmar Bär aktiviert als Bloom Register, die das Fernsehen ihm nicht abverlangt. Besonders in Gesprächen und inneren Monologen wächst er mit einer Skala von Zwischentönen zu weitherziger Wachheit.“

Beim Lesen bekommt man den Eindruck, dass wir es hier mit einem der bedeutendsten Hörspiel-Großprojekte der letzten Jahre zu tun zu haben. Mindestens:

„Durchweg ist das Hörspiel konkurrenzlos, wenn es, wie hier, seinen direkten Draht zur Mündlichkeit ausspielt. Die aus mündlichen Reminiszenzen von Joyce erwachsenen, raffiniert gestaffelten Unterhaltungen wirken akustisch noch lebendiger als zwischen Buchdeckeln.“

In der Sonntags-FAZ widmete sich Jochen Schmidt gestern ebenfalls der SWR-Produktion - allerdings nicht in Form einer Rezension, vielmehr beschrieb er im Stream-of-Consciousness-Stil die Wirkung, die das Hörspiel beim Joggen auf ihn hat. Der SWR animiert seine Hörer in Sachen „Ulysses“ zum „Private Listening“ in größerer Runde - eine Anspielung auf das in diesen Tagen wieder beliebte Public Viewing, das ja offiziell inzwischen Public Screening heißt. Der Vorschlag, rund um die Nonstop-Ausstrahlung des Hörspiels Public-Listening-Partys zu veranstalten, wäre aber origineller gewesen.

[+++] Für große Medienressort-Themen ist heute auch Platz. Wer gern das Lied „Print ist doch nicht tot“ hört, wird sich über einen Artikel in der SZ (Seite 15) freuen. Mit Bezug auf jenen letztwöchigen Guardian-Artikel mit eben dieser Botschaft (siehe Altpapier) berichtet diese heute darüber, dass es das „Web-Debatten-Magazin“ The European ab Herbst auch als gedrucktes Heft gibt. „Web-Debatten-Magazin“ ist natürlich eine äußerst schmeichelhafte Formulierung, aber wir wollen da mal nicht so sein, wenn es um den Print-Standort Deutschland geht. Im Trend liegt The European auch insofern, als am Freitag ja erst der Spiegel-Verlag angekündigt hat, ab Ende des Jahres eine deutsche Version des wöchentlichen US-Wissensmagazins New Scientist an die Kioske zu bringen.

Sowohl beim Spiegel als auch beim European wird man wohl gern lesen, was The Economist schreibt:

„The threat of the internet has forced magazines to get smarter. (...) Among magazines there is a new sense of optimism. In North America, where the recession bit deepest (...(), more new magazines were launched than closed in 2011 for the second year in a row. The Association of Magazine Media (MPA) reports that magazine audiences are growing faster than those for TV or newspapers, especially among the young.“

[+++] Mit anderen Zukunftsfragen des Journalismus, nämlich Crowdsourcing in Mainstream-Medien, beschäftigt sich Johannes Kuhn in seinem Blog kopfzeiler.org:

„Die meisten deutschen Medienmarken haben zwar in den vergangenen Jahren online Nutzer gesammelt, aber dies noch zur Bedingung der alten Medien. Mangelhaftes Community-Management, Einbahnstraßen-Journalismus ohne Rückkanal oder generell schlechter Service haben dazu geführt, dass man zwar Kunden gewann, nicht aber Sympathisanten. Das skaliert häufig, wenn es um den Abverkauf von Online-Bannern geht, nicht aber, wenn es um die Weiterentwicklung des Journalismus in Richtung Dialog und Prozess geht. Ich glaube, dass es in der nächsten Zeit deshalb für Medienmarken im Netz darum gehen wird, aus Kunden (wieder) Sympathisanten zu machen. Das ist nicht nur für kollaborative Projekte essentiell, sondern für den Fortbestand generell.“


ALTPAPIERKORB

+++  Einen Tag nach Bloomsday jährt sich zum 40. Mal der Tag des Watergate-Einbruchs. Das dürfte in dieser Woche noch häufig Thema sein, einstimmen kann man sich schon mal mit einem Beitrag, den die Enthüller des Skandals - Carl Bernstein und Bob Woodward - für die Washington Post geschrieben haben: „40 years after Watergate, Nixon was far worse than we thought.“

+++ Peter Scholl-Latour, ein Veteran aus einer anderen Liga, sollte als Thema eigentlich „durch“ sein, wie wir Journalisten sagen. Ist über sein Wirken als Talkshow-Rabauke nicht längst alles gesagt? Seinen Auftritt bei „Anne Will“ am vorigen Mittwoch halten aber sowohl Tobias Rüther (Sonntags-FAZ, noch nicht online) als auch Stefan Niggemeier (Spiegel, Seite 75) für erwähnenswert. Rüther, der für einen anderen, Scholl-Latour kaum nachstehenden Talkshow-Rabauken, kürzlich recht milde Worte fand, hängt sich vor allem an folgender Formulierung auf: „Um eine Revolution zu machen, muss man Schläger haben und Ganoven“ - und nicht Freunde bei Facebook. Die Äußerung mag als Analyse der Rolle sozialer Medien bei politischen Protesten etwas kurz gegriffen sein, im Kern ist es aber das Vernünftigste, was Scholl-Latour in den letzten Jahren von sich gegeben hat.

+++ Die taz bemängelt, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen die Anliegen behinderter Menschen unzureichend berücksichtigen. „Seit Jahren fordern hörbehinderte Menschen einblendbare Gebärdensprache bei den Nachrichtensendungen von ARD und ZDF. Vergebens!" zitiert das Blatt eine Aktivistin. In Großbritannien und den USA sei dies „längst Standard“.

+++ Anlässlich der Ankündigung von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, kurzfristig einen Gesetzesentwurf zum Leistungschutzblechrecht vorzulegen (siehe Altpapier) präsentiert Mario Sixtus im Tagesspiegel noch einmal das nicht falsche, aber jetzt auch furchtbar originelle Argument vor, dass es doch absurd sei, dass die Verleger von Google Geld sehen wollen, obwohl die Suchmaschine „jede Menge Leser auf ihre Webseiten“ spüle.

+++ Das Hamburger Abendblatt berichtet über die Konstituierung des Journalistinnen-Vereins Pro Quote Medien: „Es ist eine Pressekonferenz der etwas anderen Art: Um einen reich gedeckten Frühstückstisch in einer Altbauwohnung im Grindelviertel haben sich neun Frauen versammelt. (...) Bei Kaffee und Croissants erläutert die Vorsitzende, Spiegel-Redakteurin Annette Bruhns, dass das Ziel des neuen Vereins erstaunlicherweise dessen Auflösung ist: ‚Wir sind der effizienteste Verein der Republik‘, sagt sie, ‚weil wir uns schon in fünf Jahren obsolet machen.‘“ Dann soll das Ziel, dass 30 Prozent der Führungspositionen in hiesigen Redaktionen mit Frauen besetzt sind, erreicht sein.

+++ Dass der italienische Premierminister Mario Monti „beim Staatsfernsehen aufräumt“, schreibt die FTD. Konkret heißt das: Er hat für das Amt der RAI-Präsidentin die Notenbankerin Anna Maria Tarantola nominiert. „Ein Schuss gegen die etablierten Parteien“ sei das, Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi beispielsweise soll not amused sein.

Neues Altpapier gibt es wieder am Dienstag.