SOPA, PIPA, KEF

SOPA, PIPA, KEF

Streik im englischsprachigen Internet. Heute bleibt die Original-Wikipedia schwarz. Kaum Streit ums deutsche Öffentlich-Rechtliche: Die GEZ-Gebühren bleiben auch in ihrer neuen Form erst einmal, wie sie waren - vor allem aus Ratlosigkeit.

Ebenbürtige Agendasetter machen Christian Wulff und auf seiner Gegenseite den Würdenträgern der vierten Gewalt den Rang als Topthemen streitig: der Internet-Streik in den USA, der im Moment im Gange ist, sowie im Inland die "einzige Institution, die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk wirklich etwas zu sagen hat".

Zunächst jedoch zum Blackout, der Wikipedia-Abschaltung (Tsp./ DPA) bzw. Ausschaltung (FTD) bzw. der für "24 Stunden selbstauferlegten Sperrung aller Inhalte", wie es die FAZ am präzisesten formuliert: Er geschieht im Kampf gegen die Gesetzesentwürfe namens SOPA (Stop Online Piracy Act) und PIPA (Protect IP Act) und sieht zwar bei der englischspachigen Wikipedia besonders eindrucksvoll aus, findet aber längst nicht allein dort statt. Wie er anderswo aussieht, zeigt die "#SOPA: Blackout-Gallery" von netzpolitik.org, das am umfangreichsten auf deutsch über die Hintergründe berichtet und auch Bezüge ins Inland herstellt.

Informationen über SOPA, PIPA sowie ungefähr entsprechende internationale Gesetze zwischen Neuseeland, Frankreich mit seinem hierzulande relativ bekannt gewordenen Hadopi-Gesetz und Spanien mit seiner Affäre ums Sinde-Gesetz fasst Christian Stöcker bei SPON zusammen. Gemeinsam sei all diesen Gesetzen, dass sie US-amerikanisch angestoßen sind:

"Der Fall Spanien zeigt in seltener Klarheit, wie rigoros das US-Außenministerium die Interessen der eigenen Entertainmentbranche durchzusetzen versucht."

Da hinken die USA selbst einstweilen hinterher. Dort

"ist man bislang übrigens weit weniger rabiat: Dort gibt es keine gesetzlich vorgeschriebene Vorratsdatenspeicherung - auch für die haben die Branchenverbände stets lobbyiert -, keine Sperrgesetze und keine 'three strikes'-Regelungen für Tauschbörsennutzer. An der wütenden Reaktion der US-Internetszene auf Sopa und Pipa kann man sehen, warum: Nicht nur die Urheberrechtslobby, auch die Netz-Lobby ist in den USA besonders stark."

Ist es denn die vom sympathischen Friedensnobelträger Barack Obama angeführte Regierung, die SOPA und PIPA in der Pipeline hat? Jein, informiert auf deutsch vergleichsweise ausführlich die Süddeutsche (die den Ernst dadurch unterstreicht, dass der allenthalben als Jimmy bekannte Wikipedia-Mitbegründer und -Chef hier plötzlich Jim Wales heißt):

"Im Senat und Repräsentantenhaus haben sich überraschende Koalitionen von Demokraten und Republikanern gebildet, die das Anti-Piraterie-Gesetz unterstützen. Das Weiße Haus machte indes am Wochenende deutlich, dass Präsident Barack Obama Kernteile des Gesetzes, das zur Abschaltung von Internet-Adressen führen könnte, ablehnt."

Und diese Ablehnung sei ebenfalls parteiübergreifend:

"So lehnt die linke Chefin der Demokraten im Repräsentantenhaus, Nancy Pelosi, Sopa genauso ab wie Darell Issa, einer der einflussreichsten - und konservativsten - Abgeordneten der Republikaner."

Auch in den USA ist die Netzpolitik den jeweils Regierenden also eher gleichgültig und gelangt nur dann auf die Tagesordnung, wenn die Lobbys drücken. Um eine offene inhaltliche Analyse bemüht sich der Welt-Politikredakteur Ulrich Clauß:

"Es geht also nicht nur um schrankenlose Konsumfreiheit contra Urheberrechte. Es geht auch um 'alte' Medienwirtschaft gegen 'neue' Netz-Ökonomie. Das muss wissen, wer sich jetzt im ersten Reflex gegen die Rechtebesitzer stellt, die berechtigte Sorgen um ihre Renditen - und nicht zuletzt auch ihre Arbeitsplätze - haben."

Obwohl Springer-Angestellter, ist am Ende des Abwägens dann aber auch Clauß gegen SOPA ("Das technische System des Internet muss geschützt werden vor beliebigen Eingriffen, und seien sie im Einzelfall auch noch so verständlich").

[+++] An diesem Punkt verdient noch rasch das Interview Erwähnung, das meedia.de kürzlich mit dem Springer-Außenminister bzw. "Konzerngeschäftsführer Public Affairs", Christoph Keese darum führte, weil dieser als Vertreter des deutschen Konzerns neuerdings auch im Board of Directors des mit Copyrights befassten  US-Unternehmen NewsRight sitzt. Die letzte Frage lautet: "Mit anderen Worten sind US-Medienkonzerne nach Ihrer Auffassung agiler, was die Verfolgung von Verstößen gegen das Urheberrecht angeht?", und Keese antwortet:

"Die Agilität ist auf beiden Seiten des Atlantiks gleich groß. Was sich unterscheidet, ist der Rechtsrahmen. Die USA schützen Investitionen in Kreativität entschlossener als die Deutschen."

[+++] In medialer Hinsicht so fest entschlossen wie kaum eine andere Nation stehen die Deutschen bzw. zumindest ihre Entscheidungsträger zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Dessen Finanzierung wird bekanntlich ab 2013 von der GEZ-Gebühr auf die Haushaltsabgabe umgeschaltet. Ihre Höhe soll bis 2016 bei 17,98 Euro pro Monat konstant bleiben, teilte die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) gestern mit. Hier geht's zu ihrer Original-Pressemitteilung (inklusive sieben "Zusatzinformationen" im PDF-Format), hier zur vereinfachten Zusammenfassung nebenan.

Wie immer in Sachen GEZ ist der Interpretationsspielraum rund um den wenig sensationellen Newsgehalt gewaltig. "1,1 Milliarden Euro Mehrbedarf abgeschmettert" jubeln die Öffentlich-Rechtlichen-Gegner von der Bild-Zeitung (und gehen nonchalant darüber hinweg, dass zumindest teilweises "Abschmettern" von angemeldetem Bedarf der Sender durch die KEF natürlich zum Spiel gehört). "Beitrag bleibt stabil", freut sich die ARD (und geht nonchalant darüber hinweg, dass bisher zu jeder neuen Gebührenperiode der Beitrag zwar niemals in der vorher gewünschten Höhe, aber doch zumindest immer erhöht wurde und noch niemals in diesem Sinne "stabil" blieb).

In solchen Lagen vertiefende Erklärungen zu bieten gehört zu den Kernstkompetenzen von Medienredakteuren. Und einige schreiten heute (bzw. schritten gestern, um heute gedruckt vorliegen zu können) zur Tat:

Es bleibt weiterhin unklar, was genau die Umstellung von GEZ-Gebühr auf Haushaltsabgabe bringt, ja, "faktisch sieht sich das Expertengremium" der KEF "außerstande, eine verlässliche Prognose über die tatsächlichen Einnahmen der Sender ab 1. Januar 2013 abzugeben", meint Joachim Huber im Tagesspiegel.

"... Die Nullrunde, die sich seit Herbst abzeichnet, hat nichts damit zu tun, dass man die Anstalten etwa drastisch in die Sparschranken wiese. Sie ist das Resultat von Ratlosigkeit. ... Die Ausführungen der KEF-Fachleute lesen sich nun wie ein Mängel-Dossier rund um die von den Ländern beschlossene Reform, die Kritiker schon lange als 'Blindflug' bezeichnen",

[listbox:title=Artikel des Tages[US-Wikipedia über SOPA & PIPA (engl.)##Warum das uns angeht (netzpolitik.org)##Wie die USA internat. Gesetze beeinflussen (SPON)##O-Ton KEF zur Gebührenlage##Etwas leidenschaftlichere Tsp.-Interpretation##TAZ über Familien aus der Privat-TV-"Reality"]]

würde Claudia Tieschky (Süddeutsche, S. 15) sogar sagen. Sie ist es, die die KEF die "einzige Institution, die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk wirklich etwas zu sagen hat", nennt. Das nächste Mal etwas sagen wird die Institution eben  der "Reform-Wirrnis" wegen früher als turnusmäßig üblich, nämlich 2013. Dann könnte der 17,98 Euro-Wert pro Haushalt steigen oder sinken, obwohl ARD und ZDF keine neue Ansprüche anmelden dürfen - je nach dem, ob die zunächst kräftig aufgestockte GEZ (Tieschky: "Grob verglichen kann man sagen, dass der GEZ-Sonderaufwand für die Reform - in drei Jahren beläuft dieser sich demnach auf knapp 90 Millionen Euro - etwa einem Jahresbudget des ARD-Senders Radio Bremen entspricht") durch die Haushaltsabgaben-Regelung mehr oder weniger Geld eingetrieben haben wird.

"Ein paar Rüffel und Aufgaben formuliert die Kef überdies", schreibt ungewöhnlich leidenschaftslos Michael Hanfeld in der FAZ (S. 33), vielleicht weil "die Investitionen ins Internet" durch ARD und ZDF ("In den Jahren 2009 bis 2012 wendeten die öffentlich-rechtlichen Sender dafür rund 630 Millionen Euro auf, von 2013 bis 2016 dürften es 720 Millionen Euro sein") nicht dazu gehören. Mehr Leidenschaft vermittelt Tagesspiegel-Redakteur Huber:

"Nahezu ärgerlich wird die KEF beim Personalaufwand. Die ARD-Anstalten hätten weniger Stellen als erwartet abgebaut. Das Zweite habe statt 120 Stellen zu kürzen zwischen 2009 und 2012 sogar 180 neue Stellen geschaffen, sagte KEF-Chef Heinz Fischer-Heidlberger. Die KEF reagiert darauf mit Streichungen beim Personalaufwand. Beim Kinderkanal wird der Finanzskandal berücksichtigt, bei dem acht Millionen Euro veruntreut worden waren. 'Wenn man nicht einmal merkt, dass einem dieses Geld fehlt, dann kann man es auch einsparen', sagte Fischer-Heidlberger."


Altpapierkorb

+++ Was macht der Bundespräsident? War Gesprächsthema beim glamourösen Galaabend der Süddeutschen in Berlin. Dieselbe berichtet: "Gegen 20 Uhr ist es so voll geworden, dass selbst der Crémant kaum noch durchkommt. Jedes Jahr im Januar bringt die 'Nacht der Süddeutschen Zeitung' Wirtschaftsbosse, Kulturschaffende, vor allem aber Medienleute und Politiker in der Hauptstadt zusammen. Der Partymodus: gesprächig bis geschwätzig. Der Geräuschpegel: übertönt selbst das Nebelhorn-Tuten der Band. Wenn man sich in den Sitzecken so umhört, ist die Sache Wulff immer noch ein Thema, wobei sich eine Entwicklung abzeichnet: Die meisten reden inzwischen sehr ausgiebig darüber, warum man allmählich weniger darüber reden sollte." +++ Feinster Metropolen-Bratwurstjournalismus dazu auch bei den befreundeten Kollegen von der Bild-Zeitung: "Jede Menge gute Laune - und Appetit" habe "Bundeskanzlerin Angela Merkel (57)" mitgebracht. +++

+++ Ebenfalls Gesprächsthema ist Christian Wulff eine Seite später in der SZ, aber nur in ein bis zwei Fragen des ganzseitigen Interviews mit Regisseur Helmut Dietl ("Der Gipfel der Lächerlichkeit war ja, dass da wirklich zwei ganz wesentliche Hauptstadt-Journalisten sitzen, und dann sagt diese Frau, Wulff hätte doch, was weiß ich, seinen Freunden 150 Euro in die Hand drücken können. Ich mein: 'Krähwinkel!'" - "Also in einem Dietl-Film würde Wulff auf jeden Fall Präsident bleiben?" - Dietl: "Ja, sicher. Klar. In der Tat gibt es auch filmisch noch einiges zu sagen über diese Quadratmeile. ...") Man darf wahrscheinlich gespannt sein, ob Helmut Dietl oder Dieter Wedel den ersten Wulff-Film drehen oder zumindest ankündigen. +++ Dass das Internet "zunehmend Abspielfläche für Filmprojekte" wird, die früher für Kino oder Fernsehen produziert worden wären, berichtet die Medienseite der Süddeutschen mit Bezug auf Projekte von Hulu, Youtube und besonders Netflix. Das beauftragte Regisseur David Fincher mit der US-Version der britischen Fernsehserie "House of Cards". +++

+++ "So etwas gibt es nicht alle Tage: Die öffentliche Hand gibt von einem Jahr auf das andere für eine Dienstleistung eine Million Euro mehr aus", nämlich das Bundespresseamt zahlt an die Nachrichtenagentur DAPD statt 0,6 künftig 1,6 Millionen Euro im Jahr. "Bei den Gesprächen mit dem Bundespresseamt soll die Drohung im Raum gestanden haben, dapd ziehe seine Dienste ab - die Agentur bestreitet dies", schreibt in der FAZ (S. 33) wiederum Michael Hanfeld. +++

+++ Die Lage beim ORF (siehe Altpapier gestern) beleuchtet die TAZ per Bericht von Ralf Leonhard aus Wien und per etwas unentschlossenem Kommentar. +++ Besteht der "Katholische Nachrichtendienst KNA" aus "Gottes gefälligen Dienern"? Ein Denkanstößchen der TAZ-Kriegsreporterin. +++ Lediglich "ekelhafte Geschäftstüchtigkeit", nicht jedoch "Nazi-Werbung" sieht nun auch die TAZ in Gestalt Klaus Hillenbrands beim Vorhaben des Blattes Zeitungszeugen (bzw. der es herausgebenden "Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach englischem Recht"), Hitlers "Mein Kampf" als Supplement zu verwerten: "Wahrscheinlich kommt es jetzt so, wie es kommen muss: [Patrick] McGee bringt Ende Januar sein 'Mein Kampf'-Schmuddelblatt heraus. Der Freistaat Bayern ergreift juristische Schritte. McGee darf sich über diese kostenfreie Werbung freuen. Einige zehntausend Deutsche greifen zur Abwechslung mal zu". +++ Auch der Tsp. referiert. +++ Und nochmals tazzwei: lesenswerte Reportage von Jenny Bauer über Familien, die sich "zu sehr auf die mündlichen Absprachen" mit Fernsehproduzenten verlassen haben und nun seit Jahren, weil das Privatfernsehen seine "Doku-/ Reality-"Formate so gründlich vielfachverwertet, gar noch in Bottrop von Passanten wiedererkannt werden... +++

+++ "...Bei Lichte betrachtet glaube ich ohnehin nicht, dass all die, mit denen man sich der Medienforschung zufolge in den Kaffeeküchen der Republik am 'Tag danach' über das Dschungelcamp angeblich so gut unterhalten können soll, wirklich alle selbst gucken. Als hätten die Angestellten des 'To Go'-Zeitalters heutzutage noch Zeit für Kaffeepausen! Die meisten lassen doch längst schauen..." Klaudia Wick bietet nicht bloß eine solche Schauenlassen-Dienstleistung an (RTL-Dschungelcamp), sondern verknüpft die Fernsehshow-Betrachtung  auch schon wieder mit gesellschaftspolitischen Analysen. +++

+++ Das radikale, allerdings vorweg (20.15 Uhr) ausgestrahlte Kontrastprogramm der ARD bespricht sie aber auch. Ebenfalls "Der letzte schöne Tag" sahen der Tsp. und Tilmann P. Gangloff hier nebenan. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.