Rund auf steilen Wegen laufen

Rund auf steilen Wegen laufen

Klassische Selbstbeweihräucherung funktioniert auch in neuen Medien: Das ZDF verabschiedet seinen Intendanten. Seinen Nachfolger Thomas Bellut begrüßen so einige Probleme.

Gestern also war es so weit. Markus Schächter wurde feierlich aus der Würde des Intendanten des Zweiten Deutschen Fernsehens verabschiedet. Naturgemäß den breitesten Widerhall findet das denkwürdige Ereignis in den medialen Angeboten des Zweiten Deutschen Fernsehens, welches gerade dank Schächter ja "aus der Gefangenschaft des Einkanalsenders" "befreit" wurde, wie es der Vorsitzende des ZDF-Fernsehrates, Ruprecht Polenz, formulierte.

Streng textjournalististisch dokumentiert heute.de die von Karl Kardinal Lehmann, Bischof zu Mainz, gehaltene "Laudatio zur Verabschiedung von Markus Schächter", die den Unsinn von der "Gefangenschaft" (Unsinn schon deshalb, weil das an Arte, Phoenix und ganz besonders an 3sat beteiligte ZDF schon lange kein "Einkanalsender" war) gern aufnahm:

"In seiner Amtszeit wurde das ZDF im Sinne einer Programmfamilie neu aufgebaut. Professor Schächter hat das ZDF aus der Enge eines Ein-Kanal-Senders heraus- und in eine multimediale Programmfamilie hineingeführt. Der Intendant sprach in diesem Zusammenhang öfter gerne von der 'Befreiung aus der Babylonischen Gefangenschaft'. Dies gilt besonders für die Digitalkanäle ZDFneo, ZDFkultur und ZDFinfokanal..."

Um das Maß der GEZ-finanzierten öffentlich-rechtlichen Selbstbeweihräucherung vollzumachen, noch ein Blick auf eine "Presseschau zum Abschied des ZDF-Intendanten Markus Schächter" unter der schönen Überschrift "Brückenfunktion hinein ins digitale Zeitalter". Dort heißt es am Ende:

"Auch der Der [ähm: sic] Tagesspiegel findet lobende Worte zum Abschied des ZDF-Intendanten. Markus Schächter verlasse das Haus 'nicht als Getriebener', sondern 'souverän'. Schächter sehe seine 'eigene Brückenfunktion hinein ins digitale Zeitalter' als erfüllt an und hinterlasse dem ZDF 'flotte Beiboote wie neo, kultur und info'."

Der Artikel, aus dem die sog. Presseschau sensationell selektiv zitiert, ist der von Bernd Gäbler vom Dienstag, in dem es tatsächlich heißt:

"Schächter ('Ich gehe mit einem Lächeln') verzichtet nicht als Getriebener auf eine dritte Amtszeit. Er tut dies souverän. Seine eigene Brückenfunktion hinein ins digitale Zeitalter sieht er als hinreichend erfüllt an. Flotte Beiboote wie neo, kultur und info hat er dem ZDF verschafft. Das Ziel, vom Ein-Kanal-Sender zur digitalen Familie zu mutieren, ist formal erreicht. Aber..."

Vermutlich dachten die Redakteure und Abteilungsleiter, die solche ZDF-Aktivitäten verantworten, der Kontext sei schon deshalb egal, weil die sog. Presseschau ja ohnehin keine Links zu den Quellen enthält. Übrigens schrieb Gäbler auch noch, ein wenig polemisch:

"Zwar hat das ZDF in neo, kultur und info inzwischen ungefähr jeden aus der Generation Viva/MTV mit einer eigenen Sendung versorgt, aber welchen Einfluss soll das zukünftig auf das 'richtige' Programm haben?"

[+++] In dieser Hinsicht, beim In-die-Welt-Setzen von immer neuen Digitalsendersendungen, hat das ZDF wieder einen Fortschritt gemacht. Markus Beckedahl weist auf netzpolitik.org auf das neueste ZDF-Politikmagazin mit dem Namen "Berlin Politix" hin. "Immer wieder Mittwoch um 19:20 Uhr gibt es rund 15 Minuten Sendung", und wer dem Link in die Mediathek folgt, kann dort FDP-Politiker Jimmy Schulz bei etwas beobachten, was wie ein ganz normales Frühstück nur aussieht...

Man kann den Medienjournalisten der Papierzeitungen sicher vieles vorwerfen und muss bei den Kungeleien, bei denen sich Presseverlage und öffentlich-rechtliche Sender darüber einigen wollen, "was gebührenfinanzierte Sender im Internet sollen und dürfen" (deren jüngste Runde gestern bezeichnenderweise vom ZDF abgesagt wurde, wie meedia.de weiß) keineswegs auf Seiten der Verleger stehen. Aber wer sich eine halbe Stunde lang durch die Selbstdarstellungsverlautbarungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens geklickt hat, muss einfach froh sein, dass es privatwirtschaftlichen Onlinejournalismus gibt.

[+++] Heute schweigt die überregionale Presse über das bizarre Mainzer Abschiedszeremoniell. Zumindest zwei Blätter schauen in die Zukunft des ZDF, das ja nun einen neuen Intendanten hat, jenen, dem sein Vorgänger gestern noch den Wunsch mit auf den Weg gab: "Möge für dich und unser Haus künftig alles rund laufen auf dem sicher weiterhin steilen, kurvenreichen Weg durch die Medienlandschaft von morgen."

Eine komplexe Charakterstudie des neuen Intendanten Thomas Bellut findet sich auf der Medienseite 15 der Süddeutschen Zeitung (derzeit nicht frei online). Ausgehend von einer ZDF-Filmpremiere in Berlin neulich schreibt SZ-Medienseitenchef Christopher Keil:

"Mitarbeiter soll Bellut fair behandeln, Ansprüche adressiert er direkt. Er kennt Rücksichtnahmen, hat auch Verständnis für Menschliches, ein Kumpeltyp ist er nie gewesen. Die einen sagen, er sei kühl, pragmatisch, vielleicht nicht sehr eitel, obwohl er auf Äußeres wert legt und sich gerade für zwei Wochen auf einem Landhof die Fitness und durch eine gesunde Ernährung die Statur für den Dienstantritt zulegte. Wer ihn aus der Nähe erlebt, sagt, dass er zur Ungeduld neige. Bellut ... würde das zugeben, allerdings auch meinen, dass er anderen Freiräume lasse."

Steffen Grimberg hat in der TAZ weniger Platz und geht lieber auf die Farbenlehre ein:

"Schwarz ist Bellut - allerdings in der höchst gemäßigten Variante des bodenständigen Münsterlandes, aus dem er stammt. Parteilich war und ist Bellut bei aller politischen Verortung aber nicht, was er als langjähriger Leiter der Innenpolitik im ZDF unter Beweis gestellt hat."

Ähnlich salomonisch urteilt er mit Berufung auf "ZDF-Menschen, die beide kennen" über Belluts grundsätzlichen Züge: Der neue Intendant sei "ein bisschen herrischer, aber auch entscheidungsfreudiger" als sein Vorgänger.

[+++] Die Amtsgeschäfte gehen für Bellut am Freitag hart los, und zwar mit der "Programmdirektorenfrage", also der nach seinem Nachfolger für sich selbst. Keil betrachtet als gegeben, dass den Posten der derzeitige ZDF-Neo-Chef Norbert Himmler bekommt. Grimberg hält den nur für den Favoriten und bei Anstalten wie dem ZDF immer für möglich, dass Favoriten scheitern.

Dass Himmler jedenfalls einen Hoffnungsschimmer darstellen würde, glaubt auch Kai-Hinrich Renner im Hamburger Abendblatt (am Ende der gestern dort erschienenen Würdigung Schächters als "konfliktscheuer Modernisierer"). Dass das ZDF solche Hoffnung verdammt nötig habe, meint die FTD: "Wenn es dumm läuft für Thomas Bellut, dann hat er den Höhepunkt seines Ruhmes schon vier Tage vor seinem Antritt als ZDF-Intendant erreicht", schrieb Bernhard Hübner (nur als Teaser frei online) mit Bezug auf die Anfang dieser Woche meistverhandelte ZDF-Personalie Markus Lanz (siehe Altpapier vorgestern, vorvorgestern).

[listbox:title=Artikel des Tages[TAZ begrüßt Bellut##Netzneutralität gibt's gar nicht mehr (FAZ)##Journalistenfantasien-Making-of (Badische Zeitung)]]

[+++] Falls Sie Lanz gestern hier im Altpapier vermisst haben sollten: Er hätte hier schon auftauchen können, schließlich hat dwdl.de vorgestern um 23.29 Uhr das nach eigenen Angaben "erste große Interview nach der Bekanntgabe" der "Wetten, dass...?"-Übernahme, zumindest das erste noch größere als das auch nicht ganz kleine des Tagesspiegel vom Dienstag, online gestellt. Lanz-gemäß menschelt es sehr im langen dwdl.de-Interview.

Falls Sie sich bei all der Lanz-Berichterstattung eigentlich schon länger nur fragten, ob der Entertainer im Gegenzug für die Übernahme der Samstagabendshow denn wenigstens seine quasitäglichen Spätabend-Talkshows, jenes "Parasitenfernsehen" (BLZ neulich) abgeben und damit der ZDF-Programmqualität enorme Freiräume bescheren wird: Nein, wird er nicht, wie in manchen Berichten gegen Ende anklang (im genannten Tsp.-Interview sagte Lanz: "Im Idealfall werden sich Talkshow und Show gegenseitig befruchten...").

Falls die Verpflichtung Lanz' zu noch mehr Sendezeit als er sowieso schon bestreitet tatsächlich den Höhepunkt von Thomas Belluts Ruhm markiert haben sollte, müsste es in den kommenden Jahren wirklich verteufelt schlecht für den neuen Intendanten, seinen Sender und die Gebürenzahler laufen.


Altpapierkorb

+++ Die Netzneutralität gibt es gar nicht mehr, meldet die FAZ unter Berufung auf das "Gremium europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (Berec)". Europäische Telekommunikationsdienstleister würden "im Datenverkehr gezielt bremsen und blockieren". +++ Was es nach 244 Jahren auch nicht mehr geben wird, wegen des Netzes: die gedruckte "Encyclopaedia Britannica“  (Tagesspiegel, faz.net). +++

+++ Ein schlagendes Beispiel für länder- und medienübergreifende "Journalistenfantasien" hat die DuMont-Presse. Bei dem, was in manchen Medien als "Flugzeugdrama" beschrieben wurde, roch es "nicht nach Rauch nach dem Start, nur ein bisschen nach Pilzrisotto", schreibt Ole Pflüger. Wer ist das? "Pflüger, 21, ist eingeschrieben an der Münchener Journalistenschule und war zuletzt als Praktikant mehrere Monate zur Ausbildung bei der Badischen Zeitung", schrieb diese, die den Artikel zuerst brachte. +++

+++ Die klassische "Bild"-Zeitungs-Kritik, sie lebt. Aktuell belegt Leonard Novy auf Carta die "menschenverachtende Perfidie der 'Bild', die den Exzessen der britischen Sun im Grunde eben doch in nichts (außer den Methoden) nachsteht". +++ Und auf vocer.org [für das ich zurzeit auch arbeite] zürnt Christoph Lütgert Carsten-Maschmeyer-halber, das Blatt falle auf sein "altes und gewohntes Niveau zurück – ganz tief unten, wo es tiefer kaum noch geht". Ebenfalls Maschmeyer-halber ärgert sich der NDR-Mann überdies über die WDR-betriebene Maischberger-Talkshow. +++ Die Süddeutsche blickt ins Sun-England: Das vielleicht "am härtesten, kältesten und rücksichtlosesten" handelnde Mitglied in "Ruperts Murdochs junger Garde" war womöglich doch eine Frau, die gerade wieder festgenommene Rebekah Brooks. +++

+++ Den gestern hier als nicht ganz leicht verständlich empfundenen Artikel der Süddeutschen zu neuen Entwicklungen der deutschen Medienpolitik hat dwdl.de zusammengefasst. +++

+++ Heute auf der FAZ-Medienseite 33: eine "Klarstellung" zum Artikel "Der Mann, der zu viel zu berichten wusste" vom Freitag: "Hierzu stellt Dr. Uwe Vorkötter, Chefredakteur der 'Berliner Zeitung', fest: Grund für die Entscheidung, Herrn Wolf nicht mehr über den 1. FC Union Berlin berichten zu lassen, war nicht seine zu kritische Berichterstattung, sondern, dass er wiederholt in seinen Artikeln Behauptungen über den 1. FC Union Berlin aufgestellt hat, die falsch waren oder von ihm nicht belegt werden konnten". Worum es ging, siehe das Altpapier "Gute Nacht, Herr Vorkötter!" (das natürlich "Gute Nacht, Herr Dr. Vorkötter!"  hätte heißen müssen). +++

+++ In die Türkei blickt die TAZ. Sollten Ahmet Sik und Nedim Sener, "zwei Ikonen des türkischen Journalismus", froh sein, dass sie nach 375 Tagen Haft freigelassen wurden, oder sich ärgern, dass sie "lediglich mit einem ’Sorry‘ wieder nach Hause geschickt" werden, "obwohl sie ein Jahr ihres Lebens zu Unrecht im Gefängnis verbringen mussten", wie ein türkisches Blatt schreibt. +++ Nach Aserbeidschan blickt der Freitag. Tracy Veigh (oder McVeigh) hat einheimische kritische Journalisten und Blogger gefragt, ob der Eurovision Song Contest boykottiert werden sollte. +++

+++ "Glückliches Britannien. Eine Krimi-Tradition zum Niederknien", titelt Jochen Hieber in der FAZ wegen "Whitechapel - Das Syndikat der Brüder Kray" heute auf Arte. +++ Auch "Die 13. Wahrheit - Uwe Ochsenknecht erzählt" beim Bezahlsender "13th Street Universal", offenbar eine Mischung zwischen Kurzfilmen im Graphic Novel-Stil und Hans-Joachim Kulenkampffs "Nachtgedanken", bekommt ebd. warme Worte. +++

+++ Die Tsp.-Medienseite stützt mit einem DPA-Bericht die gestern auf der Titelseite (siehe Altpapier) begonnene Öffentlich-Rechtlichen-Transparenzdebatte. +++ Und weist auf die Ausstellung "Bild dir dein Volk! Axel Springer und die Juden" im Jüdischen Museum in Frankfurt hin. +++

+++ Und Neues von Thommy Gottschalk? Na ja. Die Bild-Zeitung schnappte auf, wie das Mediengeschöpf Sarah Kuttner, das es ja auch nicht leicht hat, bei Harald Schmidt, der es quotenmäßig ebenfalls nicht leicht hat, sich zunächst über eine Ausladung aus Gottschalks Show beklagte, diese dann aber selbstkritisch auf eigene Unsupercoolness zurückführte. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.