Deutschlands lustigste Impressen

Deutschlands lustigste Impressen

Das neue ARD-Nachrichtenprodukt „TagesWebschau“ kommt nicht so gut an. Recht beliebt sind dagegen mal wieder Spekulationen zur mittelfristigen Zukunft der Frankfurter Rundschau. Außerdem: der Zusammenhang zwischen Arbeitskampf und Urheberrecht. Und ein Tennis-Fanzine.

Am Montagnachmittag startete eine neue „Tagesschau“, ausgerichtet auf jüngere, sehr web-affine Zielgruppen. „TagesWebschau“ heißt das Ding, das drei Minuten lang ist. Man kann also beinahe von einem Langformat sprechen, verglichen jedenfalls mit der „Tagesschau in 100 Sekunden“, also jener Sendung, die es bei dem seit kurzem tagesschau24 heißenden ARD-Infokanal schon länger gibt und die auf dessen Website über der neuen „Webschau“ platziert ist. Und wie war nun die erste Ausgabe der Sendung, für die der HR, Radio Bremen und die Redaktion von „ARD aktuell“ zuständig sind?

„Die drei Beiträge (...) sind (...) wenig erhellend: Die Facebook-Abstimmung ist eigentlich gar keine richtige Abstimmung, denn da vermutlich nicht genügend Nutzer mitmachen, ist das Ergebnis für Facebook ohnehin nicht bindend. Auch der Vorbericht auf die Computerspielmesse E3 liefert wenig Neues. (...) Warum das Musikalbum des Londoner Occupy-Labels in der Sendung aufgegriffen wird, erschließt sich ebenfalls nicht. Ein paar Google-Earth-Spielereien und zwei Kommentare von Interviewpartnern, dann sind die drei Minuten vorbei“,

schreibt Anne Burgmer im Kölner Stadt-Anzeiger.

„Die RTL2-News hätten es nicht besser hingekriegt“,

ätzt Ekkehard Kern im Hamburger Abendblatt. Die Rundshow des BR sei „innovativer“, meint er. Alexander Becker (Meedia) ist ebenfalls gelangweilt von der Sendung, dessen

„Kernteam in der sogenannten digitalen Garage von Radio Bremen (sitzt), wo vor allem ehemalige Volontäre des Senders an dem Projekt arbeiten“.

Er preist aber wenigstens „den Player, in dem das neue Format abgespielt wird“.

Katharina Miklis (stern.de) fragt sich in einem Text, der bereits vor der ersten Sendung entstand,

„ob die Netzgemeinde sich tatsächlich von den Ex-Volontären in verspielter Aufmachung die Welt erklären lässt“.

Soll damit möglicherweise etwas Negatives über die Fähigkeiten öffentlich-rechtlicher Ex-Volontäre zum Ausdruck gebracht werden?

[+++] Die wichtigste Printpersonalie des Montags - Arnd Festerling löst Uwe Vorkötter an der Spitze der Frankfurter Rundschau ab (siehe Altpapierkorb) - wirkt heute noch nach, sie befeuert Spekulationen über die Zukunft des in der Mediengruppe DuMont Schauberg (MDS) erscheinenden Blatts:

„Immer wieder wird spekuliert, dass MDS die FR abstoßen will. Nun könnte auf Festerling die Aufgabe zukommen, die Zeitung für einen Verkauf aufzuhübschen“,

meint Sonja Pohlmann im Tagesspiegel. Katharina Riehl rückt in der SZ eher die SPD-Beteiligungsgesellschaft DDVG, die 40 Prozent an der FR hält, in den Blickpunkt:

„SPD-Schatzmeisterin Barbara Hendricks hatte im März in einem Interview erklärt, der Ausstieg aus der FR sei nicht ihr Ziel. Aus dem Verlag hört man, dass das immer wiederdiskutierte Aus der Zeitung bis 2013 unwahrscheinlich sei, weil die SPD im Wahljahr kaum aussteigen werde.“

Falls FR-Redakteure ein bisschen Trost brauchen, hilft ihnen vielleicht die Guardian-Headline „Wer sagt, dass Print tot ist?“. Der dazugehörige Text bezieht sich allerdings nicht auf Zeitungen, sondern auf unabhängige Nischenzeitschriften wie diese hier mit dem hübschen Untertitel „The Slow Journalism Magazine“. Eine „Mini-Renaissance“ hat der Guardian ausgemacht, und als Beleg wird auch eine Zeitschrift angeführt, die Google, ein nicht so nischiger Laden, seit mehr als einem Jahr herausbringt.

Irgendwie verheißungsvoll klingt für Holzmedienfans auch der Beitrag, den Richard Llewelyn Evans für die Website der britischen Sports Journalists‘ Association verfasst hat. Er erzählt die Geschichte seines eigenen, in Januar erstmals erschienenen Tennis-Fanzines. Fanzines - dies nur für den Fall, dass ein paar potenzielle Gucker der „TagesWebschau“ hier mitlesen - erfüllten in prä-digitalen Zeiten ähnliche Funktionen wie heute Blogs, und Tennis-Fanzines gab es meines Wissens vorher nicht.

[+++] Die Nachbereitungen der Netzwerk-Recherche-Tagung (siehe Altpapier) gehen weiter. Felix Dachsel widmet sich in der taz noch einmal der Frage, warum die „Edelrechercheure“ einen Fuzzi von der Schweizer SVP eingeladen haben, der „hart an der Grenze zum Extremismus segelt“. Der fast extremistische Schweizer hatte bei der Veranstaltung dem FC-Bayern-Funktionär Ulrich Hoeneß allerlei gern aufgegriffene Anti-Fifa-Äußerungen entlockt.

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Einen anderen Aspekt der Tagung, der am Montag im hier verlinkten taz-Artikel schon vorkam, greift Telepolis auf, und zwar die Reaktionen, die

„der Piraten-Politiker Bruno Kramm erntete (...), als er den Zugriff auf Inhalte wie die US-Serie ‚Game of Thrones‘ als ein ‚Recht dieser Gesellschaft‘ bezeichnete. Das lasse sich aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ableiten“.

Da passt es doch ganz gut, dass die laut Deutschlandradio Kultur „wortgewaltige“ und „großartige“ Bloggerin Laurie Penny für The New Statesman was Fetziges rausgehauen hat zur uns menschenrechtlich zustehenden Fantasy-Serie, deren zweite Staffel kürzlich bei Sky gestartet ist:

„As well as being mightily entertaining, ‚Game of Thrones‘ is racist rape-culture Disneyland with Dragons. To say that this series is problematic in its handling of race and gender is a little like saying that Mitt Romney is rich: technically accurate, but an understatement so profound that it obscures more than it reveals.“

[+++] Der Aufruf „Wir sind die Urheber“ gibt weiterhin Debattenstoff her, und der gegen die Aufrufer gerichtete Text von Juli Zeh und Ilja Trojanow, der nun bei faz.net zu lesen ist, macht wieder einmal (siehe auch Altpapier) deutlich, dass es solche und solche „Verwerter“ gibt:

„ (...) Verwunderlich ist die Aussage des Aufrufs, zwischen ‚Verwertern‘ und ‚Urhebern‘ bestehe kein Konfliktpotenzial, sondern man ziehe gemeinsam gegen - ja, wen? - zu Felde. Der klassische Interessengegensatz ‚Autor-Verlag‘ wird auf die Beziehung ‚Autor-Leser‘ verlagert. In der Logik des Arbeitskampfs wäre das so, als wollte ein Fließbandarbeiter bei Opel sein Recht auf Bezahlung gegen die Autokäufer verteidigen.“

Zwar seien „schöngeistige Schriftsteller“ in einer vorteilhaften Position,

„weil Literaturverlage eher idealistisch als gewinnmaximierend eingestellt sind und ihre Autoren in der Regel nicht ausbeuten, sondern angemessen beteiligen“.

Wer in „anderen Schreibberufen“ zugange ist, hat es dagegen mit nicht so idealistischen Managern zu tun:

„(...) Zeitungskonzerne nehmen freiberuflichen Journalisten mithilfe von Buyout-Verträgen ihren ‚Content‘ ab, um diesen (im Internet!) in alle Himmelsrichtungen zu verkaufen, ohne den Urheber am Erlös zu beteiligen. Als Argument für diese sittenwidrigen Praktiken geben sie an, das Internet zwinge sie, zum Content-Verkäufer zu werden, weil sich ja mit Zeitungen nichts mehr verdienen ließe.“


ALTPAPIERKORB

+++ Den unterhaltsamste Artikel des Tages steht auf der FAZ-Medienseite, was wir wiederum dem Umstand verdanken, dass Lorenz Jäger die arte-Doku „Endstation Fortschritt“ für misslungen hält: „Der Film zerfällt in seine verschiedenen Schauplätze (unter anderem zeigt er chinesische Neureiche), deren Zusammenhang nur noch durch lockere Kommentare von Margaret Atwood und der Primatologin Jane Goodall versichert wird. Man bietet dem Zuschauer eine Theorie von irgendwie allem, was derzeit schiefläuft, die Botschaft am Ende lautet, dass ‚alles von diesem Materialismus‘ herstammt. Die Filmbilder teilen sich meist in Zeitrafferaufnahmen von nächtlichem Mega-Großstadt-Verkehr (wenn von New York die Rede ist, naturgemäß am Times Square), Atombombenexplosionen – und in Zeitlupenaufnahmen von allerlei Tieren.“

+++ Von „Ansprechpartner“ bis „Vorfeld“ - Deniz Yücel präsentiert in der taz die von Eckhard Henscheids „Dummdeutsch“-Definition inspirierten „Top Ten des Zeitungsdummdeutschen“. Womit wir beim zweitunterhaltsamsten Artikel des Tages wären.

+++ Eine durchaus unterhaltsame Passage findet sich auch in einem Text des Medienmagazins journalist, der aus dem sehr unschönen Anlass entstanden ist, dass „mehr als 20 freie Autoren“ der Druckerzeugnisse Landspiegel und Gewusst wie! „zum Teil seit Jahren auf ihr Honorar warten“. Autor Thomas Krause erwähnt die nicht unoriginelle Impressumsgestaltung der beiden Blätter: „In den Magazinen tauchen immer wieder zwei Namen auf: Ralph Bloemer und Horst Heiko Heinrich Weising. Ungewöhnlich sind nicht nur die drei Vornamen von Weising, sondern auch die Art, wie die Namen bunt gemixt in den Impressen der Titel Gewusst wie! und Landspiegel auftauchten. Im Impressum der Mai/Juni-Ausgabe 2010 von Gewusst wie! fungiert Weising als ‚Advertising Director‘ (...). In der September/Oktober-Ausgabe 2010 ist Ralph Blömer (hier mit ‚ö‘ statt mit ‚oe‘) ‚Advertising Director‘, Weising taucht nicht im Impressum auf. Stattdessen ist Weising im Impressum der Landspiegel-Ausgabe 1/2011 gleich mit jedem seiner drei Vornamen vertreten: als Herausgeber Horst Weising, in der Art-Direktion als Heiko Weising und unter Redaktion als Heinrich Weising – eine Art Triumvirat in Personalunion. In der Ausgabe 6/2011 ist Weising nur Herausgeber (...) Eine Ausgabe später ist Horst Weising Herausgeber, Heiko Weising arbeitet in der Art-Direktion sowie als Redakteur und Fotograf. Auch in der aktuellen Ausgabe ist Horst Weising Herausgeber und Heiko Weising Redakteur.“

+++ Gar nicht unterhaltsam ist dagegen das Alternativ-Programm zur Fußball-EM, das Sat 1, RTL und Co. zu bieten haben. Markus Ehrenberg hat es für den Tagesspiegel skizziert.

+++ Apropos Fußball: Jochen Hieber (FAZ) findet es merkwürdig ist, dass eine 2009 endende und Anfang Januar 2011 im Kino gelaufene Doku über den Verein TSG (aka 1899) Hoffenheim erst jetzt bzw. in der vergangenen Nacht im ZDF gesendet wurde (siehe Altpapierkorb vom Montag): „In den vergangenen drei Jahren war in Hoffenheim oft der Teufel los. Darüber im ZDF: nichts. Was wieder einmal daran liegt, dass die Zuschauer mit ihren Gebühren solche Filme zwar hauptsächlich finanzieren, sie aber erst zu sehen bekommen, wenn alle anderen Verwertungsmöglichkeiten erschöpft sind. Mogelpackung darf man so etwas nennen.“ Rein theoretisch könnte der Film im Frühjahr 2013 noch den Grimme-Preis bekommen, weil er 2012 im Fernsehen gelaufen ist.  

+++ Manchmal ist aber auch der umgekehrte Weg, also vom Fernsehen ins Kino, möglich, wie „Deutschland von oben“ beweist. Der an diesem Donnerstag im Kino startende Film basiert auf Dokus der „Terra-X“-Reihe, die 2010 und 2011 im ZDF gelaufen waren. Claudia Tieschky stellt den „modernen Heimatfilm“ auf der SZ-Medienseite vor.

+++ Warum investiert der Milliardär Warren Buffett in Tageszeitungen? Das erzählt er nun The Daily Beast (siehe auch dieses und dieses Altpapier)

+++ Mehr Medienwirtschaft: Springer und Ringier kaufen Onet.pl, das mutmaßlich führende Online-Portal im EM-Austragungsland (Meedia, horizont.net).

+++ Warum Jakob Augstein meinte, in seiner Spiegel-Online-Kolumne „Im Zweifel links“ deutsche U-Boote für Israel und die Schlecker-Pleite in einen, nun ja, Zusammenhang bringen zu müssen, dürfte sich nur gewieften Augstein-Exegeten erschließen: „Die Regeln der guten Haushaltspolitik und der marktwirtschaftlichen Ordnung, auf die sich die Merkel-Regierung gerne beruft, sind außer Kraft gesetzt. Pech für die Schlecker-Frauen: Mit Putzmitteln und Körperpflegeprodukten lässt sich kein Krieg führen. Würde der Staat Israel für die Durchsetzung seiner machtpolitischen Interessen auf Zahnpastatuben setzen und nicht auf Atomraketen, die berufliche Zukunft von rund 13.000 Drogistinnen wäre sicher.“

+++ Ebenfalls einen recht weiten Bogen (aber auf souveräne Art) schlägt Evgeny Morozov in seiner FAZ-Kolumne „Silikon Demokratie“, in der er sich mit „einem überaus provokativen Artikel“ Adam Liffs für das Journal of Strategic Studies beschäftigt: „Man kann sagen, dass telexlogische Erklärungen von technologischem Wandel selten brauchbare analytische Erkenntnisse liefern. (...) Teleologische Denkmuster sind aber noch immer weit verbreitet. So, wie gern angenommen wird, dass Cyberkriege prinzipiell schlecht für die internationale Sicherheit und den Weltfrieden sind, so populär ist die These, dass soziale Medien prinzipiell schlecht für Diktatoren sind und Internetfilter prinzipiell schlecht sind, weil sie Zufallsfunde und öffentliche Diskussionen verhindern. Die reale Welt ist nicht so simpel und eindeutig. Sie (...) bewirkt, dass Technologien Rollen und Funktionen übernehmen, mit denen niemand gerechnet hat.“

Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.