Fabelhaft borgieske Persönlichkeiten

Fabelhaft borgieske Persönlichkeiten

Anschlag auf den Anstand? Neues von der Zeitungskabale aus Basel. Außerdem: Was tun, wenn plötzlich Karl-Theodor zu Guttenberg am Telefon ist?

Während die FAZ auf ihrer ersten Seite im Kommentar zur aktuellen Bundespräsidenten-Kabale noch einen deutschen Fernsehserienterminus verwendet ("traumschiffhafte Fotos" habe Christian Wulff von seiner jüngsten Auslandsreise mitgebracht), adelt Andreas Kilb, Gegenwarts-Filmkritiker mit historischem Faible, im Kommentar der ersten Feuilletonseite zurselben Sache den Bundespräsidenten mit Bezug auf eine europäische Fernsehserie (oder eine amerikanische mit europäischem Thema) als "borgiesk". Europa wächst eben zusammen.

[+++] Doch gilt längst nicht mehr jedes Attribut südländischer Lebensart als uneingeschränktes Lob. Am klarsten macht dies - und damit ins unmittelbare Medienmedien-Geschehen - der Begriff "Berlusconisierung".

Damit charakterisierte der grüne Basler Regierungspräsident Guy Morin die Vorgänge um die Basler Zeitung, von denen Sie gestern hier im Altpapierkorb gelesen haben könnten. Und damit u.a. überschreibt ein hochrangiges Autorentrio der Süddeutschen Zeitung seinen heutigen Bericht darüber, der vor Empörung geradezu vibriert:

"Es gibt viele Möglichkeiten, Zeitungen in arge Schwierigkeiten zu bringen oder gar umzubringen. Eine der sichersten Methoden ist es, die Besitzverhältnisse unklar zu lassen und gleichzeitig das Blatt dem Dauerverdacht politischer Einflussnahme auszusetzen. Der Basler Zeitung (BaZ) ist es so widerfahren. Ob die größte Zeitung im Raum Basel aus dieser Geschichte halbwegs heil rauskommen wird, ist sehr ungewiss. Gibt es eigentlich eine Strafe für einen Anschlag auf ein anständiges Blatt?",

schreiben Wolfgang Koydl, Hans Leyendecker und Claudia Tieschky in der traditionellen Eine-Zeitung-ist-keine-Marmeladenfabrik-Rhetorik, die man in solcher Reinform zuletzt las, als der britische Finanzinvestor David Montgomery vorübergehend die Berliner Zeitung besaß.

Es ist aber auch eine abgefeimte Art und Weise, auf die "der Spiritus rector der rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei (SVP), Christoph Blocher", und seine Tochter Rahel Blocher die in der Schweiz angesehene Zeitung unter ihre Kontrolle gebracht zu haben scheinen. Das SZ-Trio gibt einen guten Überblick aus deutscher Sicht und lobt die "hartnäckigen und intensiven Recherchen der Neuen Zürcher Zeitung und des Zürcher Tages-Anzeigers". Aktuelle schweizerische Artikel, darunter eine Äußerung des betroffenen Blattes in eigener Sache, sammelt die Webseite rettet-basel.ch (während die von der SVP betriebene Webseite rettet-basel-nicht.ch gegen die "mobbistische Aktion" anargumentiert und zumindest von der Lebhaftigkeit der schweizerischen Debatte zeugt).

Wer sich selbst ein Bild von Christoph Blocher machen möchte: Das auch im SZ-Artikel erwähnte Angebot teleblocher.ch ist sozusagen ein Videoblog, in dem er seit sage und schreibe 223 Folgen in ausgesprochen ruhiger Inszenierung (aber hartem Schwyzerdütsch) "Das Blocher-Prinzip" schildert. In der aktuell oben auf der Seite präsentierten Folge 223 geht es um die BaZ.

Frische Entwicklungen enthält wiederum der Tagesanzeiger: So soll der bisherige ziemlich vermeintliche BaZ-Besitzer Moritz Suter, dem der SZ-Artikel "anständigen Charakter" bescheinigt, auch in seinem eigentlichen Geschäftsfeld, der Fliegerei, schon länger mit den Blochers verflochten sein.

[listbox:title=Artikel des Tages[Anschlag auf eine anständige Zeitung (SZ)##rettet-basel.ch##Breaking News im Murdoch-Skandal? (TAZ)##Der andere Adelige auch wieder da (ebd.)]]

[+++] Zumindest aber schillernde Charaktere, diese Blochers, Borgias, Berlusconis. Eine Persönlichkeit, die sich zweifellos nicht in allen Belangen, aber vielleicht in einigen auf Augenhöhe bewegt oder bewegen kann, wirft Deutschland gerade in die europäische Öffentlichkeit. Bzw. Neelie Kroes, die niederländische EU-Kommissarin, wirft, und Deutschland staunt über die sensationelle Realsatire. In der Sache des frischgebackenen Förderers der weltweiten Freiheit des Internets bzw. Beraters der EU-Kommission zur Internetfreiheit (siehe ebenfalls Altpapier gestern), Karl-Theodor zu Guttenberg, hat Kroes einen neuen Blogeintrag veröffentlicht, der der Verwunderung in Guttenbergs Heimat im Sound von Brüssel begegnet:

"... Einige von Ihnen haben bereits die Namen verschiedener Aktivisten vorgeschlagen, die wir kontaktieren sollten: Vielen Dank dafür, wir nehmen dies gerne an. Ich beglückwünsche alle die in diesem Bereich arbeiten, besonders diejenigen vor Ort. Es gibt so viele mutige und einfallsreiche Personen und Organisationen die wertvolle Arbeit leisten. Diese Einladung verringert ihren Beitrag in keiner Weise und es soll auch ihre Arbeit nicht behindern. Ein Bestandteil von Karl-Theodors Rolle wird darin bestehen, Kontakt zu ihnen aufzunehmen, damit ihre Arbeit die Unterstützung findet die sie braucht und die Anerkennung die sie verdient. Umgekehrt hoffe ich, dass diese Aktivisten uns ihre Ideen und Erfahrung mitteilen können."

Wer weiß, vielleicht werden Markus Beckedahl und ähnliche Koryphäen der Digitalen Gesellschaften demnächst vom Freiherrn angerufen und eine Beglückwunschung ausgesprochen bekommen. Wie sollten Betroffene sich in so einem Falle verhalten? Kroes:

"Betrachten Sie meine Einladung also bitte als das, was es ist: eine Einladung an eine weitere talentierte Person die hilft, Ideen für Freiheit im Internet einzubringen. Lassen Sie sich durch diese Person nicht in Ihrer Meinung hinsichtlich der No-Disconnect-Strategie, der Digitalen Agenda oder gar der Europäischen Kommission beeinflussen. Dazu ist die Welt zu komplex: Beurteilen Sie Karl-Theodor aufgrund der Beratung die er liefert – beurteilen Sie mich und machen Sie mich verantwortlich für die Entscheidungen, die ich in Anbetracht seines Rates treffe."

[+++] Falls es übrigens durchgerutscht sein sollte, vielleicht, weil Sie RTL 2 so weit hinten auf der Fernbedienung haben oder sowieso kein Fernsehen mehr gucken: Der andere Teil der fabelhaften Guttenbergs ist gerade, gemeinsam mit dem alten Partner Udo Nagel, auch wieder auf dem Schirm, oder war es zumindest am Montagabend (vgl. dwdl.de-Einschaltquotenanalyse). Selbstverständlich besitzt auch RTL2 eine Mediathek. Hier ist "Tatort Deutschland" mit Stephanie zu Guttenberg abrufbar - aber nur zwischen 22.00 und 6.00 Uhr (vgl. unser Foto oben).

Denn Jugendschutz schreiben die zu Guttenbergs bekanntlich mindestens so groß wie Internetfreiheit.


Altpapierkorb

+++ Armer Dreiteiler "Dreileben": Das mit weitem Abstand Interessanteste am jüngsten Interview, das ARD-Programmdirektor Volker Herres zum ewigen Thema Thomas Gottschalk der DPA gab (und das der DPA-Kunde Tagesspiegel analysiert), ist der Umstand, dass das an einem einzigen Montag im Sommer diesen Jahres gesendete relative Experiment noch immer als Beleg für die Behauptung missbraucht wird, der ARD seien Einschaltquoten weniger wichtig als Anspruch. +++

+++ Breaking news im britischen Murdoch-Presse-Skandal? Der härteste Vorwurf, der sich gegen die eingestellte Boulevardzeitung News of the World richtete, war der, auf der Mailbox eines verschwundenen (und wie sich dann herausstellte, bereits ermordeten) Mädchens Nachrichten gelöscht zu haben. Doch könnte ""die betreffende Voicemail auch automatisch gelöscht worden sein", und zwar gemäß einer Standardeinstellung, wonach "bereits abgehörte Nachrichten nach 72 Stunden gelöscht" würden (TAZ). +++

+++ Voll europäisch heute auch die FAZ-Medienseite: die französische Late-Night-Show "On n’est pas couché", an der sich Harald Schmidt bitte ein Beispiel nehmen sollte, ein urheberrechtlicher Gesetzentwurf der spanischen Kulturministerin Ángeles González-Sinde, der "auf Druck von Bloggern und Twitterern wieder vom Tisch genommen" worden sei, sowie im Bild jener "Dumawahlzettel..., auf dem ein in London lebender Stimmberechtigter den Präsidentschaftskandidaten Putin mit einem unflätigen Fluch bedachte", dessen Abbildung den russischen Kommersant-Chefredakteur Maxim Kowalski den Posten kostete (den gibt's auch inkl. expliziter Übersetzung bei SPON; von der heutigen FAZ-Medienseite dagegen zurzeit nix frei online). +++

+++ "Die Arbeit eines Reporters ist heute genau die gleiche wie vor hundert Jahren". Andererseits sind (bzw. waren schon immer) Reporter "selbst Social Networks. Sie gehen zu Protesten, reden mit Demonstranten, berichten darüber, was sie hören und sehen". Das sagt die frischgebackene Trägerin der Rainer-Hildebrandt-Medaille, RTL-Reporterin Antonia Rados, im Tagesspiegel-Interview. +++ Was für ein Preis ist das? "Die Verleihung fand im Rahmen eines Festaktes im Mauermuseum - Museum Haus am Checkpoint Charly statt. Es wurde 1963 von dem Namensgeber des Preises gegründet und wird heute von seiner Ehefrau Alexandra Hildebrandt geleitet, die auch den Preis initiiert hat" (RTL). +++

+++"Eine Boulevardisierung der 19-Uhr-Sendung wird aber auf keinen Fall stattfinden". Bloß "zum Beispiel tragische, spektakuläre Entführungsfälle", die natürlich. Marcus Bäcker hat für die DuMont-Presse Matthias Fornoff interviewt, einen Hauptmoderator der 19.00-Uhr-Sendung, der außerdem ab 2012 die Leitung der "heute"-Redaktion übernimmt. Ganz interessant, wie der sich zum Aufreger der Aufkündigung der gemeinsamen ARD/ ZDF-Vormittagsnachrichten äußert ("Unser Problem ist, dass wir bislang an den Vormittagen der ARD-Sendewochen in der Nachrichtenredaktion nicht genügend Personal hatten, um in Situationen, in denen es Breaking News gibt, schnell reagieren zu können. Die Kritiker und Zuschauer fragen dann: Warum wart ihr zehn Minuten später als die ARD auf Sendung?...")+++

+++Ansonsten bringt die TAZ ihre Leser in der Sache Minister Kristina Schröder vs. das "linksextremistische" Neue Deutschland auf den Stand (siehe Altpapier gestern). +++ Und der Tagesspiegel stellt Rafael Seligmanns ab 2012 erscheinende englischsprachige Zeitung "Jewish Voice from Germany" vor. +++

+++ In der Realsatire/ Sache zu Guttenberg bleibt die TAZ fair. Und zeigt, dass der Freiherr im Vergleich mit zwei ausgewählten anderen Kandidaten (Gina-Lisa Lohfink, 25, Helmut Schmidt, 92) keineswegs besonders schlecht dasteht. +++ "Dieser andere Adelige ist auch wieder da"Alexander Graf von Schönburg-Glauchau, und zwar bei der Bild-Zeitung (TAZ-Kriegsreporterin, heute in guter Form). +++

+++ Fernsehtipps. Viel Lob für Hartmut Schoen, Autor und Regisseur des heutigen ARD-Fernsehfilms "In den besten Jahren". "Hier gibt es kein überflüssiges Blabla, keine plakativen Phrasen. Nur das Nötigste wird erklärt, es gibt abgebrochene Sätze, gut gewählte Pausen und feine, scheinbar unbedeutende Risse wie den Auftritt des Kellners. Es bleibt Raum für das Unausgesprochene, es darf gespielt werden", ja, ein "weiteres Plus dieses Films: Er ist ausnahmsweise kein Krimi", lobt schön und frei online Thomas Gehringer im Tsp.. +++ Ebenfalls frei online: Tilmann P. Gangloff hier nebenan, Rainer Tittelbach. +++ Und Kurt Sagatz ist verliebt in Apple, das zumindest lässt sich einer Arte-Doku-Besprechung entnehmen. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.