Top-Eklat beim Nannen-Bambi

Top-Eklat beim Nannen-Bambi

Verquaste Helden und untragbare Schuhe, interessanter Salat und genervtes Stöhnen: Der Henri-Nannen-Preis aus Hamburg bleibt der Oscar unter den zahllosen deutschen Journalistenpreisen.

Am Freitagmorgen ist hier im Altpapier ja schon Spannung geweckt worden auf die Frage, wer mit den neuen Nannen-Bambis prämiert werden würde. Was dann am Freitagabend aber im Deutschen Schauspielhaus am Heidi-Kabel-Platz in Hamburg geschah, im Rahmen einer Zeremonie, deren fulminante Oscar-Würdigkeit die Fotoreportage auf henri-nannen-preis.de nannenpreiswürdig einfängt, war noch größeres Theater als kühnste Träumer zu hoffen gewagt hätten.

Selbst unter Berücksichtigung der im Vorjahr (als René Pfister, Horst Seehofers Modelleisenbahn wegen, der eben zuerteilte Preis wieder abgenommen worden war) hochgelegten Meßlatte.

Bzw., um exemplarisch den Evangelischen Pressedienst, den Internetauftritt einer privatwirtschaftlichen Qualitätszeitung, denjenigen einer öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendung, einen der betroffenen Springer-Presse sowie ein unabhängiges Onlineportal zu zitieren: "Eklat", "Eklat", "Eklat", "Eklat", "Eklat".

Was die nüchternen Fakten betrifft, bleiben wir bei dwdl.de, das bekanntlich sine ira et studio zu berichten versteht:

"Weil sich die Jury in der Kategorie 'Beste investigative Recherche' nicht auf einen Gewinner einigen konnte, sollten sowohl Journalisten der 'Süddeutschen Zeitung' als auch Journalisten der 'Bild'-Zeitung ausgezeichnet werden - doch die 'SZ'-Rechercheure nahmen den Preis nicht an. Hans Leyendecker lehnte die Auszeichnung stellvertretend ab. Zwar bedankten sich Leyendecker und die mit ihm ausgezeichneten 'SZ'-Kollegen Klaus Ott und Nicolas Richter für die Nominierung, doch den Preis selbst wollten sie nicht. 'Wir möchten nicht gemeinsam mit der 'Bild' ausgezeichnet werden', sagte Leyendecker und sprach in diesem Zusammenhang von einem 'Kulturbruch'."

So weit der nachrichtliche Teil. Wer, wenn nicht Journalisten, die bei Journalistenpreisveranstaltungen zugegen sind, würde solches Geschehen aber auch bewertend einordnen wollen?

Zunächst ein Blick in die Süddeutsche selbst. Auf der Medienseite 15 (nicht frei online) gibt Jens Schneider heute sowohl den offiziellen Erklärungen der Jury im Vorfeld der im vorherigen Vorfeld ja schon gespannt befürchteten bzw. erwarteten Prämierung der Bild-Zeitung Raum ("Focus-Herausgeber Helmut Markwort erklärte für die Jury, das Medium, in dem eine Arbeit erschienen ist, könne kein Ausschlusskriterium sein. Also sollte die Geschichte über den 'Fall von größtmöglicher Fallhöhe' ausgezeichnet werden" - wer viel Zeit hat, kann auf der Nannenpreis-Seite selbst den Jury-Entscheidungsverlauf nachzuvollziehen versuchen). Aber auch den später folgenden, eher inoffiziellen Aussagen derselben Jury ("Markwort warf Leyendecker Hochmut vor, nannte den Schritt 'oberpeinlich und unsportlich'").

Natürlich kommt auch der Investigativ-Starjournalist aus dem eigenen Haus zu Wort:

"'Das ist eine gesellschaftliche Aufwertung der Bild-Zeitung, die sich mit unserem Erlebnis von Bild nicht verträgt', sagt Leyendecker. Bild sei kein Blatt wie jedes andere. 'Es ist eine Zeitung, die oft Menschen bedrängt, die Menschen verfolgt und bösartige Kampagnen macht.' Manche Leute glaubten, 'dass Bild nicht mehr so ist wie früher und cool geworden sei. Aber das ist nicht so'."

Im Laufe des glamourösen Abends soll Leyendecker sich auch zupackender geäußert und die Bild-Zeitung "ein Drecksblatt" genannt haben. Das berichtete gestern die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung im insgesamt aufregendsten Artikel über den Aufreger. Auch der ist nicht frei, aber unter dem Titel "Kulturbruch mit Octopus-Salat" hier unfrei online zu haben. In beinahe rasender Wut und dennoch gelassen zog Antonia Baum über die "dreistündige Selbstbefriedigungsorgie" her und gab dabei, wie es Menschen, die das FAS-Feuilleton schätzen, am FAS-Feuilleton schätzen, in der ersten Spalte zunächst einer umfassende Stilkritik Vorrang. (Nur zum Beispiel: an den "untragbaren Schuhen", die "Gattinnen von Gruner+Jahr-Anzeigenkunden" trugen, welche - also die Anzeigenkunden - dennoch "nicht mal den Anstand besaßen", als "Gehhilfe" jener Gattinnen zu fungieren). Erst in der dritten Spalte kam kurz Leyendecker zu Wort.

Sonja Pohlmann vom Tagesspiegel (Sonntagsausgabe) war's, der gegenüber er das äußerte, "ein Drecksblatt und ein Lügenblatt", habe er sogar gesagt, "es verfolge und bedränge Menschen". Wie man das vom Tagesspiegel gewohnt ist, geht es ansonsten betont neutral zu, inklusive eines abgewogenen Exklusivzitats des Herausgebers, Jurymitglieds und multiplen Journalistenpreisträgers Giovanni di Lorenzo. Aber das Foto, das die ungeheuer glamouröse Moderatorin Judith Rakers von vorn und die in Smoking und mit Fliegen, aber ohne Preis abziehenden Süddeutsche-Journalisten schräg von hinten zeigt, das erzählt eine Geschichte.

Was meint heute Michael Hanfeld, der Medienseitenchef der Werktags-FAZ und bekanntlich keiner der scharfen Springer-Kritiker, dazu?

Nichts, montags besteht die FAZ-Medienseite ja nur aus einer Fernsehkritik inmitten der Fernsehseite. Im Rahmen einer 21-zeiligen Meldung, die vor allem darauf hinweist, dass auch ein FAZ/ FAS-Journalist wieder einen Nannenpreis bekam, steht die Info "Ein Team der 'Süddeutschen Zeitung', das sich die Auszeichnung für seine investigative Recherche mit Redakteuren der 'Bild' teilen sollte, lehnte den Preis ab".

Wie steht es mit der TAZ, dieser weiteren Hochburg der Meinungsfreude? Gleich auf der Titelseite teasert sie zwei Artikel an ("Eklat"!). Doch Medienredakteur Felix Dachsels Augenzeugenbericht scheint im Dilemma zu stecken, dass seine Chefredakteurin Ines Pohl mit in der bewussten Jury saß. Er übt an der Preis-Entscheidung nur indirekt Kritik ("Ein fauler Kompromiss nach Meinung vieler Beobachter") und lobt das "vorzügliche Essen". War's das?

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Mitnichten. Dachsel trennt vorbildlich Nachricht und Kommentar und kommentiert auf der Meinungsseite:

"Drei Helden hatte der Abend. Jene Redakteure der Süddeutschen Zeitung, die eine Auszeichnung in der Kategorie 'Investigation' ablehnten - aus Protest gegen die Bild. Sie haben bewiesen, was vielen Journalisten im Umgang mit Deutschlands größtem Boulevardblatt fehlt: Courage. Ganz besonders mangelte es daran der Jury des Henri-Nannen-Preises, des ehemals wichtigsten Journalistenpreises des Landes."

"Der Henri-Nannen-Preis war der wichtigste deutsche Journalisten-Preis", das schrieb doch schon der Spiegel vor ziemlich genau einem Jahr Pfister-halber.

Daran erinnert die natürlich ebenfalls anwesend gewesene DuMont-Reporterin Ulrike Simon (BLZ). Sie vertritt eine kräftige Gegenmeinung zur TAZ, hatte Leyendecker schon im Saal fixiert, als er aufsprang, obwohl er noch gar nicht aufgerufen worden war, nennt seine offizielle Erklärung "verquast und umständlich" und gibt Ines Pohl nicht nur einen mit ("...genervtes Stöhnen, als taz-Chefin Pohl anschließend ihre Anti-Bild-Haltung demonstrierte", und zwar "im blaffenden Ton"...).

Dabei hätten die Ausrichter und alle Eingeweihten den ordentlichen Verlauf der Veranstaltung so gut vorbereitet gehabt, und Ulrike Simon wäre nicht Ulrike Simon, wenn sie nicht zwischen allen Zeilen durchschimmern ließe, wie sehr sie selbst auch eingeweiht war: Schon scheint Bernd Buchholz, Chef des Preisausrichters Gruner+Jahr, im Zweifel, "ob sein Haus dem Journalismus Gutes tue oder ihm womöglich schade, wenn Jahr für Jahr gestritten wird" über die Nannen-Preis-Vergabe.

Andererseits: Hätten sich Leyendecker und Co arrangiert und halt am Salat erfreut, dann hätte der Preis bloß in den Preisträgerspalten gestanden, in denen die üblicherweise ausgezeichneten Medien ihre aktuell ausgezeichneten Mitarbeiter und dann den Nannen-Bambi höflich den "renommierten 'Henri-Nannen-Preis'" bzw. einen der "renommierteste Journalistenpreise Deutschlands" nennen (aktuell jeweils bild.de, das den Kritiker Leyendecker heute nicht bedrängt).

Sonst aber hätte niemand hingeschaut. Im dichtestbesetzten Wettbewerb der Journalistenpreise gibt die inzwischen inbegriffene Eklatgarantie dem Nannen-Bambi ein Stück Zukunftssicherheit.
 


Altpapierkorb

+++ Gerade noch reingekommen: für Carta frisch arrangiertes Grundsätzliches zur Bild-Zeitung von Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz, den Bild-Zeitungs-kritischen Studien-Autoren: "Chefredakteure anderer Medien, die 'Bild' für Journalismus auszeichnen, besorgen sich auf diese Weise das Alibi, die eigenen Publikationen stärker an Aufmerksamkeits- und Reizwerten auszurichten. Das ist der Trend, der kritisch diskutiert werden muss. Gegen diesen Trend, der demokratische Öffentlichkeit zerstört, haben die drei Kollegen der 'Süddeutschen Zeitung' und das Jury-Mitglied Matthias Gaede ein wichtiges Signal gesetzt. Sie waren damit an diesem Abend in Hamburg Außenseiter." +++ Der Preis für die umfassendste Übersicht über Journalistenmeinungen zum aktuellen Nannen-Bambi-Eklat gebührt übrigens newsroom.de. Beachten Sie das im Bild-Wulff-Kontext hintersinnige "Rubikon"-Zitat des Politologen Frank Überall.+++

+++ Von über 77 Journalistenmorden in Mexiko während der letzten zwölf Jahre sei keiner aufgeklärt worden, sagt Bürgerrechtler Mario Patrón im Tagesspiegel-Interview. "Und diese absolute Straffreiheit ermutigt die Mafia zu weiteren Angriffen auf die Journalisten, denn sie hat ja nichts zu fürchten". +++ Außerdem geht's im Tsp. heute um einen Arte-Film "über Frauen, die in Pakistan Opfer von Säure-Attentaten ihrer Männer werden". Es gibt einen Nachruf auf Bernd Nass aus Hannover, der sich in den USA Ben Wett nannte, und eine Vorschau auf den in Rumänien angesiedelten, aber deutschen heutigen ZDF-Film "Das Geheimnis in Siebenbürgen". +++

+++ "Heimat, eines der großen deutschen Herzensthemen neben Fußball und der Deutschen Bahn, hat Besseres verdient als diesen Film, der vor der Schwere von Trauttners innerem Konflikt kneift, indem er ihn überzuckert mit Landschaftsaufnahmen, trinkfesten Dorfrumänen und Rosamunde-Pilcher-Musikgeklimper", schreibt dazu David Denk in der TAZ. +++ Ebd. weiß Altpapierautor René Martens Neues aus der Pressekammer des Landgerichts Hamburg, vor der die Autoren Martin Walser und Carl Wiemer gegeneinander streiten. +++

+++ Indes vor dem Oberlandesgericht München trat Friede Springer in Sachen Leo Kirch auf (FTD). +++

+++ Die Süddeutsche stellt den in Deutschland neuen Bezahlsender der Turner-Gruppe namens "Glitz" vor und lässt Reinhold Beckmann Ben Wett nachrufen ("Ben war für uns junge Sportjournalisten einer der Großen..."). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Dienstag.