Das P1 jubelt

Das P1 jubelt

Gewaltiges Medienecho, Häme und flockige "Big Likes" aus ungewohnten Ecken für Vollhorst 2.0 Seehofer. Die Berichterstatter-Eindrücke von des Ministerpräsidenten Facebook-Party hängen von der Verweildauer dort ab.

Dies ist die Webseite des P1 in München. So sehen, wahllos herausgeklickt, Veranstaltungen aus, die dort im allgemeinen so stattfinden (vorbehaltlich der Unterschiede zwischen inszenierter Partywerbung und tatsächlichen Partyverläufen, die überall bestehen).

Vorgestern abend war das P1 in den abendlichen Nachrichtenmagazinen von ARD ("CSU-Chef Horst Seehofer gehört zu der Generation, die noch an der Schreibmaschine die Farbbänder wechseln musste", leitete Caren Miosga den Beitrag ein) und ZDF ("Erinnern Sie sich noch an die unglückliche Tessa aus Hamburg?..", fragte indes Marietta Slomka zur Einstimmung) zu sehen. Denn vorgestern abend stieg die Facebook-Party des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer. Diese Gelegenheit, die Fliegen Partyberichterstattung, Piraten-/ Facebook-/ Internetaffinität sowie Parteiberichterstattung, die für öffentlich-rechtliche Sender angesichts ihrer Rundfunkräte besonders wichtig ist, mit einer Klappe zu schlagen, lassen sich die Anstalten natürlich nicht entgehen.

Tatsächlich flankierte und flankiert von der Vorfeldberichterstattung (SPON vorgestern: "Seehofer droht der Vollflop 2.0") über die Echtzeitbegleitung in den sogenannten sozialen Medien bis zur, nun ja: ausgeruhten Nachberichterstattung in der gedruckten Presse des heutigen Donnerstags eine gewaltige Anzahl von Berichten auf dem breiten allgemeinen Medienboulevard das Ereignis.

Beliebtes Artikelgenre in Onlineangeboten klassischerer Medien: Spott anhand der aus den sozialen Medien gesampleten Echtzeitbegleitung - à la "So lästert das Netz über Seehofers Facebook-Party" (bild.de gestern spätnachmittags: "Im Vorfeld Riesen-Rummel, am Ende ein ziemlicher Flop").

Auf gehobenerem Niveau beleuchtete das jetzt.de-Angebot der Süddeutschen "#Vollhorsts #Facebook-Party im Netz", auch anhand von Tweets prominenterer Twitterer wie etwa "Schauspieler Michael Jäger" und Deef Pirmasens. Doch "von der Party im P1 twitterten nur wenige, und die nicht viel" (und die Frage, ob Partys von denen viel getwittert wird, wirklich die besseren sind, schneidet Autor Thierry Backes nicht an).

Zumindest ist er fair genug, zuzugeben, dass für solche Tweets-Recherchen der Hashtag #hsparty sinnvoller gewesen sei, denn "der Hashtag #Vollhorst, am Nachmittag vor der Sause ins Spiel gebracht, setzte sich nicht durch".

Sein Fazit "Das Medienecho war wesentlich größer als die Veranstaltung selbst" jedenfalls bleibt. Es wird heute z.B. auf der Seite 2 der FAZ geteilt, in der linken Randspalte, die eigentlich kurzen Berichten aus provinzielleren Städtchen als München vorbehalten ist unter der hübschen Überschrift "Monaco Horst" (kleine Hommage an Dieter Wedel Helmut Dietl, der zumindest unter Medienbayern bis vor ganz kurzem, bis zu seinem Kinofilm "Zettl" ja als Lichtgestalt der deutschen Film- und Fernsehfiction galt):

"Die Zahl der Facebook-Fans, die sich in die Prinzregentenstraße aufgemacht hatten, war zwar überschaubar; aber mediale Inszenierungen kommen längst auch mit einer kleinen Anzahl an Darstellern aus."

Wie lange FAZ-Redakteur Albert Schäffer im P1 geblieben ist - etwas unklar. Im letzten Absatz seines kleinen Feuilletons schreibt er:

"Lange hatte er ausharren müssen, bis seine PR-Spezialkräfte signalisierten, zahlreicher werde die Fangemeinde nicht. Und dann konnte endlich die Twitter-Meldung abgefeuert werden: 'Das P1 jubelt. Horst Seehofer ist da!'"

Länger geblieben zu sein scheint jedenfalls Frank Müller, der das Event heute für den Bayern-Ressort der Süddeutschen (S. 61, nicht frei online) verarztet:

"Und dann, während der Alkohol fließt und die meisten aktuellen Berichte schon geschrieben sind, stehen die Zeichen plötzlich auf Entspannung. Längst ist Mitternacht vorbei, Seehofer ist immer noch da, es ist in der Tat eine Party geworden. Der Ministerpräsident wird umlagert, es ist ein Dauerschwall aus Fragen und Antworten. Fast bis zwei Uhr morgens geht das so, dann zieht der Seehofer-Tross ab",

schreibt Müller, der übrigens selber zum Hashtag #hsparty mittwitterte. Fazit in der Unterüberschrift: "Zur Facebook-Party des Ministerpräsidenten kommen zwar weniger Gäste als erwartet - der PR-Erfolg ist trotzdem gigantisch".

Dass TAZ-Berichterstatterinnen aber mindestens so lange auf (berichterstattungsrelevanten) Partys verweilen wie SZ-Redakteure, dürfte sich verstehen. "Am Ende war es Horst Seehofer, der fast am längsten blieb - sichtlich gut gelaunt", berichtet heute im tazzwei-Ressort Marlene Halser aus München, nicht ohne kritisch zu hinzuzfügen:

"Wie viel der Polizeieinsatz den Steuerzahler und die Veranstaltung die Partei gekostet hat, bleibt ein Geheimnis, das in der Bierseligkeit der lauen Frühlingsnacht unterging. Stattdessen kündigte Seehofer an, die Veranstaltung an anderen Orten in Bayern zu wiederholen. Kein Wunder, denn was allen Unkenrufen zum Trotz unterm Strich vom Abend bleibt, ist ein ziemlich flockiges 'Big Like'".

Halser bietet die präzisesten Zahlen der aktuellen Vollhorst-Berichterstattung: "Für die rund 50 Meter durch den loungeartigen Außenbereich" habe Seehofer vor lauter Plaudern mit "ganz normalen Menschen" etwa eine Stunde benötigt, sie zählte "rund 600 Gäste", darunter "etwa 150 Journalisten, die die Bilder vom entspannt plaudernden 'Horsti' postwendend in die Welt hinaus sendeten".

Bloß dass die Bilder, die die Journalisten entwarfen, äußerst unterschiedlich ausfielen.

Während die TAZ irgendwie Gefallen am CSU-Mann findet, zählt ausgerechnet dieSpringerpresse (in ihrer Möchtegern-Generation Facebook-Zeitung Welt kompakt) "nur wenige Freunde" (dabei "1000 Gäste"!). "Nur ein paar hundert Gäste finden den Weg in die Münchner Nobeldisco P1. Den Mangel an Masse kaschiert der CSU-Chef mit Volksnähe", heißt es im noch aktuellsten Bericht im Online-Leitmedium Spiegel Online, der freilich schon am 8. Mai um 23.57 Uhr erschien und bloß noch Eindrücke von 22.00 Uhr mitnahm. Als Überschrift wählten die SPON-Klickfüchse "Horsti, Muschi...", ein Zitat aus einer Bühnenbefragung des Ministerpräsidenten, das geschickt damit spielt, dass "Muschi" in unterschiedlichen Milieus ganz nuteschiedliche Bedeutung besitzt ("Edmund Stoiber hat seine Frau Karin übrigens 'Muschi' genannt"). Noch geschickter hämt stern.de (9. Mai, 6.08 Uhr), das szenisch mit einem 62-Jährigen einsteigt, der gar nicht recht weiß, was Facebook ist.

Nun noch die Frage, wieviele Freunde Facebook-Seehofer inzwischen hat: 12.788 am Donnerstagmorgen Gemessen daran, dass der SPON-Artikel "Seehofer droht der Vollflop 2.0" mit einem Screenshot seines Facebook-Accounts mit 6.705 Freunden illustriert ist, sicher nicht ganz schlecht.

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Wer jetzt endlich Vollhorst Seehofer im O-Ton hören (und sehen) möchte: Der Youtube-Kanal csumedia hat ein offenbar zum Partyende aufgenommenes Interview mit dem Ministerpräsidenten hochgeladen, in dem er zwar, falls jemand sie aus dem Kontext nehmen möchte, auch Anfechtbares sagt ("Es hat im Leben keinen Sinn, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen"), aber so klare Sätze spricht, wie man sie von Politikern vor laufenden Kameras eher selten gewohnt ist.

[+++] Das zumal im Vergleich mit dem derzeit wesentlich heftiger auf Youtube kursierenden "Bedauerlicherweise entscheiden die Wähler"-Auftritt des Parteifreundes und voraussichtlich nicht künftigen Ministerpräsidentenkollegen Norbert Röttgen in einer ZDF-Digitalnische.


Altpapierkorb

+++ Ein anderes Wort für Journalist? "Popularisator". Das sagen zumindest die abtretenden Fernsehphilosphen Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski, um es gegen designten designierten Nachfolger Richard David Precht zu verwenden (Die Zeit, online als Vorabmeldung), den sie überdies mit André Rieu vergleichen. +++

+++ Auf der Medienseite der Süddeutschen erzählt Hans Hoff, wie die Bundesfinanzdirektion West der für die ARD tätigen Reporterin Rita Knobel-Ulrich die Drehgenehmigung für einen "Film über Schwarzarbeitskontrolle" verweigerte, da sie keine Einwilligung der beteiligten Schwarzarbeiter vorlegen konnte: "Dies sei auf Stellungnahmen von Datenschutzbeauftragten und Gerichtsentscheidungen zurückzuführen - vor allem aber auf die schlechten Erfahrungen, die man durch die Mitwirkung bei Produktionen im Bereich Reality TV gemacht habe". +++ Außerdem ebd.: wie Springer-Chef Mathias Döpfner die Politik mal wieder aufforderte, "die Expansion der öffentlich-rechtlichen Sender im Internet" zu stoppen. +++

+++ Vor allem hat Döpfner aber tolle Geschäftszahlen verkündet (FTD). +++ "Prächtig" aber auch, trotz allem, die von Rupert Murdoch. (handelsblatt.com). +++

+++ Die Piraten in einem Boot mit Verwertern à la Springer sieht Wolfgang Michal (Carta): "Für die Piraten sind Urheber Milchkühe, die von der Allgemeinheit nach Bedarf gemolken werden können, für die Verwerter sind die Urheber dagegen Zitronen, die man für den eigenen Profit bis zum letzten Tropfen auspressen darf. Beide Vorgänge werden – von Piraten wie von Verwertern – als 'natürlich' bezeichnet." +++ Guter Kommentar eines Dichters dazu: Im Internet "ist jede Kopie öffentlich, und selbst wenn mit ihr keine kommerziellen Zwecke verfolgt werden, konkurriert sie als kostenloses Angebot gegen alle Versuche eines Urhebers, sein Werk kommerziell zu verwerten". +++ Von Nachrichtenagenturen abgemahnte Blogger waren Thema des NDR-Magazins Zapp gestern. +++

+++ Probleme des amerikanischen Nachrichtenfernsehens sind Thema der TAZ. +++ Probleme der China-Berichterstattung nun auch eines der BLZ. +++ Noch ein Thema der Süddeutschen: "Eines der am besten gehüteten Geheimnisse in Wien", das nun aber "gelüftet" scheine: dass hinter der Gratiszeitung Heute "die Medienmanagerin Eva Dichand" steckt. So ganz kann Hans Leyendecker die Geheimnisvölle auf engem Raum aber nicht deutlich machen, da Dr. Eva Dichand ja offen als Herausgeberin firmiert. +++

+++ Als Produzent ist die ProSiebenSat.1 nun auch in Israel aktiv. "Die Investition soll sich auch im Hinblick auf den US-Fernsehmarkt bezahlt machen" (handelsblatt.com). +++ Die FAZ berichtet im Wirtschaftsressort (S. 14), dass dieselbe AG für Sat.1 amerikanische Serien als neues "Rückgrat" betrachtet und mit CBS Television International dazu einen Output-Vertrag geschlossen hat. +++

+++ Und auf der Medienseite berichtet die FAZ über François Lenglet, "Frankreichs Journalist der Stunde" ("Sie sind sein Markenzeichen geworden: Fakten und Zahlen. Statistiken und Kurven"), über die in Deutschland auf DVD erhältliche ORF-Komödie "Braunschlag" des Wiener Schriftstellers und Regisseurs David Schalko, sowie über Dschihad-Drohungen gegen den ägyptischen Privatsender ONTV des koptischen Unternehmers Naguib Sawiris. +++ Außerdem nennt Michael Hanfeld Heidi Klum "Menschenschinderin, genauer gesagt Mädchenschinderin". +++

+++ Der Tsp. wohnte einer nicht fürs Fernsehen, sondern bloß als "Mediengipfel" der Institution media.net berlinbrandenburg veranstalteten Talkshow mit Günther Jauch bei, in der dieser nach schlechten Kritiken seiner eigenen Show gefragt wurde und sagte: "Meinen Sie diesen Kritiker von stern.de? Je schlimmer der über uns schreibt, desto besser die Quoten. Das ist unser Maskottchen." +++

+++ Die Spannung steigt, wer denn die nächsten Nannen-Bambis bekommt. Dass die Bild-Zeitung welche erhalten solle, denn "würde die Jury an der Bild-Story vorbeientscheiden, käme das ihrer Selbstauflösung gleich", habe Handelsblatt-Chefredakteur Gabor Steingart gefordert (meedia.de). +++ Immerhin, "verglichen mit Nannens Stern ist Bild fast seriös", meint Twitterer monitorhans. +++

+++ Ganz heißer Trend im Fernsehen: "Immer mehr Live-Kommentatoren im Fernsehen arbeiten mit Assistenten" (Tagesspiegel). +++

+++ Und "wenn die 900 Millionen Menschen auf der Welt, die aktuell Mitglieder bei Facebook sind, nun auch Facebook-Aktien kaufen würden, würde aus dem kapitalen Netzwerk wirklich ein soziales Netz für die Gemeinschaft seiner Mitglieder" (Julius Endert bei Carta).+++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.