Google gewinnt immer

Google gewinnt immer

Im Internet sorgen Google-Meldungen über deutsche "Regierungsanfragen" für Zensur-Aufregung, die Qualitätspresse erregen Theorien einer "Tagesschau"-Sprecherin über das Ende des Fernsehens. Und Steve Jobs ist tot.

Steve Jobs ist tot. In den deutschen Zeitungen steht noch nichts davon, doch Durchklicknachrufe beherrschen bereits die Top-Schlagzeilen aller nachrichtlich orientierten Portale. Erfahren haben viele Nutzer aber schon vor dem Anklicken nachrichtlich orientierter Portale davon, beim allerersten Klick ins Netz, sofern sie Google als Startseite eingestellt haben (wie z.B. der Autor dieser Kolumne, der Google eigentlich nicht mag, aber halt auch gut organisierte, schnelle Informationen benötigt).

Dass die digitale Spaltung der Gesellschaft zwar auch mit Unkenntnis digitaler Geräte und Techniken bei vielen Zeitgenossen (die dennoch gerne darüber urteilen) zu tun hat, aber nicht allein damit, wurde gestern deutlich. Die Spaltung hängt ebenfalls damit zusammen, dass andere Zeitgenossen, die sich mit allem Digitalen gut auskennen, die Welt weitgehend via Google wahrnehmen. Und mehr Vertrauen in Phrasen setzten, die Übersetzungsalgorithmen global agierender kalifornischer Konzerne beim vermeintlichen Übersetzen in andere Sprachen ausspucken, als in den Staat, in dem sie leben, und seine Institutionen.

Die Fehlermeldung des zu Google gehörenden Videoportals Youtube "Dieser Content ist in deinem Land nicht verfügbar, da er aufgrund einer Regierungsanfrage entfernt wurde" ließ gestern eine mittlere Welle der Zensurempörung durchs deutschsprachige Internet gehen, wie etwa netzpolitik.org, als erster wohl der Blogger Jens Scholz, sowie gern natürlich das betroffene bzw. davon profitierende ZDF berichten. Denn um ein ZDF-Video, diese "Wiso"-Reportage "Die Bank gewinnt immer", ging es.

"Am späten Nachmittag erklärt Google schließlich auf ZDF-Anfrage: 'Da es einen deutschen Gerichtsbeschluss gegen das ZDF gibt, der bestimmte Aussagen des Beitrags untersagt, wurde das Video nach Aufforderung durch den Dritten, der den Gerichtsbeschluss gegen das ZDF erwirkt hat [...] gesperrt. Die Bezeichnung 'Governmental Request' als Begründung ist jedoch in diesem Zusammenhang irreführend, darum wurde diese Beschreibung inzwischen geändert.' Nun heißt es auf YouTube, der Inhalt sei wegen einer 'rechtlichen Beschwerde nicht verfügbar'",

brachte die ZDF-Seite heute.de am Abend Licht in die Konfusion. Die rechtliche Beschwerde habe mit einem "laufenden Rechtsstreit des ZDF mit der Sparkasse Bremen" zu tun, derentwegen die Sender-Online-Version des im Fernsehen ausgestrahlten 45-minütigen Films um gut drei Minuten (diese, derzeit separat auf Youtube verfügbaren) gekürzt wurde. Eine nicht vom ZDF auf offizielle ZDF-Youtube-Kanäle, sondern von einem "Privatnutzer" hochgeladene Version habe jene dritte Seite, die Bremer Sparkasse vermutlich, auf Youtube sperren lassen.

Zwischendurch hatten bereits der bekanntlich ZDF-affine Regierungssprecher Steffen Seibert "Die Bundesregierung zensiert nicht und hat nichts gesperrt..." getwittert, und einzelne fröhliche Vögel aus der Piratenpartei (die ebenfalls gestern ihren grunsätzlichen Mit-Regierungs-Willen für Deutschland und das Bundesland Berlin bekundete und heute sogar von der alten Tante Die Welt für ihre Eleganz und Eloquenz, zumal im Vergleich mit den Frisuren der frühen Grünen, gelobt wird), hatten schon einmal ein förmliches Schreiben ("Piratenpad") ans Bundeskanzleramt aufgesetzt, in dem es u.a. heißt:

"Die Piratenpartei Deutschland erbittet im Namen der Mitglieder um Auskunft über die Sperrung eines YouTube-Videos. Das Video wurde offentsichtlich auf Anfrage der Bundesregierung für den deutschen IP-Adressraum gesperrt. ..."

Am relativ mutigsten greift wuv.de, der Internetauftritt der Zeitschrift Werben und Verkaufen, das Thema auf und titelt "YouTube schiebt 'ZDF Wiso' Zensur unter". Auch in diesem Beitrag (wie in dem von netzpolitik.org) scheint jedoch der Verdacht mitzuschwingen, es könne auch in Zeiten der Banken-Milliarden-Dauerkrisen durchaus eine deutsche "Regierungsanfrage" zugunsten der Bremer Sparkasse bei Google gegeben haben, denn ohne Grund werde die Google-Seite so etwas ja nicht schreiben.

Im Grunde genügt es jedoch, ein ein wenig zu googeln (bzw., um die Datenkrakenvielfalt zu fördern: bing-en ginge auch), um zu erkennen, dass es sich bei der Berufung auf "Regierungsanfragen" um eine geläufige Youtube-Technikphrase handelt, die auch schon Anhänger des Hiphops (vgl. kingshit.to über die Sperrung des Videoclips der "Massiv Single 'Massaka-Kokain (feat. Haftbefehl)', aus dem Album “Blut gegen Blut 2") und des Tierschutzes (vgl. nagerschutz.de über die ARD-Reportage "Die Pangasius-Lüge - Das große Geschäft mit dem Billigfisch") in Ärger versetzt hatte. Bloß gelangten diese nischigeren Aufregungen eben nicht in die Social-Media-Kanäle, die für weitere Verbreitung sorgen, oder es schaute gerade niemand in die Feeds, als sie doch hineingelangten.

[listbox:title=Artikel des Tages[zdf.de über seine Youtube-Aufregung##Jens Scholz darüber##Judith Rakers über das Ende des Fernsehens##TAZ über Freischreiber-Preis & Neon-Aufregung##Das neueste Piel-Gebühren-Interview (Tsp.)]]

Auf einen recht instruktiven Beitrag zur digitalen Spaltung, der gestern in der Welt erschien, weist heute am Rande der FAZ-Medienseite Michael Hanfeld hin, indem er der Aussage dieses Beitrags energisch widerspricht. Der Beitrag stammt von Judith Rakers, der so frisch lächelnden "Tagesschau"-Sprecherin und trägt die Unterüberschriften "Warum das Internet uns nicht mehr braucht: Judith Rakers über das Ende des Fernsehens".

Und auch wenn Rakers' einleitende McLuhan-Gutenberg-Medienrevolution-Bausteine schon einige Millionen mal gedreht und gewendet sein dürften, ihre folgende Argumentation kann überzeugen:

"Ich werde als Medienkonsument der Zukunft nicht nur bestimmen können, wann ich die Inhalte abrufe, sondern auch, welche Inhalte das sein werden. Und hier geht es dann nicht nur um die Entscheidung, ob man die 'Tagesschau', 'heute' oder 'RTL Aktuell' abruft. Man wird in Zukunft ressortspezifisch vorgehen können: Sie interessieren sich für Sport und Wirtschaft, aber nicht für Kultur und Politik? Voilà: Das Internet wird Sie damit nicht mehr belästigen."

Die These, dass "die Kommunikation zwischen den verschiedenen Teilgesellschaften dann irgendwann genauso schwierig" werden könnte, "wie sie heute zwischen dem nordrhein-westfälischen Altenbeken und einem Dorf in Somalia ist", stellt Rakers, mit Fragezeichen, in den Raum.

Wenn Hanfeld (FAZ, S. 37) dagegen heute quasi zur Verteidigung eine Menge alte Argumentationsbausteine hervorholt wie:

"Es ist an der 'Tagesschau' wie an den Qualitätszeitungen, die Informationsmarken, an denen sich auch im Internet alle orientieren, zu setzen. So begeht auch Judith Rakers wie manch andere schon einmal gedanklich Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Für eine Repräsentantin der besten und meistgesehenen Nachrichtensendung im Land ist das schon erstaunlich",

dann spricht das dafür, dass Rakers einen Nerv getroffen hat.
 


Altpapierkorb

+++ "Himmel" und "Hölle" heißen positive bzw. negative Preise, die die Freischreiber, der Verband freier Journalisten (in dem der Autor dieser Kolumne Mitglied ist), im November vergeben werden. Jeweils drei Redaktionen, die freie Journalisten nach Meinung einer Jury besonders gut bzw. besonders schlecht behandeln, wurden nominiert. Und zumindest eine der "Hölle"-nominierten Redaktionen, diejenige des Magazins Neon, "kocht vor Wut" daher (TAZ). "Das ist nicht nur unseriös, sondern bald Rufmord", sagt Chefredakteur Michael Ebert im meedia.de-Interview. Und meedia.de wäre nicht meedia.de, wenn es die Geschichte nicht mit noch einem Interview, mit dem Freischreiber-Jury-Mitglied Jakob Vicari ("Es ist schon so, dass es bei bestimmten Redaktionen gewisse Muster an Beschwerden gab"), weiterdrehte. +++

+++ "Da ist es ein immer wiederkehrendes Ritual – auch in den Zeitungen – zu behaupten, die Sender würden unter dem Strich mehr Geld kassieren! Das ist einfach nicht richtig!!": Zwei Ausrufezeichen am Ende eines Satzes zeigen an, dass es hoch her ging in Joachim Hubers Tagesspiegel-Interview mit der ARD-Vorsitzenden Monika Piel über die alte, neue Frage, ob denn die Gebühren wieder erhöht werden. +++ Ansonsten weist der Tsp. darauf hin, dass heute Joko und Klaas alias Joachim Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf, die neuesten öffentlich-rechtlichen Einkäufe vom Privatfernsehen, ihre Show beim ZDF-Digitalsender Neo starten und darin auch explizit "Gebühren verschleudern" möchten. +++ Außerdem erfüllt Huber eine vornehme Pflicht eines Onlinesjournalisten: zum Diskutieren animieren ("Soll Hape Kerkeling 'Wetten, dass...?' übernehmen? Diskutieren Sie mit!"), wozu er einleitend ein paar mediokre Hape-Kerkeling-Scherze nacherzählt. +++

+++ Erste kleine Konsequenz des jüngsten europäischen Fernsehfußball-Urteils (siehe Altpapier gestern): "Das erste große Sportrechte-Paket, das nach dem Richterspruch verkauft wird", dasjenige um den DFB-Pokal, soll gar nicht erst ins Ausland verkauft werden (Süddeutsche). +++

++++ Ansonsten erinnert die Süddeutsche in ihrem Aufmacher um die morgen vor fünf Jahren ermordete Anna Politkowskaja und die weiterlaufende, vor allem von ihren Kollegen betriebene Suche nach dem Mörder. Und stellt am Beispiel von marcopolo-reloaded.com das "hierzulande ...noch recht neue Genre" der Webdocs vor: "Sehr schnell taucht man in die verschiedenen Ebenen ein, verirrt sich in den vielen Eindrücken und Informationen - auf eine sehr angenehme Weise, so wie man am besten auch reist: Indem man bewusste Entscheidungen trifft und sich zugleich doch einfach treiben lässt. Bis zum nächsten Reiz, dem man nachgibt oder nicht." +++

+++ Gern zur Kenntnis nimmt die TAZ das offizielle Abschwören auch des FAZ-Redakteurs Lorenz Jäger vom Konservativismus (gestern im FAZ-Feuilleton, noch nicht frei online). +++

+++ "Muss es fünf Automarken geben? Nimmt die Vielzahl der Talkshows nicht auch Druck von den einzelnen, alle zufriedenstellen zu müssen? Das sind philosophische Fragen..." Da talken Frank Plasberg, der heute aber nicht als Talkshow-, sondern als Quizshowmoderator ins sog. Erste kommt, und Jan Freitag für die Berliner Zeitung miteinander. +++ Über "Meinungsmache statt Berichterstattung" als Erfolgsrezept in den USA, nicht nur bei rechten Sendern wie Fox News, sondern auch bei MSNBC, dem "linken Nachrichtenkanal", informiert die TAZ. +++

+++ In der aktuellen Zeit nennt WAZ-Geschäftsführer Christian Nienhaus Mathias Döpfner quasi einen "Finanzhai" (Vorabmeldung). +++

+++ Und ebenfalls verstorben sind: Göksin Sipahioglu, Gründer der inzwischen von der DAPD besessenen Fotoagentur Sipa Press mit 84 Jahren (FAZ, S. 37), und Peter Przygodda, nicht Cutter, sondern "Schnittmeister", mit 70 Jahren (ebd., S. 35). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.