Zeitungen verkaufen solange es noch geht?

Zeitungen verkaufen solange es noch geht?

Georg von Holtzbrincks Exit aus dem Geschäft mit bedrucktem (Zeitungs-) Papier. Was Piels Wiederwahl für die ARD-Talkshows bedeuten könnte. Assanges Auslieferung schon wieder retardiert. Und der "Spiegel" schreibt hinterher...

Die spektakulärste Medien-News des gestrigen Tages stand in einer Zeitung, die hier im Altpapier nur sehr selten (z.B. im Juni '08) gewürdigt wurde: der Saarbrücker.

Dort im großen (überregional zuerst vom im Südwestdeutschen verankerten Medenportal kress.de entdeckten) Interview sagte Georg von Holtzbrinck, der Medienmanager mit dem stahlharten Blick (Foto - hier im Altpapier können derzeit leider keine Fotos eingespielt werden), gleich am Anfang, dass die Saarbrücker Zeitung Verlag und Druckerei GmbH "eine der solidesten Zeitungsgruppen in Deutschland" sei. "Nicht nur die Ergebnisse der Gegenwart, sondern auch die Investitionen in die Zukunft" würden "stimmen".

Leider machte er diese Äußerung in einem Kontext, der ihre Glaubwürdigkeit ein wenig unterminiert. Denn vor allem sollte das Interview, das Chefredakteur Peter Stefan Herbst mit von Holtzbrinck sowie zwei weiteren Herren führte, den Lesern und überhaupt der Medienwelt mitteilen, dass sich die Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck von der Saarbrücker Zeitung "trennt". So formuliert es heute in gebotener Nüchternheit der Berliner Tagesspiegel, der in Dieter von Holtzbrincks DvH Medien GmbH erscheint, von dem Georg sich also schon länger getrennt hatte.

Gleich zwei Aspekte an diesem Regionalzeitungsgeschäft sind ziemlich bemerkenswert: Erstens die Radikalität, mit der der eine Holtzbrinck-Bruder im Zuge der Konzentration "auf weniger Standbeine" "im globalen Wettbewerb" (so sagt er im Interview) Tageszeitungen abstößt. Damit befasst sich etwa wuv.de, und meedia.de meint:

"Mit dem Verkauf des Verlags der 'Saarbrücker Zeitung' befreit sich Stefan von Holtzbrinck endgültig vom ungeliebten Zeitungsgeschäft. Absehbar war das schon lange – und vermutlich hat der Verleger sich noch einen halbwegs passablen Zeitpunkt für den Ausstieg ausgesucht".

Und meint das auch deshalb, weil es zum grundsätzlichen Niedergang gedruckter Medienerzeugnisse gerade eine besonders imposante Statistik ("eine Milliarde weniger verkaufte Zeitungen und Zeitschriften in nur acht Jahren...") errechnet hatte. "Die Bevölkerung in Deutschland ist also immer seltener bereit, sich eine Zeitung oder eine Zeitschrift zu kaufen", bilanziert Jens Schröder. Da mag es natürlich clever von Georg von Holtzbrinck sein, eine Zeitungsgruppe zu verkaufen, solange es noch geht.

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Das führt zum anderen bemerkenswerten Aspekt dieses Regionalzeitungsgeschäfts: dem Käufer. Einstweilen handelt es sich um die GSB Saar alias "Gesellschaft für staatsbürgerliche Bildung Saar". Solch ein Name muss natürlich jene Medienbeobachter alarmieren, die sich besonders um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kümmern und daher den Begriff der Staatsferne hochschätzen. Den ausführlichsten Artikel dazu gibt es nicht in der TAZ, aber bei taz.de.

"Trotz Rechtsform als GmbH ist die GSB kein ganz normales Unternehmen - sie gehört nämlich drei parteinahen Stiftungen: Gesellschafter der GSB sind die Union Stiftung (40 Prozent, CDU-nah), die Demokratische Gesellschaft Saarland e.V. (40 Prozent, SPD-nah) und die Villa Lessing – Liberale Stiftung Saar e.V. (20 Prozent, FDP-nah)",

informiert Steffen Grimberg. Wer sich direkt bei der GBS bzw. der damit institutionell verbundenen Stiftung Demokratie Saarland informieren möchte, wie diese anno 1969 entstand, kann das hier tun. Stellvertretender Vorsitzender des Stiftungsrats der Demokratischen Gesellschaft Saarland ist überdies gar Thomas Kleist - bekannt oder zumindest potenziell bekannt als Intendant des öffentlich-rechtlichen Saarländischen Rundfunks. Da es sich bei der SZ von der Saar um "die einzige Regionalzeitung im ganzen Saarland" handelt, eine merkwürdige Konstruktion.

"'Das ist eine Parteilösung, die nicht gerade zur Unabhängigkeit einer Zeitung beiträgt', sagt Grünen-Landeschef Hubert Ulrich" mit saarländischer Gelassenheit im eher knappen Text der großen SZ aus München. Von Dauer soll diese Lösung allerdings nicht sein. Die beiden übrigen Teilnehmer des oben verlinkten SZ-Interviews, die beide von der GBS kommen, "Professor Rudolf Warnking und Minister a.D. Friedel Läpple" (SPD), rufen darin sozusagen ein Investoren-Casting aus:

"Wir streben an, nach dem Ausscheiden der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck einen neuen Gesellschafter zu finden, der die Rolle der Verlagsgruppe übernehmen kann."

Kurz darauf versichert sich der interviewende Chefredakteur:

"Sie schließen also reine Finanzinvestoren, die häufig als 'Heuschrecken' verschrien sind, aus?"

und bekommt ein kräftiges "Definitiv!" zur Antwort. Ob ihm zum Beispiel zum Beispiel ein Alfred Neven DuMont recht wäre, der mit Zentralisierung sein Glück versucht und den die SPD nach einer ansatzweise vergleichbaren Übergangslösung für die Frankfurter Rundschau zu begeistern vermochte? Unklar.

Auf noch einen Aspekt macht im taz.de-Text der altbekannte Zeitungsexperte Horst Röper aufmerksam: "Für eine saarländische Lösung hätten doch die Unternehmensteile im Saarland gereicht, jetzt werden auch Beteiligungen in Brandenburg, der Pfalz und Luxemburg gekauft", sagt er mit Recht, denn zur saarländischen Zeitungsgruppe gehört nicht nur das namengebende Blatt (FAZ-Wirtschaftsressort, S. 17: "Zur Gruppe gehört neben der 'Saarbrücker Zeitung', dem 'Trierischen Volksfreund', der 'Lausitzer Rundschau' und dem 'Pfälzer Merkur' auch der Übersetzungsdienst 'Eurocsript', der alleine gut 100 Millionen Euro im Jahr umsetzt").

Was steht in der Lausitzer Rundschau über den den Lausitzern sicherlich schwerer zu vermittelnden Deal? Online bislang jedenfalls nichts.

[+++] Damit dorthin, wo die Staatsferne zuhause ist und gedeiht, zumindest wenn es nach den Satzungen geht: in die unmittelbaren öffentlich-rechtlichen Anstalten. WDR-Intendantin Monika Piel bleibt bis Ende März 2019 im Amt. Sie wurde gestern erwartungsgemäß (siehe Altpapier) wiedergewählt, "mit großer Mehrheit" (WDR), die im Verlauf des späteren Tages dann auch bekanntgegeben wurde und so ungeheuer groß nicht ist:

"Der Rundfunkrat sprach sich mit 34 Ja-Stimmen bei sieben Nein-Stimmen und zwei Enthaltungen für eine zweite Amtszeit der 61-Jährigen aus. Bei ihrer ersten Wahl hatte es nur zwei Nein-Stimmen gegeben",

informiert der DuMont'sche Stadtanzeiger aus Köln.

Auch die bekanntlich sehr umstrittenen Radioreformpläne wurden von demselben Gremium gebilligt ("WDR-Rundfunkrat: Chancen für WDR 3 verbessert"). Die SZ, wiederum die große aus München, immerhin liest aus der reibungslosen Zustimmung des Rates zur Intendantin eine positiv stimmende Botschaft heraus: Piel müsse sich nun "der Forderung ihres Rundfunkrats nach weniger Talk verpflichtet fühlen" und mit dem (aber auch gegen den) in der ARD ähnlich mächtigen NDR-Intendanten Lutz Marmor, der ihr Nachfolger als ARD-Vorsitzender werden wird, dafür sorgen, dass eine der fünf ARD-Talkshows "künftig gestrichen wird".


Altpapierkorb

+++ Topthema Julian Assange bzw. seine nach 540 Tagen in britischem Hausarrest beschlossene und dann doch wieder retardierte Auslieferung nach Schweden. Süddeutsche.de betonte gestern zunächst das Drama und war sich sehr sicher, dass zumindest Wikileaks "den Zenit überschritten" habe. Auch die gedruckte Zeitung betont das Drama, und zwar, wie Anwältin Dinah Rose mit der Anfechtung der Abschiebung "ein Novum in der britischen Rechtsgeschichte" gelang (online bei jetzt.de). +++ Präzisere Details zu den entscheidenden Rechtsbegriffen "judicial authority" und "autorité judiciaire" hat Ralf Sotscheck in der TAZ, der daneben (online: unten drunter) auch bezweifelt, dass die USA so wenig Interesse an einer Weiterauslieferung Assanges hätten wie die Süddeutsche zu meinen scheint. +++

+++ Topthema Der Spiegel (siehe Altpapier gestern), Topthema Printmedienkrise: Der Tagesspiegel befasst sich nun auch mit der Lage beim Montagsmagazin: "Die politischen Titel, eigentlich das Steckenpferd des 'Spiegel', wirken oft hinterhergeschrieben. Die Piraten-Partei kam beispielsweise erst aufs Titelblatt, als sie in vielen Medien längst Thema war", schreibt Sonja Pohlmann. +++ Berlins Polizei "wirft ... 'Spiegel Online' eine Art Todsünde des Journalismus vor"? Das steht weiter vorn im Tagesspiegel: "Doch 'Spiegel Online' wehrt sich. 'Wir glauben nicht, dass wir etwas verraten haben', sagt Chefredakteur Rüdiger Ditz..." +++

+++ Der Tsp. ist den Piraten immer auf den Fersen. Als Christopher Lauers Urheberrechts-Kommentar gestern mittag online gestellt wurde, enthielt er so gut wie keine Kommas. Inzwischen steht der Text auch in der Papierzeitung und enthält eher zuviele Kommas ("Die Debatte war doch schon an einem Punkt, wo wir uns eigentlich einig waren, dass es sinnvoller ist, miteinander zu reden, als das Internet mit Brötchen zu vergleichen...."). +++ Die FAZ schweigt selbstredend auch heute nicht zum Thema (Urheberrecht, nicht Kommas), sondern lässt Thomas Hettche kommentieren ("Die Debatte zum Urheberrecht reduziert das Buch zur Ware. Dabei ist es so viel mehr, das wir verteidigen sollten"). +++

+++ Auch das relativ breaking: Andy Coulson, einst Kommunikationschef des Ex-Premierministers David Cameron, verhaftet (SZ; Kontext: Murdoch). +++ Interessanter Aufmacher der SZ-Medienseite: Wie die ewig schon erwartete "interaktive Erweiterung des Fernsehprogramms" "nicht auf dem großen Bildschirm..., sondern auf dem 'second screen', dem der Smartphones und iPads" stattfindet, und wie HBO Connect, Apps als Werbespot-Extensions sowie etwas, "das so ähnlich funktioniert wie ein Vielfliegerprogramm für Couchpotatoes", sich das zunutze machen wollen, berichtet Jörg Häntzschel aus den USA. +++

+++ Die TAZ berichtet dann noch von Zeitungsstreik in Oldenburg. +++ Und talkte mit "Germanys First Topmodel", der einst auch als "deutsche Audrey Hepburn" gerühmten Rita Jaeger, über "Germanys Next Topmodel". +++

+++ "Vorbildlich!", wie RTL "die einstündige Undercover-Reportage anschließend noch mit einer Diskussion bei stern tv" "vertiefte", lobt Torsten Wahl (BLZ) Günter Wallraffs RTL/ Zeit-Magazin-Joint Venture gestern. Und stellt es in Zusammenhang damit, wie Günther Jauch in der ARD Wallraff "jüngst sogar brüskiert" hatte. +++ Hier die TV-Kritik bei sueddeutsche.de. +++

+++ In der FAZ (S. 35) schreibt Michael Hanfeld zu 20 Jahren Arte: "Gerade als Faktor der politischen Öffentlichkeit ist Arte leider eine Leerstelle geblieben. Gibt es im deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu viele Talkshows, in denen jedes Thema bis zum endgültigen Überdruss zerredet wird, hat Arte nicht eine einzige Plattform für den Meinungsstreit, die hier wie dort", also in Deutschland und Frankreich, "wahrgenommen würde...". +++ Außerdem lobt Heike Hupertz unter der tollen Überschrift "Da wird einem ganz kalt ums Herz" Ina Weisses Film "Der Architekt", ohne ihre Verwunderung zu verhehlen, dass das nun als "Filmdebüt im Ersten" gesendete Werk schon 2009 diverse Filmpreise gewann. +++

+++ "Für meine Generation der sechziger Jahrgänge ist Das Erste das Fernsehen", schreibt dann noch Fernsehkritikerin Klaudia Wick aus der "Perspektive ...des Zuschauerprofis" zur allgemeinen Fernseh-Sinnfrage bei vocer.org. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.