Netzkulturkampf

Netzkulturkampf

Zwischen CCC und CSU, im langen Schatten Otto von Bismarcks wird im deutschen Internet und Blätterwald kräftig (sabbernd) gehevelingt. Außerdem: ein (halb) neuer Medien-"Think Tank", ein neuer, sogar globaler Ausspielkanal für Jauch und Illner.

Immerhin, im leider völlig inoffiziellen Politikbereich Netzpolitik ist eine lagerübergreifende, interaktive Debatte im Gange - Ansgar Heveling und seinem Handelsblatt-Gastbeitrag "Netzgemeinde, ihr werdet den Kampf verlieren!" (siehe Altpapier) sei Dank.

Frische, unter dem Eindruck des Shitstorms/ Fäkalienwirbels stehende O-Töne des Twittertrendsetters Hebeling selbst gibt es bei der DPA ("Dies zeigt, dass die Grundannahmen meines Beitrags offensichtlich nicht falsch sind"), bei der u.v.a. für Hebelings heimatliches Korschenbroich zuständigen Westdeutschen Zeitung ("Ich glaube, dass es schon bald eine Generation geben wird, die mit dem Internet ganz anders umgeht. Blogger haben dann keine Relevanz mehr") sowie in der FAZ. Auch dieser gegenüber sah Hebeling seine "provokant formulierte These" bestätigt, was der im Vergleich wortgewandtere Michael Hanfeld dann u.a. in folgende, provokant formulierte Sätze kleidet:

"Sonderlich instruktiv ist diese Breitseite nicht; die Frage, wie sich das Urheberrecht als eine Grundfeste freiheitlich-demokratischer Wertordnung in der digitalen Welt bewahren lässt, bedarf schon einer genaueren Erörterung. Doch hat Heveling sein Ziel erreicht - die vermeintliche Web-Avantgarde, die er als untergehendes Generationsphänomen ausweist, ist getroffen ins Mark. Und also ... treten Kampf- und Brüllblogger in Reihe an, um den Abgeordneten niederzuschmähen."

Zum Beleg rekapituliert Hanfeld die gestern u.a. hier im Altpapier zusammengefassten Reaktionen und ärgert sich besonders über Mario Sixtus, "der für das ZDF als 'Elektrischer Reporter' unterwegs ist und, mit Rundfunkgebührensold im Rücken, sich seit Jahren an den Verlagen und der gedruckten Presse abarbeitet".

"Die 'Netzgemeinde', möchte man meinen, hat den Kampf angenommen. Zumindest die Knallchargen aus dem Web 2.0, die Heveling meint. ... ... Wie Pawlowsche Hunde sabbern manche von Hevelings Antipoden nun um die Wette. Ihre Kanonade ist so vorhersehbar wie dumm, geht, wie üblich, auf unterstem Niveau ad personam und hat etwas Verzweifeltes",

schreibt Hanfeld  u.a. weiter. Wer den den von Heveling inflationär ausgerufenen "Kampf" definitiv als solchen angenommen hat: Frank Rieger. Vom Sprecher des Chaos Computer Clubs, aber auch FAZ-Feuilleton-Autor hat der Online-Auftritt des Handelsblatts (Offenlegung: für den ich gelegentlich Talkshowkritiken schreibe) eine Heveling-Replik unter der Überschrift "Kulturkampf? Könnt ihr haben!" publiziert. Gleich eingangs kommt eine der derzeit schärfsten Waffen des Netzes zum Einsatz ("Im Netz etabliert sich hingegen gerade ein neues Wort: 'hevelingen: wild über etwas schwadronieren, wovon man keine Ahnung hat"), die auch höherrangigen (Ex-) Politiker schon spüren mussten und müssen:

"Ebenso bizarr mutet die Hevelingsche Idee an, das 'geistige Eigentum' wäre die wesentliche Kernerrungenschaft der bürgerlichen Revolution. Es klingt ein wenig, als würde hier aus einem schlampig zusammengestellten Stichwort-Katalog der Medienindustrie geguttenbergt. Die europäische Aufklärung, mit der gewisse Teile der Union ja so ihre gelegentlichen Probleme haben, fußte auf genau den Dingen, die Heveling so kriegerisch und pathosschwanger angreift und abgeschafft sehen will."

Gegen Ende seines Beitrags, auf der dritten Onlineseite (denn die "Auf einer Seite ansehen"-Funktion haben die Handelsblatt-Klickfüchse abgeschaltet), bringt Rieger dann noch schärfere Waffen in Stellung:

"Eines sollte auch Herr Heveling nicht vergessen: Dass für Inhalte gezahlt wird, ist eine freiwillige Aktivität der Nutzer. Jeder Cent Einnahmen der Industrie kommt aus den Taschen der Konsumenten. Wenn diese genug haben von Gängelung, Einschränkungen und Netzkastration kann sich diese Zahlungsbereitschaft auch schnell ändern. Ein Totalboykott von kostenpflichtigen Medienprodukten ist für viele Nutzer durchaus machbar, und 'das Netz' hat gezeigt, dass Massenmobilisierungen in kürzester Zeit funktionieren."

[+++] Kurzum: Frank Rieger hat auch schon wesentlich filigraner argumentiert. Andererseits, wer ihn auf den Kulturkampf-Trip geritten hat, war vermutlich Otto von Bismarck, den gestern jeder Netzbewohner auf dem Schirm oder im Ohr hatte (und dem heute jeder Blätterwaldbewohner an den für buntere Dinge vorgesehenen Stellen auf Seite 1 oder 3 begegnet), weil überraschend für das längst überkommene Medienabspielgerät namens Phonograph erstellter Audio-Content aufgetaucht ist. Falls Sie das näher interessiert: Die wohl ausführlichsten Infos gibt's bei cylinder.de. (Und falls Ihnen die Aufnahme doch arg verrauscht vorkommt: Ray Dolby, der designierte Berlinale Kamera-Preisträger, wirkte erst weit nach Thomas Alva Edison und Bismarck...).

[+++] Doch zurück zum drohenden Gegenwarts-Kulturkampf. Wer den vielleicht noch verhindern könnte: Dorothee Bär, alias @DoroBaer bei Twitter. Sie ist stellvertretende CSU-Generalsekretärin und Vorsitzende des CSU-Netzrats (und "geschichtsbewusste Politiker", wie Ansgar Heveling wissen: Die CSU ist eine Nachfolgepartei des Zentrums, das im originalen Kulturkampf zu Bismarcks Gegnern zählte). Bär hat ebenfalls einen Gastbeitrag für handelsblatt.com verfasst, einen erstaunlich vernünftigen sogar:

"Statt die unglaublichen Chancen aufzuzeigen, die das Internet bietet, beschwört er geradezu einen Kulturkampf herauf und deklariert das Internet zum Feind von Freiheit und Demokratie, wo das exakte Gegenteil der Fall ist. Was würde darüber eigentlich ein Blogger sagen, der über die Missstände in seinem Land berichtet, der über Folter und Despotie informiert, wo sonst jeder Kontakt zur demokratischen Außenwelt unmöglich ist?"

Heveling fundiert contra gibt, nachdem sie ihm zunächst einmal bescheinigt hat, dass er sich mit dem Internet "beschäftigt" und es wahrscheinlich sogar "nutzt", heute des weiteren Meike Laaff in der TAZ:

"Nicht einmal ein verhältnismäßig junger konservativer Politiker begreift, dass Protest gegen digitale Politikvorhaben nicht zwangsläufig undemokratisch ist, nur weil er sich nicht in dem etablierten Pingpong von Politik und Big-Player-Lobbyismus formiert."

Hevelings Text dokumentiere, wie "spektakulär" die vom Bundestag eingesetzte Enquetekommission für Internet und Digitale Gesellschaft - "dieses Gremium, das seit fast zwei Jahren versucht, einen Dialog zwischen Netzöffentlichkeit, Lobbyisten und Politikern über netzpolitische Fragen zu stimulieren" - "gescheitert ist". So Laaff.

[listbox:title=Artikel des Tages[Rieger/ CCC vs. Heveling (HB)##Bär/ CSU vs. Heveling (HB)##Laaff (TAZ) aber auch##Neues Medienportal vocer.org##Bismarcks Audiodatei (cylinder.de)]]

Was das Spektakuläre daran vielleicht ein wenig mildert: dass kaum jemand, der nicht selbst zur Enquetekommission gehörte oder dort aufgetreten ist, davon überhaupt Kenntnis erlangt hatte. Insofern ist Hevelings Ansatz, so verquer er wirkt, vielleicht gar nicht so schlimm, sondern führt wirklich zu den ewig angedachten Gesprächen.

[+++] Dass es im Internet bislang zu wenig Orte oder Seiten für Mediendebatten gäbe, würden wahrscheinlich weder seine härtesten Kritiker, noch die eifrigsten Verteidiger des Netzes behaupten. Nun gibt es aber noch ein neues "Debattenportal zur Medienkritik", das zugleich "Think Tank" sein möchte. Oder ein zumindest halb neues. Gestern nahm vocer.org "nach viermonatiger Testphase offiziell seinen Betrieb auf", heißt es in der Pressemitteilung des Gründungsherausgebers Stephan Weichert.

Aktuell räsoniert oben auf dem Portal der "Stern TV-Magazin"-Moderator Steffen Hallaschka dort über die Zukunft des Fernsehens ("...ist das Nahsehen"). Und dafür, dass das Portal bislang noch gar nicht so richtig gestartet ist, sei "die Vielzahl prominenter Autoren ... deshalb bemerkenswert, weil 'Vocer' selbst gemeinnützig organisiert ist und nicht durch Werbung finanziert wird", schreibt dazu Kai-Hinrich Renner.

Wer schon immer mal wissen wollte, was Stephan Weichert gerne isst, kommt in Springers Hamburger Abendblatt aber auch auf seine Kosten.


Altpapierkorb

+++ Es gibt ein neues Outlet für die Talkshows von Maybrit Illner, Reinhold Beckmann und Günther Jauch: die neue "Deutsche Welle". Das ab 6. Februar geltende neue Konzept des deutschen Auslandssenders wurde gestern in und demzufolge heute in SZ, FAZ und frei online im Tagesspiegel vorgestellt: "'60 Prozent wird der Anteil aus ARD und ZDF künftig am Gesamtprogramm ausmachen' sagte Bettermann. Zahlen müsse die Deutsche Welle dafür nicht extra, sofern die Sender jeweils die sogenannten Weltrechte innehaben würden. Erik Bettermann wünscht sich aber nicht nur mehr Talks, Dokumentationen und Reportagen in seinem Programm, sondern auch mehr Unterhaltung - als 'Schmiermittel', um Zuschauer ans Programm heranzuführen. Über Formate wie 'Tatort' oder Filme wie 'Die Manns" wolle er deshalb bald mit den öffentlich-rechtlichen Anstalten sprechen", heißt es dort. +++ Falls jemand ein vierminütiges Werbevideo ansehen möchte: hier. +++

+++ Der frische "Meilenstein" zu Axel Springer, "Journalist – Unternehmer – Freiheitskämpfer" (axelspringer.de) gilt der Medienjubelveranstaltung Goldene Kamera. +++ Der Springer-Verlag bzw. die darin erscheinenden Nicht-Boulevardzeitungen werden sich "noch besser und effektiver" organisieren. Das sagen die Chefredakteure der Welt und der Berliner Morgenpost, Jan-Eric Peters und Carsten Erdmann, im meedia.de-Interview. Anlass: die gestrige Tagesspiegel-Meldung, dass die seit rund zehn Jahren synergetisch in einem gemeinsamen Newsroom hergestellten Blätter wieder ein wenig entflochten werden sollen. Das geschehe, sagt Peters, "vor allem aus Platzgründen. Bei mittlerweile rund einem Dutzend Titeln, die unsere gemeinsame Redaktion erstellt, reicht ein Newsroom zur Produktion eben nicht mehr für alle." +++

+++ Eine alte neue Baustelle möchte Dieter Dörr, u.a. Mitglied der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK), auf der Medienseite 15 der Süddeutschen eröffnen. Dort bestreitet er der Deutschen Telekom das Recht, Bewegtbildrechte an der Fußball-Bundesliga zu erwerben: "Es gilt nämlich - wie es der jetzige Bundesverfassungsrichter Peter Michael Huber mit Blick auf öffentlich beherrschte Unternehmen treffend formuliert hat - den Erosionstendenzen und damit der Relativierung und Marginalisierung der Staatsfreiheit auch im Bereich des privaten Rundfunks entschlossen entgegenzutreten"! +++ Instrukiver zum selben Themenfeld: Was dwdl.de kürzlich über die Fernsehbemühungen der Telekom schrieb. +++

+++ Den von Hardy Prothmann, Blogger für Heddesheim und viele benachbarte Orte, geplanten Verein, "um Blogger und freie Journalisten vor dem 'Abmahnwahn' zu schützen", findet Lawblogger Udo Vetter sinnvoll: "Auf der ganzen Welt zahlt jede Seite ihre Anwaltskosten selber, nur bei uns muss der Abgemahnte auch noch das Anwaltshonorar des Klägers begleichen, wenn er die Unterlassungserklärung unterschreibt." (Berliner Zeitung). +++ Aktuell bebloggt Vetter übrigens Herrn Heveling. +++

+++ Fiktionales Fernsehen: "Was vom Inhalt her plump wirkt, ist also sehr subtil gespielt", lobt Daniela Zinser in der TAZ den heutigen ARD- (bzw. vor allem ORF-)Film "Die Schatten, die dich holen". "Der Regisseur Robert Dornhelm hat insofern einen eleganten Film gemacht, als er Distanz zelebriert. Er schickt seine Figuren in eine fatale Anordnung und spielt durch, wie sich Handlungsmöglichkeiten verengen, bis alle anfangen, sich gegenseitig aus dem Weg zu räumen", fügt Claudia Tieschky in der SZ, S. 15 kaum weniger sphingisch hinzu. Aber Jochen Hieber in der FAZ gibt ihm Saures: "Die ARD hat schon jetzt den falschesten Film des Jahres im Programm". U.v.a. moniert er, dass die österreichischen Hauptdarsteller Aglaia Szyszkowitz und Bernhard Schir ihre Dialoge "in einem so gestochenen Hochdeutsch" führen, "dass selbst Hannoveraner darüber vor Neid erblassen müssen". Immerhin verzichtet Hieber dennoch auf Wulffwitze. +++ Mehr frei online bei den Herren Gangloff und Tittelbach. +++ "Ein bisschen bieder ist das, aber auch nicht schlecht. Sie machen ja kein Kino. Sie erzählen nur davon" (Jens Müller in der TAZ über "Unser Hollywood - Kino aus Babelsberg" auf Arte). +++

+++ Showfernsehen in der BLZ: Die älteste deutsche Unterhaltungssendung, freilich jünger als Otto von Bismarck, stammt aus der DDR und wird beim MDR reanimiert. Torsten Wahl ist gespannt, "ob 'Außenseiter - Spitzenreiter' nur eine weitere Parade von Spinnern und Freaks bleibt oder die einstige Originalität zurückgewinnen kann". +++ Frisch online besprochen: die neue Vox-Show "Das perfekte Model". Sie verhalte sich "zu 'Germany's Next Top Model' wie 'The Voice' zu 'Deutschland sucht den Superstar'", berechnet Unterhaltungsmathematikerin Carmen Böker. +++ Gar kein Fernsehen, "eine Talkshow im Contra-Kreis-Theater" zu Bonn, in der Alfred Biolek von früher erzählte, beobachtete die FAZ. Das Publikum habe "jede noch so vielsagende Anekdote mit einem tiefenentspannt-nostalgischen 'Jaaaaaa' kommentiert". +++

+++ Was gab es bei der Journalistenpreis-Sause "Journalisten des Jahres" zu essen? U.a. unmstrittene Käseteller, wie die (befangene) Beinahe-Top-Unterhaltungsjournalistin Silke Burmester in der TAZ beglossiert. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.