Pfui! Pfui! Pfui!

Pfui! Pfui! Pfui!

An KT zu Guttenbergs Steigbügel beweist Die Zeit Selbstkritik zumindest in den Worten ihrer Leser. Aber auch Bravo! Die ARD startet 2012 eine heimliche Qualitätsoffensive. Und: Der Journalismus könnte schon tot sein.

Vergleichsweise sehr viel los an diesem Donnerstag (bzw. dem Mittwoch, an dem seine Zeitungen gedruckt wurden): keineswegs unspektakuläre Neuigkeiten aus der ARD ("TagesWebSchau", Tagesshow"), spektakuläre Aussagen ("Handwerk des Journalismus ... so gut wie tot") vorm britischen Abhöraffären- bzw. Boulevardjournalismus-Untersuchungsausschuss, nicht nur zwei aktuelle netzpolitische Termine in Berlin...

Doch zuallererst muss der Blick natürlich in die noch bis zum Mittwoch vor acht Tagen ernstzunehmendste deutsche Wochenzeitung schweifen und schauen, wie deren neue Ausgabe die Reaktion auf die Ausgabe von vor einer Woche, die mit Coverstar KT zu Guttenberg (siehe Altpapier) aufnimmt.

Zumal Ulrike Simon heute in der Berliner Zeitung in für eine Papierzeitungsjournalistin bemerkenswerter Form die Frage stellt, inwieweit sich Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo bei seinem Interview (und Interviewbuch) "von Guttenberg hat missbrauchen lassen". Und sie am Ende, nachdem sie auch Pro-Argumente (Welche? In etwa die, die Stefan Winterbauer auf meedia.de genannt hatte: "Statt ihn anzupöbeln hat er", di Lorenzo, "zu Guttenberg sich in aller Ruhe und Ausführlichkeit selbst demontieren lassen") abgewogen hat, dann beantwortet:

"In diesem Fall haben sich die Zeit und ihr Chefredakteur für Guttenbergs Herzensangelegenheit einspannen lassen – auf das Risiko hin, dass die Seriosität nicht auf Guttenberg abstrahlt, sondern Guttenbergs Unseriosität auf das Medium. Wie aus der Redaktion der Zeit zu hören ist, befürchtet mancher genau das."

"Di Lorenzo will sich nicht äußern", schreibt Simon in ihrem Text. Was schreibt nun Die Zeit, ignoriert sie die Sache prominent, widmet sie ihr ein Gedicht?

Nein. Das dicke Blatt, das heute für einkommensstarke Entscheiderzielgruppen durchaus provokant aufmacht ("Noch jemand ohne Burn-out?") widmet der Causa seine Doppelseite 8/9. Ganz links, oberhalb einer Deutsche Bank-Anzeige, äußert sich di Lorenzo doch; er äußert sich halt lieber im eigenen Medienimperium. Unter der Überschrift "Warum dieses Interview?" argumentiert er:

"... Wenn Distanz und Kritik möglich sind und der Gesprächspartner von Interesse ist, dann sind die Bedingungen für den Abdruck eines Interviews gegeben. Die Antworten müssen dann weder dem Interviewer noch den Lesern gefallen... Eine Vorzensur durch Medien darf es nicht geben. ... Einzig Verbrechern und Extremisten, die ihre Propaganda verbreiten wollen, wird keine vernünftige Zeitung ein Forum bieten. ..."

Er habe das Interview, um das sich viele Medien bemüht hätten, nur bekommen, wenn gleich ein Buch draus wird, und wenn er sich nicht drauf eingelassen hätte, hätten es halt andere gemacht. Tja.

Auf der rechten Seite ihrer Guttenberg-Doppelseite, oberhalb einer Anzeige für Schweizer Uhren, zitiert Die Zeit aus fünf ausgewählten Pressestimmen (Stefan Niggemeier aus dem Spiegel, Malte Lehming aus der Zeit-Tageszeitungsschwester Tagesspiegel, Volker Zastrow aus der FAS, Uli Baur aus dem Focus und Felix Dachsel aus der TAZ). Die Auszüge lesen sich weithin so ausgewogen, als hätte di Lorenzo sie selbst abgewogen, um sich zu bestätigen.

Doch im mittleren und größten Teil ihrer Doppelseite stehen, sechs Spalten breit, 51 Leserbriefe und -Mails. Überschrift: "Pfui! Pfui! Pfui!". Der fast durchgehend gemeinsame Nenner geht in teils harten Worten auf ganz unterschiedlichen Ebenen dahin, dass di Lorenzo seine hehren Absichten in den Augen der Leser kaum bis gar nicht verwirklichen konnte. Dass muss man der Zeit lassen. Insofern bleibt spannend, ob die allgemeine Zeit-Sympathie nun einen Knacks abbekommen hat.

Damit zum eigentlichen Tagesgeschehen. Klassische Medien berichten auf ihren Medienseiten natürlich viel von der gestrigen Pressekonferenz der ARD-Intendanten. Und tatsächlich hat die ARD nicht nur wieder viele Pressemitteilungen abgesetzt, sondern auch vergleichsweise viele interessante Baustellen zu bieten.

Zum Beispiel werden ihre Programme 2012 noch viel täglicher. Es wird eine neue "Tages-Webschau" (kress.de) bzw. "TagesWebSchau" (meedia.de) geben, die "eine kleine Schwester der 'Tagesschau' für junge Leute" werden soll. So formulierte es Jan Metzger, der Intendant  von Radio Bremen, das die Sendung (für den Digitalsender "Eins Extra" sowie die Internetseiten der "jungen Radiowellen", soziale Netzwerke und mobile Endgeräte, so meedia.de) produzieren wird.

Und es wird 140 Sendungen "Gottschalk live" geben:

"Eine Art Tagesshow vor der Tagesschau: Unterhaltsame und moderne 'Behandlung' der Themen, die in der Tagesschau keine Heimat finden",

schürt die ARD-Werbung schon jetzt Spannung. Zumindest auf die "Behandlung". Hier die offiziellen Details zum künftigen Programmablauf im Werberahmenprogramm, in denen sich insofern eine Qualitätsoffensive verbirgt, als dass die Daily Soap "Verbotene Liebe" um sechs Minuten pro Folge und - noch qualitätswichtiger - das "Magazin" namens "Brisant" sogar um zehn Minuten gekürzt wird (horizont.net). Was auch immer Thomas Gottschalk genau anstellen wird - das ARD-Programm dürfte 2012 jeden Tag besser sein, oder wenigstens weniger schlimm, als bisher!

Ansonsten ging es bei den ARD-Veranstaltung gestern erstens um Reinhold Beckmanns Talkshow (vgl. Altpapier vom Dienstag), die ihren Sendeplatz behalten muss. Dazu hat der Tagesspiegel als indirektes Zitat aufgeschnappt, dass dieser sich warm anziehen muss ("Wir haben fünf Talks, aber wenn das Publikum sagt, vier würden reichen, dann werden wir uns dem Votum beugen...").

Zweitens ging es um den Senderfinanzausgleich. Das arme Radio Bremen erhalte von den anderen Anstalten eine "Liquiditätsbrücke", berichtet die Süddeutsche (S. 19), und zwar bis 2014, das nämlich ein "magisches Jahr für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk" werde, "denn dann wird sowohl der Ertrag aus der neuen Haushaltsgebühr feststehen als auch der Auftrag der Anstalten wohl von der Politik justiert."

[listbox:title=Artikel des Tages[Simons Zeit-Kritik (BLZ)##Ausführlichste ARD-Baustellen-Übersicht (meedia.de)##Neues ARD-Vorabendprogramm (horizont.net)##Härteste englische Zitate (SZ)##Journalistische Rechtsextremen-Recherche (BLZ)]]

Drittens ging es um die Frage der teils oder gar nicht mehr gemeinsamen Vormittags-Nachrichtensendungen von ARD und ZDF. Darin wolle die ARD "an den ZDF-Fernsehrat und den Verwaltungsrat appellieren", auf den Trennungsplan zu verzichten. Berichtet ebenfalls die SZ.

Viertens ging es um die Lage bei der Degeto (siehe Altpapier gestern). Während die TAZ die Lage noch mal zusammenfasst ("Bei der kommerziellen ARD-Tochter Degeto sitzen zwar die Anstalten als Gesellschafter im Aufsichtsrat, von der eigentlichen Aufsicht durch die Rundfunkräte ist der Laden aber abgekoppelt. Ähnlich lief es beim gemeinsam mit dem ZDF betriebenen Kinderkanal..."), freut sich der große Michael Hanfeld in der FAZ (S. 39),

"dass die ARD bei der Übertragung ihrer Pressekonferenzen (per Livestream) die Mikrofone freischaltet, noch bevor es offiziell losgeht. So war am Mittwoch zu hören, wie Ruth Hieronymi, Chefin des WDR-Rundfunkrats, den Radio-Bremen-Intendanten Jan Metzger fragte, wie das Medienecho auf die tags zuvor verkündete Suspendierung des Chefs der skandalgeplagten ARD-Filmtochter Degeto gewesen sei. Metzger blätterte in Unterlagen: 'Insgesamt sachlich, wenig Häme', sagte er."

Meedia.de weiß zu diesem Aspekt noch hinzuzufügen, dass Programmdirektor Volker Herres (auch nebenamtlicher Degeto-Geschäftsführer) und die neue Aufsichtsratsvorsitzende Dagmar Reim vom RBB anstrebten, "dass auch Komödien künftig höchsten Qualitätsansprüchen genügen müssten". Bei der Vorstellung, wie Herres und Reim die neue Komödienqualitätskontroll-Kommission der ARD bilden, dürften auch sachlichste Medienbeobachter kein Schmunzeln unterdrücken können.

Das Schmunzeln vergeht freilich gleich wieder im Altpapierkorb, in dem es allein aus Platz- und nicht aus inhaltlichen Gründen weitergeht.


Altpapierkorb

+++ "Das Handwerk des Journalismus" ist "so gut wie tot". Das sagt zumindest Alistair Campbell, der  ehemalige Sprecher Tony Blairs, im britischen Abhöraffären- bzw. Boulevardjournalismus-Untersuchungsausschuss. Noch eine harte Aussage, freilich "leichten Herzens und erstaunlich cool vorgetragen": "Nach seiner Erfahrung würden Menschen mit zu viel Privatsphäre meist etwas Illegales auskochen", äußerte der frühere Reporter und jetzige Wirt Paul McMullan. Alle Zitate entstammen der Süddeutschen. Die TAZ berichtet ebenfalls. +++

+++ Netzpolitik: Die Chance, "in einer Grundsatzrede seine Vision einer Netzpolitik für die kommenden Jahre auszubreiten", und zwar auf dem Demokratie-Kongress der Konrad-Adenauer-Stiftung, die nutzte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich "nicht einmal ansatzweise". Meinen die bayerischen Landsleute von sueddeutsche.de. "Einzig vermeldenswert bleibt, dass kommende Woche ein Internet-Zentrum gegen Rechtsextremismus eröffnet wird. Das Netz als streng zu beobachtende Heimstatt dunkler Gestalten, es bleibt das beherrschende Thema der Friedrich'schen Internetpolitik." +++

+++ Bei einer anderen Veranstaltung, einer des Privatsenderverbandes VPRT über "Perspektiven der crossmedialen Welt" mit VPRT-Präsident Jürgen Doetz und Google-Mann Jens Redmer, war Kurt Sagatz vom Tagesspiegel. Kaum hat er angehoben, das Thema zu skizzieren, ist das Artikelchen aber leider schon zuende. +++ Nicht frei online, gibt Harald Staun in der FAZ (S. 39) den Senderlobbyisten Saures: "Leider wurde vor allem sichtbar, wie wenig die Branche die Chancen der Digitalisierung zu nutzen gewillt ist." +++ Nico Lumma war auch da und berichtet ebenfalls vom Zusammenhang zwischen Vorratsdatenspeicherung und Urheberrecht, den FDP-Mann Hans-Joachim Otto ebd. herstellte. +++

+++ O.g. Schmunzeln kehrt zurück angesichts Marcus Jauers FAZ-Glosse über Netzpolitiker: "Heute halten sich alle im Bundestag vertretenen Parteien mindestens ein Exemplar eines Netzpolitikers, die sich, solange man ihnen Zugang zu Twitter, Facebook und Community gestattet, recht prächtig entwickeln. ..." Doch, "gelingt es dem Netzpolitiker, solange er twittert, meist sehr gut, sich kurz zu fassen, geraten seine Wortmeldungen nun oft endlos und umständlich, während er weiterhin prägnant aus der Gesprächssendung twittert, die er gerade besucht." +++ Das gilt dieser Veranstaltung des Vereins Politcamp. +++

+++ "Was würde George Orwell von Facebook halten? Nichts vermutlich, sein Konto wäre wohl deaktiviert. Er könnte froh sein, wenn man ihn auffordern würde, eine Kopie der ersten Seite seines Passes einzureichen und sich als Eric Blair anzumelden. Facebook ist in dieser Hinsicht egalitärer als die frühe Sowjetunion...": mal wieder großes Digitalgrundsatzkino von Evgeny Morozov vorn auf dem FAZ-Feuilleton (S. 33) heute. +++

+++ Die realen Gefahren, denen Journalisten, die wie Andreas Speit über Rechtsextreme schreiben und sie auch tatsächlich beobachten, in der analogen Welt ausgesetzt sind, beschreibt die Berliner Zeitung unter der Überschrift "Verfolgungsjagd auf dem Feldweg". +++

+++ "Doof, doofer, deutsche Kinokomödie. Oder: Kein Hirn ist auch keine Lösung. Noch nie war der deutsche Kinofilm derart reichhaltig mit TV- und Fördergeldern gesegnet, und noch nie...": Rainer Ganseras Verriss des Kinofilms namens "Kein Sex ist auch keine Lösung" führt die Debatte um den Degetoeinfluss auf den deutschen Film weiter. Auch wenn dieser Film nicht von der ARD betreut wurde, sondern Teil "einer Kollektion von Kino-Komödien, die vom ZDF koproduziert" und stolz angekündigt wurden, ist. +++

+++ Noch was mit Medien in der Zeit (S. 52): "Warum der Radiomoderator Ken Jebsen entlassen wurde", versucht Anna Marohn im Feuilleton zu klären. Jebsen sei wohl doch selbst schuld ("Er "sagt von sich, er sei Künstler. Als solcher könne er mit 'journalistischen Standards' ähnlich viel anfangen wie das Satiremagazin Titanic. Nur machte er eben kein Satiremagazin, sondern öffentlich-rechtlichen Rundfunk in einem Jugendradio"). +++

+++ "In diesem Jahr wurde der Internetauftritt Ihrer Sendung ..." - Simon: "Ihr könnt uns ruhig duzen." - "Einverstanden. In diesem Jahr wurde der Internetauftritt eurer Sendung 'Game One' mit dem Publikumspreis des Grimme Online Award ausgezeichnet. Hättet ihr damit gerechnet?" - Etienne: "Da es ein Publikumspreis war, wäre es gelogen, wenn wir gesagt hätten, dass es völlig überraschend kam." So startet das entspannte FAZ-Interview, das Sinem Derya Kiliç und Ann-Kristin Schöne mit den MTV-Videospielexperten Etienne Gardé und Simon Krätschmer führten. +++

+++ Noch mehr Guttenberg: Besprechungen der gestrigen Anne-Will-Show ohne den Freiherrn himself, aber mit Hans-Ulrich Jörges und Norbert Bolz gibt's bei faz.net von Jürgen Kaube, bei tagesspiegel.de von Caroline Fetscher und bei handelsblatt.com von mir. +++

Und neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.