Eitle Sharer, streitbare Masher

Eitle Sharer, streitbare Masher

Zunder in den Medienanstalten, Youtube wieder in aller Munde: Das Videoportal zeigt Islamübertritte, China-Investigationen und alles andere auch, leistet aber eigentlich nicht mehr als ein Buchdrucker.

Das wäre mal ein cooler, zeitgemäßer Name für eine Landesmedienanstalt, also für eine der uncoolsten, in ihrer Zeitgemäßheit umstrittensten Institutionengattungen, die die so reiche deutsche Medieninstitutionenlandschaft zu bieten hat: "Mash" kürzt die Süddeutsche heute auf der Medienseite in einem Artikelchen über einen Detailaspekt des bevorstehenden Lizenzgeberwechsels für den Privatsender Sat.1, die Definitionsfrage, was genau "Informationssendungen" sind, die Medienanstalt Hamburg / Schleswig-Holstein ab. Doch da fehlt ein H, die korrekte Abkürzung lautet leider MA HSH - wie sich wiederum der FAZ-Medienseite entnehmen lässt. Dort steht links oben ein Artikelchen, das gehörig Zunder in die Medienanstalten-Debatte bringt.

Denn heute antwortet Renate Pepper, ihres Zeichens Direktorin der Landeszentrale für Medien und Kommunikation Rheinland-Pfalz (LMK) auf Thomas Fuchs, seines Zeichens Direktor der MA HSH, der am Freitag (nicht frei online, siehe aber Altpapierkorb) in der FAZ den Artikel "Wir picken keine Rosinen/ Medienanstalten und Politik" publiziert hatte. Wie nicht nur einmal durchschimmert, ärgerte sich Pepper mächtig über den Text des Kollegen und auch darüber, dass Sat.1 künftig nicht mehr zu ihren Aufgabenbereichen zählt. U.a. schreibt sie:

"Problematisch ist die Position des Autors" - also Fuchs'. "Es spricht der Vorsitzende der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten in einer Angelegenheit, die ihn als Direktor der von dem Wechsel profitierenden Anstalt – auch heute kann die Aufsicht über den zweitgrößten privaten deutschen Fernsehsender mindestens als Imagegewinn angesehen werden – betrifft. Alle Aussagen, die von neutraler Seite als politisch vertretbare Argumente akzeptiert werden könnten, erhalten durch diese Zwitterstellung einen unangenehmen Beigeschmack."

Altpapierleser wissen natürlich, dass außerhalb der Landesmedienanstalten das gesamte Landesmedienanstalten-System für problematisch gehalten wird. Insofern könnte expliziter Streit unter den Anstalten, deren Chefs daher eigentlich in der Öffentlichkeit immer um Einigkeit bemüht sind, sinnvoll sein. Insofern gießen wir hier gerne ein wenig Öl in dieses Feuer und erinnern daran, dass Renate Pepper recht neu in ihrem Job ist und von der FAZ, in der sie heute als Autorin auftaucht, kürzlich als "vom Altenteil" geholte "Parteisoldatin" ihres SPD-Ministerpräsidenten Kurt Beck bezeichnet worden ist (siehe Altpapierkorb vom 15. Februar).

[+++] Der ansonsten gemeinsamste Nenner der aktuellen Medienmedien an diesem Mittwoch ist das Mashup-Medium schlechthin, jenes Google-Unternehmen, auf das nach zuletzt publizierten, wahrscheinlich schon wieder längst überholten Berechnungen pro Minute 60 Stunden neues Videomaterial raufgeladen werden, also Youtube.

Erstens versucht sich ebenfalls in der Süddeutschen Helmut Martin-Jung an einem Überblick über das gesamte Bewegtbildangebot, das Zuschauer inzwischen theoretisch auf einem Endgerät, etwa auch einem Fernsehgerät, abrufen können, zwischen kostenplichtigen Angeboten wie Maxdome (ProSiebenSat.1), das gerade auch eine Kooperation mit dem öffentlich-rechtlichen WDR schloss, relativ exklusiven Allianzen, die Fernsehgerätehersteller mit Urhebern von Videomaterial wie Bayern München (Samsung) und den Berliner Philharmonikern (Sony) schlossen, und eben Youtube:

"Der Zuschauer ist damit in einer Lage, alle Möglichkeiten des Medienkonsums auszukosten, andererseits kann ihn das, was sich ihm bietet, auch schnell in eine Überforderung führen. Das Fernsehgerät zeigt nicht mehr nur das, was gerade gesendet wird, das sogenannte lineare Programm der Sender also. Täglich vermehrt sich das Angebot bewegter Bilder, das man über das Internet-Protokoll abrufen kann."

Dass irgendwann der Youtube-Content durch seine schiere Masse alle übrigen Inhalteanbieter gemeinsam verdrängt - als Überforderungsvereinfachung theoretisch auch nicht auszuschließen.

[+++] "YouTube ist ein Problem", schreibt auf der TAZ-Meinungsseite Janosch Schobin, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozialforschung, der den in der deutschsprachigen Debatte recht neuen Terminus des "Sharers" definiert:

"Wer sich heute gegen den Sharer stellt, stellt sich stur gegen den Weltgeist. Sharing ist vernünftig - auch im Bereich des geistigen Eigentums",

argumentiert Schobin, zeigt sich dann aber als keineswegs uneingeschränkter Fan jenes Weltgeists, denn der Sharer "lechzt nach Reputation und nicht nach Schöpfung. Vom Sharer ist keine Innovation zu erwarten". Und das Problem mit Youtube bestehe darin, dass

"YouTube und Co. weniger leisten als Verleger. Sie sind, wenn eine solche Analogie überhaupt statthaft ist, eher mit den Buchdruckern zu vergleichen. YouTube und Co. sind Hosting-Infrastuktur, deren Zweck in der Verfügbarmachung von Kopien zu sehen ist - mehr nicht. Infrastruktur darf natürlich etwas kosten. Dass sie sich den Löwenanteil einverleibt, ist hingegen dreist."

[+++] Dreistigkeit wiederum ist natürlich Standard bei Youtube. Wer nicht irgendwie dreist ist, erreicht seine Zielgruppe kaum, denn sonst könnte die ja ARD oder ZDF schauen. Für den großen Aufmacher der FAZ-Medienseite nimmt sich Joseph Croitoru aus aktuellem Nachrichten-Anlass aus den Millionen auf Youtube verfügbaren Videogenres ein spezielles vor: die "Videoinszenierung von Übertritten zum Islam" durch die nun News-bekannten Salafisten:

"In Deutschland scheint dieses mediale Ritual von dem zum Islam konvertierten Ex-Boxer Pierre Vogel eingeführt worden zu sein. Im Arabischen, was häufig übersehen wird, nennt sich dieser wohlgemerkt auch Saladin und wird von seinen Bewunderern auch als der 'muslimische Eroberer Deutschlands' (fatih almanya) bezeichnet. Standen ihm anfangs bei den aufgezeichneten Übertritten noch namhafte ägyptische Salafisten-Prediger zur Seite, führt Vogel solche heute längst in Eigenregie durch – und gestaltet sie, wo nur möglich, als Massenübertritte, vorzugsweise auf öffentlichen Plätzen. Mit den siebzehn im April 2011 in Frankfurt am Main von ihm gemeinsam zum Islam Konvertierten hält er momentan landesweit den Rekord. Die Dokumentation des Events kursiert seitdem im Internet, etwa unter dem Titel 'Germany’s nicest Islam-Video'..."

... und lässt sich hier anklicken. ####LINKS####

[+++] Youtubes Omnipräsenz zeigt sich gerade auch darin, dass zu Artikeln, in denen das Videoportal gar nicht genannt wird, es dennoch selbstverständlich gehört. Teils in Politik-, teils in Medienressorts kommt heute die Al-Dschasira-Reporterin Melissa Chan zu Ehren, schließlich ist sie die erste China-Korrespondentin seit vierzehn Jahren, die "komplett des Landes verwiesen" wurde (Felix Lee in der TAZ). Was genau ihr diese Ausweisung und sozusagen Auszeichnung einbrachte, beschreibt Benedikt Voigt im Tsp.:

"Es war ein Stück guter Journalismus, das der englischsprachige Kanal des arabischen Fernsehsenders Al Dschasira Ende vergangenen Jahres bot. Einem Fernsehteam des Senders war es gelungen, in eines jener in China berüchtigten 'schwarzen Gefängnisse' einzudringen, in denen Menschen ohne legale Grundlage willkürlich von den Behörden festgehalten werden. Die Wachen waren derart überrumpelt von der Fernsehkamera und den verzweifelten Angehörigen der illegal Inhaftierten, dass sie keinen Widerstand gegen das Eindringen leisteten. Erst eintreffende Polizisten beendeten die Dreharbeiten...".

Anschauen lässt sich dieses Stück guter Journalismus natürlich auf Youtube.
 


Altpapierkorb

+++ "Wir brauchen für das digitale Zeitalter einen neuen kategorischen Imperativ, der uns moralisch leitet: 'Handle stets so, dass dir die öffentlichen Effekte deines Handelns langfristig vertretbar erscheinen. Aber rechne damit, dass das nichts nützt.'" Diese Regel entnahm Thomas Schuler, der in der FR/ BLZ einen Beitrag zum etwas untergehenden Genre der Buchbesprechungen leistet, dem Buch "Der entfesselte Skandal" von Bernhard Pörksen und Hanne Detel. +++

+++ Fernseh-Grimmepreise gehen nahezu ausschließlich an öffentlich-rechtliche Sender. Bei Online-Grimmepreisen herrscht, wie die frischen Nominierungen zeigen, ein vielfältigeres Bild. Außer öffentlich-rechtlichen Angeboten wie der "Tagesschau"-App sind auch die App der Frankfurter Rundschau und der datenjournalistische "Zugmonitor" bei sueddeutsche.de nominiert. Die TAZ kann sich gleich über zwei Nennungen freuen (Hausblog, siehe auch sueddeutsche.de, Tagesspiegel). +++

+++ Überraschungen bei ARD-Pressekonferenzen ereignen sich selten. Kurt Sagatz vom Tagesspiegel wurde einer teilhaftig: "Bei der Präsentation des ARD-Films 'Der Kremlflieger - Mathias Rust und die Landung auf dem Roten Platz', den das Erste am 21. Mai ausstrahlt, war der inzwischen 43-jährige 'Friedensflieger' als Hauptgast angekündigt worden", dann aber gar nicht aufgetaucht. Der Film aber war dennoch schon zu sehen. Seine Kernthese laut Tsp.: Rust habe "dazu beitragen, dass der Kalte Krieg früher endete, suggeriert der ARD-Film." Um was für eine Uhrzeit sendet die ARD diesen spektakulären Film? Um 23.30 Uhr. +++

+++ Da wir gerade in der Weltgeschichte sind: Der credit für die Erfindung des "embedded journalism" gebührt nicht etwa der US Army, sondern Joseph Goebbels. Das breitete, u.a. belegt mit Zitaten aus dem britischen Daily Express, Ernst Elitz gestern in der BLZ aus und ist inzwischen frei online zu haben. +++

+++ Wer noch an die Zukunft der gedruckten Presse in den USA glaubt: Doug Manchester, "Hotelmagnat" und großzügiger Mitt Romney-Spender. Wie er für sage und schreibe 110 Mio. Dollar "die größte Tageszeitung seiner Heimatstadt San Diego" kaufte, den Union Tribune, schildert Sebastian Moll im KSTA. +++

+++ Interessantes aus der Medienjustiz: "Internetarchive müssen die Namen bekannter Straftäter auch dann nicht löschen, wenn diese schon aus der Haft entlassen wurden" (FAZ, S. 29). Das mussten die aus diversen dergleichen Prozessen bekannten Mörder des Schauspielers Walter Sedlmayr vor dem Bundesgerichtshof erfahren. Geklärt sei zudem, ergänzt die Süddeutsche, "dass deutsche Gerichte über eine Klage gegen ein ausländisches Online-Portal zu entscheiden haben - und zwar immer dann, wenn eine Veröffentlichung den 'Lebenskreis' des Betroffenen in Deutschland betrifft." +++

++ Fernseh-Allerlei: "Wirklich zauberhafte Unterhaltung" nennt dieselbe die ZDF-Digitalshow "Kneipenquiz" der "Dittsche"-Gestalt Jon Flemming Olsen. +++ Dass auch die ambitiöse Reportagereihe "37 Grad" des Haupt-ZDF mitunter "sehr eingeschränkte Perspektiven" hat, beschreibt Torsten Wahl (BLZ) anhand des gestrigen Beitrags über die "Generation Casting" (die das ZDF auch selbst gern zu Zuschauern hätte). +++ "In Deutschland ist es nicht schlecht, eine Schublade zu haben", sagt die beliebte Schauspielerin Josefine Preuß dem Tsp.. +++ Und dass Philipp Rösler "als Experte für Institutionen in der Auflösung" jetzt auch dem ZDF-Fernsehrat angehört, freut die TAZ-Kriegsreporterin. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.